HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 284
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 63/15, Beschluss v. 20.12.2016, HRRS 2017 Nr. 284
Dem Großen Senat für Strafsachen wird gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Kann der Tatrichter im Rahmen der nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände die Ermessensentscheidung, von einer Strafrahmenverschiebung abzusehen, rechtsfehlerfrei allein darauf stützen, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten auf von diesem verschuldeter Trunkenheit beruht, auch wenn eine durch die Trunkenheit bedingte, vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten auf Grund der persönlichen oder der situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist?
Das Landgericht Osnabrück hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte seinen Mitbewohner nach gemeinsamem Alkoholkonsum durch massive Gewalteinwirkung auf den Brust- und Bauchbereich sowie durch unter anderem mit einem stumpfen Gegenstand ausgeführte Schläge gegen den Kopf getötet. Den Anlass für die vom Angeklagten mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgenommenen Verletzungshandlungen hat das Schwurgericht ebenso wenig feststellen können wie den genauen Grad seiner Alkoholisierung. Es ist sachverständig beraten ebenso rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei erhalten gebliebener Unrechtseinsicht nicht ausschließbar auf Grund einer mittelgradigen Berauschung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war.
Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Für einen benannten minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 Alternative 1 StGB) hat es keinen Anhaltspunkt gefunden. Einen sonstigen minder schweren Fall (§ 213 Alternative 2 StGB) hat es sowohl unter Berücksichtigung allein der allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte als auch unter Hinzuziehung des wegen der Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt angenommenen vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB abgelehnt und auch von einer Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgesehen. Das Schwurgericht ist davon ausgegangen, dass im Fall einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit von einer Strafrahmenverschiebung nach § 213 Alternative 2 bzw. §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgesehen werden könne, wenn sie auf verschuldeter Trunkenheit beruht. Es hat eine Alkoholkrankheit oder -überempfindlichkeit des Angeklagten, die ein Verschulden hinsichtlich der Trunkenheit ausgeschlossen hätte, rechtsfehlerfrei verneint und wegen vorwerfbaren übermäßigen Alkoholkonsums eine Milderung des Strafrahmens abgelehnt (UA S. 48 f.).
Im Rahmen der konkreten Strafzumessung, die auf die Erwägungen zur Frage des Vorliegens eines unbenannten minder schweren Falles gemäß § 213 Alternative 2 StGB Bezug nimmt, hat das Schwurgericht sodann zugunsten des Angeklagten dessen durch die Alkoholisierung als konstellativem Faktor beeinflusste affektive Aufladung in der Tatsituation mildernd berücksichtigt (UA S. 49).
Der Senat versteht die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil nicht dahin, das Landgericht sei davon ausgegangen, das selbstverantwortliche Sich-Berauschen des Täters vor der Tat führe von Rechts wegen regelmäßig zur Versagung der Strafrahmenmilderung. Vielmehr hat das Landgericht die Strafrahmenverschiebung in Ausübung tatrichterlichen Ermessens abgelehnt. Dafür spricht zum einen der Umstand, dass die Ausführungen auf den Beschluss des Senats vom 2. August 2012 (3 StR 216/12, NStZ 2012, 687, 688) verweisen, dem sich erstgenannter Rechtssatz nicht entnehmen lässt. Sie nehmen gerade nicht auf das Senatsurteil vom 27. März 2003 (3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31) Bezug, in dem er die Ansicht vertreten hat, dass eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in der Regel ausscheide, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit beruhe. Zum anderen hat das Landgericht ausdrücklich seinen rechtlichen Ansatz dergestalt umschrieben, dass bei verschuldeter Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenverschiebung - nur - „in Betracht kommt“ (UA S. 48).
Vor diesem Hintergrund beabsichtigt der Senat, die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten zu verwerfen, sieht sich darin jedoch durch die Rechtsprechung des 1., 2. und 5. Strafsenats gehindert.
1. In Rechtsprechung und Literatur besteht für die Fälle der auf verschuldeter Trunkenheit beruhenden erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Täters bei Tatbegehung keine Einigkeit über die Voraussetzungen, unter denen der Tatrichter die fakultative Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ablehnen darf oder gar muss.
a) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte sich wie folgt:
aa) Unter Hinweis auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone vom 10. Januar 1950 (StS 427/49, OGHSt 2, 324) befand der Bundesgerichtshof - noch zur Vorgängerregelung des § 51 Abs. 2 StGB aF - anfänglich, dass in „der Regel die selbstverschuldete Trunkenheit Anlaß sein (wird), die Strafe nicht zu mildern“. Vor diesem Hintergrund billigte er, dass der Tatrichter eine alkoholbedingte Verminderung der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten offen gelassen hatte, weil „der Alkoholrausch jedenfalls selbst verschuldet sei und deshalb dem Angeklagten nicht strafmildernd zugute gehalten werden könne“ (Urteil vom 2. August 1951 - 3 StR 395/51, bei Dallinger MDR 1951, 657). Sodann beanstandete der Bundesgerichtshof indes eine die Strafmilderung ablehnende tatrichterliche Entscheidung, die damit begründet worden war, dass, soweit die erheblich verminderte Zurechnungsfähigkeit des Täters auf „Angetrunkenheit“ beruhe, von der „Kann"-Vorschrift des § 51 Abs. 2 StGB aF bei bestimmten Delikten grundsätzlich kein Gebrauch zu machen sei. Zwar verneinte er in derartigen Fällen weiterhin einen Zwang zur Strafmilderung; doch monierte er, dass der Tatrichter diese Möglichkeit hätte erwägen müssen (Urteil vom 10. September 1953 - 2 StR 695/52, NJW 1953, 1760). Auch nachfolgend äußerte sich der Bundesgerichtshof zunächst in der Tendenz ablehnend gegenüber einer Strafmilderung bei vorwerfbarer Alkoholisierung. Umso mehr gelte das bei einem Täter, „der weiß, daß er Alkohol schlecht verträgt“ (Urteil vom 16. Januar 1962 - 5 StR 588/61, Umdr. S. 4 [unveröffentl.]; zu weiteren ähnlichen Entscheidungen des BGH aus den Jahren 1954 und 1960 vgl. Foth, DRiZ 1990, 417, 418; Schnarr in Hettinger [Hrsg.], Reform des Sanktionenrechts, 2001, S. 1, 49 ff.).
bb) Eine Zäsur in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lässt sich in den 1970er Jahren erkennen. Mit Beschluss vom 24. März 1972 (2 StR 413/71, bei Dallinger, MDR 1972, 570) äußerte er die Auffassung, dem im Zustand erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit handelnden Täter dürfe allein der hierfür ursächliche übermäßige Alkoholkonsum „nicht zum Nachteil gereichen"; vielmehr müssten weitere auf die abzuurteilende Tat bezogene Umstände hinzutreten. Als einen solchen Umstand anerkannte der Bundesgerichtshof, dass der Täter bereits früher unter Alkoholeinwirkung Straftaten begangen hatte und ihm daher bewusst war oder zumindest hätte bewusst sein können, dass er nach dem Alkoholkonsum zu Straftaten neigt (vgl. Beschlüsse vom 24. März 1972 - 2 StR 413/71, aaO; vom 1. August 1975 - 3 StR 212/75, BeckRS 1975, 00206; vom 26. Juli 1977 - 1 StR 317/77, bei Holtz, MDR 1977, 982; ähnlich Urteil vom 21. September 1971 - 5 StR 410/71, bei Dallinger, MDR 1972, 16; Beschluss vom 14. Oktober 1980 - 1 StR 498/80, BeckRS 1980, 02962).
In den Folgejahren präzisierte und verschärfte der Bundesgerichtshof die Anforderungen an das vorhersehbar die Neigung zu Straftaten begründende deliktische Vorverhalten: Die früher unter Alkoholeinfluss begangene Straftat müsse nach Ausmaß und Intensität mit der nunmehr begangenen Tat vergleichbar sein. Zwar müsse es sich bei der begangenen Tat nicht um eine gleichartige oder ähnliche Tat handeln; erforderlich sei aber, dass der Täter auf Grund seines früheren Verhaltens damit rechnen könne, unter Alkoholeinfluss ein der nunmehrigen Tat vergleichbares Delikt zu begehen (vgl. - mit Unterschieden im Detail - Urteile vom 30. Oktober 1986 - 4 StR 501/86, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 3; vom 6. Mai 1993 - 1 StR 136/93, NJW 1993, 2544, 2545; Beschlüsse vom 28. Oktober 1985 - 3 StR 189/85, NStZ 1986, 114, 115; vom 13. Juni 1986 - 2 StR 276/86, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 14; vom 7. September 1989 - 4 StR 433/89, BGHR StGB § 21 Vorverschulden 1; vom 7. Januar 2003 - 4 StR 490/02, NStZ-RR 2003, 136, 137; ferner Urteile vom 6. März 1986 - 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 33; vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 78; Beschlüsse vom 25. Januar 1991 - 5 StR 600/90, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 7; vom 16. Februar 1993 - 5 StR 675/92, StV 1993, 355 f.).
cc) Mit Urteil vom 27. März 2003 (3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31) erklärte der Senat, er wolle an dieser Rechtsprechung nicht mehr festhalten. In die Entscheidung nicht tragenden Erwägungen führte er aus, dass eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in der Regel nicht in Betracht komme, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit beruhe. Insbesondere sei eine vorangegangene Straffälligkeit des Täters unter Alkoholeinfluss in einem Ausmaß, dass dieser damit rechnen kann, unter Alkoholeinfluss ein der Anlasstat vergleichbares Delikt zu begehen, nicht erforderlich.
Der Senat hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Gegen die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sprächen zum einen die Überlegungen des historischen Gesetzgebers, der ursprünglich die Strafmilderung bei verschuldeter Trunkenheit ausdrücklich ausschließen und nach Aufgabe dieses Vorhabens die schuldhafte Herbeiführung der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit jedenfalls als schulderschwerenden Umstand berücksichtigt wissen wollte. Zum anderen bestehe ein Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung des Vollrausches in § 323a StGB, die das schuldhafte Sich-Berauschen zwar unter der Voraussetzung einer rechtswidrigen Rauschtat, aber unabhängig davon unter Strafe stellt, ob sich der Täter aus früheren Ereignissen des Risikos der Begehung von Straftaten unter Alkoholeinfluss hätte bewusst sein können. Zuletzt entspreche das regelmäßige Absehen von der Strafrahmenverschiebung dem Schuldprinzip; denn die Trunkenheit stelle tatsächlich für die Allgemeinheit eine abstrakte Gefahr dar, was für den Täter regelmäßig erkennbar sei. Seine Tatschuld werde durch das Umschlagen dieser Gefahr in die konkrete Rechtsgutsgefährdung oder -verletzung gekennzeichnet. Das stünde mit den § 323a StGB und § 7 WStG zugrundeliegenden Wertungen des Gesetzgebers in Einklang (zu den Einzelheiten vgl. Senat aaO).
dd) Der 1. und der 2. Strafsenat äußerten sich zunächst - verhalten - aufgeschlossen gegenüber einer Rechtsprechungsänderung (vgl. Urteile vom 9. Juli 2003 - 2 StR 106/03, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 32; vom 16. September 2004 - 1 StR 233/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 36; vom 19. Oktober 2004 - 1 StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37; offen gelassen in den Beschlüssen vom 5. August 2003 - 1 StR 302/03, bei Schäfer, JR 2004, 425 f.; vom 10. September 2003 - 2 StR 304/03, bei Schäfer aaO, S. 426). Soweit es in der Folgezeit entscheidungserheblich darauf ankam, haben sie allerdings wie der 4. und der 5. Strafsenat die zuvor entwickelte Rechtsprechung - mit leichten Modifikationen - weiter praktiziert:
(1) Der 1. Strafsenat hat in einer jüngeren Entscheidung die Nichterörterung einer aufgrund von angenommener alkoholbedingter verminderter Schuldfähigkeit in Betracht kommenden Strafrahmenverschiebung beanstandet und dabei im Sinne der bisherigen Rechtsprechung ausgeführt, die Strafrahmenverschiebung könne „nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter Umständen dann abgelehnt werden, wenn der Täter schon früher unter Alkoholeinfluss straffällig geworden ist und deshalb wusste, dass er in einem solchen Zustand zu Straftaten neigt“ (Beschluss vom 25. März 2014 - 1 StR 65/14, NStZ-RR 2014, 238, 239; vgl. ferner Beschlüsse vom 23. April 2013 - 1 StR 105/13, juris Rn. 9; vom 10. November 2016 - 1 StR 501/16, juris Rn. 4). In vorausgegangenen Entscheidungen hatte er zwischenzeitlich auf das Erfordernis einschlägiger Vorverurteilungen verzichtet (vgl. Urteile vom 16. September 2004 - 1 StR 233/04, aaO; vom 19. Oktober 2004 - 1 StR 254/04, aaO; vgl. nunmehr wieder Beschluss vom 10. Mai 2016 - 1 ARs 21/15, juris Rn. 6).
(2) Der 2. Strafsenat hat sich schon bald nach den ersten - eine Rechtsprechungsänderung favorisierenden - Äußerungen eingehender mit der Frage der „fakultativen Strafrahmenmilderung allein wegen Vorliegens eines selbst zu verantwortenden Alkoholrausches“ befasst und sich dabei gegen „eine schematische Behandlung“ gewandt. Vielmehr sei eine einzelfallbezogene tatrichterliche Gesamtabwägung der schuldrelevanten Gesichtspunkte geboten. Dabei sei „zunächst von der Allgemeinkundigkeit des Umstands auszugehen, dass eine alkoholische Berauschung generell die Hemmschwelle gegenüber sozial auffälligem und aggressivem Verhalten zu senken pflegt. Deshalb ... (sei) bei selbst zu verantwortender Trunkenheit in der Regel eine Strafrahmensenkung nicht geboten ... Diese ... (komme) jedoch bei besonderen Umständen in der Person des Täters oder in der Tat in Betracht. Wenn der Täter über keine Vorerfahrungen der Art verfügt, dass er persönlich unter Alkoholeinfluss zu rechtsgutsverletzendem Verhalten neigt, oder wenn sich für ihn zum Zeitpunkt der Berauschung auch aus sonstigen Umständen kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass es unter der Wirkung der konkreten Alkoholisierung zu Straftaten kommen könnte, so ... (stelle) dies einen Umstand dar, der eine Strafrahmenmilderung rechtfertigen kann“ (Urteil vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40). Von einschlägigen Vorverurteilungen sei die Ablehnung der Strafrahmenverschiebung nicht abhängig (vgl. Urteil vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, juris Rn. 24).
(3) Der 5. Strafsenat hat in einer ausführlich begründeten Grundsatzentscheidung (Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239) dem Anliegen des Senats, zu einer Änderung der Rechtsprechung zu gelangen, prinzipiell beigepflichtet, indes mit leichten Modifikationen an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten. Zwar sei für die Ablehnung der Strafrahmenmilderung nicht erforderlich, dass der Täter schon einmal unter Alkoholeinfluss vergleichbare Straftaten begangen hat. Auch müsse das Vorverhalten nicht zu Vorstrafen oder einem Strafverfahren geführt haben. Die generelle Steigerung des Risikos der Begehung strafbarer Handlungen nach Alkoholgenuss sei aber für sich allein nicht ausreichend, um den Schuldgehalt der Tat zu erhöhen und schon deshalb die regelmäßige Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung bei selbstverschuldeter Trunkenheit zu rechtfertigen. Diese komme vielmehr nur in Betracht, „wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht“ habe. Die risikoerhöhenden persönlichen Verhältnisse könnten beispielsweise in der Neigung zu Aggressionen oder Gewalttätigkeiten unter Alkoholeinfluss bestehen, die der Tatsituation etwa in der Alkoholaufnahme in gewaltbereiten Gruppen oder gewaltgeneigten Situationen (vgl. Urteil vom 11. Juni 2008 - 5 StR 612/07, NStZ 2008, 619, 620).
Praktisch bedeutsam war in der Rechtsprechung des 5. Strafsenats nachfolgend in erster Linie das Kriterium der in den persönlichen Verhältnissen des Täters begründeten gesteigerten Gefahr. Bei bislang unbestraften und auch sonst unauffälligen Tätern sei das Straftatenrisiko nicht signifikant erhöht (vgl. Urteile vom 29. Oktober 2008 - 5 StR 456/08, NStZ 2009, 202, 203; vom 7. Mai 2009 - 5 StR 64/09, NStZ 2009, 496, 497). Gleiches gelte, wenn die neue Tat in eine gänzlich andere Richtung weise als die früheren unter Alkoholeinfluss begangenen Taten (vgl. Beschluss vom 13. Januar 2010 - 5 StR 510/09, NStZ-RR 2010, 234, 235 [Vergewaltigung und Körperverletzung mit Schlägen und Drosselung einer Mitbewohnerin anstatt Körperverletzung mit Schlägen und Würgen der Lebensgefährtin]) oder wenn gleichartige Kriminalität schon mehr als zehn Jahre zurückliege (vgl. Beschluss vom 10. März 2010 - 5 StR 62/10, juris Rn. 10). Im Fall zahlreicher, einschlägiger, erheblicher Vorstrafen sei hingegen für den Täter das mit einer Alkoholisierung verbundene Deliktsrisiko „auch ersichtlich“ (Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11, juris Rn. 26).
(4) Der 4. Strafsenat hat sich der Rechtsprechung des 5. Strafsenats angeschlossen und in Fällen, in denen der Angeklagte bislang niemals unter Alkoholeinfluss aggressiv (Urteil vom 15. Dezember 2005 - 4 StR 314/05, NStZ 2006, 274, 275) bzw. nicht wegen eines Gewaltdelikts verurteilt war (Urteil vom 23. Februar 2006 - 4 StR 444/05, NStZ-RR 2006, 185, 186), eine signifikante Risikoerhöhung verneint.
b) Im Schrifttum ist die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere die Entscheidung des 5. Strafsenats vom 17. August 2004, überwiegend auf positive Resonanz gestoßen (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 21 Rn. 25, 25b; SSWStGB/Kaspar, 3. Aufl., § 21 Rn. 28; Matt/Renzikowski/Safferling, StGB, § 21 Rn. 22; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1016 ff.; LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 21 Rn. 52, 54 f. mwN; noch weitergehend - Anwendung der Grundsätze der actio libera in causa - SKStGB/Rudolphi, 38. Lfg., § 21 Rn. 4b; S/S/Perron/Weißer, StGB, 29. Aufl., § 21 Rn. 21; NKStGB/Schild, 4. Aufl., § 21 Rn. 18; MüKoStGB/Streng, 3. Aufl., § 21 Rn. 26; ablehnend auch AnwKStGB/Conen, 2. Aufl., § 21 Rn. 41, 43). Die Entscheidung des Senats vom 27. März 2003 hat dagegen nur vereinzelt Zustimmung (vgl. Foth, NStZ 2003, 597 sowie - tendenziell - Detter, NStZ 2003, 471, 472), ganz überwiegend aber Widerspruch erfahren:
Die Berufung auf die Intentionen des historischen Gesetzgebers sei nicht zulässig, da diese gerade nicht zum Inhalt der Norm geworden seien (vgl. Baier, JA 2004, 104, 106; Neumann, StV 2003, 527, 528; Rau, JR 2004, 401, 405; Scheffler, Blutalkohol 2003, 449). Dem Willen des historischen Gesetzgebers des Jahres 1933 könne heute ohnedies keine entscheidende Bedeutung zukommen, weil er die Versagung der Strafrahmenmilderung als kriminalpolitisch motivierte Ausnahme von dem Grundsatz einer schuldangemessenen Bestrafung verstanden habe, die unter der Geltung des Grundgesetzes nicht mehr in Betracht komme (vgl. Frister, JZ 2003, 1019; Verrel/Hoppe, JuS 2005, 308, 310).
Das Spannungsverhältnis zu § 323a StGB sei gesetzlich angelegt in den streng voneinander zu unterscheidenden Bezugspunkten des strafrechtlichen Vorwurfs, dem Sich-Berauschen einerseits und der Straftat andererseits (vgl. Duensing, StraFo 2005, 15, 22; Rau aaO, S. 404). Es könne im Bereich der mittleren Kriminalität dadurch aufgelöst werden, dass die Strafe wegen Vollrausches durch den nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen der Rauschtat nach oben begrenzt werde (vgl. Baier aaO; Neumann aaO, S. 529). Des Weiteren wird es für notwendig erachtet, zur Angleichung auch bei § 323a StGB vorauszusetzen, dass der Täter seine Rauschtat vorhersehen können müsse; die Deutung des Vollrauschtatbestandes als abstraktes Gefährdungsdelikt und damit der Rauschtat als objektive Bedingung der Strafbarkeit verstoße gegen das Schuldprinzip und sei mithin unhaltbar (vgl. Neumann aaO, S. 530; Scheffler aaO, S. 450; Streng, NJW 2003, 2963, 2965).
Außerdem könne die durch die Trunkenheit bewirkte Reduzierung der Schuld, die in der Strafrahmenverschiebung zum Ausdruck komme, im Bereich der schweren Kriminalität allein durch das selbstverantwortliche Sich-Berauschen nicht ausgeglichen werden. Da nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB der Strafrahmen proportional zur Höchst- und Mindeststrafe herabgesetzt werde, gehe das Gesetz nämlich davon aus, dass sich das wegen der erheblich verminderten Schuldfähigkeit abzuziehende „Schuldquantum“ entsprechend der Schwere des Delikts vergrößere (vgl. Frister aaO, S. 1019 f.; Neumann aaO, S. 530 f.).
Schließlich könne die Sondervorschrift des § 7 WStG als Argument für die Versagung einer Strafrahmenmilderung nicht dienen; denn sie sei allein den Besonderheiten des Wehrstrafrechts geschuldet und daher nicht verallgemeinerungsfähig (vgl. Baier aaO, S. 107; Duensing aaO; Rau aaO, S. 404; Streng aaO, S. 2964; Verrel/Hoppe aaO, S. 310 f.). Die Vorschrift sei ihrerseits - bei wortlautgetreuer Anwendung - nicht mit dem Grundsatz schuldangemessenen Strafens zu vereinbaren (vgl. Frister aaO, S. 1020; Neumann aaO, S. 530).
2. Der Senat, der nach seiner Entscheidung vom 27. März 2003 nur mit Fallgestaltungen befasst war, in denen die zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit führende Trunkenheit vom Angeklagten jeweils nicht oder nur eingeschränkt verschuldet war (vgl. Urteil vom 12. Juni 2008 - 3 StR 84/08, NStZ 2009, 258 f.; Beschlüsse vom 16. Januar 2008 - 3 StR 479/07, NStZ 2008, 330; vom 2. August 2012 - 3 StR 216/12, NStZ 2012, 687, 688), vertritt unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 1. August 1975 - 3 StR 212/75, BeckRS 1975, 00206; vom 28. Oktober 1985 - 3 StR 189/85, NStZ 1986, 114, 115) die Auffassung, dass der Tatrichter sein Ermessen bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht rechtsfehlerhaft ausübt, wenn er im Rahmen einer Gesamtwürdigung der schuldrelevanten Umstände die Versagung der Strafmilderung allein auf den Umstand stützt, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf von diesem verschuldeter Trunkenheit beruht, auch wenn eine hierdurch bedingte, vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten auf Grund der persönlichen oder der situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist.
a) Da dem die oben zitierte Rechtsprechung der anderen Strafsenate entgegenstand, hat der Senat mit Beschluss vom 15. Oktober 2015 (NStZ 2016, 203) bei diesen gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.
Der 4. Strafsenat (Beschluss vom 28. April 2016 - 4 ARs 16/15, NStZ-RR 2016, 305) hat der hier vertretenen Rechtsauffassung unter Aufgabe entgegenstehender Rechtsprechung zugestimmt. Er hat dabei die Anfrage des Senats anders gefasst, ohne dass erkennbar wäre, dass sie dadurch eine abweichende Bedeutung erhalten hätte. Der 5. Strafsenat (Beschluss vom 1. März 2016 - 5 ARs 50/15, juris) hat an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach im Fall selbst zu verantwortender Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenmilderung in der Regel voraussetzt, dass sich auf Grund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalls infolge der Alkoholisierung das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant erhöht hat. Zur Begründung hat er sich auf seine Ausführungen im Urteil vom 17. August 2004 (5 StR 93/04, BGHSt 49, 239) bezogen. Der 1. Strafsenat (Beschluss vom 10. Mai 2016 - 1 ARs 21/15, juris) ist der Anfrage ebenfalls entgegengetreten und hat sich dabei - soweit ersichtlich - erstmals die vom 5. Strafsenat aufgestellten Kriterien zur vorhersehbar signifikanten Risikoerhöhung zu eigen gemacht. Eine Antwort des 2. Strafsenats auf die Anfrage ist beim Senat bislang nicht eingegangen.
b) Darüber, ob dem Gesetz ein Bewertungsmaßstab dergestalt entnommen werden kann, dass eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in der Regel nicht in Betracht kommt, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf verschuldeter Trunkenheit beruht, ist hier dagegen nicht zu entscheiden.
1. Über die fakultative Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB entscheidet der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen auf Grund einer Gesamtwürdigung der schuldrelevanten Umstände (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40 mwN). Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, einer wertenden Betrachtung zu unterziehen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2016 - 4 ARs 16/15, NStZ-RR 2016, 305 mwN). Welchen Umständen der Tatrichter bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (vgl. BGH, Urteile vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336 f.; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, juris Rn. 23).
Dem Tatrichter steht dabei ein weiter Ermessensspielraum zu (vgl. BGH, Urteile vom 19. Oktober 2004 - 1 StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37; vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, aaO; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO). Im Rahmen der Ermessensausübung ist indes Bedacht darauf zu nehmen, dass auf Grund der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit der Schuldgehalt der Tat in aller Regel verringert ist (BGH, Urteile vom 10. November 1954 - 5 StR 476/54, BGHSt 7, 28, 30; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO Rn. 24; Beschluss vom 7. September 2015 - 2 StR 350/15, juris Rn. 4). Nach Ansicht des Senats stellt demgegenüber das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat für sich allein einen schulderhöhenden Umstand dar, der im Rahmen der Ermessensausübung nach § 21 StGB regelmäßig Berücksichtigung zu finden hat, ohne dass dies von einzelfallbezogenen Feststellungen dazu abhängig ist, ob sich auf Grund der jeweiligen persönlichen oder situativen Verhältnisse das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung (für den Täter) vorhersehbar signifikant erhöht hatte (so aber BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239; Beschlüsse vom 1. März 2016 - 5 ARs 50/15, juris; vom 10. Mai 2016 - 1 ARs 21/15, juris).
Die sich daran anschließende Frage, ob der Umstand der verschuldeten Trunkenheit geeignet ist, im konkreten Fall die hierdurch verringerte Tatschuld so weit aufzuwiegen, dass das Absehen von der Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB gerechtfertigt ist, betrifft indes Wertungen, die vom Revisionsgericht allein auf Rechtsfehler überprüft werden können. Hat der Tatrichter die dafür wesentlichen tatsächlichen Grundlagen hinreichend ermittelt und berücksichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 241), so kann das Revisionsgericht nur beanstanden, dass er gesetzlich vorgegebene Wertungsmaßstäbe missachtet oder eine gerechtem Schuldausgleich nicht mehr entsprechende Strafe verhängt hat.
a) Dass bereits allein das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat einen schulderhöhenden Umstand darstellt, schließt der Senat aus Folgendem:
Eine alkoholische Berauschung erhöht generell das Risiko strafbaren Verhaltens, insbesondere im Bereich der Gewalt- und Sexualdelikte. Dieser Erfahrungssatz ist allgemeinkundig (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 242; Beschluss vom 6. November 1996 - 5 ARs 59/96, NStZ-RR 1997, 163, 165). Durch den Alkoholmissbrauch versetzt sich der Sich-Betrinkende in einen Zustand, der durch Enthemmung (vgl. BGH, Urteile vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, aaO; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO, Rn. 24 [Senkung der Hemmschwelle gegenüber sozial auffälligem und aggressivem Verhalten]), Verminderung von Einsichts- und Urteilsvermögen sowie Verschlechterung von Körperbeherrschung und Reaktionsfähigkeit gekennzeichnet ist. Mit der Herabsetzung der geistigen und körperlichen Kräfte geht ein trügerisches Gefühl erhaltener oder gar gesteigerter Leistungsfähigkeit einher. Dieser Zustand bedingt eine erhöhte Gefährlichkeit des Berauschten, der sich gegenüber seiner Umwelt häufig in unerwarteter, ihm sonst wesensfremder sozialschädlicher - auch strafbarer - Weise verhält (vgl. BGH, Urteile vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 125; vom 22. August 1996 - 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 242; vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31).
Zwar trifft es zu, dass es trotz verbreiteten hohen Alkoholkonsums „nur in einem Bruchteil der Fälle erheblicher Alkoholisierung zu einer rechtswidrigen Tat“ kommt (BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 242). Eine zuverlässige Prognose darüber, wie sich ein Mensch im Alkoholrausch verhalten wird, lässt sich jedoch nicht stellen; die Wirkungen starken Alkoholgenusses lassen sich niemals sicher vorausberechnen (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1951 - 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 126; vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, aaO). Ob der Rausch zu deliktischem Verhalten führt, hängt nicht allein von der Person des Täters, namentlich dessen Neigungen, sondern weit überwiegend von gleichsam zufälligen äußeren Bedingungen ab (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1957 - 5 StR 483/57, JR 1958, 28; Lackner, JuS 1968, 215, 218 f.). Etwaige vom Täter getroffene Vorkehrungen erweisen sich dabei häufig als ungenügend; so kann sich auch derjenige, der sich in Nachtkleidung allein vor seinem Fernsehgerät „volllaufen“ lässt, um anschließend seinen Rausch auszuschlafen, mit für ihn überraschenden Ereignissen (etwa dem Erscheinen des getrennt lebenden Ehegatten oder der Beschädigung seines vor dem Haus geparkten Pkw) konfrontiert sehen, die ihm - in diesem Zustand - Anlass zu strafbaren Handlungen geben (vgl. Schnarr in Hettinger [Hrsg.], Reform des Sanktionenrechts, 2001, S. 1, 84 f.).
Das so beschriebene, dem Alkoholrausch selbst innewohnende Risiko zählt zum Allgemeinwissen. Es ist selbst Menschen von geringer Lebenserfahrung in aller Regel bekannt (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 1957 - 5 StR 127/57, BGHSt 10, 247, 251). Jedermann weiß oder kann zumindest wissen, dass er mit seiner Trunkenheit „das Tor für unbestimmtes rechtliches Versagen (vor allem) gegenüber unerwartet auftretenden Anforderungen öffnet“ (Lackner aaO, S. 220; ebenso Schnarr aaO, S. 83).
Der Alkoholrausch stellt somit erkennbar eine abstrakte Gefahr für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter dar, die sich, falls der Berauschte eine rechtswidrige Tat begeht, in der konkreten Rechtsgutsgefährdung oder Rechtsgutsverletzung realisiert (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, aaO). Insoweit hat das selbstverantwortliche Sich-Betrinken Einfluss auf die Tatschuld. Die Ansicht, dass die Schuldrelevanz davon abhängig sei, inwieweit der Täter infolge persönlicher Vorerfahrungen oder situativer Umstände einen - zusätzlichen - Anhalt für die Gefahr eigenen deliktischen Verhaltens hat, vermag der Senat infolgedessen nicht zu teilen.
b) Dass es sich bei dem selbstverantwortlichen Sich-Betrinken um ein tatschuldrelevantes Merkmal handelt, entspricht den Regelungen der §§ 323a StGB, 122 OWiG und des § 7 WStG zugrundeliegenden Wertungen. Die Vorschriften lassen Rückschlüsse auf die vom Gesetzgeber vorgenommene Beurteilung zu, dass es sich bei dem schuldhaft herbeigeführten Rausch nicht um eine sozialadäquate, wertneutrale Erscheinung handelt, sondern dass ihm als offenkundigem Gefahrenherd ein Unwert anhaftet, der geeignet ist, das Ob und das Wie strafrechtlicher Sanktionen zu bestimmen:
aa) Im Hinblick auf die allgemeine Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit des Berauschten hat der Gesetzgeber das Sich-in-einen-Rausch-Versetzen in § 323a StGB und § 122 OWiG als ein selbständiges, rechtlich fassbares sanktionswürdiges Unrecht tatbestandlich normiert. Er hat lediglich die Ahndung des schuldhaften Sich-Berauschens durch die Einfügung einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit bzw. der Bußgeldbewehrung dahin eingeschränkt, dass ein „folgenloser“ Rausch keine Sanktion nach sich ziehen soll, während derjenige, der in diesem Zustand eine rechtswidrige Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht, für die er nicht bestraft oder mit Geldbuße belegt werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war bzw. nicht vorwerfbar gehandelt hat oder dies zumindest nicht auszuschließen ist, wegen der Berauschung mit Strafe oder Geldbuße sanktioniert wird (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1951 - 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 125; vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 125 f.; vom 1. Juni 1962 - 4 StR 88/62, BGHSt 17, 333, 334; vom 26. Oktober 1965 - 1 StR 394/65, BGHSt 20, 284, 285; vom 22. August 1996 - 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 242 f.; Beschlüsse vom 18. August 1983 - 4 StR 142/83, BGHSt 32, 48, 55 f.; vom 17. Oktober 1991 - 4 StR 465/91, BGHR StGB § 323a Abs. 2 Strafzumessung 5; KKOWiG/Rengier, 4. Aufl., § 122 Rn. 8 mwN).
Vor diesem Hintergrund erklärt sich zwanglos, warum das Sich-Berauschen in dem einen Fall als Straftat, in dem anderen lediglich als Ordnungswidrigkeit eingestuft wird (aA Fischer, StGB, 64. Aufl., § 323a Rn. 17; MüKoStGB/Geisler, 2. Aufl., § 323a Rn. 4 mwN). Dies beruht darauf, dass der Gesetzgeber es im Grundsatz als strafwürdiges Unrecht bewertet, die Strafbarkeit indes je danach ausgeschlossen oder zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft hat, ob bzw. in welchem Umfang sich die für die Rechtsgüter Dritter oder die Allgemeinheit gesteigerte Gefahr, die von einem Berauschten ausgeht, tatsächlich in einer konkreten rechtswidrigen Straftat oder Ordnungswidrigkeit niedergeschlagen hat.
Ebenso wenig lässt sich der Annahme, schon allein der schuldhafte Vollrausch begründe das Tatunrecht, entgegenhalten, damit wäre ein Umstand unrechtsbegründend, der nach dem Gesetzeswortlaut nur nicht ausschließbar sein müsse (so ebenfalls Fischer aaO). Dies verkennt, dass der Rausch feststehen muss (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. August 1983 - 4 StR 142/82, aaO, S. 53; vom 9. Juli 2002 - 3 StR 207/02, BGHR StGB § 323a Abs. 1 Rausch 4; vom 10. November 2010 - 4 StR 386/10, NStZ-RR 2011, 80 mwN); als objektive Bedingung der Strafbarkeit nicht ausschließbar darf lediglich sein, dass der Täter infolge des Rausches bei Begehung der Rauschtat schuldunfähig war bzw. nicht vorwerfbar gehandelt hat. Demgemäß teilt der Senat ebenso wenig die Ansicht, dass ein Rausch nur dann als rechtswidrig angesehen werden könne, wenn er (zumindest nicht ausschließbar) zur Aufhebung der Steuerungsfähigkeit führt (so aber BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239, 252).
Weder für die Straftat nach § 323a StGB noch für die Ordnungswidrigkeit nach § 122 OWiG ist folglich vorausgesetzt, dass sich der Täter im Zeitpunkt des Sich-Berauschens bewusst war oder hätte bewusst sein können, dass er im Rausch zur Begehung von Straftaten oder ordnungswidrigem Verhalten neige (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1951 - 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 125; vom 23. November 1951 - 2 StR 491/51, BGHSt 2, 14, 18; vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 127; Beschlüsse vom 15. Oktober 1956 - GSSt 2/56, BGHSt 9, 390, 394; vom 17. Oktober 1991 - 4 StR 465/91, BGHR StGB § 323a Abs. 2 Strafzumessung 5; Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl., § 122 Rn. 2, 14; Göhler/Gürtler, OWiG, 16. Aufl., § 122 Rn. 7a; KKOWiG/Rengier aaO, Rn. 25; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 323a Rn. 14 mwN; s. aber auch zu vielen abweichenden Stimmen in der Literatur MüKoStGB/Geisler, 2. Aufl., § 323a Rn. 57 ff. mwN).
Soweit der 5. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 17. August 2004 (5 StR 93/04) ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Mai 1957 (5 StR 127/57, BGHSt 10, 247) angeführt hat, um darzulegen, dass das Verständnis des § 323a StGB in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht immer einheitlich gewesen ist (BGHSt 49, 239, 251), weist er zwar im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass dort unter Berufung auf das Schuldprinzip gefordert wurde, dass für den Täter eines Vollrauschs zum Zeitpunkt des Sich-Berauschens mindestens vorhersehbar sein müsse, dass er im Rausch „irgendwelche Ausschreitungen strafbarer Art begehen“ könne (aaO, S. 249 f.). Doch wurde ein dieserart abweichendes Verständnis nur in vereinzelten Entscheidungen des 5. Strafsenats aus den 1950er Jahren geäußert (ebenso Urteile vom 22. Juni 1954, VRS 7 [1954], 309, 310 f.; vom 29. Oktober 1957 - 5 StR 483/57, JR 1958, 28). Darüber hinaus stellte er dabei klar, in Anbetracht des Allgemeinwissens um die Wirkungen von Alkohol verstehe sich „eine solche Voraussicht oder Voraussehbarkeit in aller Regel derart von selbst, daß im Allgemeinen davon abgesehen werden kann, vom Tatrichter besondere Urteilsfeststellungen hierüber zu verlangen“. Nur in Ausnahmefällen, wenn die strafbaren Handlungen von einem Täter ohne Lebenserfahrung gleich in seinem ersten Rausch oder von einem „Trinker“ trotz „nach menschlicher Voraussicht“ ausreichender besonderer Vorkehrungen („Zurüstungen“) begangen worden sind, seien derartige Feststellungen erforderlich (Urteil vom 7. Mai 1957 - 5 StR 127/57, aaO, S. 251; ähnlich Urteil vom 22. Juni 1954, aaO, S. 311 [in der Regel jedenfalls fahrlässig]). Der bloße Umstand, dass die Rauschtat dem Täter persönlichkeitsfremd war, begründe demgegenüber keinen solchen Ausnahmefall (vgl. Urteil vom 29. Oktober 1957 - 5 StR 483/57, aaO). Festzuhalten bleibt daher, dass ein solches abweichendes Verständnis in aller Regel gerade nicht zu anderen Ergebnissen führt.
bb) Mit § 7 WStG hat der Gesetzgeber, ebenfalls im Hinblick auf die abstrakte Gefährlichkeit des Rausches, eine wehrrechtsspezifische Regelung geschaffen, die eine Strafrahmenmilderung für den Fall dessen schuldhafter Herbeiführung untersagt, wenn die Tat eine militärische Straftat ist, gegen das Kriegsvölkerrecht verstößt oder in Ausübung des Dienstes begangen wird. Die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Täters davon, dass er im Rausch zu Straftaten neigt, setzt die Vorschrift dabei nicht voraus (vgl. Lingens/Korte, WStG, 5. Aufl., § 7 Rn. 5; MüKoStGB/Dau, 2. Aufl., § 7 WStG Rn. 5). Nach den Gesetzesmaterialien wollte der Gesetzgeber mit dieser obligatorischen Strafzumessungsregel den besonders schweren Gefahren für die militärische Disziplin begegnen, die ihr „erfahrungsgemäß“ durch den Alkoholmissbrauch drohen (BT-Drucks. 2/3040, S. 18; hierzu auch Lingens/Korte aaO, Rn. 1a).
