HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 733
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 ARs 21/16, Beschluss v. 07.03.2017, HRRS 2017 Nr. 733
Der Senat stimmt dem im Tenor des Anfragebeschlusses formulierten Rechtssatz unter Aufgabe eigener entgegenstehender Rechtsprechung zu.
1. Der 2. Strafsenat hat über die Revision eines Angeklagten zu entscheiden, der wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt worden ist. Das Landgericht hat sowohl bei der Ablehnung eines minder schweren Falls (§ 213 Alternative 2 StGB) als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne die Tötungsabsicht des Angeklagten zu seinem Nachteil gewertet.
Der 2. Strafsenat beabsichtigt, die Revision des Angeklagten zu verwerfen und zu entscheiden:
„Beim vorsätzlichen Tötungsdelikt kann die Feststellung von Tötungsabsicht zu Lasten des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt werden.“ Hieran sieht sich der 2. Strafsenat gehindert durch Rechtsprechung der anderen Strafsenate, darunter auch Entscheidungen des Senats (tragend: Beschlüsse vom 13. Mai 1981 - 3 StR 126/81, NJW 1981, 2204; vom 15. November 1983 - 3 StR 447/83, Ez StGB § 212 Nr. 7; vom 29. August 1984 - 3 StR 353/84, juris Rn. 2; vom 17. September 1990 - 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4; nichttragend: Urteil vom 25. Oktober 1989 - 3 StR 180/89, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Strafzumessung 1; Beschlüsse vom 5. Oktober 1977 - 3 StR 369/77, juris Rn. 6; vom 8. Februar 1978 - 3 StR 425/77, juris Rn. 3).
2. An der entgegenstehenden Rechtsprechung hält der Senat nicht fest.
a) Im Einzelfall kann die Tötungsabsicht taugliches Kriterium für eine Strafschärfung sein.
aa) Die Frage, ob sich in der Tötungsabsicht ein die Strafhöhe bestimmender gesteigerter Schuldgehalt spiegelt, kann nur einzelfallbezogen beantwortet werden. Es ist weder rechtlich geboten noch sachgerecht, die Strafzumessung - jenseits der gesetzlichen Vorgaben - bis ins Einzelne richterrechtlich „durchzunormieren“.
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die im Einzelfall wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht darf die Würdigung nicht selbst vornehmen, sondern lediglich nachprüfen, ob dem Tatgericht hierbei ein Rechtsfehler unterlaufen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Oktober 2016 - 4 StR 239/16, juris Rn. 56 mwN; Beschluss vom 17. November 2016 - 3 StR 342/15, JR 2017, 245, 248). Zu der dem Tatgericht aufgegebenen, eingeschränkter revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegenden Strafzumessung gehört auch die Entscheidung, welche Bewertungsrichtung es einzelnen Umständen gibt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2016 - 1 StR 414/15, NStZ-RR 2016, 107, 108; Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 350) und inwieweit es ihnen bestimmendes Gewicht beimisst (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2016 - 4 StR 239/16, aaO mwN).
bb) Der Senat teilt die Auffassung des 2. Strafsenats (vgl. Anfragebeschluss vom 1. Juni 2016 - 2 StR 150/15, NStZ 2017, 216, 217 f.), dass das unbedingte Streben nach der Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls geeignet ist, die individuelle Tatschuld zu erhöhen. Nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers, die in den Straftatbeständen des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs zum Ausdruck kommt, haben die drei Vorsatzformen prinzipiell einen unterschiedlichen Schuldgehalt; die Schuldschwere steigert sich im Grundsatz vom dolus eventualis (bedingter Vorsatz) über den dolus directus 2. Grades (direkter Vorsatz in Form der „Wissentlichkeit“) hin zum dolus directus 1. Grades (direkter Vorsatz in Form der Absicht). Die kriminelle Intensität des Täterwillens ist beim dolus directus 1. Grades in der Regel am stärksten ausgeprägt. Ziel des mit Tötungsabsicht Handelnden ist gerade der Tod des anderen Menschen; der Todeserfolg ist nicht nur die für möglich oder sicher gehaltene Nebenfolge der Handlung.
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass das außertatbestandliche Ziel des „nur“ wissentlich Tötenden ebenso verwerflich wie das tatbestandliche Ziel des absichtlich Tötenden sein kann (so aber Senat, Beschluss vom 13. Mai 1981 - 3 StR 126/81, NJW 1981, 2204). Nimmt das Tatgericht einzelfallbezogen eine solche Verwerflichkeit an, so wird es das außertatbestandliche Ziel im Rahmen der Strafzumessung ohne weiteres zum Nachteil des wissentlich Tötenden werten; dadurch stünde dieser, könnte die Tötungsabsicht nicht strafschärfend berücksichtigt werden, sogar schlechter als der absichtlich Tötende.
cc) Dass der (isolierte) Hinweis auf die Tötungsabsicht im Einzelfall zur Beschreibung höherer Tatschuld zu kurz greifen kann, beseitigt nicht ihre grundsätzliche Tauglichkeit als Strafzumessungskriterium. Vielmehr folgt hieraus nur, dass auch Fallkonstellationen vorstellbar sind, in denen eine strafschärfende Berücksichtigung nicht mehr vertretbar wäre.
b) Die Wertung der Tötungsabsicht zum Nachteil des Angeklagten verletzt nicht das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB.
Nach Auffassung des Senats stellt jedenfalls die Tötungsabsicht nicht den „normativen Regelfall“ eines vorsätzlichen Tötungsdelikts dar (ebenso BGH, Beschluss vom 28. Juni 2012 - 2 StR 61/12, NStZ 2012, 689). Ungeachtet dessen, inwieweit ein solcher „normativer Regelfall“ als Voraussetzung für eine - analoge - Anwendung des § 46 Abs. 3 StGB anzuerkennen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 350 f.; vom 22. November 1994 - GSSt 2/94, BGHSt 40, 360, 368; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 618; LK/Theune, StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 61 ff. mwN), lässt sich aus dem dolus directus 1. Grades regelmäßig auf eine besondere, untypische kriminelle Intensität des Täterwillens schließen (s. auch SSW-StGB/Eschelbach, 3. Aufl., § 46 Rn. 93 aE: „gesteigerte kriminelle Energie“).
Ob die strafschärfende Berücksichtigung des dolus directus 2. Grades unter dem Gesichtspunkt des „normativen Regelfalls“ das Doppelverwertungsverbot gemäß § 46 Abs. 3 StGB verletzt, braucht der Senat vorliegend nicht zu entscheiden.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 733
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 237
Bearbeiter: Christian Becker