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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1171

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 377/16, Beschluss v. 08.09.2016, HRRS 2016 Nr. 1171


BGH 1 StR 377/16 - Beschluss vom 8. September 2016 (LG Ulm)

Verfassungsrechtliches Bestimmtheitsgebot (hinreichende Bestimmtheit von Weisungen während der Führungsaufsicht); Anforderungen an einen Führungsaufsichtsbeschluss.

Art. 103 Abs. 2 GG; § 68b Abs. 1, 2 StGB; § 145a Satz 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Voraussetzung für eine Bestrafung nach § 145a StGB ist, dass die Weisungen, gegen die verstoßen wurde, hinreichend bestimmt sind. Dies ist in den Urteilsgründen darzustellen.

2. In Anbetracht des Bestimmtheitsgebotes aus Art. 103 Abs. 2 GG und der Tatsache, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen zulässt, muss sich aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst ergeben, dass es sich bei den Weisungen, auf deren Verletzung die Verurteilung gestützt werden soll, um solche nach § 68b Abs. 1 StGB handelt, die gemäß § 145a Satz 1 StGB strafbewehrt sind. Der Umstand, dass eine Weisung strafbewehrt ist, muss in dem Führungsaufsichtsbeschluss unmissverständlich klargestellt sein.

3. Wegen der Gefahr von Missverständnissen und Unklarheiten kann die Klarstellung des Charakters der Weisungen im Führungsaufsichtsbeschluss nicht durch eine mündliche Belehrung ersetzt werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 4. März 2016

a) im Schuldspruch aufgehoben, soweit der Angeklagte E. wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwei Fällen verurteilt worden ist;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erpressung, versuchter Erpressung, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) nicht.

a) Voraussetzung für eine Bestrafung nach § 145a StGB ist, dass die Weisungen, gegen die verstoßen wurde, hinreichend bestimmt sind (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2013 - 3 StR 486/12, BGHSt 58, 136). Dies ist in den Urteilsgründen darzustellen (BGH, Beschluss vom 19. August 2015 - 5 StR 275/15, StraFo 2015, 471 f. mwN). In Anbetracht des Gebots aus Art. 103 Abs. 2 GG und der Tatsache, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen zulässt, muss sich aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst ergeben, dass es sich bei den Weisungen, auf deren Verletzung die Verurteilung gestützt werden soll, um solche nach § 68b Abs. 1 StGB handelt, die gemäß § 145a Satz 1 StGB strafbewehrt sind. Der Umstand, dass eine Weisung strafbewehrt ist, muss in dem Führungsaufsichtsbeschluss unmissverständlich klargestellt sein (BGH, Beschlüsse vom 19. August 2015 - 5 StR 275/15, StraFo 2015, 471 f. mwN und vom 11. Februar 2016 - 2 StR 512/15).

Dies ist dem Führungsaufsichtsbeschluss, soweit er im Urteil wörtlich mitgeteilt ist, nicht zu entnehmen.

Wegen der Gefahr von Missverständnissen und Unklarheiten kann die Klarstellung des Charakters der Weisungen im Führungsaufsichtsbeschluss nicht durch eine mündliche Belehrung (vgl. § 268a Abs. 3 Sätze 2 und 3 StPO bzw. §§ 453a, 463 Abs. 1 StPO) ersetzt werden (BGH, Beschluss vom 19. August 2015 - 5 StR 275/15, StraFo 2015, 471 f.).

b) Ob der Führungsaufsichtsbeschluss im Urteil vollständig wiedergegeben ist, lässt sich diesem nicht zweifelsfrei entnehmen. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass ein neues Tatgericht ergänzende Feststellungen treffen kann, die zu einer Verurteilung des Angeklagten auch wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht führen. Für den vom Generalbundesanwalt beantragten Freispruch (§ 354 Abs. 1 StPO) war daher kein Raum.

2. Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Anders als der Generalbundesanwalt kann der Senat nicht ausschließen, dass die Jugendkammer bei Wegfall der für die beiden Vergehen nach § 145a StGB verhängten Einzelfreiheitsstrafen von drei und sechs Monaten auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.

3. Der Senat ist nicht gehindert, durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2, Abs. 4 StPO zu entscheiden und die Sache unter Teilaufhebung des Schuldspruchs und Aufhebung der Gesamtstrafe an eine andere Jugendkammer zurückzuverweisen; denn der vom Generalbundesanwalt beantragte Teilfreispruch unter Aufrechterhaltung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe hätte sich im Ergebnis zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1171

Externe Fundstellen: StV 2020, 22

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner