HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 140
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 456/24, Beschluss v. 12.11.2024, HRRS 2025 Nr. 140
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 8. Mai 2024 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Hilfsbedürftigen in Einrichtungen und mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Hilfsbedürftigen in Einrichtungen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO; das Rechtsmittel führt jedoch zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Schuldspruchänderung.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen war der Angeklagte als Pflegehelfer in einem Altenpflegeheim tätig, in dem die zum Tatzeitpunkt 83-jährige Geschädigte untergebracht war. Diese war aufgrund einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung zeitlich, örtlich und situativ desorientiert, in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt und benötigte bei der Körperhygiene und Toilettengängen Begleitung und Hilfe. Im Zuge der Unterstützung der Geschädigten bei einem Toilettengang vollzog der Angeklagte an ihr den Vaginalverkehr. Sie war hierbei krankheitsbedingt in der Fähigkeit, einen entgegenstehenden Willen zu äußern, jedenfalls erheblich eingeschränkt.
Die Strafkammer hat eine Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 174a Abs. 2, § 177 Abs. 2 Nr. 2 und 3, Abs. 6 Satz 1, 2 Nr. 1, § 52 StGB angenommen.
1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Schuldspruch erfährt jedoch eine Änderung:
a) Der Angeklagte hat sich auf Grundlage der Urteilsfeststellungen auch wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses gemäß § 174c Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem er sexuelle Handlungen an der ihm aufgrund ihrer dementiellen Erkrankung und der hieraus resultierenden Einschränkungen zur Betreuung anvertrauten Geschädigten unter Missbrauch des Betreuungsverhältnisses vornahm.
b) § 174c Abs. 1 StGB steht neben § 177 Abs. 2, 6 StGB auch mit § 174a Abs. 2 StGB in Tateinheit (die Annahme von Tateinheit befürwortend: Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 174c Rn. 13; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 174c Rn. 12; BeckOK StGB/Ziegler, 63. Ed., § 174c Rn. 14; HKGS/Laue, 5. Aufl., § 174c Rn. 7; SSW-StGB/Wolters, 6. Aufl., § 174c Rn. 13; SK-StGB/Wolters, 10. Aufl., § 174c Rn. 14; Zauner, Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174 c StGB, S. 112 f.; aus Klarstellungsgründen wohl auch Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 174c Rn. 24; sich für eine Subsidiarität von § 174a Abs. 2 StGB gegenüber § 174c Abs.1 StGB aussprechend: MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 174a Rn. 36; NK-StGB/K. Schumann, 6. Aufl., § 174a Rn. 29; für Subsidiarität von § 174c Abs. 1 StGB gegenüber § 174a Abs. 2 StGB plädierend: LK/Hörnle, StGB, 13. Aufl., § 174c Rn. 29).
Die Straftatbestände weisen trotz möglicher Überschneidungen im Anwendungsbereich einen jeweils eigenen Unrechts- und Schuldgehalt auf. Die Vorschrift des § 174a Abs. 2 StGB greift den Aspekt des Missbrauchs institutioneller Abhängigkeit auf (vgl. LK/Hörnle, StGB, 13. Aufl., § 174a Rn. 57) und nimmt hierbei die besondere Schutzbedürftigkeit und Vulnerabilität in einer Einrichtung für kranke oder hilfsbedürftige Menschen Untergebrachter in den Blick, die dem sexuellen Zugriff des Täters situationsbedingt in besonderem Maße ausgeliefert sind (vgl. MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 174a Rn. 1). § 174c Abs. 1 StGB trägt dem großen Hilfsbedürfnis kranker oder behinderter Personen, dem hierdurch bedingten spezifischen Abhängigkeitsverhältnis zu der beratenden, behandelnden oder betreuenden Person, verbunden mit einer oftmals deutlich reduzierten Kritik- und Widerstandsfähigkeit der Betroffenen Rechnung, die deshalb eines besonderen Schutzes vor Grenzüberschreitungen sexueller Art bedürfen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 2. Mai 2016 - 4 StR 133/16, BGHR StGB § 174c Anvertraut 2 Rn. 12 mwN; MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 174c Rn. 1 mwN; Zauner, Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, § 174c StGB, S. 33 ff.). Diese auf unterschiedlichen Umständen beruhende besondere Schutzbedürftigkeit der jeweiligen Tatopfer und die hierauf gründende Verwerflichkeit des Handelns des diese Umstände ausnutzenden Täters sind durch die Annahme von Idealkonkurrenz im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen.
c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO. Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO erstreckt sich auf eine Schuldspruchänderung zum Nachteil des Angeklagten nicht (vgl. BGH, Urteil vom 22. August 2024 - 3 StR 121/24, juris Rn. 11 mwN). Auch § 265 StPO steht ihr nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 140
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede