HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 367
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 27/19, Beschluss v. 23.01.2020, HRRS 2020 Nr. 367
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 28. August 2018
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen (Fälle II. 2, 3, 4, 5, 6, 8, 11, 12 und 14 der Urteilsgründe) und des bewaffneten Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 25 der Urteilsgründe) schuldig ist,
aufgehoben
mit den jeweils zugehörigen Feststellungen
in den Fällen II. 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe,
im Ausspruch über die Einziehung des Wertes des Erlangten,
im Ausspruch über die Gesamtstrafe; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln“ in 21 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit „bewaffnetem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln“, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt; außerdem hat es die Einziehung von Tatmitteln und des Wertes des Erlangten in Höhe von 114.975 € als Gesamtschuldner mit den gesondert verurteilten E. H. und C. H. angeordnet. Die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verfahrensrüge dringt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit er in den Fällen II. 2, 3, 4, 5, 6, 8, 11, 12, 14 und 25 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit bedarf es lediglich einer Schuldspruchänderung. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe hat dagegen ebenso wenig Bestand wie die Entscheidung über die Einziehung des Wertes der Taterträge. Im Einzelnen:
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen schlossen sich der gesondert verurteilte E. H. und seine Eltern, die gesondert verurteilte C. H. sowie der Angeklagte, spätestens im Januar 2017 zusammen, um gemeinsam mit Betäubungsmitteln Handel zu treiben und sich dadurch eine fortlaufende Einnahmequelle von erheblichem Gewicht zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts zu verschaffen. Bei der Umsetzung ihres Vorhabens gingen sie arbeitsteilig vor. E. H. fungierte als Kopf der Bande. Er koordinierte die einzelnen Geschäfte und war insbesondere für die Bestellung der Betäubungsmittel sowie die Preisabsprachen mit den Lieferanten und Abnehmern zuständig. C. und K. H. gaben nur ausnahmsweise Bestellungen auf. Ihre Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, Betäubungsmittel nach den Anweisungen ihres Sohnes herzustellen und die Geschäfte vor Ort in dem Wohnhaus der Familie abzuwickeln.
In der Zeit von Januar bis Juli 2017 kam es in 20 Fällen zu Ein- bzw. Verkäufen von verschiedenen Betäubungsmitteln, bei denen der jeweilige Grenzwert der nicht geringen Menge - in den meisten Fällen deutlich - überschritten wurde (Fälle II. 2, 3, 4, 5, 6, 8, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe). Am 17. Juli 2017 bevorrateten der Angeklagte sowie E. und C. H. in ihrem Wohnhaus schließlich größere Mengen von unterschiedlichen Betäubungsmitteln als gemeinsamen Handelsbestand, zu dessen Absicherung sie diverse Gegenstände bereithielten, unter anderem einen Alu-Baseballschläger, eine Gaspistole und einen Elektroschocker (Fall II. 25 der Urteilsgründe).
2. Die Urteilsgründe tragen die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 2, 3, 4, 5, 6, 8, 11, 12, 14 und 25, nicht jedoch in den Fällen II. 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe.
a) Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte sowie E. und C. H. sich zu einer Bande zusammengeschlossen hatten, um mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel zu treiben (§ 30a Abs. 1 BtMG). Auch die Annahme des Landgerichts, dass im Fall II. 25 der Urteilsgründe die Voraussetzungen des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) erfüllt sind, wird von den Feststellungen getragen. Schließlich lässt sich in Bezug auf die Fälle II. 2, 3, 4, 5, 6, 8, 11, 12, 14 und 25 zumindest dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hinreichend entnehmen, dass sich der Angeklagte an den betreffenden Taten als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) beteiligte.
Der Schuldspruch bedarf insoweit lediglich in zweifacher Hinsicht einer Änderung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO. Der Senat ergänzt den Schuldspruch in den Fällen II. 2, 3, 4, 5, 6, 8, 11, 12 und 14 der Urteilsgründe klarstellend dahin, dass der Angeklagte jeweils des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln „in nicht geringer Menge“ schuldig ist. Im Fall II. 25 der Urteilsgründe ändert er den Schuldspruch wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. März 2019 - 3 StR 458/18, juris Rn. 8).
§ 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer hätte verteidigen können. Die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe bleibt angesichts des unveränderten Unrechtsund Schuldgehalts der Tat von der Änderung des Schuldspruchs unberührt.
b) In den Fällen II. 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe belegen die Feststellungen eine Tatbeteiligung des Angeklagten demgegenüber nicht. Dazu gilt:
Aus einer Bande heraus begangene Straftaten können dem einzelnen Bandenmitglied nicht allein aufgrund der von ihm getroffenen Bandenabrede als eigene zugerechnet werden. Vielmehr ist hinsichtlich jeder Tat nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen, inwieweit sich das betreffende Mitglied daran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe beteiligte oder ob es insoweit keinen strafbaren Tatbeitrag leistete (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03, NStZ-RR 2003, 265, 267; vom 20. September 2016 - 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252 Rn. 18).
In den Fällen II. 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe lässt sich weder den Feststellungen noch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen, dass der Angeklagte überhaupt einen konkreten Tatbeitrag leistete. Die Feststellungen erschöpfen sich insoweit im Wesentlichen darin, dass E. H. Betäubungsmittel „für den gemeinsamen Handelsbestand“ bestellte bzw. erwarb. Dies allein trägt nicht die Annahme, dass der Angeklagte an den Taten beteiligt war. Hinweise darauf ergeben sich auch nicht aus den Ausführungen zur Beweiswürdigung.
Insoweit bedarf die Sache deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Es ist nicht auszuschließen, dass ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung des Angeklagten auch in den Fällen II. 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe tragen.
Die Aufhebung des Urteils in diesen Fällen zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO), weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
3. Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes der Taterträge hat ebenfalls schon aufgrund der Aufhebung des Urteils in den Fällen II. 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe keinen Bestand. Sie begegnet im Übrigen unabhängig davon durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Strafkammer hat ihre auf §§ 73c, 73d Abs. 1 StGB gestützte Entscheidung lediglich damit begründet, dass sie „die im Tenor genannte Summe“ von 114.975 € gemäß § 73d Abs. 2 StGB „geschätzt“ habe und dabei „zu Gunsten des Angeklagten“ von einer „von seiten der Staatsanwaltschaft in den Raum gestellten, eine eigene Schätzung der Kammer unterschreitenden niedrigeren Summe ausgegangen“ sei. Diese Begründung genügt - worauf bereits der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat - den rechtlichen Darlegungsanforderungen nicht. Dazu gilt:
Bei der Schätzung darf das Tatgericht nicht willkürlich vorgehen und muss jedenfalls über eine sichere Schätzungsgrundlage verfügen, die im Urteil darzulegen ist. Das bedeutet, den Urteilsgründen müssen die Schätzungsgrundlagen nachvollziehbar zu entnehmen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2007 - 2 StR 598/06, BeckRS 2007, 7184; BeckOK StGB/Heuchemer, § 73d Rn. 4 mwN).
Ausführungen zu den danach erforderlichen Schätzungsgrundlagen fehlen hier. Sie lassen sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht nachvollziehbar entnehmen.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 367
Bearbeiter: Christian Becker