HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 24
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 310/21, Beschluss v. 19.10.2022, HRRS 2023 Nr. 24
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 24. September 2020 wird verworfen.
2. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kostenentscheidung des vorgenannten Urteils wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit Landfriedensbruch und zwei tateinheitlichen Fällen der Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung unter Einbeziehung der im Urteil des Landgerichts Gera vom 23. August 2019 verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es ihm die Verfahrenskosten auferlegt. Die Revision des Angeklagten, mit der er mehrere Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge erhebt, ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die gegen die Kostenentscheidung gerichtete sofortige Beschwerde bleibt ebenfalls in der Sache ohne Erfolg.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben. Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, mit der er eine Verletzung des § 257c StPO beanstandet, weil dem Urteil eine wegen ihres unzulässigen Inhalts rechtswidrige Verständigung zugrunde liege.
1. Der Beschwerdeführer macht insoweit geltend, Inhalt der am 13. November 2019 in der Hauptverhandlung getroffenen Verständigung sei gewesen, dass er seine in anderer Sache beim Thüringer Oberlandesgericht anhängige Revision gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 23. August 2019 zurücknehme, um so im hiesigen Verfahren die Voraussetzungen für die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe zu schaffen. Dabei handele es sich um die strafprozessual verbotene Vereinbarung einer „verfahrensübergreifenden Gesamtlösung“. Der Angeklagte habe mit Verteidigerschriftsatz vom 27. Februar 2020 die Rücknahme der Revision in der anderen Sache erklärt, um die Urteilsabsprache nicht zu gefährden.
Der Tatsachenvortrag zu dieser Rüge erschöpft sich dabei im Wesentlichen in der auszugsweisen Wiedergabe des Hauptverhandlungsprotokolls. Hiernach unterbreitete die Strafkammer im Termin vom 13. November 2019 den folgenden Verständigungsvorschlag, dem sowohl der Angeklagte als auch der Sitzungsvertreter der Generalstaatsanwaltschaft zustimmten:
„Im Falle einer geständigen Einlassung des Angeklagten L. zum Anklagepunkt C. und Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Gera wird für den Tatkomplex C. eine Freiheitsstrafe von nicht unter 1 Jahr und 9 Monaten und nicht über 1 Jahr und 11 Monaten und unter Einbeziehung des gesamtstrafenfähigen Urteils des Landgerichts Gera, mit dem eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 11 Monaten verhängt wurde, eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht unter 3 Jahren und 6 Monaten und nicht über 3 Jahren und 10 Monaten bei gleichzeitiger Einstellung der übrigen Anklagepunkte gem. § 154 StPO in Aussicht gestellt.“
2. Die Verfahrensrüge ist jedenfalls unbegründet.
a) Allerdings könnte es rechtlichen Bedenken begegnen, wenn sich das Landgericht mit dem Angeklagten und der Generalstaatsanwaltschaft auf die Rücknahme der Revision in dem Verfahren vor dem Thüringer Oberlandesgericht verständigt hätte.
Nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StGB sind mögliche Verständigungsgegenstände die Rechtsfolgen, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Das Gesetz schließt daher grundsätzlich „verfahrensübergreifende Gesamtlösungen“ aus, mithin Zusicherungen oder Absprachen über sonstige Prozesshandlungen, die ein anderes Strafverfahren betreffen. So ist etwa die Verständigung über die Einstellung nicht verfahrensgegenständlicher Taten nach § 154 StPO nicht zulässig. Dieses Verständnis entspricht dem Ziel des Gesetzgebers, Verständigungen transparent und kontrollierbar zu machen; denn würden verfahrensfremde Taten einbezogen, könnte eine wirksame Kontrolle insbesondere durch die Öffentlichkeit nicht gewährleistet sein (vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 79; ferner BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 470/14, NStZ 2016, 221 Rn. 41; aber auch BT-Drucks. 16/12310 S. 13; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2016 - 1 StR 136/16, NStZ 2017, 56, 57).
Die Frage, ob und inwieweit es gleichermaßen verboten ist, eine Rechtsmittelrücknahme in einem anderen Strafverfahren zum Inhalt einer Verständigung zu machen, wird unterschiedlich beantwortet (für die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens etwa KG, Beschluss vom 9. Dezember 2014 - 2 Ws 7/15, NStZ 2015, 236, 238; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rn. 58f mwN). Der Bundesgerichtshof hat sie bislang offengelassen (s. Beschlüsse vom 24. November 2015 - 3 StR 312/15, NStZ 2016, 177; vom 1. August 2019 - 4 StR 477/18, wistra 2020, 75 Rn. 10 f. mwN). Sie kann auch hier dahinstehen.
b) Denn eine solche im Hinblick auf die Revisionsrücknahme „verfahrensübergreifende Gesamtlösung“ liegt nicht vor.
Maßgeblich für das Verständnis vom Inhalt der getroffenen Willensübereinkunft ist in erster Linie der Wortlaut des gerichtlichen Verständigungsvorschlages (vgl. KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rn. 29). Dieser bestimmt den Umfang der Bindung des Gerichts und die gegebenenfalls an den Angeklagten gestellten Erwartungen. Da insbesondere ein Abweichen des Angeklagten von dem zugesagten Prozessverhalten den Wegfall der Bindungswirkung der Verständigung nach sich ziehen kann (§ 257c Abs. 4 Satz 2 StPO), ist vor dem Hintergrund des Vertrauensschutzes eine restriktive Interpretation geboten (ebenso MüKoStPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 168).
Die nach diesen Kriterien vorzunehmende Auslegung des Verständigungstextes ergibt, dass die Rechtskraft des Urteils, dem die einzubeziehenden Strafen entstammen, lediglich als Voraussetzung für die nachträgliche Bildung der näher bezeichneten Gesamtstrafe formuliert wurde, nicht jedoch vom Angeklagten verlangt wurde, sie durch die Rücknahme seiner Revision herbeizuführen. Neben dem Wortlaut des gerichtlichen Vorschlages legt das weitere Prozessgeschehen ein derartiges Verständnis nahe. Zwischen der Zustimmung zu dem Vorschlag und der schließlich erklärten Rechtsmittelrücknahme vergingen zirka vier Monate. In dieser Zeit hätte das Urteil des Landgerichts Gera ebenso dadurch rechtskräftig werden können, dass das Oberlandesgericht das Rechtsmittel verwirft. Auch hätte es das angefochtene Urteil ganz oder teilweise aufheben können. Die Herbeiführung der Rechtskraft lag somit nicht allein in der Hand des Angeklagten. Der erhebliche Zeitablauf spricht somit gleichfalls dafür, dass es den Verfahrensbeteiligten nur darauf ankam, dass, nicht jedoch wie die Rechtskraft bis zum Ende der Hauptverhandlung eintritt. Anders als der Beschwerdeführer meint, geht aus der Sitzungsniederschrift über den Termin vom 7. Februar 2020, soweit sie in der Revisionsbegründungsschrift wiedergegeben ist, nichts Gegenteiliges hervor.
Dass das Landgericht mit seinem Vorschlag eine künftige Rechtskraft der Entscheidung über gegebenenfalls einbeziehungsfähige Vorstrafen in den Blick nahm, ist jedenfalls für sich gesehen nicht zu beanstanden, weil bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (§ 55 Abs. 1 StGB) die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe grundsätzlich zwingend geboten war (vgl. Sander, NStZ 2016, 584, 589 f.; LK/Rissing-van Saan/Scholze, StGB, 13. Aufl., § 55 Rn. 46 ff., jeweils mwN). An der Festlegung einer Ober- und Untergrenze der in diesem Fall letztlich zu verbüßenden Haftstrafe hatten die Verfahrensbeteiligten, insbesondere der Angeklagte, ein gewichtiges Interesse.
c) Keiner Entscheidung bedarf, ob es der Wirksamkeit der Verständigung entgegensteht, dass die Staatsschutzkammer mit Blick auf den ungewissen Eintritt der Rechtskraft den Beteiligten eine „bedingte Verständigung“ vorschlug, obwohl Prozesshandlungen grundsätzlich bedingungsfeindlich sind (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25. November 1980 - 5 StR 356/80, BGHSt 29, 396; Beschluss vom 1. August 2019 - 4 StR 477/18, wistra 2020, 75 Rn. 12). Denn hierauf ist der Angriff der Revision nicht gerichtet. Auf die Frage, welche Auswirkungen eine bis zur Urteilsverkündung noch nicht erklärte Rücknahme für den Bestand der Verständigung und insbesondere die Verwertbarkeit des Geständnisses gehabt hätte, kommt es ebenso wenig an, weil dieser Fall nicht eintrat.
Die sofortige Beschwerde ist unbegründet, weil die Kostenentscheidung der Sach- und Rechtslage entspricht; nähere Einwendungen hat der Beschwerdeführer dagegen nicht erhoben.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 24
Bearbeiter: Fabian Afshar