HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1094
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 173/25, Beschluss v. 24.06.2025, HRRS 2025 Nr. 1094
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 11. November 2024, soweit es ihn betrifft, aufgehoben,
a) soweit er im Fall II. 2. der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe,
c) im Ausspruch über die Einziehung des Mobiltelefons; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im Übrigen - wegen Verabredung zu einem Verbrechen des Mordes in Tateinheit mit „vorsätzlichem unerlaubten“ Besitz einer Schusswaffe und von Munition sowie wegen Einschleusens mit Todesfolge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Daneben hat es die Einziehung unter anderem eines Mobiltelefons angeordnet. Die auf die Beanstandung der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Das Landgericht hat zu dem hier allein relevanten Fall II. 2. der Urteilsgründe im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Gemeinsam mit einem im Libanon lebenden Bruder organisierte der Angeklagte Schleusungsfahrten von dort über das Mittelmeer in Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Funktion des Angeklagten bestand unter anderem darin, sich für die potenziellen Flüchtlinge und deren Familienangehörige in Deutschland als Ansprechpartner zur Verfügung zu halten.
Ein am 21. September 2022 zu einer Schleusungsfahrt vom Libanon in Richtung Italien aufgebrochenes Boot hatte „weit über 100 Passagiere“ (UA S. 6) aufgenommen, die weder die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum noch einen Pass(ersatz) oder einen Aufenthaltstitel besaßen. Dies war dem Angeklagten ebenso bekannt wie die fehlende Eignung des Bootes für den mehrtägigen Transport einer solchen Vielzahl von Menschen über das offene Meer; er war mit den Umständen der Schleusungsfahrt einverstanden. Das Boot sank durch eindringendes Wasser; „mindestens 18 Personen“ starben, „wobei es über 100 Tote gegeben haben soll“ (UA S. 6).
Für die gegenständliche Schleusungsfahrt zahlten in Deutschland lebende Angehörige der Geschleusten ausstehende Geldbeträge in bar an den Angeklagten, der diese jedenfalls auch für sich vereinnahmte. Zur Organisation der Zahlungen verwendete er das eingezogene Mobiltelefon. Die für die Geschleusten bestehende Gefahr, einschließlich der Gefahr ihres Todes, hätte er erkennen können und müssen.
1. Die Feststellungen zu Fall II. 2. der Urteilsgründe tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Einschleusens mit Todesfolge gemäß § 97 Abs. 1, § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b, Abs. 4 AufenthG in der Fassung vom 13. April 2017 bzw. 12. Juli 2018 (nachfolgend einheitlich: aF) nicht.
a) Der Tatbestand des Einschleusens mit Todesfolge gemäß § 97 Abs. 1 AufenthG aF enthält eine Erfolgsqualifikation (BGH, Urteil vom 4. Dezember 2018 - 1 StR 255/18, NStZ 2019, 287 Rn. 15 mwN; Beschluss vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, BGHR AufenthG § 97 Abs. 1 Tod des Geschleusten 1 Rn. 24). Danach macht sich strafbar, wer in den Fällen des § 96 Abs. 1 AufenthG aF, auch in Verbindung mit § 96 Abs. 4 AufenthG aF, den Tod des Geschleusten verursacht. Der Täter muss hinsichtlich des Geschleusten selbst eine Tathandlung nach § 96 Abs. 1 AufenthG aF - eine zur Täterschaft erhobene Beihilfe oder Anstiftung zu einem der dort genannten ausländerrechtlichen Vergehen - begehen und hinsichtlich der Todesfolge zumindest fahrlässig handeln (§ 18 StGB; BGH, Urteile vom 19. Dezember 2024 - 5 StR 490/24, juris Rn. 27; vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, NStZ - RR 2020, 184 mwN; vom 4. Dezember 2018 - 1 StR 255/18, NStZ 2019, 287 Rn. 15 f. mwN).
Für die § 96 Abs. 1 AufenthG aF unterfallenden Teilnahmehandlungen gelten ungeachtet ihrer tatbestandlichen Verselbständigung zur Täterschaft die allgemeinen Regeln der Teilnahme einschließlich des Grundsatzes der limitierten Akzessorietät. Die Strafbarkeit wegen vollendeten Einschleusens von Ausländern setzt daher das Vorliegen einer vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat des Geschleusten voraus (BGH, Beschlüsse vom 6. Oktober 2021 - 3 StR 213/21, BGHR AufenthG § 96 Abs. 1 Nr. 1 Einschleusen 7 Rn. 8; vom 23. September 2021 - 1 StR 173/21, juris Rn. 9; vom 13. Januar 2015 - 4 StR 378/14, NStZ 2015, 399, 400; ferner BGH, Urteil vom 14. November 2019 - 3 StR 561/18, BGHR AufenthG § 96 Abs. 1 Nr. 1 Einschleusen 6 Rn. 15). Fehlt es an einer in § 96 Abs. 1 AufenthG aF genannten Bezugstat oder wird diese nur versucht, kommt für den mit Schleusermerkmalen handelnden Teilnehmer eine Strafbarkeit wegen versuchten Einschleusens von Ausländern nach § 96 Abs. 3 AufenthG aF - gegebenenfalls mit der qualifizierenden Todesfolge des § 97 Abs. 1 AufenthG aF - in Betracht (BGH, Beschlüsse vom 29. November 2022 - 3 StR 238/22, NStZ 2004, 47 Rn. 9; vom 13. Januar 2015 - 4 StR 378/14, aaO; jeweils mwN; vom 14. August 2019 - 5 StR 228/19, juris Rn. 22).
b) Nach Maßgabe dessen tragen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen die Annahme der vollendeten unerlaubten Einreise von - zumindest einem - Geschleusten in das Bundesgebiet (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG aF) oder das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder eines Schengen-Staates (§ 96 Abs. 4 Nr. 1 AufenthG aF) nicht. Das Schleusungsboot erreichte das Zielland Italien nicht; das Schicksal der Passagiere ist im Einzelnen weitgehend ungeklärt. Zwar ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass Angehörige eines Zeugen das Bootsunglück „überlebt“ (UA S. 18) haben sollen. Zu deren weiterem Verbleib, insbesondere ihrer etwaigen Strafbarkeit nach §§ 95, 96 Abs. 4 AufenthG aF, verhalten sie sich aber nicht.
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2. der Urteilsgründe zieht den Wegfall des zugehörigen Einzelstraf- und des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Sie hat zudem die Aufhebung der Anordnung der Einziehung des Mobiltelefons als Tatmittel (§ 74 Abs. 1 Alternative 2 StGB) zur Folge.
3. Die jeweils zugehörigen Feststellungen sind von dem aufgezeigten Wertungsfehler nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Bezüglich der Zahl der - anhand der Zeugenaussagen individualisierbaren - Todesopfer ist von mindestens 18 Verstorbenen auszugehen; bei der teilweise abweichenden Bezifferung mit „jedenfalls 17 Personen“ (UA S. 6) handelt es sich um ein offenkundiges Schreibversehen. Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen. Hinsichtlich einer Einreise von Geschleusten sind sie geboten.
4. Im Übrigen hat die sachlichrechtliche Nachprüfung des Urteils keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.
5. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Strafbarkeitserweiterung des § 96 Abs. 4 AufenthG aF Fälle der (versuchten) Hilfeleistung zu einer unerlaubten Einreise bei Vorliegen (allein) eines der Schleusermerkmale des § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b AufenthG aF nur dann erfasst, wenn der Täter eines der Qualifikationsmerkmale des § 96 Abs. 2 Nr. 1, 2 oder 5 AufenthG aF verwirklicht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2022 - 3 StR 238/22, NStZ 2024, 47 Rn. 21; Urteil vom 15. März 2021 - 5 StR 627/19, BGHR AufenthG § 96 Abs. 4 Auslandstaten 2 Rn. 24; jeweils mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1094
Bearbeiter: Fabian Afshar