HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1070
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 165/19, Beschluss v. 07.08.2019, HRRS 2019 Nr. 1070
Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 26. November 2018 wird verworfen.
Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des Landgerichts Wuppertal vom 11. Februar 2019, mit dem die Revision des Angeklagten gegen das vorbenannte Urteil als unzulässig verworfen worden ist, wird auf seine Kosten verworfen.
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
Nachdem der Angeklagte und seine Verteidigerin fristgerecht Revision eingelegt hatten, ist dieser das Urteil am 3. Januar 2019 zugestellt worden. Bis einschließlich 4. Februar 2019 ist beim Landgericht allein eine vom Angeklagten eigenhändig verfasste Revisionsbegründung eingegangen, während die Verteidigerin schriftsätzlich erklärt hat, der Angeklagte werde die Revision persönlich zu Protokoll der Geschäftsstelle begründen. Mit Beschluss vom 11. Februar 2019 hat das Landgericht daraufhin die Revision nach § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, weil innerhalb der Revisionsbegründungsfrist keine „Revision“ in der von § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form angebracht worden sei.
Mit beim Landgericht am 15. Februar 2019 eingegangenem Schreiben vom 13. Februar 2019 hat der Angeklagte eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO beantragt. Zur Begründung ist dort im Wesentlichen ausgeführt, seine Verteidigerin habe ihm erst am 29. Januar 2019 mitgeteilt, keine Revisionsbegründungsschrift einzureichen. Ihm stehe aber ein Recht auf Mitwirkung eines Verteidigers zu. Zudem habe er bereits vor dieser Mitteilung seiner Verteidigerin darum ersucht gehabt, die Revision selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle zu begründen. Auf das Gesuch sei nicht reagiert worden.
Am 13. März 2019 ist der Angeklagte dem Rechtspfleger des Amtsgerichts Wuppertal vorgeführt worden. Er hat zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt, er stelle den Antrag auf Übersendung einer von einem Teil der Akte zu fertigenden Abschrift. Weitere Prozesshandlungen hat er bei dieser Gelegenheit nicht vorgenommen.
Mit weiterem Schreiben vom 30. Januar 2019, das beim Landgericht am 4. Februar 2019 eingegangen war, hatte der Angeklagte beantragt, ihm nach § 140 StPO einen Pflichtverteidiger (anstelle oder neben seiner bisherigen Verteidigerin) beizuordnen. Diesen Antrag hatte das Landegericht noch am selben Tag abgelehnt. Eine Auswechselung des Pflichtverteidigers sei nicht geboten, weil die bisherige Verteidigerin - die fernmündlich bekundet hatte, sie sehe keine „Revisionsgründe“ - als selbständiges Organ der Rechtspflege berechtigt gewesen sei, ihre Mitwirkung an der Begründung einer nach ihrer Überzeugung offensichtlich aussichtslosen Revision zu verweigern. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 29. Mai 2019 als unbegründet verworfen. Im Kern ist es der Begründung des Landgerichts gefolgt und hat sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 22. März 2007 (59519/00, NJW 2008, 2317) berufen.
2. Den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinne des § 45 StPO sowie auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO muss der Erfolg versagt bleiben.
a) Das Schreiben des Angeklagten vom 13. Februar 2019 ist auch als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist auszulegen. Denn der Angeklagte macht der Sache nach geltend, er sei, da er die Formerfordernisse für eine Revisionsbegründung innerhalb der vorgesehenen Frist nicht habe erfüllen können, im Sinne des § 44 Satz 1 StPO unverschuldet an deren Wahrung gehindert gewesen. Seine Verteidigerin sei nicht willens gewesen, eine Revisionsbegründungsschrift einzureichen; Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle seien ihm nicht möglich gewesen.
aa) Der Wiedereinsetzungsantrag ist allerdings bereits deshalb nach § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig, weil die Revisionsbegründung in der von § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form nicht zwischenzeitlich nachgeholt worden ist.
bb) Die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist ebenso wenig zurückzustellen, um die Sache an das Landgericht zur Beiordnung eines anderen oder weiteren Pflichtverteidigers zurückzugeben.
Zwar hat der Bundesgerichtshof (s. Beschlüsse vom 18. Januar 2018 - 4 StR 610/17, NStZ-RR 2018, 84; vom 5. Juni 2018 - 4 StR 138/18, juris) eine derartige Zurückgabe der Sache zur Bestellung eines anderen Verteidigers vor der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Fällen angeordnet, in denen ein - das Verschulden des Angeklagten ausschließender - „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (s. Urteil vom 10. Oktober 2002 - 38830/97, NJW 2003, 1229 Tz. 59 ff. mwN) vorlag (vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 - 2 StR 265/15, BGHR StPO § 44 Verschulden 11). Dahinstehen kann, ob hier ein solcher „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung darin zu sehen ist, dass die Verteidigerin des Angeklagten, nachdem sie Revision eingelegt hatte, das Rechtsmittel nicht begründet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2018 - 4 StR 138/18, aaO; ferner BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 - 2 StR 265/15, aaO), insbesondere ob ihre fernmündliche Bekundung, sie sehe keine „Revisionsgründe“, einen derartigen Mangel ausschließt. Zu bedenken ist freilich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in dem von der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts in Bezug genommenen Urteil vom 22. März 2007 (59519/00, NJW 2008, 2317) zwar für das polnische Prozesskostenhilferecht darauf erkannt hat, es sei nicht Aufgabe des Staates, einen - beigeordneten - Prozesskostenhilfeanwalt dazu zu zwingen, ein nach seiner Überzeugung aussichtloses Rechtsmittel einzulegen. Jedoch hat er es gleichermaßen als notwendig erachtet, dass der „Mandant“ noch ausreichend Zeit habe, einen anderen - beizuordnenden - Prozesskostenhilfeanwalt zu finden (s. aaO, Tz. 132 f.).
Unabhängig hiervon trifft den Angeklagten jedoch ein erhebliches eigenes Verschulden jedenfalls ab dem 13. März 2019, als er die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle hätte formwirksam nachholen können. Er hat dies nicht nur unterlassen, sondern - der dienstlichen Stellungnahme des mit der Protokollierung befassten Rechtspflegers vom 24. April 2019 zufolge - ausdrücklich mitgeteilt, er habe „nunmehr einen Rechtsanwalt, auf eigene Kosten, beauftragt“, der auch schon „alles in die Wege geleitet“ habe. Jedenfalls unter Zugrundelegung dieser Angaben lag ein Mangel der Verteidigung nicht (mehr) vor.
b) Der zulässige Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO ist unbegründet, weil das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht das Rechtsmittel als unzulässig verworfen hat (§ 346 Abs. 1 StPO). Denn innerhalb der mit dem Ablauf des 4. Februar 2019 endenden Revisionsbegründungsfrist ist keine gemäß § 345 Abs. 2 StPO formgerechte Revisionsbegründung angebracht worden, ohne dass - wie dargelegt - gegen die Fristversäumung noch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1070
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 349
Bearbeiter: Christian Becker