HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 983
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 83/24, Beschluss v. 12.06.2024, HRRS 2024 Nr. 983
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 21. November 2023
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie des Handeltreibens mit Cannabis in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln, schuldig ist;
b) aufgehoben aa) und der Angeklagte freigesprochen, soweit er im Fall II. 5. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insofern fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last; bb) in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen II. 2. bis 4. der Urteilsgründe, die Gesamtstrafe und die Einziehung; jedoch werden die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung unter bb) wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen drei Fällen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, davon in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sowie Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es gegen ihn die Einziehung „eines Betrages“ in Höhe von 695 Euro angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen betätigte sich der Angeklagte spätestens ab Anfang Oktober 2022 und erneut jedenfalls seit Mitte Februar 2023 als Drogenhändler, um sich hierdurch eine zusätzliche Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.
Im Zuge dessen erwarb er am 5. Oktober 2022 100 Gramm Amphetamin mit einer Wirkstoffmenge von 13 Gramm Amphetaminbase und veräußerte dieses in der Folge gewinnbringend (Fall II. 1. der Urteilsgründe [fortan: Fall 1]). Am 22. Oktober 2022 verfügte er über einen Handelsbestand von 70 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 10,5 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC), den er zum Kauf anbot und teilweise an einen gesondert verfolgten Abnehmer veräußerte (Fall 2). Am 20. Dezember 2022 bewahrte er in dem von ihm mit seiner Familie bewohnten Haus 321,7 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 48,3 Gramm THC auf, zudem knapp 25 Gramm Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von 1,95 Gramm THC, 3,1 Gramm Marihuanareste sowie 0,44 Gramm Amphetamin. Von dem Marihuana waren 20 Gramm zum Eigenkonsum und der Rest zum Verkauf bestimmt (Fall 3). Am 14. Februar 2023 hielt der Angeklagte einen Handelsbestand von 50 Gramm Marihuana „durchschnittlicher Qualität“ vorrätig, den er zum Kauf anbot und teilweise veräußerte (Fall 4). Am 12. April 2023 verfügte er über ein Tabak-Marihuana-Gemisch mit einem Gewicht von 0,87 Gramm zum Eigenkonsum (Fall 5).
2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils führt in den Fällen 2 bis 4 zur Änderung des Schuldspruchs und Aufhebung der Einzelstrafaussprüche, im Fall 5 zum Freispruch des Angeklagten sowie fallübergreifend zur Aufhebung der Aussprüche über die Gesamtstrafe und die Einziehung.
a) Hinsichtlich der Fälle 2 bis 4 hat der Schuldspruch keinen Bestand, weil das Handeltreiben mit Marihuana seit dem 1. April 2024 dem Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG, BGBl. I Nr. 109) unterfällt, das hier nach § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO als das gegenüber dem zur Tatzeit geltenden Betäubungsmittelgesetz mildere Recht anzuwenden ist:
§ 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG bestimmt für den besonders schweren Fall des Handeltreibens mit Cannabis einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Ein solcher ist nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 4 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 KCanG in der Regel gegeben, wenn der Täter gewerbsmäßig handelt oder sich die Tat auf eine nicht geringe Menge bezieht, mithin ab einem Wirkstoffgehalt von 7,5 g THC (s. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2024 - 3 StR 115/24, juris Rn. 9; vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, juris Rn. 8). § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG sieht hingegen für das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ebenso wie § 29 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 BtMG bei Annahme eines besonders schweren Falls aufgrund gewerbsmäßigen Handelns des Täters Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr vor. Das Landgericht hat der Strafzumessung jeweils diesen Strafrahmen zugrunde gelegt.
Die Fälle 2 bis 4 sind deshalb nunmehr als Handeltreiben mit Cannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG zu bewerten. Im Fall 3 liegt zudem in Bezug auf das Amphetamin eine tateinheitliche Strafbarkeit (§ 52 StGB) wegen Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG vor. Der festgestellte Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum ist hingegen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG erlaubt und dementsprechend vom Straftatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG ausgenommen.
§ 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der vollumfänglich geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
b) Die für die Fälle 2 bis 4 verhängten Einzelstrafen sind aufzuheben, da angesichts der nach neuem Recht geringeren Strafandrohung nicht auszuschließen ist, dass die Strafkammer auf mildere Strafen erkannt hätte. Bereits dies entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage, so dass sie ebenfalls der Aufhebung unterliegt.
c) Der im Fall 5 festgestellte Besitz von weniger als einem Gramm Marihuana unterfällt seit dem 1. April 2024 ebenfalls dem Konsumcannabisgesetz; er ist nunmehr straffrei (§ 2 Abs. 3 StGB). Insoweit ist der Angeklagte daher gemäß § 354 Abs. 1, § 354a StPO freizusprechen.
d) Die Einziehungsentscheidung erweist sich aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen als rechtsfehlerhaft. Er hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt:
„Die Einziehungsentscheidung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Das Landgericht hat die sichergestellten 695,00 € als Taterträge gemäß § 73 Abs. 1 StGB eingezogen (UA S. 15). Dies wird von den Feststellungen nicht getragen.
Danach sind bei der Durchsuchung am 20. Dezember 2022 nur 155 € sichergestellt worden (Fall 3, UA S. 5), weshalb die Einziehungsentscheidung bereits deshalb fehlerhaft ist.
