HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 642
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 47/23, Beschluss v. 05.04.2023, HRRS 2023 Nr. 642
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 9. November 2022
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen Besitzes von Betäubungsmitteln entfällt;
b) aufgehoben in den Aussprüchen über aa) die Einzelstrafe im Fall II. 1. der Urteilsgründe und die erste Gesamtstrafe, bb) die Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafen vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt; jedoch werden die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige und mit Besitz von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer (ersten) Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen ihn wegen weiterer Betäubungsmitteldelikte im Hinblick auf eine Zäsurwirkung der Vorverurteilung eine zweite Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verhängt. Ferner hat die Strafkammer eine Anrechnung nach § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB in Verbindung mit § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB vorgenommen, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Bestimmung eines Teilvorwegvollzugs der Strafe angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Gegen das Urteil wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die nicht ausgeführte allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige und mit Besitz von Betäubungsmitteln hält der materiellrechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.
a) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen erwarb der Angeklagte im Rahmen eines einheitlichen Einkaufsvorgangs Marihuana und Amphetamin in jeweils nicht geringer Menge sowie weitere Betäubungsmittel zum vollständigen gewinnbringenden Weiterverkauf. Er verwahrte das Rauschgift in seiner Wohnung, in der er zugriffsbereit zur Absicherung seines Betäubungsmittelhandels einen Schlagstock und mehrere Messer bereithielt.
Aus diesem Handelsbestand verschenkte der Angeklagte drei Ecstasytabletten an einen 16-jährigen Jugendlichen in Kenntnis dessen Alters.
b) Der Schuldspruch ist insofern, als das Landgericht den Angeklagten wegen dieser Tat des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige schuldig gesprochen hat, nicht zu beanstanden. Die Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG steht in Tateinheit mit dem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2010 - 4 StR 165/10, juris Rn. 4; vom 17. Juni 2003 - 2 StR 94/03, NStZ 2004, 105; vom 8. Mai 2003 - 3 StR 123/03, NStZ 2004, 109 Rn. 3; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn. 35; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29a BtMG Rn. 34; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 29a Rn. 30). Da die verschiedenen Betäubungsmittel einheitlich erworben wurden, ist im Sinne einer Bewertungseinheit (tatbestandlichen Handlungseinheit) lediglich eine Tat des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gegeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2019 - 2 StR 287/18, NStZ 2020, 227 Rn. 6; vom 24. Januar 2017 - 3 StR 487/16, NStZ 2017, 711; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29 BtMG Rn. 449 f. mwN).
c) Dagegen hat sich der Angeklagte nicht - in weiterer Tateinheit - wegen Besitzes von Betäubungsmitteln strafbar gemacht. Die Strafbarkeit wegen Besitzes von Betäubungsmitteln tritt nicht nur hinter derjenigen wegen Handeltreibens zurück (st. Rspr.; vgl. nur Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 1397, 1401), sondern ist auch gegenüber der wegen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige subsidiär (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 1996 - 4 StR 173/96, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 1 Überlassen 1; Weber/ Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn. 34; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 29a BtMG Rn. 33), zumal die dem Jugendlichen geschenkten Ecstasytabletten zunächst gleichfalls zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Der Senat lässt daher die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO entfallen; § 265 StPO steht dem nicht entgegen.
2. Die wegen dieser Tat verhängte Einzelstrafe hat unabhängig von dem vorbezeichneten Rechtsfehler keinen Bestand. Denn das Landgericht hat bei der Strafzumessung nicht bedacht, dass ein Großteil der tatgegenständlichen Betäubungsmittel bei einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten sichergestellt wurde. Die Sicherstellung von Betäubungsmitteln ist jedoch - jedenfalls in Bezug auf solches Rauschgift, das zum Weiterverkauf bestimmt war - wegen des damit verbundenen Wegfalls der von Betäubungsmitteln üblicherweise ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit ein bestimmender Strafzumessungsgrund und als solcher zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, und zwar auch schon bei der Strafrahmenwahl (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2022 - 3 StR 122/22, juris Rn. 11; vom 29. Juni 2021 - 3 StR 192/21, juris Rn. 4; vom 6. Februar 2018 - 3 StR 629/17, juris Rn. 5; vom 14. April 2015 - 3 StR 2/15, NStZ-RR 2015, 248). Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer eine mildere Einzelstrafe gegen den Angeklagten verhängt hätte, wenn sie diesen Umstand schuldmindernd berücksichtigt hätte.
Die Aufhebung der Einzelstrafe zieht die Aufhebung der unter ihrer Einbeziehung gebildeten ersten Gesamtfreiheitsstrafe nach sich. Die jeweils getroffenen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen, weil es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt; sie können daher aufrechterhalten werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Bei der Zumessung der ersten Gesamtstrafe wird im zweiten Rechtsgang erneut auch das Gesamtstrafübel in den Blick zu nehmen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 2021 - 2 StR 233/20, juris Rn. 3; vom 17. Mai 2022 - 1 StR 110/22, juris Rn. 3; Urteil vom 27. Oktober 1999 - 3 StR 309/99, NStZ 2000, 137, 138).
3. Da die erste Gesamtstrafe neu zu bemessen ist, bedarf es auch einer neuen Bestimmung der Dauer des Teilvorwegvollzugs der Gesamtfreiheitsstrafen vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB. Deren Berechnung durch die Strafkammer ist allerdings bereits für sich genommen rechtlich defizitär. Zwar hat das Landgericht der Bestimmung der Vorwegvollzugsdauer zutreffend die Summe der beiden verhängten Gesamtfreiheitsstrafen zu Grunde gelegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 2022 - 3 StR 487/21, juris Rn. 12 mwN; vom 7. Juli 2010 - 2 StR 182/10, NStZ-RR 2010, 306; vom 19. Januar 2010 - 3 StR 499/09, BGHR StGB § 67 Abs. 2 Satz 3 Berechnung 1 Rn. 5 f.; MüKoStGB/Maier, 4. Aufl., § 67 Rn. 91). Rechtsfehlerhaft hat es indes den Vorwegvollzug nur gerundet in Jahren und Monaten angegeben. Die Dauer des Vorwegvollzugs ist rechnerisch exakt und damit erforderlichenfalls nach Jahren, Monaten und Wochen zu bemessen; § 39 Halbsatz 2 StGB findet keine entsprechende Anwendung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. September 2022 - 3 StR 177/22, juris Rn. 6; vom 4. März 2020 - 2 StR 453/19, juris Rn. 3; vom 26. Mai 2015 - 3 StR 110/15, juris Rn. 2; vom 19. Januar 2010 - 3 StR 499/09, BGHR StGB § 67 Abs. 2 Satz 3 Berechnung 1 Rn. 7). Die zugehörigen Feststellungen sind von diesem Wertungsfehler nicht betroffen; sie haben daher gemäß § 353 Abs. 2 StPO Bestand. Einer etwaigen Verlängerung der Dauer des Vorwegvollzugs im zweiten Rechtsgang stünde das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2022 - 3 StR 458/21, NStZ-RR 2022, 139, 140 mwN; vom 29. Mai 2012 - 3 StR 167/12, juris Rn. 4; vom 19. Januar 2010 - 4 StR 504/09, NStZ-RR 2010, 171, 172; vom 16. Dezember 2008 - 4 StR 552/08, NStZ-RR 2009, 105).
4. Im Übrigen lässt das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Die gemäß § 73 Abs. 1, § 73a Abs. 1 StGB angeordnete Einziehung von 968,80 € Bargeld wird von den Feststellungen getragen. Denn den Urteilsgründen ist bei einer Gesamtschau noch hinreichend zu entnehmen, dass im Zuge einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten aus Betäubungsmittelverkäufen herrührendes Bargeld in Höhe von 986,80 € sichergestellt wurde. Dadurch, dass die Strafkammer zu Unrecht nicht den Gesamtbetrag der Einziehung unterworfen hat, ist der Angeklagte nicht beschwert.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 642
Bearbeiter: Fabian Afshar