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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 160

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 194/19, Urteil v. 18.12.2019, HRRS 2020 Nr. 160


BGH 2 StR 194/19 - Urteil vom 18. Dezember 2019 (LG Rostock)

Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Anwendbarkeit im Jugendstrafrecht).

§ 73 StGB; § 2 Abs. 2 GG; § 6 JGG; § 8 Abs. 3 JGG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Einziehung ist nach ständiger Rechtsprechung keine Nebenstrafe, sondern eine Maßnahme eigener Art. Ihr fehlt es daher schon an dem Strafcharakter.

2. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Verhängung der in §§ 73 ff. StGB vorgesehenen Maßnahmen auch im Jugendstrafrecht gemäß § 2 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 3 JGG zulässig, und zwar unabhängig davon, ob der Wert noch im Vermögen des Jugendlichen oder des nach Jugendstrafrecht zu behandelnden Heranwachsenden vorhanden ist. Dementsprechend sieht das Jugendgerichtsgesetz in § 76 Satz 1 JGG für das vereinfachte Jugendverfahren die Anordnung der Einziehung vor. Dass die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB eine zulässige Nebenfolge im Sinne des § 8 Abs. 3 JGG ist, setzt auch § 459g StPO voraus, der unter anderem Regelungen für die Vollstreckung dieser Nebenfolge enthält. Vom Anwendungsbereich des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG nimmt § 6 JGG - als Ausnahmevorschrift - lediglich die dort genannten Nebenfolgen aus. Diese gesetzgeberische Entscheidung kann nicht allein mit dem allgemeinen Hinweis auf erzieherische Interessen unterlaufen werden.

3. Ob die Einziehung von Taterträgen im Jugendstrafrecht zwingend anzuordnen ist, muss der Senat hier nicht entscheiden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 11. Dezember 2018 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Einziehung von Taterträgen oder des Wertersatzes abgesehen worden ist.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit „besonders schweren Diebstahls“ in acht Fällen, wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung in vier Fällen und wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einem „Verstoß gegen das Waffengesetz“ zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten F. hat es wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit „besonders schweren Diebstahls“ in fünf Fällen und wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Übrigen hat das Landgericht die Angeklagten freigesprochen. Von der Einziehung von Taterträgen oder des Wertersatzes hat es gegenüber beiden Angeklagten abgesehen.

Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 24. September 2019 auf die Revision des Angeklagten M. das Urteil, soweit es ihn betrifft, wegen einer durchgreifenden Verfahrensrüge aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Die Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet mit ihren - auf die Einziehungsentscheidung beschränkten - Revisionen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einer Einziehung von Taterträgen bzw. des Wertersatzes der durch die Straftaten erlangten Taterträge abgesehen hat.

Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.

1. Die Rechtsmittel sind gemäß § 344 Abs. 1 StPO wirksam auf die Nichtanordnung der Einziehung von Taterträgen bzw. des Wertersatzes beschränkt, weil insoweit die Entscheidung losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt geprüft werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2018 - 3 StR 560/17, NJW 2018, 2141; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 344 Rn. 12, jeweils mwN).

2. Die Entscheidung des Landgerichts, von einer Einziehung von Taterträgen oder des Wertersatzes abzusehen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts haben die Angeklagten durch die Straftaten jeweils Mitverfügungsgewalt an dem aus den gesprengten Automaten entnommenen Bargeld sowie - soweit sie tatbeteiligt waren - jeweils alleinige Verfügungsgewalt an den durch die Raubtaten an sich genommenen Gegenständen und Bargeld erlangt; der Angeklagte M. hat darüber hinaus in einem Fall an den aus einem Drogeriemarkt entwendeten Parfumartikeln Mitverfügungsgewalt erlangt.

b) Das Landgericht hat von einer Einziehung der Taterträge bzw. des sich im oberen vierstelligen Bereich bezifferbaren Wertersatzes abgesehen, weil eine solche Entscheidung „einer sanktionierenden Vermögenseinbuße“ gleichkäme; dieses widerspräche dem im Jugendrecht geltenden Grundsatz, wonach die Angeklagten „vor finanziellen Belastungen mit negativen Auswirkungen für die zukünftige Entwicklung zu schützen“ seien.

c) Diese Erwägung ist durchgreifend rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat die - auch erzieherische - Bedeutung der nach dem Gesetz auch im Jugendstrafrecht zulässigen Einziehung rechtsfehlerhaft nicht hinreichend bedacht.

aa) Die Einziehung ist nach ständiger Rechtsprechung keine Nebenstrafe, sondern eine Maßnahme eigener Art (vgl. nur BGH, Urteil vom 21. August 2002 - 1 StR 115/02, BGHSt 47, 369). Ihr fehlt es daher schon an dem - vom Landgericht rechtsfehlerhaft angenommenen - Strafcharakter (vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. März 2019 - 3 StR 192/18, NJW 2019, 1891, 1894; Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 73 StGB Rn. 9 mwN).

bb) Nach ständiger Rechtsprechung ist die Verhängung der in §§ 73 ff. StGB vorgesehenen Maßnahmen auch im Jugendstrafrecht gemäß § 2 Abs. 2 i.V.m. § 8 Abs. 3 JGG zulässig, und zwar unabhängig davon, ob der Wert noch im Vermögen des Jugendlichen oder des nach Jugendstrafrecht zu behandelnden Heranwachsenden vorhanden ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. Juli 2019 - 1 StR 467/18, NStZ 2019, 682, 683 mwN). Dementsprechend sieht das Jugendgerichtsgesetz in § 76 Satz 1 JGG für das vereinfachte Jugendverfahren die Anordnung der Einziehung vor. Dass die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB eine zulässige Nebenfolge im Sinne des § 8 Abs. 3 JGG ist, setzt auch § 459g StPO voraus, der unter anderem Regelungen für die Vollstreckung dieser Nebenfolge enthält. Vom Anwendungsbereich des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG nimmt § 6 JGG - als Ausnahmevorschrift - lediglich die dort genannten Nebenfolgen aus (vgl. auch MüKo-StGB/Laue, 3. Aufl., § 6 JGG Rn. 6; BeckOK-JGG/Gertler/Kunkel/Putzke, 15. Ed., § 8 Rn. 8; NKJGG/ Ostendorf, 10. Aufl., § 6 Rn. 2). Diese gesetzgeberische Entscheidung kann nicht allein mit dem allgemeinen Hinweis auf erzieherische Interessen unterlaufen werden (vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174, 177 zu §§ 73 ff. StGB aF).

d) Ob die Einziehung von Taterträgen im Jugendstrafrecht zwingend anzuordnen ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 11. Juli 2019 - 1 StR 467/18, NStZ 2019, 682 ff.; andererseits: Senat, Urteil vom 21. November 2018 - 2 StR 262/18, NStZ 2019, 221, 222; BGH, Urteil vom 8. Mai 2019 - 5 StR 95/19, juris Rn. 5 ff. mwN; Beschluss vom 24. Januar 2019 - 5 StR 475/18), muss der Senat hier nicht entscheiden. Unbeschadet dessen, dass das Landgericht schon gar nicht erwogen hat, eine Ermessensentscheidung zu treffen, kann der Senat die Einziehungsentscheidung auch nicht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nachholen. Den Urteilsgründen ist schon nicht durchgehend hinreichend zu entnehmen, in welcher genauen Höhe Taterträge erlangt sind, ob die erlangten Taterträge, insbesondere die erbeuteten Gegenstände, noch im Besitz der Angeklagten vorhanden sind oder ob insoweit die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Betracht kommt. Der Senat hat deshalb auch die entsprechenden Feststellungen aufgehoben.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 160

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner