HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 607
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 408/20, Urteil v. 25.03.2021, HRRS 2021 Nr. 607
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 29. Juli 2020 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der Brandstiftung sowie der Sachbeschädigung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen den Maßregelausspruch richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Urteil insgesamt aufzuheben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das Rechtsmittel hat den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg. Die Feststellungen zum äußeren Geschehen sind indes rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb bestehen bleiben.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der Angeklagte befand sich Ende November 2019 in einem akuten psychotischen Zustand. Er litt unter Ängsten, unter anderem der, vom Teufel gelenkt zu werden. Unter dem Einfluss dieser Erkrankung beging er folgende Einzeltaten, was ihm „Erleichterung verschaffte":
1. Am 28. November 2019 zündete er auf einem Parkplatz einen fremden PKW an, nachdem er mit einem ca. 10 cm großen Stein die Scheibe auf der Beifahrerseite eingeschlagen, Ottokraftstoff im Inneren des Wagens verteilt und diesen in Brand gesetzt hatte. Das Fahrzeug brannte vollständig aus.
2. Am 1. Dezember 2019 schlug er auf dem gleichen Parkplatz an einem weiteren Fahrzeug mit einem Stein die Scheibe der Fahrertür ein, goss wiederum Ottokraftstoff ins Fahrzeuginnere und zündete dieses an, so dass auch dieser PKW ausbrannte.
3. Am 29. Dezember 2019 zündete er die auf dem Bürgersteig liegende Schlafstatt eines Obdachlosen an, nachdem er sie zuvor mit Ottokraftstoff getränkt hatte.
Die Strafkammer hat die Taten 1. und 2. der Urteilsgründe als vorsätzliche Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 4 StGB, die Tat 3. der Urteilsgründe als Sachbeschädigung nach § 303 StGB gewertet. Gleichwohl hat sie den Angeklagten freigesprochen, da seine Einsichtsfähigkeit zum Tatzeitpunkt (weitgehend) aufgehoben und seine Bewertungen und Wahrnehmungen „dem eigenen gesteuerten Zugriff entzogen“ gewesen seien, so dass er ohne Schuld gehandelt habe.
Prognostisch bestehe beim Angeklagten ein hohes Risiko, dass er erneut Brandstiftungen begehen werde. Deshalb sei seine Unterbringung gemäß § 63 StGB anzuordnen.
1. Die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus sind nicht rechtsfehlerfrei dargetan.
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur dann angeordnet werden, wenn - neben der höhergradigen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung erheblicher rechtswidriger Taten - zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dies setzt unter anderem die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustandes des Täters voraus, der dazu führte, dass er - sicher feststehend - die Tat zumindest mit erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB beging (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 - 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27; Beschluss vom 6. Februar 1997 - 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 f.). Für die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, ist mithin zunächst die Feststellung erforderlich, dass bei dem Beschuldigten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann ist der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen (BGH, Beschluss vom 7. April 2020 - 4 StR 48/20, juris Rn. 7). In den Urteilsgründen bedarf es einer konkretisierenden Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung des Betroffenen in der konkreten Tatsituation auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit auswirkte (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75; vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, 77). Diese Darlegungsanforderungen hat der Tatrichter grundsätzlich auch dann zu beachten, wenn der Angeklagte - wie im vorliegenden Fall - eine Exploration abgelehnt hat (BGH, Beschluss vom 31. Januar 1997 - 2 StR 668/96, BGHR StGB § 63 Zustand 21).
b) Diesen Maßstäben werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
aa) Bereits das Vorliegen eines die Schuldfähigkeit ausschließenden psychischen Defekts, der die Voraussetzungen eines Eingangsmerkmals nach § 20 StGB erfüllt, wird nicht ausreichend dargetan.
Soweit das Landgericht im Anschluss an die Sachverständige davon ausgeht, dass der Angeklagte an einer „Schizophrenie, wahrscheinlich einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10 F 20.0)" leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, juris Rn. 8; vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142). Die Urteilsgründe beschränken sich neben der Mitteilung der Diagnose auf knappe Ausführungen zu für sich genommen nicht sonderlich aussagekräftigen Auffälligkeiten im Lebenszuschnitt des Angeklagten, die zudem erst wenige Monate vor der Tat zutage traten und einen chronifizierten Defekt nicht belegen.
bb) Auch im Übrigen werden die Voraussetzungen einer wegen aufgehobener Einsichtsfähigkeit ausgeschlossenen Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Angeklagten bei Begehung der Anlasstaten nicht ausreichend dargestellt und belegt.
So ist schon nicht sicher festgestellt, dass der Angeklagte aufgrund dieser Störung schuldunfähig oder jedenfalls sicher eingeschränkt schuldfähig war. Das Landgericht führt insoweit unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Sachverständigen aus, dass die akute produktivpsychotische Episode der Schizophrenie die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten „weitgehend“ aufgehoben habe. Selbstbestimmung und freie Willensbestimmung seien ausgesetzt, Bewertungen und Wahrnehmungen seien dem „eigenen gesteuerten“ Zugriff entzogen gewesen. Diesen eher allgemein gehaltenen Ausführungen lässt sich bereits nicht entnehmen, wie sich eine mögliche, als krankhafte seelische Störung zu wertende Erkrankung des Angeklagten konkret auf die Einsichtsfähigkeit bei der jeweiligen Tatbegehung auswirkte.
Zudem hat die Sachverständige in ihren gutachterlichen Ausführungen die Einsichtsfähigkeit nur „weitgehend“ als aufgehoben angesehen (UA S. 18). Demgegenüber ist die Strafkammer von einer aufgehobenen Einsichtsfähigkeit (UA S. 19) ausgegangen, ohne dass sie näher begründet hat, warum sie insoweit von der Einschätzung der Sachverständigen abgewichen ist. Damit ist nicht ausreichend belegt, dass die Unrechtseinsichtsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten tatsächlich sicher aufgehoben war. Eine möglicherweise nur erheblich verminderte Fähigkeit zur Unrechtseinsicht genügt aber für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB nicht, weil eine solche strafrechtlich erst dann von Bedeutung ist, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. BGH, Urteile vom 2. Februar 1966 - 2 StR 529/65, BGHSt 21, 27 f.; vom 6. März 14 15 16 1986 - 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 25; Beschlüsse vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 437/09, juris Rn. 4; vom 6. August 2019 - 3 StR 46/19, StV 2020, 371, 372).
c) Über den Freispruch des Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit und seine Unterbringung muss somit - gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) - neu entschieden werden. Das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht der Aufhebung des Freispruchs nicht entgegen. § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ermöglicht es, in einer neuen Hauptverhandlung anstelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Daraus folgt, dass auf die Revision des Angeklagten ein mit der Maßregelanordnung ergangenes freisprechendes Erkenntnis ebenfalls aufgehoben werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1; vom 18. September 2019 - 3 StR 337/19, NStZ-RR 2020, 8, 9).
2. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind hingegen rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Insbesondere begegnet die Beweiswürdigung keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2018 - 3 StR 618/17, juris Rn. 5).
b) Nach diesem Maßstab hält die Beweiswürdigung zum äußeren Sachverhalt revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Der Angeklagte hat bei seiner polizeilichen Vernehmung die Tat 3. der Urteilsgründe eingeräumt. Zum Zeitpunkt der Begehung dieser Tat wurde er bereits polizeilich observiert, nachdem mehrere Zeugen nach der Tat 1. den Täter beschrieben hatten und die Polizei, die nach der Tat 2. den Tatort mehrere Stunden täglich beobachtet hatte, nur zwei Tage später in Tatortnähe einen Mann erblickte, auf den die abgegebene Beschreibung passte und der eine Flasche mit einer gelblichen Flüssigkeit mit sich führte. Dieser Mann betrat (und verließ am nächsten Tag) eine Obdachlosenunterkunft, in der der Angeklagte damals nächtigte. Am Vortag der Tat 3. wurde die Person bei einer Tankstelle gesichtet, wie sie Ottokraftstoff in eine Plastikflasche füllte und diesen bezahlte. Dabei trug sie eine selbstgebaute Lunte mit sich, die kurz darauf - wie eine Videoaufnahme in der vom Angeklagten aufgesuchten Obdachlosenunterkunft ergibt - in einem von diesem getragenen Rucksack steckte. Die Strafkammer hat aus diesen Beobachtungen den möglichen Schluss gezogen, dass der Angeklagte der bei der Tat 1. von den Zeugen gesichtete Täter war. Bei seiner Festnahme nach der dritten, von ihm eingeräumten Tat habe er Kleidung getragen, die mit der von den Zeugen bereits nach der Tat 1. beschriebenen im Wesentlichen übereinstimme. Auch Alter und Größe seien von den Zeugen zutreffend geschätzt worden. Auffällig sei zudem der markante dunkle Vollbart, der von den meisten Zeugen bemerkt worden sei. Jedenfalls habe der Angeklagte bereits aufgrund dieser Zeugenaussagen erkannt und observiert werden können.
Diese Würdigung der vorliegenden Beweisanzeichen begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts enthält die Beweiswürdigung auch keine Lücke, weil es an der Feststellung mangelt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt tatsächlich einen solchen Bart trug. Dieser Umstand erschließt sich vielmehr zwanglos aus einer Gesamtschau der Urteilsgründe (vgl. UA S. 10, 13). Auch der Schluss, den das Landgericht aus der Art der Tatbegehung bei Tat 1. wegen der Ähnlichkeiten im modus operandi auf die Täterschaft des Angeklagten bei Tat 2. der Urteilsgründe gezogen hat, ist jedenfalls möglich. Dass das Landgericht in seine Erörterungen nicht eingestellt hat, dass das Verfahren hinsichtlich eines weiteren Fahrzeugbrandes auf dem gleichen Parkplatz, bei dem die Begehungsweise von der bei den Taten 1. und 2. der Urteilsgründe abwich, nach § 154 StPO eingestellt worden ist, stellt angesichts der Beweislage hier keinen durchgreifenden Erörterungsmangel dar.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 607
Bearbeiter: Christian Becker