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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 44

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 386/24, Beschluss v. 02.10.2024, HRRS 2025 Nr. 44


BGH 3 StR 386/24 - Beschluss vom 2. Oktober 2024 (LG Düsseldorf)

Strafzumessung im Betäubungsmittelstrafrecht (Freiheitsstrafe für den Besitz einer geringen Menge Betäubungsmittel zum Eigenkonsum); Strafaussetzung zur Bewährung; Anrechnung der im Verfahren erlittenen Untersuchungshaft.

§ 46 StGB; § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 56 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es ist nicht generell ausgeschlossen, den Besitz einer geringen Menge Betäubungsmittel zum Eigenkonsum mit Freiheitsstrafe zu ahnden. Ein solches Vorgehen verstößt nicht ohne Weiteres gegen das Übermaßverbot. Jedoch bedarf es in den Urteilsausführungen dann regelmäßig einer Nennung nachvollziehbarer Gründe, welche die persönliche Schuld des Angeklagten oder das geringe Tatunrecht erhöhen.

2. Es bedarf keiner Prüfung der Strafaussetzung zur Bewährung nach Maßgabe der §§ 56 ff. StGB, wenn eine verhängte Freiheitsstrafe bereits vollständig durch die nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB anzurechnende Untersuchungshaft erledigt ist.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 11. April 2024 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen den Rechtsfolgenausspruch. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hielten sich im Sommer 2023 viele Drogenabhängige und Obdachlose auf einem Baugelände in der Nähe des D. Hauptbahnhofs auf. Sie schliefen dort in provisorischen Zelten. Während eines nächtlichen Polizeieinsatzes befand sich auch der Angeklagte vor Ort. Er hatte seit dem Jahr 2016 durchgängig Heroin und Kokain mit der Folge eines Abhängigkeitssyndroms konsumiert, zuletzt jeweils zwei bis drei Gramm am Tag. Die Beamten trafen ihn in einem Zelt auf dem Boden sitzend mit „einer Konsumeinheit“ Heroin an, die er sich gerade in einer Spritze aufgezogen hatte, und stellten diese sicher.

II.

Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten ist teilweise begründet.

1. Das Urteil hält im Strafausspruch der auf die Sachrüge veranlassten materiellrechtlichen Prüfung nicht stand. Im Hinblick auf die besonderen Umstände des Falls erweist sich die Strafzumessung als rechtsfehlerhaft.

a) Bei dem Angeklagten handelt es sich um einen unbestraften, geständigen Heroin- und Kokainabhängigen. Die Tat zeichnet sich durch den kurzen Besitz einer äußerst geringen Betäubungsmittelmenge zum unmittelbaren Eigenkonsum ohne die konkrete Gefahr einer Weitergabe in einer von Blicken Dritter abgeschirmten Umgebung aus. Das Rauschgift wurde sichergestellt.

b) Zwar hat das Landgericht von der durch § 29 Abs. 5 BtMG eröffneten Möglichkeit, von einer Bestrafung abzusehen, ohne Rechtsfehler keinen Gebrauch gemacht (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1983 - 4 StR 454/83, juris Rn. 11; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 1674 ff.; s. allgemein BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u.a., BVerfGE 90, 145, 187 ff.).

Auch ist es nicht generell ausgeschlossen, den Besitz einer geringen Menge Betäubungsmittel zum Eigenkonsum mit Freiheitsstrafe zu ahnden. Ein solches Vorgehen verstößt nicht ohne Weiteres gegen das Übermaßverbot (s. BGH, Beschluss vom 15. April 2014 - 2 StR 626/13, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zumessungsfehler 4 Rn. 6; OLG Hamm, Beschlüsse vom 6. März 2014 - III-1 RVs 10/14, NStZ-RR 2014, 214 f.; vom 4. April 2017 - III-1 RVs 23/17, juris Rn. 13 f.; vom 8. November 2018 - III-4 RVs 150/18, OLGSt BtMG § 29 Nr. 24; KG, Beschluss vom 29. Mai 2020 - [4] 161 Ss 42/20 [77/20], StV 2021, 49, 50). Eine Freiheitsstrafe kann sich in diesen Fällen als geboten erweisen, wenn Gründe in der Tat oder der Person des Täters die Schuld erhöhen, wie etwa bei einer konkreten Gefahr der Weitergabe der Drogen, einem öffentlichen Konsum auf Spielplätzen, zahlreichen Vorstrafen oder einem Bewährungsbruch. Wie immer ist eine Gesamtabwägung im Einzelfall erforderlich; eine schematische Betrachtung ist der Strafzumessung fremd (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123 Rn. 32; Beschluss vom 8. Juli 2020 - 1 StR 467/18, juris Rn. 23).

Den sich daraus ergebenden Anforderungen genügen die Urteilsausführungen jedoch nicht. Gründe, welche die persönliche Schuld des Angeklagten oder das geringe Tatunrecht erhöhen, sind nicht nachvollziehbar dargelegt. Soweit die hohe Gefährlichkeit der harten Droge Heroin als einziger Strafzumessungsgesichtspunkt zu Lasten des Angeklagten angeführt ist, hat die Strafkammer nicht erkennbar in den Blick genommen, dass hier keine ernstliche Gefahr für Dritte bestand, vielmehr eine suchtbedingte Selbstschädigung zu erwarten war. Die Strafzumessung verhält sich weder dazu, dass die Kleinstmenge der Droge dem Eigenkonsum diente (zur dadurch bedingten geringeren Gefährlichkeit einer harten Droge vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. August 2000 - 4 StR 287/00, StV 2000, 621; vom 15. März 2023 - 2 StR 348/22, juris Rn. 16), noch dazu, dass die Polizei sie nach dem nur kurzzeitigen Besitz sicherstellte. Für den hier zu beurteilenden Fall ist dabei nicht entscheidend, ob für den Besitztatbestand die Sicherstellung stets - ohne Hinzutreten besonderer Umstände - als bestimmender Strafmilderungsgrund zu beurteilen ist (so BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2022 - 6 StR 128/22, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 47 Rn. 3 f.; vom 19. September 2023 - 6 StR 295/23, juris Rn. 6; vom 24. Oktober 2023 - 4 StR 62/23, juris Rn. 2; s. aber auch BGH, Beschluss vom 29. Juni 2021 - 3 StR 192/21, juris Rn. 4 [„jedenfalls in Bezug auf solche Betäubungsmittel, die zum Weiterverkauf bestimmt sind“]).

Insgesamt fehlt damit eine plausible Erklärung dafür, dass das festgesetzte Strafmaß von sechs Monaten Freiheitsstrafe einen gerechten Schuldausgleich darstellt. Sollte - was zu besorgen ist - nicht ohne Einfluss auf die Strafbemessung geblieben sein, dass der Angeklagte aufgrund der Dauer der Untersuchungshaft von gut acht Monaten keine Strafhaft mehr zu verbüßen hat, handelte es sich um einen sachfremden Gesichtspunkt. Dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend ist demnach der Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben.

c) Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass es einer Prüfung der Strafaussetzung zur Bewährung nicht bedurft hätte; denn die verhängte Freiheitsstrafe ist bereits vollständig durch die nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB anzurechnende Untersuchungshaft erledigt gewesen. Für auf §§ 56 ff. StGB gestützte Entscheidungen ist in derartigen Fällen kein Raum (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 14. Mai 2024 - 3 StR 88/24, NStZ-RR 2024, 280, 282 mwN).

2. Soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat, begegnen dem Urteil keine rechtlichen Bedenken.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 44

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede