HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1003
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 181/17, Beschluss v. 10.08.2017, HRRS 2017 Nr. 1003
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 13. Februar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen (Fall 1 bis Fall 4 der Urteilsgründe) aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die er in allgemeiner Form erhoben hat. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts trat bei dem Beschuldigten etwa ab dem Jahr 2014 eine Wesensveränderung ein. Er warf seiner damaligen Lebensgefährtin grundlos vor, sie würde ihn betrügen. Später entwickelte er Wahnvorstellungen, etwa dergestalt, dass sein Chef ihn abhören würde. Hauptsächlich richteten sich seine wahnhaften Gedanken aber gegen seinen Onkel, den er beschuldigte, pädophil und für das Verschwinden von Mädchen in Trier verantwortlich sowie ein Auftragskiller des Vatikans zu sein. Bei der Äußerung dieser Beschuldigungen in sozialen Medien drohte der Beschuldigte seinem Onkel auch Gewalt an. Sich selbst hielt er jedenfalls im Sommer 2015 für einen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, der die Tochter eines französischen Staatmannes beschützen müsse; er sei zugleich aber auch derjenige, der sie bedrohe.
Am Abend des 24. Juni 2016 wollte der Beschuldigte, der zuvor eine geringe Menge Cannabis konsumiert hatte, seine ehemalige Lebensgefährtin aufsuchen. Als er an dem Haus, in dem sie wohnte, ankam, traf er an der Haustür eine Hausbewohnerin, die ihm vorschlug, wegen der vorgerückten Stunde einen Termin an einem anderen Tag zu vereinbaren, und die Haustür schließen wollte. Der Beschuldigte stieß die Tür auf und drängte sich hindurch, wobei die Bewohnerin gegen die Tür fiel und sich eine Prellung der Schulter zuzog (Fall 1 der Urteilsgründe). Im Anschluss daran stürmte der Beschuldigte die Treppe hoch, klingelte bei seiner ehemaligen Lebensgefährtin und machte lautstark auf sich aufmerksam. Außerdem schlug und trat er gegen die Wohnungstür. Da sie nicht öffnete, agierte er immer heftiger und warf sich schließlich mit voller Kraft gegen die Tür, wodurch die Holzzarge und der Putz um diese herum beschädigt wurden; anschließend fuhr er mit seinem Fahrrad davon (Fall 2 der Urteilsgründe). Am nächsten Tag begab sich der Beschuldigte, nachdem er zuvor eine geringe Menge Cannabis, eine „Line“ Amphetamin und zwei bis drei Flaschen Bier konsumiert hatte, abends zum Haus seines Onkels. Als dieser ihm kurzzeitig den Rücken zuwandte, nahm ihn der Beschuldigte von hinten in den Würgegriff, den er noch verstärkte, als beide zu Boden gefallen waren. Der Zeuge, dem schwarz vor Augen wurde und der kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren, konnte sich erst nach ein bis zwei Minuten mit letztem Kraftaufwand aus dem Würgegriff befreien und von dem Beschuldigten lösen. Dieser trat ihn daraufhin gegen die linke Körperhälfte, bevor er erneut mit dem Fahrrad floh (Fall 3 der Urteilsgründe). In der darauffolgenden Nacht wurde der Beschuldigte von vier Polizisten, die - ohne sich vorher als solche zu erkennen zu geben - seine Wohnungstür gewaltsam geöffnet und Pfefferspray gegen ihn eingesetzt hatten, festgenommen. Er stand im Moment der Türöffnung zwar mit einer Machete in der Hand hinter der Wohnungstür, leistete aber keinerlei Widerstand und ließ sich die Machete wegnehmen (Fall 4 der Urteilsgründe).
Das Landgericht hat - sachverständig beraten - angenommen, in den Fällen 1 und 2 sei die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten, im Fall 3 bereits seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen. Im Fall 4 der Urteilsgründe hat die Strafkammer hingegen keinen Straftatbestand als verwirklicht angesehen.
II. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26. Juli 2016 - 3 StR 211/16, juris Rn. 5 mwN).
2. Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
Bereits die Voraussetzungen einer aufgrund aufgehobener Steuerungs- bzw. Einsichtsfähigkeit ausgeschlossenen Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Beschuldigten bei Begehung der Anlasstaten sind nicht in nachvollziehbarer Weise dargestellt und belegt.
Nach den in der rechtlichen Würdigung wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen leidet der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie; außerdem liege ein Amphetamin- und Cannabismissbrauch vor. Die zur Tatzeit bereits über lange Zeit bestehende, fest verwurzelte und sich durch eine Fülle unterschiedlicher Wahngedanken aufschaukelnde paranoide Psychose sei handlungsleitend gewesen und durch den Amphetaminmissbrauch, der die Reizschwelle zur Begehung aggressiver Handlungen reduziere, ungünstig beeinflusst worden. Vor diesem Hintergrund sei in den Fällen 1 und 2 die Steuerungsfähigkeit und im Fall 3 im Hinblick auf die Wahnvorstellungen betreffend seinen Onkel bereits die Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen.
Hinsichtlich der Fälle 1 und 2 wird nicht konkret auf die Tatsituation bezogen dargelegt, worauf die Annahme aufgehobener Steuerungsfähigkeit beruht; dies war auch nicht mit Blick auf die referierte ungünstige Beeinflussung der Psychose durch Amphetaminmissbrauch entbehrlich, weil der Beschuldigte vor diesen Taten lediglich eine geringe Menge Cannabis konsumiert hatte. Im Fall 3 fehlt ebenfalls eine nachvollziehbare Begründung dafür, warum der Beschuldigte zweifelsfrei nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht seiner Tat zu erkennen; es ist nach den wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen nicht ersichtlich, dass und warum der Beschuldigte, der die Tat geleugnet hat, in der konkreten Situation angenommen haben sollte, er habe seinen Onkel würgen dürfen.
III. Über die Maßregelanordnung muss deshalb umfassend neu verhandelt und entschieden werden. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen werden von dem Rechtsfehler jedoch nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1003
Bearbeiter: Christian Becker