HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1227
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 173/21, Beschluss v. 11.08.2021, HRRS 2021 Nr. 1227
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. Januar 2021 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition, in einem weiteren Fall in Tateinheit mit einer Zuwiderhandlung gegen das Bereitstellungsverbot eines unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Union, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Erwägungen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf allein die Frage, ob der Angeklagte gegen das Bereitstellungsverbot nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG verstieß.
1. Soweit hierfür von Belang, hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte gründete mit weiteren Beschuldigten in Deutschland eine Zelle der außereuropäischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS). Die Gruppe verfolgte, angetrieben von ihrer radikalislamischen Gesinnung, das Ziel, auf Seiten des IS den Dschihad mit Mitteln des bewaffneten Kampfes zu führen. Der Angeklagte gliederte sich mitgliedschaftlich in den IS ein, indem er unter anderem über Telekommunikation steten Kontakt zu zwei Führungspersonen der Organisation hielt, denen gegenüber er seine Treue versicherte, darunter einem in Syrien aufhältigen „Emir“. Jener rekrutierte Attentäter für den IS und warb Spenden für die Vereinigung ein. Auch den Angeklagten forderte er auf, mit seiner Gruppe für den IS in Deutschland Anschläge zu verüben und die Organisation in den von ihr gehaltenen Gebieten finanziell zu unterstützen. Der Angeklagte sammelte auftragsgemäß bei den Gruppenmitgliedern 400 € ein, steuerte 150 € aus seinem eigenen Privatvermögen bei und transferierte die insgesamt 550 € über Mittelsmänner an den „Emir“ nach Syrien. Mit dem Geld wollte er den IS unterstützen. Die wirtschaftlichen Sanktionen gegen die Vereinigung und die innerhalb des IS herausgehobene Stellung des „Emirs“ waren ihm bekannt.
2. Das Oberlandesgericht hat diese Tat rechtsfehlerfrei nicht nur als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, sondern auch als tateinheitlich hierzu begangene Zuwiderhandlung gegen ein Bereitstellungsverbot gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG gewürdigt. Das Verbot ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten (ABl. L 139 S. 9) Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 in Verbindung mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 der Kommission vom 28. Juni 2013 (ABl. L 179 S. 85). Der IS ist eine gelistete Vereinigung, die dem Verbot unterfällt (s. insgesamt im Einzelnen BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - 3 StR 156/20, juris Rn. 9 f. mwN; Beschluss vom 11. August 2021 - 3 StR 268/20, juris Rn. 16 mwN). Der Angeklagte stellte der Organisation die 550 € im Sinne der genannten Verordnung zur Verfügung. Hierzu gilt:
a) Das von dem Bereitstellungsverbot untersagte „Zur-Verfügung-Stellen“ von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen ist jeder tatsächliche Vorgang, der dazu führt, dass der gelisteten Person, Organisation, Einrichtung oder Vereinigung der betreffende wirtschaftliche Vorteil zugutekommt, sie also die Verfügungsgewalt über den Vermögenswert erlangt (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-72/11, Slg. 2011, I-14308 Rn. 40; BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - 3 StR 156/20, juris Rn. 12; Beschlüsse vom 11. August 2021 - 3 StR 268/20, juris Rn. 18; vom 23. April 2010 - AK 2/10, BGHSt 55, 94 Rn. 19; MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 32). Ob dies der Fall ist, bestimmt sich anhand einer konkreten Betrachtung des Einzelfalls. Bei Personenverbänden wie dem IS ist der verschobene Vermögensgegenstand wegen des weiten Schutzzwecks der Norm jedenfalls dann der Vereinigung selbst zur Verfügung gestellt, wenn er einem im unmittelbaren Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation befindlichen und agierenden Mitglied, das in die dortigen Vereinigungsstrukturen eingebunden ist, zur Verwendung für die Ziele und Zwecke der Vereinigung zufließt (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - 3 StR 156/20, juris Rn. 11 ff.; Beschluss vom 11. August 2021 - 3 StR 268/20, juris Rn. 18 ff. mwN).