Ungeachtet dessen ist nicht festgestellt, aus welcher Anknüpfungstat das sichergestellte Geld stammt. Die Anknüpfungstat muss von der Anklage umfasst, in der Hauptverhandlung festgestellt und damit Gegenstand der Verurteilung sein. Dafür, dass der Angeklagte das sichergestellte Bargeld gerade durch die urteilsgegenständlichen Betäubungsmitteltaten erlangt hat, fehlt ein Beleg. Dies gilt umso mehr, als konkrete Verkaufserlöse in Fall 1 nicht festgestellt sind und im Fall 2 lediglich ein Verkaufserlös in Höhe von 130 € erzielt worden ist (UA S. 4). Zudem wurden die Taten in Fall 1 und 2 geraume Zeit vor der Wohnungsdurchsuchung begangen. Außerdem dürfte eine Tatertragseinziehung wegen der regelmäßig eingetretenen Vermischung des Geldes ausscheiden. Die Einziehung des sichergestellten Bargelds kann mithin - anders als von der Strafkammer angenommen - nicht auf § 73 Abs. 1 StGB gestützt werden. Denn eine Einziehung von Taterträgen nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass es sich um Erträge aus gerade den urteilsgegenständlichen Taten handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2023 - 3 StR 132/23, juris Rn. 9; vom 30. Juni 2021 - 3 StR 153/21, juris Rn. 8; vom 19. August 2020 - 3 StR 219/20, juris Rn. 6; vom 16. Juli 2019 - 2 StR 268/19, BGHR StGB § 73a Abs. 1 Einziehung 2 Rn. 7).
Eine Abschöpfung des sichergestellten Bargelds in Höhe von 155 € kommt auch nicht als erweiterte Einziehung von Taterträgen gemäß § 73a Abs. 1 StGB in Betracht. Eine erweiterte Einziehung von Taterträgen ist zwar möglich, wenn nicht feststellbar ist, ob es sich bei sichergestelltem Geld um Erlöse aus urteilsgegenständlichen oder aus anderen, nicht näher aufklärbaren Taten des Angeklagten handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2023 - 3 StR 132/23, juris Rn. 11; Urteil vom 22. September 2022 - 3 StR 238/21, wistra 2023, 121 Rn. 8; Beschlüsse vom 31. Mai 2022 - 3 StR 122/22, juris Rn. 23; vom 21. September 2021 - 3 StR 158/21, wistra 2022, 83 Rn. 6; vom 19. August 2020 - 3 StR 219/20, juris Rn. 6 f.). Hier entbehren die Urteilsgründe aber jeglicher Ausführungen zum Beleg der Überzeugung, dass die bei der Wohnungsdurchsuchung aufgefundenen Barmittel ebenfalls aus Betäubungsmitteldelikten des Angeklagten stammen.“
Dem tritt der Senat bei. Entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts ist die Einziehungsentscheidung jedoch nicht lediglich dahin zu ändern, dass statt der Einziehung des sichergestellten „Betrages“ in Höhe von 695 Euro diejenige des Wertes von Taterträgen in Höhe von 130 Euro gemäß § 73 Abs. 1, § 73c StGB angeordnet wird, weil das Landgericht im Fall 2 Verkaufserlöse in diesem Umfang festgestellt habe. Vielmehr ist der Einziehungsausspruch insgesamt aufzuheben. Es erscheint möglich, dass noch ergänzende Feststellungen zu der Herkunft des in dem Wohnhaus des Angeklagten aufgefundenen Bargeldes oder weiteren durch die abgeurteilten Taten erzielten Erträgen getroffen werden können.
3. Die dem Schuld-, Straf- und Einziehungsausspruch zugrundeliegenden Feststellungen sind von der Gesetzesänderung und dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind möglich und in Bezug auf den Wirkstoffgehalt des Marihuanas im Fall 4 auch geboten.
4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer bezüglich des Falls 4 die bislang versäumte Bestimmung eines konkreten Wirkstoffgehalts nachzuholen haben wird. Solcher Feststellungen bedarf es bei einer Cannabis- ebenso wie bei einer Betäubungsmittelstraftat regelmäßig, weil hierdurch das Unrecht der Tat und die Schuld des Täters maßgeblich bestimmt werden (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 23. März 2021 - 3 StR 53/21, NStZ 2023, 46 Rn. 4 mwN). Dabei ist es in der Regel erforderlich, den Wirkstoffgehalt in Gewichtsprozenten anzugeben oder als Gewichtsmenge zu bezeichnen. Beschreibungen wie gute, mittlere, durchschnittliche oder schlechte Qualität sind nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sich den Urteilsgründen oder allgemeinem Erfahrungswissen ein Bezugsrahmen entnehmen lässt, der die Ableitung eines konkreten Mindestwirkstoffanteils zweifelsfrei ermöglicht (s. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 4 StR 517/11, NStZ 2012, 339 mwN). Dies ist vorliegend insbesondere mit Blick darauf nicht der Fall, dass der vom Landgericht bei einer anderen Tat als durchschnittlich beurteilte Wirkstoffgehalt im Fall 4 zur Erreichung des Grenzwerts der nicht geringen Menge führte, welche die Strafkammer gerade nicht angenommen hat. Es bleibt damit unklar, von welchem Wirkstoffgehalt des betroffenen Marihuanas sie ausgegangen ist.
Zudem wird das neue Tatgericht grundsätzlich gehalten sein, in den Fällen der Verwirklichung eines Regelbeispiels - anders als das Landgericht im Fall 4 - ein mögliches Absehen von der Regelwirkung zu erörtern (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 - 3 StR 225/23, juris Rn. 19 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 983
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede