HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1236
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 445/20, Urteil v. 29.07.2021, HRRS 2021 Nr. 1236
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 22. Juni 2020, soweit es den Angeklagten M. betrifft,
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der bewaffneten Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist;
in den Aussprüchen über die für den Fall 4 der Urteilsgründe verhängte Einzel- und die Gesamtstrafe aufgehoben, wobei die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten bleiben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten M. sowie ihre gegen den Freispruch des Angeklagten R. gerichtete Revision werden verworfen. Die Staatskasse trägt die Kosten des den Angeklagten R. betreffenden Rechtsmittels und die diesem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Den Angeklagten R. hat es vom Vorwurf des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen freigesprochen.
Gegen die Verurteilung des Angeklagten M. und den Freispruch des Angeklagten R. wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet, dass der Angeklagte M. im Fall 4 der Urteilsgründe nicht wegen bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verurteilt worden ist. Den Freispruch des Angeklagten R. rügt die Staatsanwaltschaft als rechtsfehlerhaft und erstrebt dessen Aufhebung.
Die vom Generalbundesanwalt nur in Bezug auf den Angeklagten M. vertretenen Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet.
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Die beiden Angeklagten und der Mitangeklagte Ö. waren miteinander befreundet. Ende Oktober 2019 nahm der Angeklagte R. den Ö. in seine Wohnung in H. auf. Im November 2019 zog auch der Angeklagte M. dort ein. R., der wegen einer leichten Schizophrenie frühverrentet ist und unter rechtlicher Betreuung steht, ließ Ö. und M. aus Gefälligkeit bei sich wohnen; Mietzahlungen oder sonstige Gegenleistungen verlangte er von beiden nicht.
Der heroinabhängige Ö. hatte in dieser Zeit begonnen, wiederholt in den Niederlanden Heroin und Kokain zu erwerben, die Betäubungsmittel nach Deutschland zu verbringen, einen kleinen Teil selbst zu konsumieren und den größeren Anteil gewinnbringend zu verkaufen, um aus den Einnahmen seinen eigenen Drogenkonsum zu finanzieren. Da Ö. über keine Fahrerlaubnis verfügte, ließ er sich bei seinen Beschaffungsfahrten von anderen Personen, darunter dem Angeklagten M., fahren. Im Anschluss an seinen Einzug beim Angeklagten R. nutzte Ö. dessen Wohnung, um die erworbenen Betäubungsmittel dort zu portionieren, zu verkaufen und an seine Abnehmer zu übergeben. R. erlangte davon Kenntnis und ließ Ö. gewähren.
2. Am 11. November 2019 und am 14. November 2019 kam es zu zwei im vorliegenden Zusammenhang relevanten Beschaffungsfahrten:
a) Am 11. November 2019 fuhren Ö. und der Angeklagte M. mit dem PKW des M. in die Niederlande. Dort erwarb Ö. 30 Gramm Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 35 % und einem Wirkstoffanteil von 10,5 Gramm Heroinhydrochlorid sowie 5 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffanteil von mindestens 4,6 Gramm Kokainhydrochlorid. Von dem erworbenen Heroin wollte Ö. 18 Gramm gewinnbringend verkaufen und den Rest selbst konsumieren. Von dem Kokain wollte er einen nicht festgestellten Anteil verkaufen und den Rest gleichfalls selbst konsumieren. Ö. verstaute das Heroin und Kokain in seiner Jackentasche. Anschließend fuhren M. und er zurück nach Deutschland.
In der Wohnung des R. portionierte Ö. die zum Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmittel und veräußerte sie dort, wobei er die 18 Gramm Heroin zu einem Preis von 50 Euro pro Gramm verkaufte (Fall 3 der Urteilsgründe).
b) Am 14. November 2019 fragte Ö. den M., ob dieser ihn ein weiteres Mal in die Niederlande fahren könne, weil er dort erneut Betäubungsmittel zum gewinnbringenden Weiterverkauf und zum Eigenkonsum erwerben wolle. M. erklärte sich auch dieses Mal gegen Erstattung seiner Benzinkosten dazu bereit, so dass beide noch am selben Tag mit dessen PKW in die Niederlande fuhren.
Zu Beginn der Autofahrt in H. deponierte Ö. ein funktionsfähiges Pfefferspray (Tierabwehrspray) offen in der Mittelkonsole des Fahrzeugs, um damit das beabsichtigte Betäubungsmittelgeschäft abzusichern, also einen etwaigen versuchten Zugriff Dritter auf die zu erwerbenden Betäubungsmittel gegebenenfalls durch die Verwendung des Reizstoffsprühgeräts abzuwehren.
M. sah das Pfefferspray und forderte Ö. in der Besorgnis einer polizeilichen Kontrolle auf, es „verschwinden“ zu lassen. Dieser nahm daraufhin das Spray und legte es, was M. wahrnahm, in das mit einer Klappe versehene Handschuhfach des Wagens, um es dort weiterhin für den vorgenannten Zweck bereitzuhalten. Die Klappe zum Handschuhfach war ge- aber nicht verschlossen und ließ sich jederzeit problemlos öffnen. Das Tierabwehrspray verblieb - was M. wusste - während der gesamten Beschaffungsfahrt im Handschuhfach.
Nach ihrer Ankunft in den Niederlanden erwarb Ö. erneut 30 Gramm Heroin und 5 Gramm Kokain. Von dem Heroin wollte er 18 Gramm gewinnbringend verkaufen und den Rest selbst konsumieren. Von dem Kokain plante er einen nicht festgestellten Anteil zu veräußern und den Rest für sich zu verwenden. Ö. verstaute die Betäubungsmittel auch dieses Mal in seiner Jackentasche.
Noch in den Niederlanden konsumierte Ö. wiederum einen kleinen Teil des erworbenen Heroins und Kokains. Mit den restlichen Betäubungsmitteln, und zwar 27,73 Gramm Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 37,9 % und 4,58 Gramm Kokain, überquerten M. und Ö. die niederländischdeutsche Grenze und kehrten nach H. zurück.
Dort wurden sie noch vor Erreichen der Wohnung des R. von der Polizei, die diese Beschaffungsfahrt observiert hatte, kontrolliert und festgenommen. Die Betäubungsmittel wurden sichergestellt. Das Heroin hatte einen Wirkstoffanteil von mindestens 9,4 Gramm Heroinhydrochlorid. Der Wirkstoffanteil der zum Weiterverkauf bestimmten 18 Gramm Heroin betrug mindestens 6,1 Gramm Heroinhydrochlorid. Bei der polizeilichen Durchsuchung des PKW des M. wurde das Pfefferspray im Handschuhfach aufgefunden (Fall 4 der Urteilsgründe).
3. Die Strafkammer hat den Angeklagten R. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Ihm hat die Anklage zur Last gelegt, im Zusammenhang mit einer weiteren Beschaffungsfahrt des Ö. am 3. November 2019 (Fall 1 der Urteilsgründe) gemeinschaftlich mit diesem und im Fall 3 der Urteilsgründe gemeinschaftlich mit Ö. und M. mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und dabei als Mitglied einer Bande gehandelt zu haben, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden habe. Er habe sich in diesen zwei Fällen jeweils gemäß § 30a Abs. 1 BtMG, § 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht, indem er seine Wohnung in Absprache mit den beiden anderen Angeklagten als Lagerungs- und Vertriebsort für Betäubungsmittel zur Verfügung gestellt und gelegentlich Anrufe auf dem Mobiltelefon des Ö. angenommen sowie mit Abnehmern der Betäubungsmittel kommuniziert habe.
Die Strafkammer hat demgegenüber lediglich festgestellt, R. habe nach der Aufnahme des Ö. Kenntnis davon erlangt, dass dieser in seiner Wohnung Betäubungsmittel portionierte und verkaufte, sei hiergegen aber nicht eingeschritten. Insofern hat das Landgericht eine Strafbarkeit verneint.
Während die gegen den Freispruch des Angeklagten R. gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft unbegründet ist (unten II. 2.), hat ihr den Angeklagten M. betreffendes Rechtsmittel den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Die gegen die Verurteilung des Angeklagten M. gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft erstreckt sich ungeachtet des Revisionsantrages, das Urteil „im Strafausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen“ aufzuheben, nicht nur auf den Rechtsfolgenausspruch, sondern auch auf den Schuldspruch. Dies ergibt sich sowohl aus dem Gesamtzusammenhang der Revisionsbegründung als auch aus dem weiteren Antrag, das Urteil zudem hinsichtlich der für die Tat vom 14. November 2019 verhängten Einzelstrafe und der Gesamtfreiheitsstrafe aufzuheben (§ 300 StPO). Die Revision ist allerdings wirksam beschränkt auf den Schuldspruch im Fall 4 der Urteilsgründe, den Ausspruch über die diesbezügliche Einzelstrafe sowie den Gesamtstrafenausspruch. Insofern ist sie ganz weitgehend begründet. Die Verurteilung des M. im Fall 4 der Urteilsgründe weist einen ihn begünstigenden materiellrechtlichen Rechtsfehler auf.
a) Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des M. im Fall 4 der Urteilsgründe wegen bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verneint und ihn wegen dieser Tat der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB) schuldig gesprochen.
Zur Begründung hat die Strafkammer ausgeführt, M. habe - anders als Ö. - das Pfefferspray nicht zur Verletzung von Personen bestimmt. Eine eigene subjektive diesbezügliche Zweckbestimmung habe er nicht vorgenommen; ganz im Gegenteil habe er gewollt, dass Ö. das Pfefferspray „verschwinden“ lasse.
b) Diese Erwägungen greifen in rechtlicher Hinsicht zu kurz. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte M. im Fall 4 der Urteilsgründe vielmehr wegen bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG in Tateinheit mit Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB strafbar gemacht.
aa) Allerdings hat das Landgericht zutreffend erkannt, dass M. in eigener Person den Qualifikationstatbestand der bewaffneten Einfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nicht in vollem Umfang erfüllt hat.
(1) Zwar führte bei der Einfuhrfahrt von den Niederlanden nach Deutschland nicht nur Ö., sondern auch M. selbst das Pfefferspray im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG mit sich. Denn ein Mitsichführen einer Schusswaffe oder eines sonstigen Gegenstandes im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist gegeben, wenn der Täter den Gegenstand in irgendeinem Stadium des Tathergangs bewusst gebrauchsbereit so in seiner Nähe hat, dass er sich dieses jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2020 - 5 StR 111/20, NStZ 2020, 555 f.; vom 23. April 2020 - 1 StR 99/20, juris Rn. 12; Urteil vom 23. Januar 2020 - 3 StR 433/19, NStZ 2020, 554 Rn. 12; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 30a Rn. 79 f.). Hier hatte auch M. als Fahrer des PKW, der von dem im unverschlossenen Handschuhfach befindlichen Pfefferspray wusste, während der Autofahrt die Möglichkeit eines ungehinderten und sofortigen Zugriffs auf das Tierabwehrspray (vgl. zur Zugriffsmöglichkeit des Fahrers auf im Handschuhfach befindliche Gegenstände BGH, Beschluss vom 3. April 2002 - 1 ARs 14/02, NJW 2002, 3116, 3117).
(2) Der Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt jedoch weiter voraus, dass der Täter den bei der Tat mit sich geführten Gegenstand, wenn es sich bei diesem nicht um eine Schusswaffe handelt, zur Verletzung von Personen bestimmt hat. Um den Qualifikationstatbestand zu verwirklichen, bedarf es einer diesbezüglichen Zweckbestimmung, die vom Tatgericht grundsätzlich näher festgestellt und begründet werden muss (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 28. März 2019 - 4 StR 463/18, NStZ 2019, 419 Rn. 6; Beschluss vom 20. November 2018 - 4 StR 466/18, juris Rn. 4; Urteile vom 6. September 2017 - 2 StR 280/17, juris Rn. 15; vom 21. Oktober 2014 - 1 StR 78/14, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Waffe 2 Rn. 21; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 30a Rn. 91; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 30a Rn. 119 ff.).
