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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 117

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 192/18, Beschluss v. 30.11.2023, HRRS 2024 Nr. 117


BGH 3 StR 192/18 - Beschluss vom 30. November 2023 (LG Oldenburg)

Entscheidung nach Vorlage an das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG (BVerfGE 156, 354 = HRRS 2021 Nr. 280); selbständige Einziehung des Wertes von Taterträgen (Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Anwendung); Verstöße gegen das SchwarzArbG (Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung; verdeckten Rechtsgeschäfte); Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV (europarechtlicher Arbeitnehmerbegriff).

Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG; Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 316h Satz 1 EGStGB; § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB; § 76b Abs. 1 Satz 1 StGB; § 78 Abs. 1 Satz 2 StGB; § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG; Art. 267 AEUV

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 10. Februar 2021 (2 BvL 8/19, BVerfGE 156, 354 = HRRS 2021 Nr. 280) entschieden, dass Art. 316h Satz 1 EGStGB mit den im Rechtsstaatsprinzip und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist.

2. Nach § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 AÜG sind die entscheidenden Kriterien zur Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von der Arbeitsvermittlung, dass der Verleiher über die rein formale Arbeitgeberstellung hinaus die üblichen Arbeitgeberpflichten und das Arbeitgeberrisiko übernimmt.

3. Daran fehlt es namentlich, wenn in der gelebten Rechtswirklichkeit ein Arbeitsverhältnis zum Einsatzunternehmen vorliegt, für das der Überlassende die Arbeitgeberrolle nach außen übernimmt, um diesem Unternehmen zu ermöglichen, seine arbeits- und sozialrechtlichen Pflichten als Arbeitgeber zu umgehen. Hierfür ist erforderlich, dass die Beziehung des Arbeitnehmers zum Überlassenden tatsächlich so inhaltslos ist, dass dieser selbst die begrenzte Steuerungsfunktion nicht mehr erfüllt, die einem Verleiher als Arbeitgeber mindestens zukommt.

4. Soweit keine Arbeitnehmerüberlassung inmitten steht, kommt es auf die - ggf. im Rahmen einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zu stellende - Frage nicht an, ob die Einziehung des gesamten erlangten (Brutto-)Betrages eine verhältnismäßige Maßnahme zur Erreichung der von der Entsenderichtlinie 96/71/EG und der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG verfolgten Ziele darstellt.

5. Die Kompensation im Wege des Vollstreckungsmodells ist in § 199 Abs. 3 Satz 1 GVG ausschließlich für immaterielle Schäden des Beschuldigten vorgesehen. Über entsprechende Wiedergutmachungsansprüche anderer Verfahrensbeteiligter (§ 198 Abs. 6 Nr. 2, § 199 Abs. 4 GVG) haben die Strafgerichte nicht zu befinden.

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen der Einziehungsbeteiligten gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 17. Oktober 2017 werden verworfen.

2. Jede Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten D. und Di. von den Vorwürfen der Beschäftigung von Ausländern ohne Genehmigung in größerem Umfang aus grobem Eigennutz in sechs Fällen (D.) bzw. der Beihilfe hierzu (Di.) freigesprochen. Ferner hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen gegen die Einziehungsbeteiligte zu 1 in Höhe von 10.598.676,48 € und gegen die Einziehungsbeteiligte zu 2 in Höhe von 72.091,47 € selbständig angeordnet.

Die Freisprüche sind rechtskräftig, nachdem der Senat mit Urteil vom 7. März 2019 (NStZ 2020, 170) die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft verworfen hat. Gegen die Einziehungsaussprüche wenden sich die Einziehungsbeteiligten mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Auch diese Rechtsmittel sind unbegründet.

I. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen und Wertungen leitete der vormals Angeklagte D. im Tatzeitraum vom 25. Februar 2008 bis zum 31. Juli 2010 die Einziehungsbeteiligte zu 1, ein fleischverarbeitendes Unternehmen; er war einziger Geschäftsführer der Komplementärin dieser Kommanditgesellschaft. Der vormals Angeklagte Di. hatte die alleinige Geschäftsführung der Einziehungsbeteiligten zu 2, eines Personaldienstleistungsunternehmens, inne.

Die Einziehungsbeteiligte zu 1 beschäftigte im Tatzeitraum 933 bulgarische Arbeiter ohne die erforderlichen Genehmigungen der Bundesagentur für Arbeit. Damals war die dem deutschen Recht unterliegende nichtselbständige Erwerbstätigkeit von bulgarischen Staatangehörigen als neuen Bürgern der Europäischen Union noch genehmigungsbedürftig (§ 284 Abs. 1 SGB III in der Fassung vom 7. Dezember 2006).

Um die abhängige Beschäftigung zu verschleiern, waren die zwei vormals Angeklagten übereingekommen, die Arbeiter formal im Rahmen von Werkverträgen in dem Betrieb der Einziehungsbeteiligten zu 1 einzusetzen. In einem von beiden geschlossenen Rahmenwerkvertrag vom 1. Februar 2008 verpflichtete sich die Einziehungsbeteiligte zu 2 gegenüber der Einziehungsbeteiligten zu 1, in eigener Regie bestimmte Arbeiten laut beigefügten Werkbeschreibungen durchzuführen. Wie von vorneherein beabsichtigt, vereinbarte daraufhin Di. für die Einziehungsbeteiligte zu 2 sukzessive gleichlautende Werkverträge mit in Bulgarien ansässigen (vorgeblichen) Subunternehmen, wonach diese damit beauftragt wurden, eigenverantwortlich die nach dem Rahmenwerkvertrag von der Einziehungsbeteiligten zu 2 geschuldeten Leistungen zu erbringen. Ab Anfang Dezember 2009 schloss D. für die Einziehungsbeteiligte zu 1 inhaltsgleiche Werkverträge - ohne Einbindung der Einziehungsbeteiligten zu 2 - unmittelbar mit den bulgarischen Unternehmen. In sämtlichen Werkverträgen war ausdrücklich geregelt, dass die jeweilige Auftraggeberin (eine der beiden Einziehungsbeteiligten) kein Weisungsrecht gegenüber den Arbeitnehmern des Subunternehmens habe, die Arbeitnehmer nicht in ihre Betriebsorganisation eingegliedert würden und der Werklohn nach festen Vergütungssätzen auf der Grundlage von Gewichtsmengen zu zahlen sei.

Die Werkverträge wurden jedoch tatsächlich nicht vollzogen. Die Leistungen der insgesamt vier bulgarischen Vertragspartner beschränkten sich vielmehr im Wesentlichen darauf, in Bulgarien über Anwerbebüros Arbeitswillige zu akquirieren, mit ihnen Arbeitsverträge zu schließen und sie der Einziehungsbeteiligten zu 1 zur Verfügung zu stellen. Diese setzte die bulgarischen Arbeiter an zwei Betriebsstätten wie eigene Arbeitnehmer und Leiharbeitnehmer ein. Sie waren vollständig in den Betrieb integriert und unterlagen dem Weisungsrecht der Einziehungsbeteiligten zu 1 in sachlicher und zeitlicher Hinsicht. Entgegen der Vertragslage zahlte diese keine Verrechnungspreise nach Gewichtsmengen, sondern vergütete die Arbeitsstunden. All dies war den vormals Angeklagten bekannt.

Die 933 von der Einziehungsbeteiligten zu 1 ohne Genehmigung beschäftigten bulgarischen Arbeiter leisteten im Tatzeitraum von ihr vergütete 833.223,04 Arbeitsstunden. Ihr gegenüber rechnete die Einziehungsbeteiligte zu 2 (soweit sie eingebunden war) den Einsatz der vermittelten Arbeiter mit einem Zuschlag von insgesamt 72.091,47 € auf die Eingangsrechnungen der bulgarischen Unternehmen ab.

II. Das Landgericht hat die - mittlerweile rechtskräftigen - Freisprüche der vormals Angeklagten sowie die gleichwohl gegen die Einziehungsbeteiligten getroffenen Einziehungsentscheidungen wie folgt begründet:

1. Zwar habe sich D. wegen Beschäftigung von Ausländern ohne Genehmigung in größerem Umfang in vier Fällen nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG, § 14 Abs. 1, § 53 StGB strafbar gemacht, Di. wegen Beihilfe hierzu gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG, § 27 Abs. 1, § 53 StGB. Mittlerweile sei jedoch insoweit Verfolgungsverjährung eingetreten (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB); denn die Taten seien gemäß § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB mit Ablauf der doppelten der gesetzlichen Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB) seit Tatbeendigung (§ 78a Satz 1 StGB), somit spätestens nach dem 31. Juli 2016, absolut verjährt. Der noch verfolgbare Qualifikationstatbestand des § 11 Abs. 2 SchwarzArbG sei hingegen nicht erfüllt, weil nicht habe festgestellt werden können, dass die vormals Angeklagten aus grobem Eigennutz gehandelt hätten.

2. Wenngleich die Straftaten selbst verjährt seien, sei gemäß dem durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) seit dem 1. Juli 2017 geänderten Recht die selbständige Anordnung der (Wertersatz-)Einziehung von Erträgen aus diesen Taten gemäß § 76a Abs. 2 Satz 1, § 78 Abs. 1 Satz 2 StGB sowie § 76b Abs. 1 Satz 1 StGB zulässig. Nach Art. 316h Satz 1 EGStGB sei das neue Recht auch auf Taten anwendbar, die vor dem Inkrafttreten begangen worden seien.

Die Einziehungsbeträge entsprächen dem Wert dessen, was die Einziehungsbeteiligten durch die Straftaten der Angeklagten erlangt hätten (§ 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB). Hinsichtlich der Einziehungsbeteiligten zu 1 errechne sich der Wert der insgesamt 833.223,04 Arbeitsstunden auf 10.598.676,48 €, indem ein Verrechnungssatz für Leiharbeitnehmer von 12 € pro Stunde angesetzt werde (§ 73d Abs. 2 StGB); abzugsfähige Aufwendungen lägen nicht vor (§ 73d Abs. 1 StGB).

III. Der Senat hat in dieser Sache mit Beschluss vom 7. März 2019 (BGHR EGStGB Art. 316h Satz 1 Verjährung 1 = NJW 2019, 1891) nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG das Verfahren ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Anwendung der nunmehr geltenden Vorschriften zur selbständigen Tatertragseinziehung eingeholt. Er war davon überzeugt, dass Art. 316h Satz 1 EGStGB mit den im Rechtsstaatsprinzip und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unvereinbar ist, soweit die Vorschrift § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 2 StGB sowie § 76b Abs. 1 StGB jeweils in der Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 in Fällen für anwendbar erklärt, in denen hinsichtlich der rechtswidrigen Taten, aus denen der von der selbständigen Einziehung Betroffene etwas erlangt hat, bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Juli 2017 Verfolgungsverjährung (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB) eingetreten war.

IV. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 10. Februar 2021 (2 BvL 8/19, BVerfGE 156, 354) entschieden, dass Art. 316h Satz 1 EGStGB mit den im Rechtsstaatsprinzip und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist. Da der Tatertragseinziehung nach dem neuen Recht der Vermögensabschöpfung kein Strafcharakter zukomme, sei die Vorschrift nicht an Art. 103 Abs. 2 GG, sondern allein an dem allgemeinen Rückwirkungsverbot zu messen. Nach den dazu geltenden Maßstäben liege zwar eine grundsätzlich unzulässige Rückbewirkung von Rechtsfolgen (echte Rückwirkung) vor. Auch unterfalle die Anwendung des neuen Vermögensabschöpfungsrechts auf bereits vor seinem Inkrafttreten verjährte Taten keiner der bisher formulierten Fallgruppen, für die eine echte Rückwirkung als zulässig anerkannt sei. Sie sei jedoch durch überragende Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt.

B.

Die Revisionen der Einziehungsbeteiligten bleiben ohne Erfolg.

I. Die Aussprüche über die selbständige Einziehung des Wertes von Taterträgen halten sachlichrechtlicher Nachprüfung stand. Die Voraussetzungen des § 76a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 73 Abs. 1, § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 73c Satz 1 StGB liegen nach den auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen vor.

1. Gegen die rechtliche Würdigung des Landgerichts, der vormals Angeklagte D. habe die vier verjährten Erwerbstaten der Beschäftigung von Ausländern ohne Genehmigung in größerem Umfang gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG, § 14 Abs. 1 StGB begangen und der vormals Angeklagte Di. habe hierzu Beihilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) geleistet, ist nichts zu erinnern.

a) Die Urteilsfeststellungen tragen die von der Strafkammer angenommenen strafbewehrten Verstöße gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz.

Nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG in der hier einschlägigen ersten Variante macht sich strafbar, wer mehr als fünf Ausländer entgegen § 284 Abs. 1 SGB III beschäftigt. Das damit vorausgesetzte Beschäftigungsverhältnis ist nach Maßgabe des in § 7 SGB IV niedergelegten und über § 1 Abs. 1 SGB IV auch für die Vorschrift des § 284 SGB III geltenden sozialrechtlichen Beschäftigungsbegriffs zu bestimmen (vgl. MüKoStGB/Mosbacher, 4. Aufl., § 10 SchwarzArbG Rn. 10). Täter kann dabei - unbeschadet der strafrechtlichen Organ- und Vertreterhaftung gemäß § 14 StGB - nur der Beschäftigungsgeber, mithin regelmäßig der Arbeitgeber, sein (zum Arbeitgeberbegriff im Sinne des Sozialversicherungsrechts vgl. Parigger/Helm/Stevens-Bartol/Lorenz, Arbeits- und Sozialstrafrecht, § 10 SchwarzArbG Rn. 7 sowie - jeweils zu § 266a StGB - BGH, Beschlüsse vom 4. September 2013 - 1 StR 94/13, BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 4 Rn. 10 f.; vom 7. Dezember 2016 - 1 StR 185/16, NStZ 2017, 354, 355; MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl., § 266a Rn. 12 ff.).

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die bulgarischen Arbeiter in diesem Sinne abhängig beschäftigt waren. Abweichend von der formalen Vertragslage war indes Arbeitgeber nicht das jeweilige bulgarische Unternehmen, sondern die Einziehungsbeteiligte zu 1, ohne dass Genehmigungen der Bundesagentur für Arbeit vorlagen, die nach der - im Tatzeitraum geltenden - Fassung des § 284 Abs. 1 SGB III vom 7. Dezember 2006 für diese inländischen Beschäftigungsverhältnisse erforderlich waren. Die Arbeiter waren weder im Rahmen von Werkverträgen noch aufgrund von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen in den beiden Betriebsstätten der Einziehungsbeteiligten zu 1 tätig. Im Einzelnen:

aa) Wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat, erbrachten die in Bulgarien ansässigen Unternehmen keine werkvertraglichen Leistungen durch Entsendung dort beschäftigter Arbeiter. Die Einziehungsbeteiligten hatten die Werkverträge mit den Unternehmen ebenso wie den Rahmenwerkvertrag miteinander nur zum Schein geschlossen (§ 117 Abs. 1 BGB). Entsprechend dem übereinstimmenden Willen aller an den Vertragsschlüssen Beteiligten (dazu BGH, Urteil vom 26. Mai 2000 - V ZR 399/99, BGHZ 144, 331, 332; MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl., § 117 Rn. 11) waren die bulgarischen Arbeiter vollständig in den Betrieb der Einziehungsbeteiligten zu 1 integriert und unterstanden ihrem Weisungsrecht; sie entrichtete nicht die vertraglich vorgesehenen Werklöhne durch Zahlung der vereinbarten Verrechnungspreise nach Gewichtsmengen, sondern vergütete die Arbeitsstunden. Tatsächlich schuldeten die bulgarischen Vertragspartner keine eigenverantwortliche Planung, Ausführung und Ãœberwachung von Werkleistungen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2007 - 1 StR 160/07, BGHSt 52, 67 Rn. 22; Beschluss vom 27. September 2011 - 1 StR 399/11, NStZ-RR 2012, 13; BAG, Urteil vom 20. September 2016 - 9 AZR 735/15, NZA 2017, 49 Rn. 29 f.).

bb) Anders als die Einziehungsbeteiligte zu 1 mit ihrem Rechtsmittel geltend macht, überließen die bulgarischen Unternehmen ihr nicht von ihnen beschäftigte Arbeitnehmer. Bei den verdeckten Rechtsgeschäften (§ 117 Abs. 2 BGB) handelte es sich nicht um Arbeitnehmerüberlassungs-, sondern um Arbeitsvermittlungsverträge.

(1) Eine Überlassung zur Arbeitsleistung im Sinne des § 1 Abs. 1 AÜG liegt vor, wenn ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer vorübergehend einem Dritten zur Verfügung stellt, diese in den Betrieb des Entleihers eingegliedert sind und ihre Arbeit nach dessen Weisungen sowie in dessen Interesse ausführen (s. BAG, Urteile vom 5. Juli 2022 - 9 AZR 323/21, NJW 2022, 3802 Rn. 17; vom 27. September 2022 - 9 AZR 468/21, NZA 2023, 105 Rn. 31; BeckOK ArbR/Kock, 69. Ed., § 1 AÜG Rn. 21 mwN). Die Arbeitnehmerüberlassung ist durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (den Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Entleiher und Arbeitnehmer gekennzeichnet (s. BAG, Urteile vom 3. Dezember 1997 - 7 AZR 764/96, BAGE 87, 186, 188 f.; vom 6. August 2003 - 7 AZR 180/03, juris Rn. 37). Der Verleiher verpflichtet sich im Rahmen des Überlassungsvertrages, dem Entleiher für konkret benannte Tätigkeiten geeignete, qualifizierte und leistungsbereite Leiharbeitnehmer zur Arbeitsleistung für einen bestimmten Zeitraum zu verschaffen (vgl. BAG, Urteil vom 5. Juli 2022 - 9 AZR 323/21, aaO; BeckOK ArbR/Kock aaO, Rn. 49). Demgegenüber umfasst eine - die Arbeitnehmerüberlassung schon begrifflich ausschließende (s. Schüren/Hamann/Hamann, AÜG, 6. Aufl., § 1 Rn. 420; Ulber/Ulber, AÜG, 6. Aufl., Einl. D. Rn. 10a) - Arbeitsvermittlung alle Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, Arbeitsuchende mit Arbeitgebern zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses zusammenzuführen (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Alternative 2 SGB III).

Nach § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 AÃœG sind die entscheidenden Kriterien zur Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von der Arbeitsvermittlung, dass der Verleiher über die rein formale Arbeitgeberstellung hinaus die üblichen Arbeitgeberpflichten und das Arbeitgeberrisiko übernimmt (vgl. BeckOK ArbR/Kock, 69. Ed., § 1 AÃœG Rn. 186; Schüren/Hamann/Hamann, AÃœG, 6. Aufl., § 1 Rn. 425; Ulber/Ulber, AÃœG, 6. Aufl., Einl. D. Rn. 6, 44, 46). Daran fehlt es namentlich, wenn in der gelebten Rechtswirklichkeit ein Arbeitsverhältnis zum Einsatzunternehmen vorliegt, für das der Ãœberlassende die Arbeitgeberrolle nach außen übernimmt, um diesem Unternehmen zu ermöglichen, seine arbeits- und sozialrechtlichen Pflichten als Arbeitgeber zu umgehen. Hierfür ist erforderlich, dass die Beziehung des Arbeitnehmers zum Ãœberlassenden tatsächlich so inhaltslos ist, dass dieser selbst die begrenzte Steuerungsfunktion nicht mehr erfüllt, die einem Verleiher als Arbeitgeber mindestens zukommt (zur Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen vgl. ErfK/Roloff, 23. Aufl., § 1 AÃœG Rn. 83; Ulber/Ulber aaO, § 1 Rn. 50 ff.; außerdem BAG, Urteil vom 8. November 2022 - AZR 486/21, NZA 2023, 505 Rn. 54). So liegt es, wenn der vermeintliche Entleiher nicht nur die Arbeitsleistung steuert, sondern darüber hinaus den bestimmenden Einfluss auf den Bestand und die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses hat (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2016 - 1 StR 185/16, NStZ 2017, 354, 355; Brors/Schüren, BB 2004, 2745, 2747; MüHdB ArbR/Schüren, Bd. II, 5. Aufl., § 144 Rn. 34; Schüren/Hamann/Schüren, AÃœG, 6. Aufl., § 1 Rn. 502; zudem Schüren, WiVerw 2001, 173, 177; Schüren/Hamann/Diepenbrock, AÃœG, 6. Aufl., Einl. Rn. 852, 855; Wabnitz/Janovsky/Schmitt/Riediger/Schilling, WirtschaftsStrafRHdB, 5. Aufl., 20. Kap., Rn. 137; ferner - zum Nichtbestehen eines fehlerhaften Arbeitsverhältnisses mit dem Ãœberlassenden - Schüren/Hamann/Schüren aaO, § 1 Rn. 532 f. mwN). Zu den dem Leiharbeitsunternehmen obliegenden Aufgaben zählen namentlich die Einstellung und Entlassung sowie die Gewährung von Urlaub (vgl. Schüren/Hamann/Hamann aaO, § 1 Rn. 142; Schüren/Hamann/Schüren aaO, § 1 Rn. 502).

Über die rechtliche Einordnung eines Vertrages entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht eine Bezeichnung, die diesem tatsächlich nicht entspricht, oder die von den Vertragsparteien gewünschte Rechtsfolge. Der Geschäftsinhalt kann sich sowohl aus den ausdrücklichen Vereinbarungen als auch aus der praktischen Ausführung des Vertrages ergeben. Widersprechen sich beide, so ist die tatsächliche Durchführung des Vertrages maßgebend. Der so ermittelte wirkliche Wille der Vertragsparteien bestimmt den Geschäftsinhalt und damit den Vertragstyp (s. BAG, Urteile vom 30. Januar 1991 - 7 AZR 497/89, BAGE 67, 124, 135 f.; vom 6. August 2003 - 7 AZR 180/03, juris Rn. 39; vom 27. September 2022 - 9 AZR 468/21, NZA 2023, 105 Rn. 34).

(2) Gemessen an diesen Maßstäben waren die verdeckten Rechtsgeschäfte auf Arbeitsvermittlung, nicht auf Arbeitnehmerüberlassung gerichtet. Die Einziehungsbeteiligte zu 1 selbst traf insoweit keine Rechtswahl, weil sie in Bezug auf die bulgarischen Unternehmen nominell weder Arbeitsvermittlungs- noch Arbeitnehmerüberlassungsverträge schloss. Nach dem tatsächlich vollzogenen Vertragswerk erfüllten diese Unternehmen nicht Arbeitgeberfunktionen, die einen Verleiher im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes kennzeichnen; insbesondere übernahmen sie auch nicht die gegenüber den Arbeitern bestehenden Arbeitgeberpflichten oder das Arbeitgeberrisiko:

(a) Bei den bulgarischen Unternehmen verblieben nach dem jeweiligen Abschluss des Arbeitsvertrages keine bedeutsamen Arbeitgeberfunktionen, weil die Steuerung der Beschäftigungsverhältnisse durch die Einziehungsbeteiligte zu 1 weit über das hinausging, was der Arbeitnehmerüberlassung eigen ist, nämlich (nur) die Eingliederung der Arbeitnehmer in den Betrieb des Entleihers und dessen Weisungsrecht im Hinblick auf die Arbeitsleistung.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen waren die tatsächlichen Geschäftsverhältnisse der bulgarischen Unternehmen zu den Arbeitern im Wesentlichen darauf beschränkt, dass die Unternehmen dieses von der Einziehungsbeteiligten zu 1 benötigte Personal in Bulgarien „über Anwerbebüros gleichsam direkt von der Straße“ rekrutierten, sogleich als Arbeitsverträge bezeichnete Vereinbarungen mit den Angeworbenen trafen und den Transport zu den Betriebsstätten der Einziehungsbeteiligten zu 1 sowie die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften in Betriebsnähe organisierten (UA S. 11 f.). Für die Fahrt mussten die Arbeiter zumindest teilweise einen Betrag von 100 € an die Unternehmen entrichten, der ihnen in Deutschland zurückerstattet wurde (UA S. 37 f.). Sie verfügten regelmäßig über keine Erfahrungen in der fleischverarbeitenden Industrie. Die Einziehungsbeteiligte zu 1 informierte sie erstmals über den Inhalt der zu leistenden Arbeit sowie das Verhalten im Krankheits- oder Unglücksfall (UA S. 12 f.) und erteilte ihnen eine Hygieneschulung (UA S. 14). Die bulgarischen Unternehmen blieben „arbeitsrechtlich im Wesentlichen untätig“ (UA S. 26), wohingegen die Einziehungsbeteiligte zu 1 unter anderem über die Urlaubsplanung sowie die -genehmigung entschied und sich mit disziplinarischen Maßnahmen bis hin zur Entlassung befasste (UA S. 15 f., 27 f., 35 f., 50).

(b) Die üblichen Arbeitgeberpflichten des Verleihers umfassen zudem die rechtzeitige Auszahlung von Löhnen, Vorschüssen, Aufwendungsersatz und Spesen sowie die Übernahme der damit verbundenen Melde-, Anzeige- und Auskunftspflichten (s. ErfK/Roloff, 23. Aufl., § 3 AÜG Rn. 7; Schüren/Hamann/Schüren, AÜG, 6. Aufl., § 3 Rn. 126 ff.). Ferner trifft ihn die Verpflichtung zur Zahlung der angemessenen und fairen Vergütung gemäß § 8 Abs. 1 AÜG (Gleichstellungsgrundsatz).

Nach den Urteilsfeststellungen fehlte es bei den bulgarischen Unternehmen bereits an einer zur Erfüllung der vorgenannten Pflichten erforderlichen, für die betreffenden Arbeiter zuständigen Personalverwaltung (dazu ErfK/Roloff, 23. Aufl., § 3 AÜG Rn. 7) oder einem sonstigen verantwortlichen Ansprechpartner, an den sich diese hätten wenden können (UA S. 13 f., 32 f., 36). Die Entlohnung der Arbeiter vollzog sich nur formal über die vorgeblichen Werkunternehmer; die Zahlungsvorgänge folgten dem die wahren Beschäftigungsverhältnisse verschleiernden verschrifteten Vertragswerk. Zwar kehrten die bulgarischen Unternehmen die Löhne aus; jedoch geschah dies nach den Vorgaben der Einziehungsbeteiligten zu 1, die monatlich die an die Arbeiter im Einzelnen zu entrichtenden Beträge auf der Grundlage der von ihr erfassten Arbeitsstunden mitteilte. Die Unternehmen leiteten das so vorgegebene Arbeitsentgelt aus einer ihnen zu diesem Zweck überwiesenen Gesamtsumme weiter (UA S. 15 ff.). Danach fungierten sie lediglich als Zahlstelle, ohne dass sie das Risiko der Lohnzahlung oder etwaiger Lohnfortzahlung zu tragen hatten.

(c) Zum typischen Risiko des entleihenden Arbeitgebers gehört außerdem, den verliehenen Arbeitnehmer über die Zeit der erstmaligen Überlassung hinaus zu beschäftigen (s. BT-Drucks. VI/2303 S. 12; BSG, Urteil vom 21. Juli 1988 - 7 RAr 60/86, NZA 1989, 74, 75; Ignor/Mosbacher/Paetzold, Handbuch Arbeitsstrafrecht, 3. Aufl., § 3 Rn. 54; Ulber/Ulber, AÜG, 6. Aufl., Einl. D. Rn. 10b mwN). Sollen der Einsatz beim Entleiher und das Arbeitsverhältnis zum Verleiher in zeitlicher Hinsicht deckungsgleich sein, liegen faktisch alle Verfügungsrechte über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers beim Entleiher. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass sich die Tätigkeit des Verleihers im Nachweis einer Arbeitsgelegenheit für den Leiharbeitnehmer sowie in der Übernahme der Lohnkosten erschöpft (vgl. BSG, aaO; ferner Ulber/Ulber aaO, § 1 Rn. 100 ff.).

Den landgerichtlichen Feststellungen zufolge war nach den zwischen den bulgarischen Unternehmen und den Arbeitern geschlossenen Verträgen eine über den Ersteinsatz hinausgehende Tätigkeit nicht vorgesehen. Zudem waren die Arbeiter vielfach der Papierform nach unmittelbar aufeinanderfolgend bei verschiedenen bulgarischen Vertragspartnern der Einziehungsbeteiligten tätig, obwohl sie fortwährend unter gleichbleibenden Bedingungen bei der Einziehungsbeteiligten zu 1 eingesetzt waren; mit Ausnahme der Bezeichnung des formalen Arbeitgebers änderte sich für sie nichts. Dieser Wechsel führte gerade nicht zu einer anderweitigen Verwendung der Arbeitskräfte durch die abgelösten Unternehmen. Soweit die Einziehungsbeteiligte zu 1 mit ihrem Rechtsmittel geltend macht, es lägen in sämtlichen Fällen Betriebsübergänge vor, handelt es sich um urteilsfremdes Vorbringen; nach den getroffenen Feststellungen unterhielt sie teilweise gleichzeitig Vertragsbeziehungen zu den ausgetauschten Unternehmen (UA S. 13, 38 f.).

Ob eine Synchronisation der Dauer des Leiharbeitsverhältnisses mit der Laufzeit des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages für sich gesehen geeignet ist, eine Arbeitnehmerüberlassung auszuschließen, kann dahinstehen. Denn die Annahme einer Arbeitsvermittlung beruht hier nicht allein auf diesem Gesichtspunkt, sondern der gebotenen Gesamtwürdigung aller vorgenannten Umstände.

(3) Die dargelegte rechtliche Beurteilung widerspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der eine gemäß § 1 Abs. 2 AÜG vermutete Arbeitsvermittlung für sich genommen nicht zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem (formalen) Entleiher führt (s. BAG, Urteile vom 28. Juni 2000 - 7 AZR 100/99, BAGE 95, 165; vom 15. Mai 2013 - 7 AZR 494/11, NZA 2013, 1267 Rn. 22). Ein solches besteht jedenfalls dann, wenn es - wie hier - insgesamt rechtsmissbräuchlich umgangen werden sollte (vgl. BAG, Urteil vom 15. Mai 2013 - 7 AZR 494/11, aaO, Rn. 33; Hamann, jurisPRArbR 39/2013 Anm. 2 B.).

(4) Da das Landgericht somit für die Annahme von Beschäftigungsverhältnissen der bulgarischen Arbeiter mit der Einziehungsbeteiligten zu 1 zutreffend nicht die - auf der fehlenden Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung beruhende - Fiktion des § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG herangezogen hat, ist die mit ihrer Revision aufgeworfene Vorlagefrage nicht entscheidungserheblich, ob diese Vorschriften als Eingriffsnormen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom IVO) auszulegen sind (zu diesem Problemkreis vgl. nunmehr BAG, Urteil vom 26. April 2022 - 9 AZR 228/21, NZA 2022, 1257). Ebenso wenig kommt es darauf an, ob für den Fall einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung nach dem für § 11 SchwarzArbG maßgeblichen Sozialversicherungsrecht - anders als nach dem Arbeitsrecht - die Beschäftigungsverhältnisse mit der Einziehungsbeteiligten zu 1 unabhängig von dieser gesetzlichen Fiktion allein durch die Eingliederung der Arbeiter begründet worden wären (so BSG, Urteil vom 18. März 1987 - 9b RU 16/85, BSGE 61, 209, 211 f.; jurisPK-SGB IV/Werner, 4. Aufl., § 28e Rn. 74; Schüren/Hamann/Diepenbrock, AÜG, 6. Aufl., Einl. Rn. 809).

cc) Die weiteren von der Einziehungsbeteiligten zu 1 in der Revisionsinstanz zur Arbeitnehmerüberlassung formulierten europarechtlichen Fragen erweisen sich als nicht klärungsbedürftig, so dass auch insoweit eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (Art. 267 AEUV) nicht veranlasst ist.

Die Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (sog. Entsenderichtlinie) sowie die Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (sog. Leiharbeitsrichtlinie) stehen der Annahme von Beschäftigungsverhältnissen zwischen den Einziehungsbeteiligten zu 1 und den bulgarischen Arbeitern nicht entgegen, weil ihr Anwendungsbereich nicht eröffnet ist.

(1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist wesentliches Merkmal einer Arbeitnehmerüberlassung, dass der verliehene Arbeitnehmer im Dienst des Leiharbeitsunternehmens verbleibt; nach Art. 1 Abs. 3 Buchst. c der Entsenderichtlinie 96/71/EG muss zwischen beiden für die Dauer der Entsendung in den anderen Mitgliedstaat ein Arbeitsverhältnis bestehen (s. EuGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - C-307/09 u.a., juris Rn. 43 f. - Vicoplus; ferner EuGH, Urteil vom 17. Dezember 1981 - C-279/80, Slg. 1981, 3305 Rn. 9 - Webb). Dementsprechend erfassen beide Richtlinien nicht die Arbeitsvermittlung (Personalvermittlung). Auch unionsrechtlich liegt diese, nicht Arbeitnehmerüberlassung (Leiharbeit) vor, wenn zum als Verleiher in Betracht kommenden Unternehmen kein solches Arbeitsverhältnis besteht (s. Franzen/Gallner/Oetker/Kolbe, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 5. Aufl., Art. 3 RL 2008/104/EG Rn. 12).

(2) Dass die in Bulgarien rekrutierten Arbeiter keine Arbeitnehmer der dort ansässigen Unternehmen waren, ergibt sich bereits aus dem europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff.

(a) Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG enthält eine begriffliche Bestimmung des Arbeitnehmers. Diesem Begriff unterfällt, wer in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Arbeitnehmerbegriff trotz Maßgeblichkeit des nationalen Rechts durch den Unionsgesetzgeber insoweit geprägt, als zwar die Ausgestaltung des konkreten zwischen Verleiher und Arbeitnehmer bestehenden Rechtsverhältnisses nach nationalem Recht zu bestimmen ist, die Konturen des sachlichen Schutzbereichs aber durch den Richtliniengeber selbst vorgegeben worden sind (s. EuGH, Urteil vom 17. November 2016 - C-216/15, NZA 2017, 41 Rn. 32 - Ruhrlandklinik). Ein wesentliches Merkmal eines solchen Arbeitsverhältnisses besteht hiernach darin, dass unabhängig von der nationalrechtlichen Ausgestaltung eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (s. EuGH, Urteile vom 3. Juli 1986 - Rs 66/85, NVwZ 1987, 41 - Lawrie-Blum; vom 11. November 2010 - C-232/09, EuZW 2011, 74 Rn. 39 - Danosa). Diese vom Gerichtshof zunächst für andere Bereiche des Arbeitsrechts entwickelte Begriffsbestimmung ist auch für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung maßgeblich (s. EuGH, Urteil vom 17. November 2016 - C-216/15, aaO, Rn. 35 ff. - Ruhrlandklinik; zum unionsrechtlichen Verständnis der Begriffe „Beschäftigung“ und „Arbeitgeber“ im Sinne des § 284 SGB III vgl. BeckOGK SGB III/Bieback, Stand: 1. Dezember 2015, § 284 Rn. 35).

(b) Nach den dargelegten Maßstäben sind die Voraussetzungen der Arbeitnehmereigenschaft im Verhältnis zwischen den bulgarischen Unternehmen und Arbeitern nicht erfüllt, so dass es auf die nähere, bulgarischem Recht unterliegende Ausgestaltung etwaiger Vertragsbeziehungen nicht ankommt. Nach den Urteilsfeststellungen hatten die Unternehmen zwar ihrerseits mit den Arbeitern, die sie anwarben und - für einen Betrag von 100 € - zur Einziehungsbeteiligten zu 1 verbrachten, als Arbeitsverträge bezeichnete Vereinbarungen getroffen; entgegen dem Vertragswortlaut sollten die Arbeiter nach den tatsächlich praktizierten Abläufen aber nicht ihre Arbeitnehmer sein. Wie dargelegt, erfüllten die Unternehmen weder im Hinblick auf die Beschäftigungsverhältnisse eine auch nur begrenzte Steuerungsfunktion, noch übernahmen sie nach dem tatsächlich Gewollten - als bloße Zahlstelle - die insoweit konstitutive Pflicht zur Zahlung einer Vergütung für geleistete Arbeit (vgl. EuGH, Urteil vom 11. November 2010 - C-232/09, EuZW 2011, 74 Rn. 39 - Danosa; Ignor/Mosbacher/Paetzold, Handbuch Arbeitsstrafrecht, 3. Aufl., § 3 Rn. 4; zur unionsrechtlichen Abgrenzung der Personalvermittlung von der Leiharbeit Franzen/Gallner/Oetker/Kolbe, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 5. Aufl., Art. 3 RL 2008/104/EG Rn. 12 mwN). Der Annahme der Arbeitnehmereigenschaft steht die formale vertragliche Gestaltung nicht entgegen, wenn sie - wie hier - nur fiktiv ist und dazu dient, ein Arbeitsverhältnis zu verschleiern (s. EuGH, Urteile vom 13. Januar 2004 - C-256/01, NZA 2004, 201 Rn. 71 - Allonby; vom 11. November 2010 - C-232/09, EuZW 2011, 74 Rn. 41 - Danosa; zur offensichtlich rechtsmissbräuchlichen Berufung auf EU-Recht vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2023 - 3 StR 306/22, juris Rn. 58 mwN).

(c) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die für die Beurteilung der Begriffe der Leiharbeit und des Arbeitnehmers entscheidungserheblichen Rechtsfragen damit bereits geklärt (acte eclairé). Auch die Ausführungen der Revision der Einziehungsbeteiligten zu 1, nach denen eine solche Auslegung zu einer Schlechterstellung der betroffenen, einem anderen Mitgliedstaat angehörenden (natürlichen und juristischen) Personen führe, geben dem Senat keine Veranlassung, den Gerichtshof um nochmalige Entscheidung zu ersuchen. Das die Arbeitnehmerüberlassung ausschließende Fehlen von Arbeitsverhältnissen zwischen den bulgarischen Unternehmen und Arbeitern erweist sich weder als eine außergewöhnliche Härte noch als eine Verletzung ihrer Grundfreiheiten, sondern steht gerade in Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben.

b) Infolgedessen kann dahinstehen, ob die Annahme der verjährten Erwerbstaten als Voraussetzungen der selbständigen Tatertragseinziehung hier überhaupt der revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegt. Dies könnte zu verneinen sein, wenn, wie der Vertreter der Bundesanwaltschaft in der Revisionshauptverhandlung geltend gemacht hat, die den Prüfungsumfang im Hinblick auf den Schuldspruch einschränkenden Regelungen des § 431 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StPO einer analogen Anwendung in der Fallkonstellation zugänglich wäre, in der das Tatgericht den Täter oder Teilnehmer der Erwerbstat nur wegen Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht verurteilt, indes die Strafbarkeit im Rahmen des ihn betreffenden einstellenden oder - wie hier - freisprechenden Erkenntnisses dargetan hat.

Einer solchen Analogie dürfte zwar nicht entgegenstehen, dass die Staatsanwaltschaft in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO die selbständige Anordnung der Wertersatzeinziehung von Taterträgen gegen die Einziehungsbeteiligten im objektiven Verfahren beantragt hat und § 435 Abs. 3 Satz 2 StPO, der für diese Prozessform die entsprechende Anwendung von Vorschriften über das Verfahren bei Einziehung und Vermögensbeschlagnahme (§§ 421 ff. StPO) bestimmt, § 431 StPO gerade ausnimmt. Denn die selbständige Tatertragseinziehung hat unabhängig von dem gestellten Antrag der tatrichterlichen Kognitionspflicht im subjektiven Verfahren unterlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2023 - GSSt 1/23, juris), so dass er gleichsam ins Leere gegangen ist.

Gleichwohl neigt der Senat mit Blick auf die Eindeutigkeit der gesetzlichen Regelungen nicht zu der vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsansicht, braucht über die Rechtsfrage allerdings nicht abschließend zu entscheiden.

2. Die aufgrund der verjährten Erwerbstaten selbständig angeordnete Wertersatzeinziehung von Taterträgen hat das Landgericht zutreffend auf die gemäß der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (s. BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19, BVerfGE 156, 354) rückwirkend anwendbaren §§ 73 ff. StGB (nF) gestützt. Die gegen die Einziehungsbeteiligten getroffenen Anordnungen entsprechen diesen Vorschriften nicht nur dem Grunde, sondern auch der Höhe nach (s. BGH, Beschluss vom 7. März 2019 - 3 StR 192/18, wistra 2019, 323 Rn. 23 ff.). Hinsichtlich des Umfangs der Einziehung ist eine von der Einziehungsbeteiligten zu 1 beantragte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ebenfalls nicht veranlasst. Da keine Arbeitnehmerüberlassung inmitten steht, kommt es auf die Frage nicht an, ob die Einziehung des gesamten erlangten (Brutto-)Betrages eine verhältnismäßige Maßnahme zur Erreichung der von der Entsenderichtlinie 96/71/EG und der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG verfolgten Ziele darstellt.

II. Obgleich die Dauer des Revisionsverfahrens als unangemessen lang zu beurteilen ist, ist es dem Senat verwehrt, dafür eine Kompensation zu gewähren.

Das Rechtsmittelverfahren ist nach Eingang der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts am 5. März 2021 unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK um etwa zwei Jahre verzögert worden. Bei hinreichender Prozessförderung hätte die Revisionshauptverhandlung anstatt am 17. Oktober 2023 bereits im Herbst 2021 stattgefunden. Gleichwohl besteht hier - entgegen dem von der Einziehungsbeteiligten zu 1 schriftsätzlich geäußerten Begehr - keine Befugnis, diese Verzögerung zu kompensieren.

Mit den am 3. Dezember 2011 in Kraft getretenen §§ 198 ff. GVG (BGBl. I S. 2302) hat der Gesetzgeber den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren geregelt. Für das Strafverfahren hat er dabei ergänzende spezielle Vorschriften geschaffen (§§ 199, 200 Satz 3, § 201 Abs. 3 Satz 2 GVG). Er hat bewusst die - vom Bundesgerichtshof entwickelte (grundlegend BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124) - Vollstreckungslösung in die Neuregelungen einbezogen und sie dadurch ausdrücklich gebilligt. Hat ein Strafgericht eine solche Kompensationsentscheidung getroffen, indem es die unangemessen lange Verfahrensdauer festgestellt oder einen Vollstreckungsabschlag vorgenommen hat, so hat es damit im Hinblick auf immaterielle Schäden sein Bewenden; denn dies ist gemäß § 199 Abs. 3 Satz 1 GVG als „ausreichende Wiedergutmachung auf andere Weise“ im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG anzusehen (s. BT-Drucks. 17/3802 S. 19 f., 24; BGH, Beschluss vom 28. Mai 2020 - 3 StR 99/19, StV 2020, 838 Rn. 39; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 790).

Die Kompensation im Wege des Vollstreckungsmodells ist in § 199 Abs. 3 Satz 1 GVG allerdings ausschließlich für immaterielle Schäden des Beschuldigten vorgesehen. Ãœber entsprechende Wiedergutmachungsansprüche anderer Verfahrensbeteiligter (§ 198 Abs. 6 Nr. 2, § 199 Abs. 4 GVG) haben die Strafgerichte nicht zu befinden (s. BT-Drucks. 17/3802 S. 25; BeckOK GVG/Graf, 21. Ed., § 199 Rn. 27; KK-StPO/Barthe, 9. Aufl., § 199 GVG Rn. 4; MüKoStPO/Kreicker, § 199 GVG Rn. 17). Wie sich aus dem Umkehrschluss zu § 199 Abs. 1 GVG ergibt, gelten insoweit uneingeschränkt die allgemeinen Regelungen des § 198 GVG. Sie schließen die Notwendigkeit ein, eine Verzögerungsrüge sowie nachfolgend eine Klage zum - ausschließlich zuständigen (§ 201 Abs. 1 Satz 3 GVG) - Entschädigungsgericht zu erheben. Die anderen Verfahrensbeteiligten trifft eine solche Rügeobliegenheit, damit sie möglichst im Zusammenwirken mit dem Gericht noch das laufende Verfahren selbst beschleunigen und einen Abschluss in insgesamt angemessener Zeit erreichen (s. BT-Drucks. 17/3802 S. 16, 20 [„Ausschluss der Möglichkeit zum ‚Dulde und Liquidiere‘“]; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 793; für den Angeklagten vgl. dagegen BGH, Beschluss vom 28. Mai 2020 - 3 StR 99/19, StV 2020, 838 Rn. 34 ff.).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 117

Bearbeiter: Fabian Afshar