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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 773

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 82/20, Beschluss v. 12.05.2020, HRRS 2020 Nr. 773


BGH 3 StR 82/20 - Beschluss vom 12. Mai 2020 (LG Duisburg)

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung (fehlende Angaben zu Voraussetzungen der Einbeziehung in den Urteilsgründen; Tatzeit; Erledigungszeitpunkt; Zäsur); rechtsfehlerhafte Einziehungsentscheidung.

§ 55 StGB; § 73 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Angeklagten Y., V. und S. wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 17. September 2019

mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über die

den Angeklagten S. betreffende Gesamtstrafe und

Einziehung, soweit sie bei der Angeklagten Y. den Betrag von 18.050 € und bei dem Angeklagten S. den Betrag von 3.600 € übersteigt;

im danach verbleibenden Ausspruch über die Einziehung hinsichtlich aller Angeklagter und der beiden Mitangeklagten B. und D. dahin geändert, dass sie jeweils als Gesamtschuldner haften.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten Y. und S., an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Der Beschwerdeführer V. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte Y. wegen gewerbsmäßigen Bandenbetruges in zehn Fällen sowie versuchten gewerbsmäßigen Bandenbetruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten V. wegen Beihilfe zum Betrug in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten sowie den Angeklagten S. wegen Betruges in vier Fällen unter Auflösung der Gesamtstrafe aus einem anderen Urteil und Einbeziehung der darin enthaltenen Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, die nach der Urteilsformel zwei Jahre und zehn Monate, nach den Urteilsgründen zwei Jahre und sechs Monate beträgt. Die Mitangeklagten B. und D. hat es wegen Betruges sowie Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen zu jeweils zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen verurteilt. Überdies hat es die Einziehung verschiedener Geldbeträge angeordnet, und zwar in Höhe von 19.850 € gegenüber der Angeklagten Y., 10.350 € gegenüber dem Angeklagten V., 4.800 € gegenüber dem Angeklagten S., 1.000 € gegenüber der Mitangeklagten B. und 800 € gegenüber der Mitangeklagten D. Die jeweils auf die Sachrüge - und hinsichtlich des Angeklagten S. auch auf eine nicht ausgeführte Verfahrensrüge - gestützten Revisionen der Angeklagten haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen, in gewissem Umfang die Mitangeklagten ebenfalls erfassenden Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet.

1. Die Überprüfung der Schuld- und Strafaussprüche aufgrund der Revisionsrechtfertigungen der Angeklagten Y. und V. hat, wie vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt, keinen Rechtsfehler zu deren Nachteil ergeben. Das gilt auch für den Angeklagten S. mit Ausnahme der ihn betreffenden Gesamtfreiheitsstrafe. Diese kann aus mehreren Gründen keinen Bestand haben.

Zum einen beträgt die Gesamtfreiheitsstrafe nach der Urteilsformel zwei Jahre und zehn Monate, während das Landgericht nach den schriftlichen Urteilsgründen eine solche von zwei Jahren und sechs Monaten für angemessen erachtet hat. Da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es sich insoweit um ein offensichtliches Fassungsversehen handelt, tragen die Urteilsgründe die sich aus der Urteilsformel ergebende Gesamtfreiheitsstrafe nicht.

Zum anderen sind dem Urteil die Voraussetzungen für eine Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 11. Januar 2019 in die Gesamtstrafe nach § 55 Abs. 1 StGB nicht zu entnehmen. Der Angeklagte S. beging die vier Betrugstaten nach den Urteilsfeststellungen im September 2018, die vom Amtsgericht Duisburg abgeurteilten Taten zwischen dem 20. September 2015 und Mitte April 2017 vor Erlass eines Strafbefehls durch das Amtsgericht Duisburg-Ruhrort am 3. Mai 2017. Demnach kommt in Betracht, dass aus den mit Urteil vom 11. Januar 2019 sowie Strafbefehl vom 3. Mai 2017 verhängten Einzelstrafen eine Gesamtstrafe hätte gebildet werden können. Dass das Amtsgericht Duisburg mit Beschluss vom 19. Juli 2019 hiervon absah, steht einer etwaigen, die Einbeziehung in die hiesige Gesamtstrafe hindernden Zäsur durch den Strafbefehl nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2013 - 4 StR 356/13, NStZ-RR 2014, 74; vom 6. März 2018 - 3 StR 530/17, StV 2018, 489 Rn. 8; jeweils mwN). Eine abschließende Beurteilung erlauben die Urteilsgründe nicht; denn es fehlen Feststellungen sowohl zu Tatzeiten, die vorangegangene, möglicherweise ebenfalls zäsurbildende Ahndungen in den Jahren 2015 bis 2018 betreffen, als auch zum Stand der Strafvollstreckungen (s. zum maßgeblichen Erledigungszeitpunkt etwa BGH, Beschluss vom 10. April 2019 - 4 StR 25/19, StV 2019, 802 Rn. 11 mwN).

Der Angeklagte S. ist durch eine fehlerhafte Gesamtstrafenbildung beschwert, da die Vollstreckung der nunmehr aufgelösten Gesamtstrafe aus dem Urteil vom 11. Januar 2019 zur Bewährung ausgesetzt war.

2. Die Einziehungsentscheidung wird in Bezug auf den die Angeklagten Y. und S. betreffenden Fall 8 (Fallakte 23) der Urteilsgründe durch die Feststellungen nicht getragen. Im Übrigen haften sämtliche Angeklagte in der gegen sie angeordneten Höhe jeweils als Gesamtschuldner.

a) Nach den Feststellungen und Wertungen der Strafkammer war die Angeklagte Y. in eine Bande eingebunden, die den Geschädigten vorspiegelte, als vermeintliche Polizeibeamte deren Vermögenswerte sichern zu wollen. Während die Angeklagte Y. die Beute bei Geschädigten abholte, wurde sie durch Hinterleute überwacht. Zumeist in unmittelbarer Nähe zum Tatort übergab sie an Mittelsmänner das Erlangte, das sie allenfalls kurzfristig ohne Verfügungsbefugnis verwahrte. Bei der Übergabe erhielt sie einen vom Beutewert abhängigen Lohn. Davon gab sie Anteile an die anderen Angeklagten und die Mitangeklagten weiter, die sich durch Fahrdienste oder anderweitig einbrachten.

Das Landgericht hat gegenüber den Angeklagten und Mitangeklagten jeweils die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe derjenigen Beträge angeordnet, welche sie „für ihre eigene Verwendung dauerhaft zugewiesen“ bekamen. Neben den in den anderen Fällen erlangten Geldern hat es für Fall 8 bei der Angeklagten Y. 1.800 € und bei dem Angeklagten S. 1.200 € zugrunde gelegt.

b) Für Fall 8 ergeben die Feststellungen nicht, dass die Angeklagten Y. und S. einen solchen Beuteanteil erhielten.

Aus den Urteilsgründen folgt lediglich, dass die Beute mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit erst am nächsten Tag an die Hintermänner übergeben werden sollte. Wie sich die Übergabe dann tatsächlich gestaltete und welchen Beuteanteil die Beteiligten erhielten, wird nicht mitgeteilt. Ob der am Folgetag an die Angeklagte Y. nach einer weiteren Tat (Fall 9) bei Übergabe der dort erbeuteten Tüte gezahlte Anteil von 3.000 € auch für die vorangegangene Tat (Fall 8) gewährt wurde oder es insofern zu einer weiteren Zahlung kam, ist dem Urteil nicht eindeutig zu entnehmen. Insofern ist es widersprüchlich, da die Feststellungen lediglich eine einzige Zahlung in Höhe von 3.000 € anführen, von denen die Angeklagte Y. mindestens 1.500 € behielt und 1.200 € an den Angeklagten S. weitergab, indes nach der Begründung der Einziehungsentscheidung die Angeklagte Y. 1.800 € im Fall 8 und 1.500 € im Fall 9 sowie der Angeklagte S. jeweils 1.200 € erlangten.

Die Fall 8 betreffende Einziehungsentscheidung kann nicht aus anderen Gründen bestehen bleiben. Sie lässt sich gegenüber der Angeklagten Y. entgegen den Erwägungen des Generalbundesanwalts nicht mit der Begründung aufrechterhalten, dass die Angeklagte in den anderen Fällen höhere als die vom Landgericht herangezogenen Beuteanteile erhalten habe. Einer solchen Verrechnung mit Beträgen, die gegebenenfalls bei weiteren Taten zu Unrecht unberücksichtigt geblieben sind, steht das auch Einziehungsentscheidungen umfassende, tatbezogen zu prüfende Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2019 - 1 StR 434/19, NStZ 2020, 184 Rn. 8; BeckOK StPO/Wiedner, 36. Ed., § 358 Rn. 36; LR/Gössel, StPO, 26. Aufl., § 331 Rn. 11).

c) Ansonsten weist die angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB der Höhe nach keinen Rechtsfehler zu Lasten der Angeklagten auf. Allerdings ist jeweils der Ausspruch über die Einziehung um die gesamtschuldnerische Haftung zu ergänzen. Eine Gesamtschuld (§ 421 ff. BGB) besteht zumindest mit den Hinterleuten, welche die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Beute erhielten und hieraus einen Anteil an die Angeklagte Y. auszahlten, die davon dann Teilbeträge an die übrigen Angeklagten und Mitangeklagten weitergab. Die erbeuteten Beträge dürfen nur einmal eingezogen werden.

Da die gesamtschuldnerische Haftung auch die an die Mitangeklagten ausgekehrte Beute betrifft, ist die Änderung des Urteils insoweit gemäß § 357 Satz 1 StPO auf jene zu erstrecken.

3. Während der Senat die gesamtschuldnerische Haftung entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst anordnen kann, ist über die gegen den Angeklagten S. festzusetzende Gesamtstrafe und die Einziehung von Taterträgen in Fall 8 - vorbehaltlich eines etwaigen Vorgehens nach § 421 Abs. 1 StPO - erneut zu verhandeln. Die hierzu unklaren Feststellungen waren nach § 353 Abs. 2 StPO aufzuheben.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass für das Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO bei der Gesamtstrafenbildung auf die verkündete Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten abzustellen ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2013 - 5 StR 174/13, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 15 Rn. 3); diese dürfte in der Summe nicht überschritten werden, falls die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 11. Januar 2019 nunmehr gesondert bestehen bleiben und daneben eine neue Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden sein sollte. Hinsichtlich der in Fall 8 erlangten Beträge kann in den Blick zu nehmen sein, ob die Angeklagte Y. wegen der erst für den nächsten Tag vorgesehenen Übergabe möglicherweise anders als in den sonstigen Fällen eine nicht bloß „transitorische“ Verfügungsgewalt über die gesamte Beute hatte (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 2019 - 5 StR 343/19, juris Rn. 15 mwN; vom 9. Oktober 2019 - 1 StR 170/19, juris Rn. 12 f.).

4. Angesichts des geringen Erfolgs der Revision des Angeklagten V. ist es nicht unbillig, diesen mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 773

Bearbeiter: Christian Becker