HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 797
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 186/09, Urteil v. 25.06.2009, HRRS 2009 Nr. 797
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 19. Januar 2009 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin durch dieses entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und bestimmt, dass - wegen mehrerer Verfahrensverzögerungen - ein Jahr dieser Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt. Gegen das Urteil richtet sich die auf die Verletzung des sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Ab Dezember 2004 beaufsichtigten der Angeklagte und seine Freundin Tanja C. mehrmals den am 13. August 2004 geborenen Jason, den Sohn von Monja C., der Schwester von Tanja C. Der Angeklagte hatte eine sehr gute Beziehung zu dem Kind und ging liebevoll mit ihm um; er wollte dessen Pate werden.
Am 16. Februar 2005 brachte der Angeklagte das Kind, nachdem es bei ihm und Tanja C. übernachtet hatte, gegen 14.00 Uhr zu seiner Mutter zurück. Dort fiel Jason von einer etwa 18 cm hohen Matratze und schlug mit dem Kopf auf dem Holzboden auf. Das Kind weinte anschließend, beruhigte sich jedoch bald wieder.
Die folgende Nacht schlief Jason erneut beim Angeklagten und Tanja C., die am nächsten Morgen gegen 7.00 Uhr die Wohnung verließ. Zwischen 11.30 und 12.00 Uhr telefonierte der Angeklagte, der sich mit Jason alleine in der Wohnung aufhielt, mit dessen Mutter. Während des Telefongesprächs begann Jason laut zu schreien. Der Angeklagte erklärte, dass er das Telefonat beenden müsse, um das Kind zu beruhigen. Zum weiteren Verlauf des Geschehens vermochte die Strafkammer keine detaillierten Feststellungen zu treffen. Als erwiesen sah sie indes an, dass der Angeklagte das Kind nach dem Telefonat "massiv hin- und herschüttelte, so dass dessen Kopf nach vorne und hinten schlug". Dabei war ihm bekannt und bewusst, "dass ein heftiges Schütteln eines Kindes zu ganz massiven körperlichen Schäden" bzw. zu einer "erheblichen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens des Kindes und zu einer sogar lebensgefährlichen Beschädigung seiner Gesundheit" führen kann.
Etwa gegen 13.00 Uhr rief der Angeklagte die Mutter von Jason an und teilte ihr mit, dass dieser "reglos" sei. Monja C. forderte den Angeklagten auf, das Kind anzupusten und leicht zu rütteln. Entsprechend war sie bereits am 28. November 2004 verfahren, als das schlafende Kind plötzlich einen reglosen Eindruck machte, anschließend - auch bei einer ärztlichen Untersuchung - aber wieder unauffällig war. Auf die Aufforderung von Monja C. entgegnete der Angeklagte, dass er dies bereits getan habe. Um 13.15 Uhr verständigte er - auf Bitte der Mutter hin - den Notarzt. Dieser lieferte Jason um 13.30 Uhr in lebensbedrohlichem Zustand in eine Klinik ein. Dort wurden unter anderem ein Schütteltrauma und ein beginnendes Hirnödem sowie mehrere ältere Hämatome diagnostiziert. Am 2. März 2005 verstarb Jason infolge Versagens der zentralen Regulation nach einer schweren Hirnschädigung.
2. Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
a) Die rechtliche Bewertung des Handelns des Angeklagten als vorsätzliche Körperverletzung (mit Todesfolge) weist entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
Zwar trifft es zu, dass sich sowohl die Feststellungen als auch die Rechtsausführungen der Strafkammer ausdrücklich nur mit dem Wissenselement des Körperverletzungsvorsatzes befassen. Der Senat entnimmt dem Urteil aber, dass die Strafkammer vom Vorliegen auch des voluntativen Vorsatzelements überzeugt war. Denn die Darlegungen des Landgerichts zum Fehlen dieses Vorsatzelements hinsichtlich des in Anklage und Eröffnungsbeschluss angenommenen Totschlags lassen keinen Zweifel daran zu, dass sich der Angeklagte bei seinem Handeln nach der Überzeugung der Strafkammer zwar mit dem Tod des Kindes innerlich nicht abgefunden und diesen nicht akzeptiert hat, dass er aber erkannt und gebilligt hat, dass Jason durch die "Gewaltanwendung" körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt wird. Hinzu kommt, dass sich die Strafkammer im Rahmen ihrer Rechtsausführungen mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2003 (NStZ 2004, 201) auseinandergesetzt und diesen teilweise sogar wörtlich übernommen hat. Diese Entscheidung befasst sich - neben dem Zeitpunkt - mit den Anforderungen an das Wissens- und Wollenselement des Körperverletzungsvorsatzes bei § 227 StGB, der - so der 3. Strafsenat - bei einem einmaligen Schütteln eines Kindes in affektiver Erregung und in einer erheblichen Stresssituation - anders als in Fällen mehrfachen Schüttelns - zweifelhaft sein kann und der Erörterung in den Urteilsgründen bedarf (aaO S. 202). Einen solchen Ausnahmefall hat die Strafkammer hier jedoch ausdrücklich verneint.
Die Bejahung des Körperverletzungsvorsatzes begegnet auf der Grundlage der von der Strafkammer getroffenen Feststellungen keinen Bedenken. Insbesondere ist auf Grund der ausführlichen Erörterung bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes nicht zu besorgen, dass die Strafkammer bezüglich des Körperverletzungsvorsatzes unbeachtet gelassen hat, dass der Angeklagte zu dem Kind eine gute und liebevolle Beziehung hatte, es sich also bei der von ihm billigend in Kauf genommenen Verletzung um einen unerwünschten Erfolg gehandelt haben mag.
b) Das Rechtsmittel des Angeklagten hat auch mit der Erwägung des Generalbundesanwalts, die Beweiswürdigung sei lückenhaft, weil sich die Strafkammer mit der Aussage der Zeugin M. nicht hinreichend auseinandergesetzt habe, keinen Erfolg.
Nach den getroffenen Feststellungen räumte der Angeklagte am späten Nachmittag oder Abend des 17. Februar 2005 gegenüber Sigrid M., der Großmutter von Jason, ein, dass er das Kind vor sich gehalten und so geschüttelt habe, "dass dessen Köpfchen 'hinund her geflogen' sei" und er gedacht habe, "er müsse langsam machen, damit er ihm nicht das Genick breche"; bereits zuvor habe er "zu irgendeinem Zeitpunkt" festgestellt, dass Jason nicht mehr atme; er habe ihm dann Wasser ins Gesicht geschüttet und ihn angepustet, was nichts genützt habe. Von der Richtigkeit der Aussage der dieses Gespräch bestätigenden Zeugin war die Strafkammer überzeugt; sie befasste sich im Weiteren jedoch allein mit den Angaben des Angeklagten zum Schütteln des Kindes und bewertete diese als weiteres Indiz, dessen es zu ihrer Überzeugungsbildung indes nicht bedurft habe.
Hierin liegt kein Rechtsfehler. In der Hauptverhandlung bestritt der Angeklagte die von der Zeugin M. bekundeten Äußerungen und ließ sich dahin ein, dass das Kind plötzlich ohnmächtig geworden sei, er habe es - unter anderem - "ein wenig gerüttelt" und gehört, dass Jason atme; noch unmittelbar vor dem Notruf habe das Kind "tiefere Atemzüge getätigt und sich leicht erbrochen". Vor diesem Hintergrund sowie den Darlegungen des die Einlassung des Angeklagten und andere möglicherweise zum Tod des Kindes führende Ereignisse ausführlich erörternden rechtsmedizinischen Sachverständigen war die Strafkammer nicht gehalten, sich mit der Aussage der Zeugin M., der Angeklagte habe angegeben, dass das Kind nicht mehr geatmet habe, auseinanderzusetzen.
Dies gilt umso mehr, als weder der Angeklagte selbst noch sein Verteidiger in der Hauptverhandlung einen Rettungswillen des Angeklagten geltend gemacht haben. Anhaltspunkte für einen Notstand (§§ 34, 35 StGB) oder eine rechtfertigende oder entschuldigende Pflichtenkollision bestanden nicht und werden auch von der Revision des Angeklagten nicht aufgezeigt, die sich vielmehr - obwohl vom Landgericht eine besondere affektive Erregung des Angeklagten zur Tatzeit ausgeschlossen worden war - auf eine bei diesem bestehende Panik berief. Es wäre daher lediglich eine hypothetische - und auf Grund der Feststellungen nicht gebotene - Erwägung, anzunehmen, der Angeklagte sei davon ausgegangen, zu einem heftigen und lebensgefährlichen Schütteln des Kindes berechtigt oder verpflichtet zu sein, um eine Gefahr für das Kind abzuwenden.
c) Auch im Übrigen weist das Urteil keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere liegt ein solcher nicht darin, dass die Strafkammer einen minder schweren Fall der Körperverletzung mit Todesfolge abgelehnt hat, obwohl insofern eine andere Bewertung ebenfalls möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2005 - 5 StR 86/05 m.w.N.). Hierauf würde zudem der Strafausspruch nicht beruhen.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 797
Bearbeiter: Karsten Gaede