HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 365
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 26/19, Beschluss v. 23.01.2020, HRRS 2020 Nr. 365
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 13. August 2018
soweit es den Angeklagten E. H. betrifft,
im Schuldspruch dahin geändert, dass er des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 20 Fällen und des bewaffneten Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist,
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über die Einziehung des Wertes des Erlangten,
soweit es die Angeklagte C. H. betrifft,
im Schuldspruch dahin geändert, dass sie des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen (Fälle II. 2, 4, 8, 11, 12 und 14 der Urteilsgründe) und des bewaffneten Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 25 der Urteilsgründe) schuldig ist,
aufgehoben
mit den jeweils zugehörigen Feststellungen
in den Fällen II. 3, 5, 6, 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe,
im Ausspruch über die Einziehung des Wertes des Erlangten,
im Ausspruch über die Gesamtstrafe; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten E. H. wegen „bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln“ in acht Fällen unter Einbeziehung einer früher gegen ihn verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und wegen „bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln“ in 13 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit „bewaffnetem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln“, zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Angeklagte C. H. hat es wegen „bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln“ in 21 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit „bewaffnetem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln“, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Außerdem hat es gegen beide Angeklagten die Einziehung von Tatmitteln und des Wertes des Erlangten in Höhe von 114.975 € angeordnet. Die auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben jeweils mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verfahrensrügen dringen aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch. Die auf die Sachrügen gebotene umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben, soweit der Angeklagte E. H. insgesamt und die Angeklagte C. H. in den Fällen II. 2, 4, 8, 11, 12, 14 und 25 der Urteilsgründe verurteilt worden sind; insoweit führen die Revisionen lediglich zu einer Änderung des jeweiligen Schuldspruchs. Die Verurteilung der Angeklagten C. H. in den Fällen II. 3, 5, 6, 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe hat demgegenüber ebenso wenig Bestand wie die Entscheidung über die Einziehung des Wertes der Taterträge. Im Einzelnen:
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen schlossen sich der Angeklagte E. H. und seine Eltern, die Angeklagte C. H. sowie der gesondert verurteilte K. H., spätestens im Januar 2017 zusammen, um gemeinsam mit Betäubungsmitteln Handel zu treiben und sich dadurch eine fortlaufende Einnahmequelle von erheblichem Gewicht zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts zu verschaffen. Bei der Umsetzung ihres Vorhabens gingen sie arbeitsteilig vor. E. H. fungierte als Kopf der Bande. Er koordinierte die einzelnen Geschäfte und war insbesondere für die Bestellung der Betäubungsmittel sowie die Preisabsprachen mit den Lieferanten und Abnehmern zuständig. C. und K. H. gaben nur ausnahmsweise Bestellungen auf. Ihre Aufgabe bestand im Wesentlichen darin, Betäubungsmittel nach den Anweisungen ihres Sohnes herzustellen und die Geschäfte vor Ort in dem Wohnhaus der Familie abzuwickeln.
In der Zeit von Januar bis Juli 2017 kam es in 20 Fällen zu Ein- bzw. Verkäufen von verschiedenen Betäubungsmitteln, bei denen der jeweilige Grenzwert der nicht geringen Menge - in den meisten Fällen deutlich - überschritten wurde (Fälle II. 2, 3, 4, 5, 6, 8, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe). Am 17. Juli 2017 bevorrateten die Angeklagten und K. H. in ihrem Wohnhaus schließlich größere Mengen von unterschiedlichen Betäubungsmitteln als gemeinsamen Handelsbestand, zu dessen Absicherung sie diverse Gegenstände bereithielten, unter anderem einen Alu-Baseballschläger, eine Gaspistole und einen Elektroschocker (Fall II. 25 der Urteilsgründe).
2. Die Urteilsgründe tragen die Verurteilung des Angeklagten E. H. in allen Fällen und diejenige der Angeklagten C. H. in den Fällen II. 2, 4, 8, 11, 12, 14 und 25, nicht dagegen in den Fällen II. 3, 5, 6, 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe.
a) Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Angeklagten und K. H. sich zu einer Bande zusammengeschlossen hatten, um mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel zu treiben (§ 30a Abs. 1 BtMG). Auch die Annahme des Landgerichts, dass im Fall II. 25 der Urteilsgründe die Voraussetzungen des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) erfüllt sind, wird von den Feststellungen getragen. Schließlich lässt sich im Hinblick auf den Angeklagten E. H. in allen Fällen und in Bezug auf die Angeklagte C. H. hinsichtlich der Fälle II. 2, 4, 8, 11, 12, 14 und 25 zumindest dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hinreichend entnehmen, dass sie sich an den betreffenden Taten als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) beteiligten.
Insoweit bedarf der jeweilige Schuldspruch lediglich in zweifacher Hinsicht einer Änderung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO. Der Senat ergänzt den Schuldspruch gegen den Angeklagten E. H. in den Fällen II. 2, 3, 4, 5, 6, 8, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe und den Schuldspruch gegen C. H. in den Fällen II. 2, 4, 8, 11, 12 und 14 der Urteilsgründe klarstellend dahin, dass die Angeklagten jeweils des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln „in nicht geringer Menge“ schuldig sind. Im Fall II. 25 der Urteilsgründe ändert er die Schuldsprüche wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. März 2019 - 3 StR 458/18, juris Rn. 8).
§ 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich die Angeklagten nicht wirksamer hätten verteidigen können. Die in diesem Fall verhängten Einzelstrafen bleiben angesichts des unveränderten Unrechtsund Schuldgehalts der Tat von der Änderung des jeweiligen Schuldspruchs unberührt.
b) In den Fällen II. 3, 5, 6, 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe belegen die Feststellungen eine Tatbeteiligung der Angeklagten C. H. jedoch nicht. Dazu gilt:
Aus einer Bande heraus begangene Straftaten können dem einzelnen Bandenmitglied nicht allein aufgrund der von ihm getroffenen Bandenabrede als eigene zugerechnet werden. Vielmehr ist hinsichtlich jeder Tat nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen, inwieweit sich das betreffende Mitglied daran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe beteiligte oder ob es insoweit keinen strafbaren Tatbeitrag leistete (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03, NStZ-RR 2003, 265, 267; vom 20. September 2016 - 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252 Rn. 18).
In den Fällen II. 3, 5, 6, 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe lässt sich weder den Feststellungen noch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen, dass die Angeklagte C. H. überhaupt einen konkreten Tatbeitrag leistete. Die Feststellungen erschöpfen sich insoweit im Wesentlichen darin, dass E. H. Betäubungsmittel „für den gemeinsamen Handelsbestand“ bestellte bzw. erwarb. Dies allein trägt nicht die Annahme, dass C. H. an den Taten beteiligt war. Hinweise darauf ergeben sich auch nicht aus den Ausführungen zur Beweiswürdigung.
Insoweit bedarf die Sache deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Es ist nicht auszuschließen, dass ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung der Angeklagten C. H. auch in den Fällen II. 3, 5, 6, 10, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23 und 24 der Urteilsgründe tragen.
Die Aufhebung des Urteils in diesen Fällen zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die gegen die Angeklagte C. H. verhängte Gesamtstrafe nach sich. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO), weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
3. Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes der Taterträge begegnet in Bezug auf beide Angeklagten durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Strafkammer hat ihre auf §§ 73c, 73d Abs. 1 StGB gestützte Entscheidung lediglich damit begründet, dass sie „die im Tenor genannte Summe“ von 114.975 € gemäß § 73d Abs. 2 StGB „geschätzt“ habe und dabei „zu Gunsten des Angeklagten“ von einer „von seiten der Staatsanwaltschaft in den Raum gestellten, eine eigene Schätzung der Kammer unterschreitenden niedrigeren Summe ausgegangen“ sei. Diese Begründung genügt - worauf bereits der Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften zutreffend hingewiesen hat - den rechtlichen Darlegungsanforderungen nicht. Dazu gilt:
Bei der Schätzung darf das Tatgericht nicht willkürlich vorgehen und muss jedenfalls über eine sichere Schätzungsgrundlage verfügen, die im Urteil darzulegen ist. Das bedeutet, den Urteilsgründen müssen die Schätzungsgrundlagen nachvollziehbar zu entnehmen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2007 - 2 StR 598/06, BeckRS 2007, 7184; BeckOK StGB/Heuchemer, § 73d Rn. 4 mwN).
Ausführungen zu den danach erforderlichen Schätzungsgrundlagen fehlen hier. Sie lassen sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht nachvollziehbar entnehmen.
Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung ist darauf hinzuweisen, dass eine gesamtschuldnerische Haftung in den Urteilstenor aufzunehmen ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. Juni 2018 - 4 StR 63/18, juris Rn. 16 mwN). Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird Gelegenheit haben, nähere Feststellungen dazu zu treffen, inwieweit der Angeklagte E. H. die faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt über die Taterträge erlangte.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 365
Bearbeiter: Christian Becker