(a) Nähere Feststellungen zur subjektiven Bestimmung des Verwendungszwecks sind allerdings entbehrlich, wenn der Täter einen Gegenstand mit sich führt, der als Waffe im technischen Sinne gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a WaffG anzusehen ist oder zu den gekorenen Waffen nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG gehört. Denn bei diesen Waffen liegt eine subjektive Bestimmung zur Verletzung von Personen so nahe, dass keine weiteren Darlegungen hierzu im tatrichterlichen Urteil erforderlich sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 28. März 2019 - 4 StR 463/18, NStZ 2019, 419 Rn. 6; Beschlüsse vom 20. November 2018 - 4 StR 466/18, juris Rn. 5; vom 18. Oktober 2017 - 3 StR 78/17, NStZ-RR 2018, 251, 252; Urteil vom 6. September 2017 - 2 StR 280/17, juris Rn. 16; Beschlüsse vom 5. April 2016 - 1 StR 38/16, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 13 Rn. 7; vom 8. Januar 2014 - 5 StR 542/13, 26 27 NStZ 2014, 466; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 30a Rn. 91; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 30a Rn. 122).
Tierabwehrsprays sind indes weder Waffen im technischen Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a WaffG noch gekorene Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG. Denn sie sind nicht vom Hersteller ihrem Wesen nach dazu bestimmt, gegen Menschen eingesetzt zu werden, und nicht in Anlage 1, Abschnitt 1, Unterabschnitt 2 Nr. 2 zum Waffengesetz aufgeführt (so auch Gade, WaffG, 2. Aufl., Anlage 1 Rn. 106; MüKoStGB/Heinrich, 3. Aufl., § 1 WaffG Rn. 117; Steindorf/Heinrich, Waffenrecht, 10. Aufl., § 1 Rn. 23b; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 30a Rn. 115; Jesse, NStZ 2009, 364, 365).
(b) Bei einem Tierabwehrspray kann daher - ungeachtet seiner Verletzungsgeeignetheit - eine Bestimmung zur Verletzung von Personen im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nicht ohne Weiteres angenommen werden; vielmehr bedarf es stets einer einzelfallbezogenen und tatsachenfundierten Feststellung der subjektiven Bestimmung eines solchen Sprays zur Verletzung von Personen.
Eine solche Zweckbestimmung nahm M. ausweislich der Feststellungen jedoch selbst nicht vor. Er hatte nicht die Intention, das Pfefferspray zur Absicherung der Betäubungsmitteleinfuhr mitzuführen und gegebenenfalls gegen andere Personen einzusetzen.
bb) Damit scheidet eine Strafbarkeit des M. wegen bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG - anders als von der Strafkammer angenommen - nicht aus. Vorliegend kommt es auf die Frage, ob M. selbst das Pfefferspray im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG zur Verletzung von Personen bestimmte, aus Rechtsgründen nicht an.
Ausreichend für die Verwirklichung des Straftatbestandes der bewaffneten Einfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG durch M. ist vielmehr, dass Ö., der das Tierabwehrspray zur Absicherung des Betäubungsmittelgeschäfts mit sich führte, es auch nach der Deponierung im Handschuhfach weiterhin dazu bestimmt hatte, mit ihm gegebenenfalls Dritte zu verletzen, und M. von alledem wusste, also diese Umstände in seinen Tatvorsatz aufgenommen hatte. Das alles ist von der Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellt worden.
Denn bei dem Mitsichführen einer Schusswaffe beziehungsweise eines Gegenstandes, der zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist, nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG handelt es sich nicht um ein besonderes persönliches Merkmal nach § 14 Abs. 1 StGB (mit der Folge einer Anwendbarkeit des § 28 Abs. 2 StGB), sondern um ein qualifikationsbegründendes tatbezogenes Merkmal, das einem Mittäter, der von dem Mitsichführen durch einen anderen Mittäter weiß, nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2003 - GSSt 1/02, BGHSt 48, 189, 192 ff. sowie BGH, Urteil vom 10. August 2016 - 2 StR 22/16, NStZ-RR 2016, 375, 376 f.; Beschlüsse vom 15. Oktober 2013 - 3 StR 224/13, StV 2014, 617 Rn. 6; vom 11. Juli 2002 - 3 StR 140/02, NStZ-RR 2002, 277; vom 14. Dezember 2001 - 3 StR 369/01, NJW 2002, 1437, 1438 ff.; vom 8. März 2000 - 3 StR 50/00, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 6; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 25 Rn. 46, § 28 Rn. 6b; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 30a Rn. 98 f.; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 30a Rn. 153). Es genügt insofern bei einer mittäterschaftlichen Tatbegehung für eine Zurechnung, wenn ein Mittäter, der eine unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf den betreffenden Gegenstand hat, für sich die erforderliche Zweckbestimmung vorgenommen hat und der andere Mittäter hiervon weiß.
Zwar wollte M., dass Ö. das Pfefferspray angesichts der Gefahr einer polizeilichen Kontrolle „verschwinden“ ließ. Er bemerkte indes, dass der auf dem Beifahrersitz mitfahrende Ö. das Spray lediglich von dem offen einsehbaren Ablageort in der Mittelkonsole des PKW in das Handschuhfach legte, wo es weiterhin der jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit beider Angeklagten unterlag. Er wusste auch, dass Ö. das Pfefferspray weiterhin mit sich führte, um damit gegebenenfalls einen versuchten Zugriff Dritter auf die zu erwerbenden Betäubungsmittel abzuwehren, und es daher nach wie vor zur Verletzung von Personen bestimmt hatte. Er intervenierte indes nicht weiter, sondern führte die Transportfahrt durch. Angesichts dessen stellt sich das Vorgehen des Ö. für M. nicht als Exzesstat dar und ist ihm sowohl das Mitsichführen als auch die Zweckbestimmung des Pfeffersprays durch Ö. - also dessen Bewaffnung im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG - im Rahmen der mittäterschaftlichen Begehung der Einfuhrtat nach § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen.
c) Der Senat ändert den Schuldspruch betreffend den Angeklagten M. daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO wie aus dem Tenor ersichtlich. § 265 StPO steht dem nicht entgegen. Denn der weitgehend geständige M. hat sich dahin eingelassen, er habe mitbekommen, dass Ö. ein Pfefferspray in der Mittelkonsole des Autos abgelegt habe, und diesen zu Beginn der Autofahrt aufgefordert, das Pfefferspray „verschwinden“ zu lassen, woraufhin Ö. das Spray an sich genommen habe. M. hätte sich daher gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.
d) Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils im Fall 4 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zu Gunsten oder zum Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten M. ergeben. Insbesondere ist gegen die Annahme täterschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln nichts zu erinnern, auch wenn Ö. das Heroin und Kokain jeweils in seiner Jackentasche hatte und M. die Autofahrt, mit der die Betäubungsmittel nach Deutschland eingeführt wurden, lediglich auf Bitten des Ö. aus Gefälligkeit und gegen Erstattung seiner Benzinkosten vornahm. Denn er führte den PKW, mit dem die Betäubungsmittel nach Deutschland verbracht wurden; das genügt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2019 - 4 StR 126/19, juris Rn. 4; Urteil vom 22. Juli 1992 - 3 StR 35/92, BGHSt 38, 315, 316 ff.; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 29 Teil 5 Rn. 171; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 922 ff.).
e) Die Änderung des Schuldspruchs bezüglich des Angeklagten M. führt zur Aufhebung der gegen ihn für die Tat 4 der Urteilsgründe festgesetzten Einzel- und der gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können daher - entgegen dem Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft - bestehen bleiben.
2. Soweit sich die Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch des Angeklagten R. wendet, ist ihre Revision unbegründet und bleibt daher ohne Erfolg.
a) Die Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, die Strafkammer habe einen Beweisantrag der Staatsanwaltschaft rechtsfehlerhaft abgelehnt, dringt nicht durch. Aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen handelte es sich bei dem Antrag der Staatsanwaltschaft um keinen Beweisantrag, sondern einen Beweisermittlungsantrag, den die Strafkammer mit der Begründung hat ablehnen dürfen, die richterliche Aufklärungspflicht gebiete die beantragten Beweiserhebungen nicht. Dies gilt auch insoweit, als die im Antrag genannten Beweismittel präsente Beweismittel gemäß § 245 Abs. 2 StPO waren. Denn auch diese Vorschrift setzt voraus, dass ein Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2011 37 38 39 - 4 StR 423/11, juris Rn. 4; KKStPO/Krehl, 8. Aufl., § 245 Rn. 26; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 245 Rn. 20).
Eine zulässige Aufklärungsrüge ist nicht erhoben. Im Übrigen hat sich die Strafkammer nicht gedrängt sehen müssen, den erstrebten Beweiserhebungen nachzukommen, so dass eine Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO nicht gegeben ist.
b) Die Beanstandung eines Verstoßes gegen § 245 Abs. 1 StPO, mit der geltend gemacht wird, die Strafkammer habe die Beweisaufnahme nicht von Amts wegen auf Aufzeichnungen von überwachten Telefongesprächen und SMS erstreckt, die dem Gericht vorlagen, und damit gegen das Verwendungsgebot präsenter Beweismittel verstoßen, ist unzulässig. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend dargetan hat, löst das bloße Vorhandensein sachlicher Beweismittel an der Gerichtsstelle, die von der Staatsanwaltschaft herbeigeschafft worden sind, noch nicht die Beweiserhebungspflicht des § 245 Abs. 1 StPO aus. Hierfür bedarf es vielmehr einer Erklärung des Gerichts, ein tatsächlich vorhandenes Beweismittel nutzen zu wollen, also der sogenannten Konstatierung der Beweismittelqualität (vgl. BGH, Urteile vom 30. August 1990 - 3 StR 459/87, BGHSt 37, 168, 171 f.; vom 14. Mai 1963 - 1 StR 120/63, BGHSt 18, 347; KKStPO/Krehl, 8. Aufl., § 245 Rn. 3, 13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 245 Rn. 5). Die Verfahrensrüge verhält sich nicht dazu, ob das Gericht eine solche Verwendungsabsicht kundgetan hat, und genügt daher nicht den Darlegungserfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. KKStPO/Krehl, 8. Aufl., § 245 Rn. 35).
c) Auch die erhobene Sachrüge verhilft der gegen den Freispruch des Angeklagten R. gerichteten Revision nicht zum Erfolg.
aa) Entgegen dem Vorbringen der Revision weist die Beweiswürdigung, mit der die Strafkammer den Freispruch begründet hat, keinen Rechtsfehler zum Vorteil dieses Angeklagten auf.
Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatgerichts, dem allein es obliegt, sich unter dem Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht kann demgegenüber nur prüfen, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 28. Januar 2016 - 3 StR 425/15, juris Rn. 10; vom 6. August 2015 - 3 StR 226/15, juris Rn. 5). Lückenhaft ist die Würdigung der Beweise insbesondere dann, wenn das Urteil nicht erkennen lässt, dass das Tatgericht alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen und dabei nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (vgl. BGH, Urteile vom 28. Januar 2016 - 3 StR 425/15, juris Rn. 10; vom 2. April 2015 - 3 StR 635/14, juris Rn. 3). Liegt ein solcher Rechtsfehler nicht vor, ist die tatrichterliche Würdigung auch dann hinzunehmen, wenn ein anderes Ergebnis ebenso möglich gewesen wäre oder gar nähergelegen hätte (BGH, Urteil vom 17. April 2014 - 3 StR 27/14, NStZRR 2014, 279, 280).
Nach diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung des Landgerichts revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Der Senat nimmt insofern auf die diesbezüglichen Darlegungen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts Bezug. Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen: Den Feststellungen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Aktivitäten des R., aus denen die Staatsanwaltschaft den Schluss gezogen wissen will, er habe als Mitglied einer Bande gemeinschaftlich mit Ö. und M. mit Betäubungsmitteln Handel getrieben, insbesondere Telefonate des R. mit Abnehmern des Ö., mit den konkret verfahrensgegenständlichen Betäubungsmitteln und damit den angeklagten Taten in einem Zusammenhang standen.
bb) Auf der Basis der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist - anders als die Revision meint - auch keine Strafbarkeit des Angeklagten R. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch den Angeklagten Ö. gegeben, und zwar weder durch aktives Tun noch durch pflichtwidriges Unterlassen. Zwar nahm R. den Ö. in seine Wohnung auf. Zudem erlangte er Kenntnis davon, dass dieser in den Niederlanden erworbene Betäubungsmittel dort portionierte, verkaufte und an seine Abnehmer übergab, ließ ihn aber gewähren. Beides begründet jedoch noch nicht seine Strafbarkeit.
Denn zum einen haben sich ausweislich der Urteilsgründe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass R. den mit ihm befreundeten Ö., nachdem dieser seine eigene Wohnung verloren hatte, nicht aus freundschaftlicher Verbundenheit in seine Wohnung aufnahm, sondern um ihm die dort später von ihm entfalteten Aktivitäten zu ermöglichen, oder er bei der Aufnahme von Ö. zumindest für möglich hielt und sich damit abfand, dass dieser die Wohnung zum Betäubungsmittelhandel nutzen wollte (vgl. zur möglichen Strafbarkeit in einer solchen Konstellation BGH, Urteil vom 28. Juni 2019 - 3 StR 106/18, juris Rn. 12; Beschluss vom 28. März 2019 - 1 StR 598/18, juris Rn. 10; Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 300/13, NStZ 2014, 164; Beschluss vom 7. Januar 2003 - 3 StR 414/02, NStZ-RR 2003, 153; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 29 Teil 4 Rn. 234). Die Strafkammer hat nicht festzustellen vermocht, dass R. bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme des Ö. in seine Wohnung wusste, dass dieser mit Betäubungsmitteln Handel trieb.
Zum anderen hat ein Wohnungsinhaber grundsätzlich nicht die Rechtspflicht, gegen ein von ihm bemerktes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch Dritte in seiner Wohnung einzuschreiten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. März 2019 - 1 StR 598/18, juris Rn. 9; vom 16. Februar 2016 - 4 StR 459/15, juris Rn. 5; vom 30. April 2013 - 3 StR 85/13, NStZ-RR 2013, 249; vom 30. September 2009 - 2 StR 329/09, NStZ 2010, 221, 222; vom 2. August 2006 - 2 StR 251/06, juris Rn. 11; vom 7. Januar 2003 - 3 StR 414/02, NStZ-RR 2003, 153; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 29 Teil 4 Rn. 233).
Schließlich begründet das Verhalten des Angeklagten R. keine Strafbarkeit wegen Gewährung einer Gelegenheit zum Erwerb oder zur Abgabe von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 10 BtMG. Denn hierfür reicht das bloße Hinnehmen von Erwerbs- oder Abgabehandlungen eines Dritten in der eigenen Wohnung durch einen Wohnungsinhaber nicht aus (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 29 Teil 20 Rn. 14, 20; MüKoStGB/ Kotz/O?lakc?o?lu, 3. Aufl., § 29 BtMG Rn. 1443).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1236
Externe Fundstellen: NStZ 2022, 303; StV 2022, 563
Bearbeiter: Christian Becker