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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 594

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 105/13, Beschluss v. 23.04.2013, HRRS 2013 Nr. 594


BGH 1 StR 105/13 - Beschluss vom 23. April 2013 (LG Karlsruhe)

Beleidigung (Strafantragserfordernis; Abgrenzung von der Körperverletzung); Strafmilderung wegen alkoholbedingter Verminderung der Schuldfähigkeit (Milderung bei verschuldeter Trunkenheit: keine verschuldeter Rausch bei Alkoholkrankheit).

§ 185 StGB; § 194 Abs. 1 StGB; § 223 StGB; § 21 StGB; § 49 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Umstände, die die Schuld erhöhen, können zur Versagung der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen. Dies kann bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit der Fall sein, wenn der Täter wusste, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neigt, aber trotzdem Alkohol trinkt. Die gilt aber nur, wenn die verminderte Schuldfähigkeit auf einer selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist.

2. Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist dann nicht verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, liegt regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt (st. Rspr).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 4. Dezember 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben:

a) im Schuldspruch wegen der Tat zu II. 3. der Urteilsgründe,

b) im Ausspruch über die Einzelstrafen mit den zugehörigen Feststellungen wegen der Taten II. 2. und 4. der Urteilsgründe,

c) im Gesamtstrafenausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, mit Beleidigung und mit Sachbeschädigung sowie wegen Beleidigung in sieben tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Rüge. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

1. Die Verurteilung wegen der Tat zu II. 3. der Urteilsgründe kann keinen Bestand haben.

Nach den Feststellungen gab der Angeklagte unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen gegen Ausländer gerichtete beleidigende Äußerungen ab. Anschließend schlug er auf den Geschädigten A. ein und versuchte, diesen mit einem Messer in den Hals zu stechen, was ihm wegen einer Ausweichbewegung des Geschädigten nicht gelang. Als der Geschädigte sich entfernte, trat der Angeklagte gegen dessen Fahrrad, wodurch dieses Beschädigungen davontrug. Als der Geschädigte sich wieder näherte, versetzte ihm der Angeklagte einen weiteren Schlag in das Gesicht.

Ausgehend hiervon kann die Verurteilung wegen Beleidigung keinen Bestand haben. Es erschließt sich nicht, in welcher Handlung das Landgericht die den Tatbestand erfüllende Handlung des Angeklagten sieht. Soweit die beleidigenden Äußerungen gegen Ausländer erfasst sein sollten, fehlte es an dem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Strafantrag eines Verletzten und mithin an einer Verfahrensvoraussetzung. Sollte hingegen der Geschädigte A. als Verletzter der Beleidigung anzusehen sein, wäre auch hierdurch der Tatbestand eines Beleidigungsdelikts nicht hinreichend belegt. Zwar hat dieser Geschädigte rechtzeitig Strafantrag wegen Beleidigung gestellt, jedoch lässt sich den Feststellungen keine ehrverletzende Äußerung zu seinen Lasten entnehmen. Der Senat kann auch nicht ausreichend sicher erkennen, dass das Landgericht in den körperverletzenden Handlungen zugleich eine konkludente Beleidigung gesehen hat, da es einen ehrverletzenden Charakter des Angriffs (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 5. März 2009 - 4 StR 594/08, NStZ-RR 2009, 172) nicht festgestellt hat.

Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der für sich genommen rechtlich nicht zu beanstandenden tateinheitlichen Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung. Dem Senat erscheint aber möglich, dass noch entsprechende Feststellungen getroffen werden können, die den Schuldspruch auch wegen Beleidigung zu Lasten des Geschädigten A. tragen. Der Aufhebung der bisherigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedurfte es nicht.

2. Die Strafaussprüche wegen der Taten zu II. 2. und 4. der Urteilsgründe können ebenfalls keinen Bestand haben.

Das Landgericht hat in diesen Fällen nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte aufgrund "fast immer vorhandener deutlicher Alkoholisierung" in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Anders als bei der Tat zu II. 1., bei der das Vorliegen des vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB mit bestimmendem Gewicht zur Annahme eines minder schweren Falls nach § 250 Abs. 3 StGB geführt hat, hat es für die Taten zu II. 2. und 3. nicht ersichtlich erwogen, ob dies zur Annahme eines minder schweren Falles nach § 224 Abs. 1 Alt. 2 StGB führen könnte. Eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hat es für diese beiden Taten genauso abgelehnt wie für die Tat zu II. 4., da angesichts der zahlreichen Gewaltdelikte des Angeklagten dieser um seine Bereitschaft, sehr schnell gewalttätig zu werden, gewusst habe.

Diese Strafrahmenbestimmung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Zwar können Umstände, die die Schuld erhöhen, zur Versagung der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen. Dies kann - wovon die Strafkammer zutreffend ausgeht - bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit der Fall sein, wenn der Täter wusste, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neigt, aber trotzdem Alkohol trinkt. Die Strafkammer hat aber nicht erkennbar bedacht, dass das nur gilt, wenn die verminderte Schuldfähigkeit auf einer selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist. Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist aber dann nicht verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, liegt regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2012 - 3 StR 216/12).

Die Ausführungen des Landgerichts lassen es als nahe liegend erscheinen, dass der Angeklagte im dargestellten Sinne alkoholkrank war. Denn die Strafkammer stellt dem Sachverständigen folgend fest, dass beim Angeklagten eine schwere Abhängigkeit von Alkohol und Opiaten vorliegt, welche im Laufe der Jahre zu schweren Persönlichkeitsveränderungen geführt hat. Seit seinem 15. Lebensjahr konsumiert der heute 46 Jahre alte Angeklagte Alkohol in erheblichen Mengen, später auch härtere Drogen. Mehrere Entziehungstherapien blieben erfolglos. Der Angeklagte ist auf Dauer arbeitsunfähig. Straftaten unter Alkohol sind seit 1983 immer wieder dokumentiert. Vor diesem Hintergrund hätte sich die Strafkammer mit der Frage einer krankhaften Alkoholsucht näher auseinandersetzen müssen (vgl. BGH aaO; Urteil vom 12. Juni 2008 - 3 StR 84/08, NStZ 2009, 258; Beschluss vom 3. Februar 2011 - 4 StR 673/10).

Der Schuldspruch wird von dem Rechtsfehler nicht berührt. Der Senat kann vielmehr ausschließen, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung schuldunfähig war.

3. Die Aufhebung des Schuldspruchs für die Tat zu II. 3. und der Einzelstrafen für die Taten zu II. 2. und 4. zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 594

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel