HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 162
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 422/20, Beschluss v. 12.01.2021, HRRS 2021 Nr. 162
Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 19. August 2020 wird verworfen.
Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie die Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel angeordnet. Gegen das am 19. August 2020 in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. August 2020 Revision eingelegt. Das an das Amtsgericht Krefeld unter Bezugnahme auf die „Strafsache gegen S. - 23 Gs-31 Js 51/20- 1 202/20 -" adressierte Rechtsmittel ist am 26. August 2020 (8:32 Uhr) dort eingegangen, spätestens am 27. August 2020 an das Landgericht Krefeld weitergeleitet worden und dort an diesem Tag eingegangen. Mit Schreiben vom 7. September 2020, eingegangen beim Verteidiger des Angeklagten am 8. September 2020, hat das Landgericht auf den verspäteten Eingang des Revisionsschriftsatzes hingewiesen und Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche gewährt. Der Angeklagte hat mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom "26. August 2020", eingegangen beim Landgericht am 15. September 2020, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision beantragt und das Rechtsmittel erneut eingelegt. Zur Begründung hat der Verteidiger ausgeführt, er habe eine Revisionseinlegung an das Landgericht Krefeld diktiert; die sonst zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte habe das Rechtsmittel fälschlicherweise an das Amtsgericht gefaxt. Sein Mandant habe ihm „heute“ vorgelegt, „dass das Urteil angeblich mit Schreiben vom 27.08.2020 rechtskräftig geworden sein soll“.
1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig, weil die Voraussetzungen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht eingehalten worden sind.
a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Abs. 1 StPO). Innerhalb der Antragsfrist von einer Woche ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller, sofern sich - wie hier - die Wahrung der Frist des § 45 Abs. 1 StPO nicht offensichtlich aus den Akten ergibt, auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen (BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2016 - 4 StR 452/15, juris Rn. 2; vom 29. November 2016 - 3 StR 444/16, juris Rn. 3).
Der Antrag „vom 26. August 2020" enthält keine ausreichenden Angaben dazu, wann das Hindernis weggefallen ist, das der Fristwahrung entgegenstand. Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Angeklagten (BGH aaO). Wann dem Angeklagten das erwähnte Schreiben vom 27. August 2020, in dem das Urteil als rechtskräftig vermerkt sein soll, zugegangen und ihm dadurch die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist bekannt geworden ist, wird nicht vorgetragen. Dies ergibt sich auch nicht aus den Sachakten, die ein Schreiben vom 27. August 2020 nicht enthalten. Vielmehr ist dem Angeklagten und seinem Verteidiger mit formlosem Schreiben vom 1. September 2020 eine Urteilsausfertigung mit Rechtskraftvermerk vom 27. August 2020 übermittelt worden. Irrelevant für die Wahrung der Wochenfrist des § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO ist die Kenntnisnahme des Verteidigers von dem Wegfall des Hindernisses, weshalb dessen fristgemäße Reaktion auf das Hinweisschreiben des Landgerichts für die Zulässigkeit des Gesuchs nicht von Bedeutung ist.
b) Es besteht ferner kein Anlass, dem Angeklagten mit Blick auf die spätestens am 27. August 2020 erfolgte Weiterleitung der Revisionseinlegungsschrift von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 45 Abs. 2 Satz 3 StPO) zu gewähren. Denn ein diesbezügliches Verschulden der Justizbehörden liegt nicht vor. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 9. November 2020 ausgeführt:
„Hier lässt sich ein solches zur Fristversäumung führendes amtliches Verschulden an der Weiterleitung der Revisionseinlegung vom 26. August 2020 durch Bedienstete des Amtsgerichts Krefeld aber nicht feststellen. Der Schriftsatz ging per Telefax am letzten Tag der Frist zur Revisionseinlegung um 8:32 Uhr ein (Schriftsatz vom 26. August 2020, insbesondere Faxübermittlungszeile zu Datum und Uhrzeit, siehe auch Sachakte Bd. II, Bl. 498). Er wurde in der Faxeingangsstelle des Amtsgerichts durch einen Justizwachtmeister entgegengenommen. Bei der Fax-Nummer 02151-847661 handelt es sich weder um die gemeinsame Faxnummer des Amtsgerichts Krefeld und des Landgerichts Krefeld, die an derselben Anschrift ansässig sind, noch um eine gesonderte Faxnummer der mit Strafsachen befassten Geschäftsstellen des Amtsgerichts (vgl. Internetauftritt des Amtsgerichts Krefeld und des Landgerichts Krefeld, https://www.agkrefeld.nrw.de/ und https://www.lgkrefeld.nrw.de/). Auf dem Schriftsatz findet sich zudem kein Hinweis auf eine besondere Eilbedürftigkeit, gegebenenfalls mit der Bitte um sofortige Vorlage. Damit musste sich dem Justizbeamten nicht der Eindruck aufdrängen, er müsse den Schriftsatz der zuständigen Geschäftsstelle unverzüglich von Hand zu Hand zuleiten. Auch aus dem angegebenen Aktenzeichen konnte der Justizbeamte nicht auf den ersten Blick ersehen, dass der Schriftsatz bei einem unzuständigen Gericht eingegangen und unmittelbar an die Eingangsstelle des Landgerichts zu übergeben war. Mit einer Weiterleitung der Revisionseinlegung an das Landgericht Krefeld konnte somit frühestens nach Eingang des Telefaxes auf der Geschäftsstelle der Strafabteilung beim Amtsgericht, der üblicherweise am nächsten Werktag und damit nach Fristablauf erfolgt, gerechnet werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. März 2002 - 2 Ws 79/02, NStZ-RR 2002, 216).“
Dem schließt sich der Senat an.
c) Der Verwerfung des Wiedereinsetzungsgesuchs steht auch nicht das in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK gewährleistete Recht eines Angeklagten auf tatsächliche und wirksame Verteidigung als besonderer Aspekt des nach Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren entgegen. Ein zur Wiedereinsetzung von Amts wegen oder zur Bestellung eines anderen Pflichtverteidigers nötigender „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung liegt nicht vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. November 2020 - 2 StR 225/20, juris Rn. 7; vom 7. August 2019 - 3 StR 165/19, NStZ-RR 2019, 349; vom 5. Juni 2018 - 4 StR 138/18, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. c Beschränkung 3 Rn. 2; vom 18. Januar 2018 - 4 StR 610/17, NStZ-RR 2018, 84; vom 28. Juni 2016 - 2 StR 265/15, StV 2016, 770). Der nicht inhaftierte Angeklagte stand nach Revisionseinlegung in Kontakt mit seinem Verteidiger und hat sich wegen der durch das Landgericht bestätigten Rechtskraft des Urteils auch an diesen gewandt. Der Verteidiger hat nach seinem eigenen Sachvortrag hierauf auch unverzüglich mit Schriftsatz vom "26. August 2020" reagiert.
2. Da die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels (§ 43 Abs. 1, § 341 Abs. 1 StPO) danach nicht eingehalten worden ist, ist die Revision gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 162
Externe Fundstellen: NJW 2021, 1406; NStZ-RR 2021, 112
Bearbeiter: Christian Becker