Gleichwohl kann der Vorschrift des § 7 WStG die gesetzliche Wertung entnommen werden, dass allein das selbstverantwortliche Sich-Berauschen schulderhöhend wirkt, anderenfalls es keinen tauglichen Anknüpfungspunkt für den Ausschluss der Strafrahmenmilderung böte. Auch das Wehrstrafrecht ist Schuldstrafrecht. Wenn für die Fälle alkoholbedingter erheblich verminderter Schuldfähigkeit dort das vorwerfbare Sich-Betrinken den zwingenden Ausschluss der Strafrahmenverschiebung zu legitimieren imstande ist, so muss es im allgemeinen Strafrecht bei der gebotenen tatrichterlichen Ermessensausübung zumindest Berücksichtigung finden können (zum Verhältnis von § 7 WStG und § 21 StGB s. auch Foth, DRiZ 1990, 417, 419; ferner MüKoStGB/Streng, 3. Aufl., § 21 Rn. 48 [§ 7 WStG als ausfüllende Regelung ohne weiteres in den Rahmen der Ermessensvorschrift des § 21 StGB zu integrieren]); denn die das obligatorische Strafmilderungsverbot rechtfertigenden Eigenheiten des Wehrstrafrechts betreffen nicht die innere Beziehung des Sich-Betrinkenden zur später im trunkenen Zustand begangenen Tat (eine [partielle] Unvereinbarkeit des § 7 WStG mit dem Schuldprinzip bejahen deshalb - aus ihrer Sicht konsequent - Frister, JZ 2003, 1019, 1020; Neumann, StV 2003, 527, 530).
c) Dafür, dass der Tatrichter die Ermessenentscheidung, die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abzulehnen, allein auf die verschuldete Trunkenheit stützen kann, ohne dass es auf Feststellungen zu den persönlichen und situativen Verhältnissen des Einzelfalls ankommt, sprechen weitere Gründe:
aa) Für den Fall, dass die vom Täter im vorwerfbar alkoholisierten Zustand verletzte Strafnorm einen Strafrahmen vorsieht, der denjenigen des Vollrauschs (§ 323a Abs. 1 StGB) nicht übersteigt, kann ein Wertungswiderspruch deswegen gegeben sein, weil für den Schuldunfähigen ein höherer als der für den erheblich vermindert Schuldfähigen gemilderte Strafrahmen vorgesehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31; Beschluss vom 17. Oktober 1991 - 4 StR 465/91, BGHR StGB § 323a Abs. 2 Strafzumessung 5; Foth in Festschrift Salger, 1995, S. 31, 37 f.). Wenn indes - mit der hier vertretenen Auffassung - ein tatrichterlicher Ermessensspielraum eröffnet ist, kann dieser Umstand bei der Ermessensausübung ohne Weiteres berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 1996 - 5 ARs 59/96, NStZ-RR 1997, 163, 165 f. [regelmäßig ermessensfehlerhaft]).
Soweit der 5. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 17. August 2004 (5 StR 93/04) ausgeführt hat, im Fall der Versagung der Strafrahmenmilderung bestünde bei schwerwiegenden Verbrechen ein weitaus gewichtigerer Wertungswiderspruch „augenfällig“ darin, dass hier die Strafobergrenzen für den Schuldunfähigen (Freiheitsstrafe von fünf Jahren) und für den erheblich vermindert Schuldfähigen bei abgelehnter Strafrahmenverschiebung (Freiheitsstrafe von 15 Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe) weit auseinanderklafften (BGHSt 49, 239, 253; ebenso Fischer, StGB, 64. Aufl., § 21 Rn. 25a), nimmt er schon im Ansatz nicht hinreichend Bedacht auf den Regelungsgehalt des § 21 StGB:
Die Vorschrift enthält eine bloße Strafzumessungsregel; die erheblich verminderte Schuldfähigkeit bildet hingegen keine selbständige dritte Kategorie im Sinne einer Zwischenform von Schuldfähigkeit und Schuldunfähigkeit („Halbzurechnungsfähigkeit“). Auch der vermindert Schuldfähige ist schuldfähig im vollen Sinne des Wortes; denn er hätte das Unrecht seiner Tat erkennen und sich dadurch entsprechend motivieren lassen können (vgl. S/S/Perron/Weißer, StGB, 29. Aufl., § 21 Rn. 1).
Je schwerer indes eine potenzielle Rechtsgutsverletzung wiegt, desto höhere Anforderungen an deren Vermeidung darf die Rechtsordnung stellen. Diese normative Erwägung gilt zum einen für das vorwerfbar gefahrbegründende Vorverhalten durch den übermäßigen Alkoholkonsum (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31; Foth, NStZ 2003, 597, 598) und zum anderen für die Willensanstrengung, die für den dadurch - ausschließlich - in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkten Täter rechtlich geboten ist (vgl. BGH, Urteile vom 16. Januar 1962 - 5 StR 588/61, Umdr. S. 3 f. [unveröffentl.]; vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 77 [insoweit sowohl zum normativen Merkmal der Erheblichkeit in § 21 StGB als auch zur Ermessensausübung bei der Strafrahmenwahl]; Foth, NStZ 2003, 597, 598; Maatz, StV 1998, 279, 284).
bb) Auch im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne ist die Berücksichtigung der verschuldeten Trunkenheit für sich als schuldrelevantes Merkmal zulässig. Seine Anerkennung als eine der Grundlagen für die tatrichterliche Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach § 21 StGB geht hiermit konform.
Wendet der Tatrichter wegen alkoholbedingter erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Täters den nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen an, darf er nach allgemeiner Meinung bei der Straffindung innerhalb dieses Strafrahmens in die Abwägung strafschärfend den Umstand mit einbeziehen, dass der Täter den Zustand schuldhaft herbeigeführt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 1976 - 2 StR 101/76, BGHSt 26, 311, 312; ferner BGH, Urteile vom 21. Juli 1984 - 1 StR 330/84, NStZ 1984, 548; vom 9. Februar 2000 - 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166, 168; Beschluss vom 2. Juli 1985 - 1 StR 280/85, NJW 1986, 793, 794; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1127; Schnarr in Hettinger [Hrsg.], Reform des Sanktionenrechts, 2001 S. 1, 43; S/S/Stree/Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 46 Rn. 49). In diesem Zusammenhang ist - soweit ersichtlich - die Forderung, die verschuldete Trunkenheit dürfe - als Grundlage für einen gerechten Schuldausgleich (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB) - nur gewürdigt werden, wenn eine für den Täter vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten auf Grund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalls festgestellt ist, noch nicht erhoben worden. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass insoweit berücksichtigungsfähige Präventionszwecke (s. § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB) bemüht würden.
cc) Schließlich hat der Gesetzgeber die Entscheidung über die Strafmilderung bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit gerade mit Blick auf die verschuldete Trunkenheit dem tatrichterlichen Ermessen überantwortet. Dahingestellt bleiben kann hier, ob Überlegungen des historischen Gesetzgebers für einen Grundsatz sprechen, wonach im Fall vorwerfbarer Alkoholisierung eine Strafrahmenverschiebung regelmäßig abzulehnen ist (dagegen BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239, 248 ff.; Neumann, StV 2003, 527, 528; Verrel/Hoppe, JuS 2005, 308, 309 f.). Jedenfalls steht die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in Übereinstimmung mit den gesetzgeberischen Vorstellungen (so Senatsurteil vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31; vgl. auch Foth, DRiZ 1990, 417, 418).
Nach dem Willen des Gesetzgebers stellt die verschuldete Herbeiführung der alkoholbedingten erheblich verminderten Schuldfähigkeit einen Umstand dar, der im Rahmen der tatrichterlichen Ermessensentscheidung über die Strafmilderung zu würdigen ist. Dass es dabei auf Fragen der - konkret festzustellenden - Vorhersehbarkeit der in diesem Zustand begangenen Tat ankommen soll, ist nirgends ersichtlich, ebenso wenig, dass trotz vorwerfbarer Alkoholisierung ohne Hinzutreten weiterer Umstände ein Milderungszwang bestehen soll. Im Einzelnen:
Mit dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl. I, S. 995) wurde die verminderte Zurechnungsfähigkeit in § 51 Abs. 2 StGB aF als fakultativer Strafmilderungsgrund erstmals kodifiziert. Zur verschuldeten Trunkenheit äußerte sich die amtliche Begründung des entsprechenden Gesetzesentwurfs nicht (vgl. Schnarr aaO, S. 13). Allerdings war dieser Regelung der „Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches“ von 1927 vorausgegangen (vgl. Rautenberg, DtZ 1997, 45, 47); dieser hatte den zwingenden Ausschluss der Strafmilderung bei verschuldeter Trunkenheit mit dem Hinweis auf das Schuldprinzip abgelehnt und stattdessen erstmals eine „Kann"-Vorschrift vorgesehen. Zu der mit einer solchen Regelung verfolgten Intention äußerte sich die Begründung des Entwurfs dahin, dass er es „dem richterlichen Ermessen (überlässt), zu entscheiden, ob und inwieweit eine selbstverschuldete Trunkenheit, die die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließt, als strafmildernd zu berücksichtigen ist“ (Schubert/Regge/Rieß/Schmid [Hrsg.], Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, I. Abt.: Weimarer Republik, Bd. 1, 1995, S. 481, 495).
Die Reformarbeiten in der Nachkriegszeit führten dazu, dass an der fakultativen Strafmilderung festgehalten und kein Milderungszwang eingeführt wurde, und mündeten letztlich in den seit dem 1. Januar 1975 geltenden § 21 StGB. Zum Ermessen heißt es in der Begründung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 (E 1962): Ob die Schuld verringert ist, „beruht auf einer Gesamtwürdigung, bei der außer dem Grade der Schuldfähigkeit auch andere Umstände zu berücksichtigen sind; so die Tatschuldumstände (...), aber auch Schuldumstände vor der Tat (z.B. schuldhafte Herbeiführung der verminderten Schuldfähigkeit). Daß die Milderung nur zugelassen und nicht vorgeschrieben ist, ermöglicht einen Ausgleich zwischen der Verminderung der Schuldfähigkeit einerseits und erschwerenden Schuldumständen andererseits bei der Gesamtwürdigung der Schwere der Schuld“ (BT-Drucks. IV/650, S. 142 l. Sp.; ebenso - wortlautidentisch - die Begründungen zum „Entwurf eines Allgemeinen Teils eines Strafgesetzbuches nach den Beschlüssen der Großen Strafrechtskommission in erster Lesung“ von 1958 [E 1958] und zum Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1960 [E 1960]; s. hierzu Rautenberg, Verminderte Schuldfähigkeit, 1984, S. 176). Durch die vorzugswürdige „elastischere“ Ermessensvorschrift erübrige sich eine Regelung über den zwingenden Ausschluss der Strafrahmenmilderung bei selbstverschuldeten Bewusstseinsstörungen (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 142 r. Sp.).
2. Die Entscheidung über das Vorliegen des sonstigen minder schweren Falls des Totschlags im Sinne von § 213 Alternative 2 StGB nimmt der Tatrichter ebenfalls auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der Umstände vor, die nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Kontrolle unterliegt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2015 - 3 StR 638/14, NStZ-RR 2015, 240 mwN). Soweit er für die Prüfung den vertypten Milderungsgrund des § 21 StGB heranzieht, steht dessen Gewichtung in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Nach dem Dafürhalten des Senats stellt es auch insoweit keinen Ermessensfehlgebrauch dar, wenn der Tatrichter nach Würdigung aller bedeutsamen Umstände den minder schweren Fall - wie die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB - mit der Begründung verneint, der Angeklagte habe die schuldfähigkeitsmindernde Alkoholisierung verschuldet, ohne dass es auf Weiteres ankommt (für eine Übertragbarkeit des Maßstabs auch Fischer aaO, § 213 Rn. 14).
Der Senat legt die streitige Rechtsfrage wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 GVG und wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 4 GVG dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vor.
Die Zulässigkeit der Divergenzvorlage ist nicht von der noch ausstehenden Antwort des 2. Strafsenats auf den Anfragebeschluss des Senats vom 15. Oktober 2015 abhängig. Gemäß § 132 Abs. 3 GVG ist das mit negativem Ergebnis durchgeführte Anfrageverfahren zwar Zulässigkeitsvoraussetzung für die Anrufung des Großen Senats wegen Divergenz (vgl. LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 132 GVG Rn. 17; KK/Hannich, StPO, 7. Aufl., § 132 GVG Rn. 13). Ein solches negatives Ergebnis steht hier jedoch bereits fest, nachdem der 5. Strafsenat mit Beschluss vom 1. März 2016 (5 ARs 50/15) und der 1. Strafsenat mit Beschluss vom 10. Mai 2016 (1 ARs 21/15) an ihrer von der Anfrage abweichenden Rechtsprechung festgehalten haben. Die zu beseitigende Divergenz besteht daher unabhängig von der Antwort des 2. Strafsenats. Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung sieht der Senat ausnahmsweise davon ab, diese Antwort abzuwarten.
Für die Vorlage wegen grundsätzlicher Bedeutung ist die Durchführung eines Anfrageverfahrens nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2016 - GSSt 1/16, NJW 2017, 94, 95 f.). Nach Auffassung des Senats hat die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung; die Vorlage dient der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und der Fortbildung des Rechts (s. LR/Franke aaO, Rn. 36 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 284
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 135
Bearbeiter: Christian Becker