Hier war der Adressat des Geldtransfers ein Vereinigungsmitglied mit Führungsverantwortung. Der „Emir“ war nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen mit dem Einwerben von Finanzmitteln für die Organisation betraut. Bei einem solchen Empfänger besteht ohne Weiteres die Gefahr, dass er den Vermögensgegenstand für die terroristischen Zwecke der gelisteten Gruppe verwendet. Da es schon ausreicht, ein niederrangiges Mitglied finanziell für eine vereinigungsbezogene Tätigkeit im Kerngebiet auszustatten (BGH, Beschluss vom 11. August 2021 - 3 StR 268/20, juris Rn. 20), genügt es erst recht, wenn das Geld an die dortige Führungsebene der gelisteten Gruppe gelangt. In einem solchen Fall sind regelmäßig keine näheren - objektiven oder subjektiven - Feststellungen zur konkreten Zweckbestimmung des übermittelten Vermögensgegenstands erforderlich.
b) Der Tatbestandserfüllung steht hier nicht entgegen, dass der Angeklagte selbst Mitglied des IS war und als solches das Geld an „seine“ Organisation transferierte. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die in Art. 2 Abs. 2 VO (EG) Nr. 881/2002 genutzte Wendung „zur Verfügung gestellt werden“ ist in einem weiten Sinn zu verstehen. Bei der Auslegung sind Wortlaut und Ziel der Resolution 1390 (2002) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu berücksichtigen, die letztlich durch einen Gemeinsamen Standpunkt und eine unionsrechtliche Verordnung durchgeführt werden soll. Das mit der Verordnung verfolgte Ziel und die Notwendigkeit, ihre praktische Wirksamkeit zu gewährleisten, legen es nahe, den Geltungsbereich des Verbots auf alle Personen zu erstrecken, die an untersagten Handlungen beteiligt sind. Immer ist jedoch eine konkrete Betrachtung des Einzelfalls erforderlich (s. insgesamt BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - 3 StR 156/20, juris Rn. 12 ff. mwN, insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs).
Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Angeklagte nach entsprechender Aufforderung durch den „Emir“ als Geldsammler für den IS betätigte. Seine Aufgabe bestand insoweit darin, der Organisation wirtschaftliche Ressourcen für terroristische Zwecke zu verschaffen. Damit übte er eine Tätigkeit aus, die das Bereitstellungsverbot gerade unterbinden will.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen stand zu keinem Zeitpunkt in Rede, dass der Angeklagte die eingesammelten Gelder selbst für terroristische Aktivitäten in Deutschland einsetzen sollte. Vielmehr wurden die 550 € von vornherein mit der Zweckbestimmung zusammengetragen, die Vereinigung in den von ihr beherrschten Gebieten finanziell zu unterstützen. Es handelte sich somit um Geld, das der Organisation erstmalig zur Verwendung in Syrien zugutekam.
Damit liegt eine Konstellation vor, in der ein Mitglied einer gelisteten Vereinigung finanzielle Ressourcen, die im Wesentlichen bei Außenstehenden gesammelt oder von ihnen erlangt wurden, an die Organisation weiterleitet und sie dieser erst dadurch zur Verfügung stellt. Dieser Fall ist vom Bereitstellungsverbot erfasst (EuGH, Urteil vom 29. Juni 2010 - C-550/09, NJW 2010, 2413 Rn. 65 ff. mwN; BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2020 - AK 8/20, juris Rn. 32; vom 22. Juli 2020 - AK 16/20, juris Rn. 29; vom 14. Juli 2021 - AK 37/21, juris Rn. 40).
Gleiches gilt hinsichtlich der aus dem Vermögen des Angeklagten stammenden 150 €. Diesen Betrag brachte er ebenso ein, um ihn der Organisation zur Verwirklichung ihrer Ziele zufließen zu lassen. Auch dieses Geld transferierte er aus dem privaten Bereich in die Zugriffssphäre des IS und verschaffte der Vereinigung damit erstmalig die tatsächliche Verfügungsgewalt darüber (vgl. EuGH, Urteil vom 29. Juni 2010 - C-550/09, NJW 2010, 2413 Rn. 65 ff.).
Die Frage der bloß vereinigungsinternen Verschiebung von in der Organisation bereits vorhandenen Finanzwerten von einem Vereinigungsmitglied an ein anderes stellt sich nach alldem hier nicht (s. auch BGH, Beschluss vom 11. August 2021 - 3 StR 268/20, juris Rn. 23 mwN). Ob eine solche Umschichtung ebenfalls als ein Verstoß gegen das Bereitstellungsverbot zu beurteilen ist, ist anlässlich dieses Falls nicht zu entscheiden.
3. Die Strafbarkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG steht, wie das Oberlandesgericht zutreffend angenommen hat, in Tateinheit mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - 3 StR 156/20, juris Rn. 25; Beschluss vom 14. Juli 2021 - AK 37/21, juris Rn. 46 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1227
Bearbeiter: Christian Becker