HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 267
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 372/21, Beschluss v. 21.12.2022, HRRS 2023 Nr. 267
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 3. Mai 2021 im Ausspruch über die selbständige Einziehung von 702.940 € Bargeld aufgehoben; diese Entscheidung entfällt.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten C. wird verworfen.
3. Der Staatskasse fallen die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten B. und die diesem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zur Last.
4. Der Angeklagte C. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen, jedoch wird die Gebühr für das Rechtsmittelverfahren um ein Viertel ermäßigt. Die Staatskasse hat ein Viertel der insoweit entstandenen Auslagen sowie der notwendigen Auslagen dieses Angeklagten zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es die Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel sowie die (tatunabhängige) selbständige Einziehung sichergestellten Bargelds in Höhe von 702.940 € angeordnet und die Einziehung eines Pkw Skoda vorbehalten.
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten C. mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel des Angeklagten C. hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die auf die selbständige Einziehung des sichergestellten Bargelds beschränkte und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten B. hat Erfolg.
I. Die auf die Revision des Angeklagten C. veranlasste Nachprüfung des Urteils hat im Schuldspruch, im Strafausspruch sowie in den Aussprüchen über die Einziehung der Betäubungsmittel und die vorbehaltene Einziehung des Pkw keinen ihm nachteiligen Rechtsfehler ergeben. Nur Folgendes bedarf hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs der Erörterung:
1. Der Grenzwert der nicht geringen Menge für die Betäubungsmittel 2-FMA (2-Fluormetamfetamin) und 4-FMA (4-Fluormetamfetamin) ist jeweils mit 10 g Base, für das Betäubungsmittel 3-MMC (3-Methylmethcathinon) mit 25 g Base festzusetzen.
a) Die Wirkung und Gefährlichkeit der Betäubungsmittel ergeben sich aus dem in den Urteilsgründen wiedergegebenen Gutachten, dem in dem Verfahren vor dem Landgericht eingereichten schriftlichen Gutachten vom 16. März 2021 (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 8. März 2022 - 3 StR 136/21, juris Rn. 13; Urteil vom 24. April 2007 - 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318 Rn. 7) sowie der im Revisionsverfahren ergänzend eingeholten Stellungnahme vom 8. August 2022 des Sachverständigen Dr. D., Apotheker für experimentelle Pharmakologie und Toxikologie beim Bundeskriminalamt.
b) Die Stoffe 2-FMA, 4-FMA und 3-MMC leiten sich strukturell von dem Stoff β-Phenethylamin ab, wobei 2-FMA und 4-FMA Halogen-Derivate des Metamfetamins sind und 3-MMC ein synthetisches Cathinon-Derivat ist.
Die drei Stoffe gehören zur Gruppe der „neuen psychoaktiven Stoffe“ (NPS). Sie entfalten ihre Wirkung auf indirekte Art und Weise, indem sie die Konzentration der zwischen zwei Nervenenden agierenden Neurotransmitter (Adrenalin, Dopamin, Serotonin) massiv erhöhen. Sie steigern die Konzentrationsfähigkeit, Leistungs- und Entscheidungsbereitschaft sowie die psychophysische Aktivität, unterdrücken Müdigkeit, körperliche Abgeschlagenheit sowie das Hungergefühl und steigern den Metabolismus durch eine Erregung von Neuronen im Hypothalamus.
Neue psychoaktive Stoffe sind in der Regel weder experimentell pharmakologisch-toxikologisch noch klinisch getestet. Berichte über Intoxikationskasuistiken mit gesicherten Erkenntnissen über inkorporierte Wirkstoffmengen sind in den zugänglichen Informationsmedien nicht zu finden. Vor diesem Hintergrund ist die Festlegung des Grenzwertes der nicht geringen Menge für die Stoffe 2-FMA, 4-FMA sowie 3-MMC aufgrund eines Vergleichs mit anderen, entsprechend wirkenden Substanzen vorzunehmen, da Erkenntnisse zu der äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis oder zu einer validen Konsumeinheit fehlen (vgl. zu diesem Ansatz etwa BGH, Beschluss vom 27. Januar 2022 - 3 StR 155/21, juris Rn. 9; Urteil vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134 Rn. 35 jeweils mwN).
aa) Auf der Grundlage der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. D. ist bei den Stoffen 2-FMA und 4-FMA eine Vergleichbarkeit in der Wirkung mit Amfetamin gegeben, für das der Grenzwert der nicht geringen Menge mit 10 g Amphetamin-Base festgelegt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 1985 - 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169, 170). Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, fehlt den Stoffen 2-FMA und 4-FMA hinsichtlich der molekularen Struktur im Vergleich zum Amfetamin eine Methylgruppe CH3. Das Fluratom, welches klein ist, behindert das Andocken des Phenethylamin am Rezeptor der Nervenzelle, so dass die behindernde Wirkung jeweils nicht groß ist. Vor diesem Hintergrund ist der Grenzwert für 2-FMA und 4-FMA wie bei Amfetamin jeweils mit 10 g Base festzusetzen. Der Sachverständige hat in dem im Revisionsverfahren ergänzend eingeholten Gutachten diese nicht geringe Menge auch für den Stoff 4-FMA - insoweit abweichend von einer früheren Veröffentlichung - mit aktuellen wissenschaftlichen Studien zu Wirkungsmechanismus, Nebenwirkungen und neueren Erkenntnissen zum Toxizitätspotenzial und unter Berücksichtigung von Informationen einschlägiger Internetplattformen, insbesondere Warnungen in Internet-Userforen, weiter begründet.
bb) Den Grenzwert der nicht geringen Menge für den Stoff 3-MMC hat der Sachverständige Dr. D. aufbauend auf der Grenzwertfestsetzung für das synthetische Cathinon-Derivat Pentedron von 15 g Base (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2016 - 1 StR 366/16, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Menge 23) mit 25 g 3-MMCBase angegeben. Wie bereits das Landgericht dargelegt hat, weist der Stoff 3-MMC eine ähnliche molekulare Struktur wie Pentedron auf, wobei sie sich durch den Substituenten Chlor und eine Methylgruppe am Benzolring der Phenethylaminstruktur unterscheiden, welche das Andocken des Phenethylamins am Rezeptor der Nervenzelle behindert. 3-MMC-Moleküle verfügen zudem über eine Sauerstoffverbindung, die bewirkt, dass diese Moleküle weniger in der Lage sind, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Infolgedessen muss mehr Wirkstoff eingenommen werden, um dieselbe psychotrope Wirkung auszulösen, so dass im Vergleich zu Pentedron eine geringere Wirkungsstärke und Gefährlichkeit gegeben ist. Dies rechtfertigt den gegenüber Pentedron höheren Grenzwert.
2. Der Grenzwert der nicht geringen Menge für das Betäubungsmittel 4-CMC (4-Chlormethcathinon) liegt - wie das Landgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat - bei 25 g Base (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2022 - 3 StR 136/21, juris Rn. 22).
II. Die - auf die Revisionen beider Angeklagter zu prüfende - auf § 76a Abs. 4 Satz 1 StGB gestützte erweiterte selbständige Einziehung des Bargeldbetrages in Höhe von 702.940 €, der in dem von den Angeklagten geführten Pkw sichergestellt worden ist und nicht identifizierten Hintermännern gehört, kann keinen Bestand haben, weil der erforderliche Antrag nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft nicht gestellt worden ist. Dies begründet ein Verfahrenshindernis (BGH, Beschluss vom 25. April 2019 - 1 StR 54/19, StV 2019, 752 Rn. 16).
Eines solchen Antrages bedarf es auch für den (hier vorliegenden) Fall einer tatunabhängigen selbständigen Einziehung anlässlich des subjektiven Verfahrens (BGH, Beschlüsse vom 10. August 2021 - 3 StR 474/19, NStZ 2022, 252 Rn. 19; vom 5. Juni 2018 - 5 StR 133/18, juris Rn. 6 f.; vom 18. Dezember 2018 - 1 StR 407/18, NStZ-RR 2019, 153, 154). Nach dem Willen des Gesetzgebers richtet sich diese - gegenüber den §§ 73 ff. und § 76a Abs. 1 bis 3 StGB subsidiäre (s. MüKoStGB/Joecks/Meißner, 4. Aufl., § 76a Rn. 17) - Maßnahme gegen einen Gegenstand, nicht unmittelbar gegen eine Person; sie soll die materielle Rechtslage im objektiven Verfahren (vgl. insbesondere § 437 StPO) verwirklichen (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 58, 73 f.; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 76a Rn. 9).
Der von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift vom 24. Februar 2020 angesprochene „erweiterte Verfall“ von sichergestellten Geldbeträgen, darunter auch des Geldbetrages von 702.940 €, nach §§ 73, 73a StGB stellt keinen Antrag im Sinne des § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO dar. Denn für jenen gelten die Vorschriften über den Inhalt der Anklageschrift nach § 200 StPO entsprechend. Nach § 435 Abs. 2 StPO sind neben der Bezeichnung der einzuziehenden Gegenstände die Tatsachen anzugeben, die die Zulässigkeit der selbständigen Einziehung begründen (BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - 3 StR 122/20, StV 2021, 225 Rn. 2). Daran fehlt es hier.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 267
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede