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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 12

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 410/17, Beschluss v. 02.11.2017, HRRS 2018 Nr. 12


BGH 3 StR 410/17 - Beschluss vom 2. November 2017 (LG Trier)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Schuldunfähigkeit; Beruhen der Anlasstat; unzutreffende Vorstellungen von der Wirklichkeit; Auswirkungen auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit; umfassende Darstellung der für die Gefährlichkeitsprognose wesentlichen Gesichtspunkte); selbständiges Einziehungsverfahren.

§ 63 StGB; § 76a StGB; § 435 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind.

2. Unzutreffende Vorstellungen von der Wirklichkeit aufgrund von kognitiven Einschränkungen führen nicht für sich genommen schon zur Annahme aufgehobener Einsichtsfähigkeit. Vielmehr ist in solchen Fällen nachvollziehbar zu begründen, warum der Angeklagte zweifelsfrei nicht in der Lage gewesen sein sollte, das Unrecht seiner Tat zu erkennen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 16. Mai 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bei ihm sichergestellte Waffen und Munition eingezogen. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, auf die Verfahrensbeanstandung kommt es danach nicht mehr an.

I. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der im Tatzeitraum 89 bzw. 90 Jahre alte Beschuldigte nach dem Tod seiner Ehefrau - aus der Ehe gingen drei in den Jahren 1959 bis 1963 geborene Kinder hervor - mit der etwa acht Jahre jüngeren Nebenklägerin seit Mitte der 1980er Jahre eine harmonische Beziehung. Mit ihrem Sohn aus erster Ehe verstand er sich ebenfalls gut und erwarb mit ihm gemeinsam ein Grundstück, das sie sich teilten. Ab dem Jahr 2014 änderte sich das Verhalten des Beschuldigten, der sowohl gegenüber seiner Lebensgefährtin, deren Sohn, aber auch gegenüber seinen leiblichen Kindern zunehmend misstrauisch wurde. Es zeigten sich zudem Anzeichen einer Demenzerkrankung, so dass er sich im März 2015 bei einem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vorstellte, der eine leichte kognitive Störung sowie eine im Vordergrund stehende paranoide Störung diagnostizierte und den zudem auf einen Rollator angewiesenen Beschuldigten medikamentös behandelte. Im täglichen Zusammenleben mit seiner Lebensgefährtin kam es gleichwohl zunehmend zu Unstimmigkeiten, die in heftige Streitigkeiten ausarteten. Der Beschuldigte mutmaßte - zu Unrecht -, sie habe sich einem anderen Mann zugewandt; außerdem verfestigte sich bei ihm die - gleichfalls unzutreffende - Überzeugung, er sei bei dem gemeinsamen Grundstücksgeschäft mit dem Sohn seiner Lebensgefährtin übervorteilt worden. Aus diesem Grund versteckte er unter anderem Notarverträge in dieser Angelegenheit vor der Nebenklägerin, vergaß aber in der Folgezeit den Ablageort und beschuldigte anschließend seine Lebensgefährtin, sie habe ihm die Dokumente gestohlen.

Auf der Grundlage dieser Vorgeschichte hat die Strafkammer die folgenden Taten festgestellt:

Bereits im Mai 2015 kam es zu einem Streit, in dessen Verlauf die Nebenklägerin ins Schlafzimmer lief; der Beschuldigte folgte ihr, warf sie aufs Bett, drückte ihr für ein paar Sekunden den Hals zu und verlangte von ihr, dass sie das gemeinsam bewohnte Haus verlassen solle. Da sie sich wehrte, ließ er von ihr ab; sie verließ ihn wegen der langjährigen Lebenspartnerschaft nicht (Fall 1).

Im Oktober 2016 glaubte der Beschuldigte, seine Lebensgefährtin habe ihn bestohlen. In der Küche des Hauses umfasste er von hinten ihren Hals und drohte, ihr ein Messer in den Bauch zu stechen, so dass sie „verrecke“. Anschließend zog er sie zur Haustür und schubste sie mit den Worten: „Das ist hier mein Haus, hier kommst Du nicht mehr rein.“ aus dem Haus. Die Nebenklägerin kehrte gleichwohl nach einiger Zeit zurück und legte sich unbehelligt in ihr Bett. Auch jetzt wollte sie den Beschuldigten nicht verlassen und hoffte auf Besserung infolge der ärztlichen Behandlung (Fall 2).

Am Abend des 4. November 2016 kam es indes zu einem erneuten Streit. Der Beschuldigte warf seiner Lebensgefährtin, die ihm die verordneten Medikamente bereitgestellt hatte, vor, sie wolle ihn vergiften. Die Nebenklägerin wollte sich dem „Geschrei“ entziehen und begab sich ins Schlafzimmer. Der Beschuldigte folgte ihr, drückte sie gegen einen Schrank und würgte sie mit beiden Händen am Hals. Sodann zog er aus seiner Hosentasche eine geladene Pistole, drückte ihr den Lauf schmerzhaft gegen den Kopf und drohte, sie zu erschießen. Kurzzeitig ließ er jedoch von ihr ab, so dass sie auf die Straße fliehen konnte. Er folgte ihr, forderte sie auf, stehen zu bleiben und drohte erneut, sie zu erschießen. Sodann schoss der Beschuldigte mindestens zweimal gezielt mit Tötungsabsicht auf seine fliehende Lebensgefährtin, verfehlte sie indes, so dass sie erfolgreich in die Dunkelheit flüchten konnte (Fall 3). Anschließend suchte er weiter nach ihr und vermutete sie im Haus eines Nachbarn, bei dem gerade eine Hochzeitsfeier stattfand. Als man ihm dort den Zutritt verwehrte, zog er erneut die Pistole und zielte auf den Kopf des Nachbarn, bis er sich schließlich überzeugen ließ, dass die Nebenklägerin sich dort nicht aufhielt, er die Waffe wieder einsteckte und nach Hause ging (Fall 4); auf dem Weg dorthin versteckte er die Pistole in einem Gebüsch, wo sie nach seiner Festnahme gefunden wurde. Bei der anschließenden Durchsuchung seines Hauses wurden weitere Schusswaffen und Munition sichergestellt; der Beschuldigte verfügte nicht über die erforderliche waffenrechtliche Erlaubnis für den Besitz daran.

Das Landgericht ist - sachverständig beraten - zu der Annahme gelangt, bei dem Beschuldigten sei zu den jeweiligen Tatzeitpunkten aufgrund einer leichtgradigen Demenz und akuten Realitätsverkennungen die Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen.

II. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. August 2017 - 3 StR 181/17, juris Rn. 6 mwN).

2. Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.

Bereits die Voraussetzungen einer aufgrund aufgehobener Einsichtsfähigkeit ausgeschlossenen Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Beschuldigten bei Begehung der Anlasstaten sind nicht in nachvollziehbarer Weise dargestellt und belegt.

Das Landgericht hat insoweit die Ausführungen des Sachverständigen referiert, dass die bei dem Beschuldigten diagnostizierte leichtgradige Demenz dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung zuzuordnen sei, aufgrund der nicht sehr stark ausgeprägten kognitiven Störungen damit allein jedoch keine aufgehobene Einsichtsfähigkeit begründet werden könne; zu den jeweiligen Tatzeitpunkten hätten jedoch zusätzlich jeweils aktuelle Realitätsverkennungen vorgelegen, so dass „im Ergebnis von einer aufgehobenen Einsichtsfähigkeit auszugehen sei“. Dem hat sich die Strafkammer angeschlossen und ausgeführt, in den Fällen 1 und 2 sei der Beschuldigte fälschlicherweise davon ausgegangen, dass seine Lebensgefährtin ihn betrüge und finanziell ausnutze. Im Fall 3 habe er angenommen, sie wolle ihn vergiften und hätte ihm wichtige notarielle Urkunden entwendet - letzteres ergibt sich allerdings nicht aus den Feststellungen zu diesem Fall. Tatsächlich habe sie keine Unterlagen an sich genommen und nur gewollt, dass er seine Medikamente nahm. Die „kaum nachvollziehbare Bedeutung“, die der Beschuldigte der gesuchten Urkunde beigemessen habe, zeige, dass es ihm aufgrund seiner eingeschränkten Hirnleistungsfähigkeit nicht möglich sei, „vernünftige Einsichten zu bilden“, weshalb das Landgericht „die Voraussetzungen für die Anwendung des § 20 StGB bejaht“ hat.

Dies genügt nicht. Dass der Beschuldigte aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen eine unzutreffende Vorstellung von der Wirklichkeit gehabt haben mag, führt nicht für sich genommen schon zur Annahme aufgehobener Einsichtsfähigkeit, insbesondere fehlt eine nachvollziehbare Begründung dafür, warum der Beschuldigte zweifelsfrei nicht in der Lage gewesen sein sollte, das Unrecht seiner Tat zu erkennen; es geht weder aus den wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen noch aus den Schlussfolgerungen der Strafkammer hervor, dass und warum er in der konkreten Situation angenommen haben sollte, er habe seine Lebensgefährtin würgen, auf sie schießen oder - im Fall 4, zu dem sich die Urteilsgründe insoweit ebenso wenig verhalten, wie zu der Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bei der Begehung des Dauerdelikts des unerlaubten Waffenbesitzes - seinen Nachbarn mit einer Schusswaffe bedrohen dürfen.

Die Sache bedarf deshalb umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung.

III. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Im Sicherungsverfahren nach § 413 StPO können nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden. Einziehungsentscheidungen kommen bei schuldunfähigen Tätern dagegen allein im selbständigen Einziehungsverfahren in Betracht (§ 435 StPO), wenn die Voraussetzungen des § 76a Abs. 1 Satz 1 StGB vorliegen (vgl. zur früheren Gesetzeslage nach § 76a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB aF BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2017 - 3 StR 121/17, juris Rn. 3; vom 16. März 2016 - 4 StR 39/16, juris Rn. 3; jeweils mwN). Der insoweit gemäß § 435 Abs. 1 StPO im Sinne einer Verfahrensvoraussetzung erforderliche gesonderte Antrag ist bislang nicht gestellt worden, er kann insbesondere nicht darin gesehen werden, dass die Staatsanwaltschaft in der dem Sicherungsverfahren zugrunde liegenden Antragsschrift (§ 414 Abs. 2 Satz 2 StPO) ausgeführt hat, dass „die sichergestellten Asservate der Einziehung unterliegen“ (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2017 - 3 StR 121/17, juris Rn. 4).

2. Die für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB notwendige Prognose, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlassdelikte zu entwickeln. Sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten in Zukunft von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 22. August 2017 - 3 StR 249/17, juris Rn. 9 mwN). Es erscheint zweifelhaft, ob die bisherigen, ausgesprochen knappen Ausführungen des Landgerichts hierzu diesen Anforderungen genügen; insbesondere befasst sich das Urteil insoweit nicht mit der aus den Feststellungen ersichtlichen körperlichen Gebrechlichkeit des Beschuldigten, dem nach dem schriftlichen Sachverständigengutachten daraus resultierenden, „als sehr begrenzt“ anzusehenden konkreten Gefahrenpotential und den von dem Sachverständigen in Erwägung gezogenen alternativen Unterbringungsmöglichkeiten.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 12

Externe Fundstellen: NStZ 2018, 235; StV 2019, 233

Bearbeiter: Christian Becker