HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 724
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 451/16, Beschluss v. 04.04.2017, HRRS 2017 Nr. 724
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 28. April 2016
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist;
im Strafausspruch aufgehoben; jedoch werden die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in vier tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den getroffenen Feststellungen kamen der Angeklagte und der Mitangeklagte St. nach einer vorangegangenen körperlichen Auseinandersetzung, bei der sie unterlegen waren, gemeinsam mit dem danach zu ihnen gestoßenen Zeugen V. überein, ihre Wut abzureagieren und als „Kampfgemeinschaft“ die nächste Person, die sich ihnen in den Weg stellen werde, körperlich zu misshandeln. Zu diesem Zweck bewaffnete sich der Angeklagte mit einer Eisenstange. Mit dieser schlug er gerade gegen eine Straßenlaterne, als der Nebenkläger F. auf ihn zukam. Unvermittelt schlug der Angeklagte diesem mit der Eisenstange so wuchtig auf den Kopf, dass er bewusstlos zusammenbrach. Ein herbeigeeilter Zeuge drängte den Angeklagten vom Opfer weg und konnte ihn so in einen Klammergriff nehmen, dass dieser die Eisenstange fallen ließ und sich nicht mehr an dem weiteren Geschehen beteiligen konnte. Währenddessen wirkten St. und V. mit Schlägen und Tritten auf den am Boden liegenden Nebenkläger und schließlich auch auf die hinzukommenden Zeugen K. P. und S. ein, die dem Nebenkläger helfen wollten. St. bedrohte im weiteren Verlauf den Zeugen S. mit einem Klappmesser, von dem der Angeklagte nichts wusste, und fügte damit dem Zeugen B., den er in einen Würgegriff nahm und zu Boden brachte, bei dem Gerangel eine Schnittwunde am Zeigefinger der rechten Hand zu.
Durch den potentiell lebensgefährlichen Schlag mit der Eisenstange erlitt der Nebenkläger eine Schädelprellung und eine Hautabschürfung oberhalb der Stirn; die ebenfalls potentiell lebensgefährlichen Fußtritte mit beschuhten Füßen gegen den Kopf des bewusstlosen Nebenklägers führten unter anderem zu einem Bruch seines linken Unterkiefers. Die Zeugen K. P. und S. erlitten Schmerzen infolge der Tritte und Schläge; der Zeuge S. ging nach einem Schlag in das Gesicht zu Boden und verletzte sich dabei den Ellenbogen.
Das Landgericht hat dieses Geschehen als gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung in vier tateinheitlichen Fällen nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB gewertet und dem Angeklagten alle Verletzungshandlungen seiner Begleiter - mit Ausnahme der durch den Einsatz des Messers verursachten - gemäß § 25 Abs. 2 StGB mit der Erwägung zugerechnet, dass ihm das weitere Mitwirken nach dem Schlag mit der Eisenstange allein durch das Einschreiten des Zeugen Ka. P. unmöglich gemacht wurde.
2. a) Soweit der Angeklagte mit der Eisenstange und seine Begleiter mit Tritten und Schlägen auf den Nebenkläger F. einwirkten, hat das Landgericht das Geschehen zutreffend als gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5, § 25 Abs. 2 StGB) bewertet.
b) Die Zurechnung der von St. und V. verursachten Verletzungen der Zeugen K. P., S. und B. hält jedoch rechtlicher Prüfung nicht stand; insoweit ist die Annahme der Mittäterschaft des Angeklagten und auch diejenige gemeinschaftlicher Begehungsweise im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB rechtsfehlerhaft.
aa) Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB setzt einen gemeinsamen Tatentschluss voraus, auf dessen Grundlage jeder Mittäter einen objektiven Tatbeitrag leisten muss. Bei der Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, hat der Tatrichter aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291 mwN; vom 17. Oktober 2002 - 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254; Beschluss vom 2. Juli 2008 - 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25, 26).
bb) Nach diesen Maßstäben begegnet die Annahme mittäterschaftlicher Beteiligung des Angeklagten an den Verletzungshandlungen zum Nachteil der Zeugen K. P., S. und B. durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Diese Handlungen waren weder von dem mit dem Angeklagten gefassten gemeinsamen Tatplan umfasst, noch leistete der Angeklagte vor oder während der Tatausführung einen objektiven Beitrag, der in (mit-)bestimmender Weise auf dieses Geschehen Einfluss nahm. Er wurde nach den Urteilsfeststellungen schon vor dem Eintritt der Zeugen in das Geschehen abgedrängt und so fixiert, dass er dessen weiteren Verlauf nicht mehr beeinflussen konnte; irgendeine Interaktion des abgedrängten Angeklagten mit seinen Begleitern während der folgenden Tätlichkeiten hat das Landgericht nicht festgestellt. Allein der bloße Wille des Angeklagten, seinen Freunden im weiteren Kampfgeschehen beizustehen, den er infolge des Klammergriffs des Zeugen Ka. P. nicht umsetzen konnte, kann seine Mittäterschaft nicht begründen. Die getroffenen Feststellungen tragen auch die Annahme einer bloßen Förderung im Sinne des § 27 StGB nicht, die grundsätzlich für eine gemeinschaftliche Begehung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ausreichen könnte (S/S/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 224 Rn. 11a mwN).
c) Da auszuschließen ist, dass ein neuer Tatrichter weitere Feststellungen treffen könnte, aus denen sich eine Beteiligung des Angeklagten an den Taten zum Nachteil der Zeugen K. P., S. und B. ergeben würde, ändert der Senat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ab.
3. Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben. Da das Landgericht den Angriff gegen mehrere höchstpersönliche Rechtsgüter und die Verletzung von vier Personen strafschärfend gewertet hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass es bei zutreffender Würdigung auf eine geringere Strafe erkannt hätte. Indes sind die zugehörigen Feststellungen von dem dargelegten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 724
Bearbeiter: Christian Becker