HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 771
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 194/14, Beschluss v. 24.06.2014, HRRS 2014 Nr. 771
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 6. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Mit seiner gegen die Verurteilung gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Nach den Feststellungen übte der Angeklagte mit der damals 13 Jahre alten geschädigten Zeugin, die er über das Internet kennen gelernt hatte, in fünf Fällen einvernehmlich Vaginal- bzw. Oralverkehr aus. Die Initiative zu diesen Sexualkontakten war sowohl vom Angeklagten als auch der Zeugin ausgegangen. Seine Einlassung, er habe der Zeugin deren Angabe geglaubt, sie sei bereits 18 Jahre alt, hat das Landgericht als widerlegt angesehen. Zur Begründung hat es auf die Angaben, die der Stiefvater der Zeugin in einem Telefongespräch gegenüber dem Angeklagten machte, und weitere Umstände abgestellt.
Die von der Revision erhobene Rüge der Verletzung der § 338 Nr. 5, § 247 StPO greift durch.
Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Der Vorsitzende der Strafkammer teilte in einem Fortsetzungstermin mit, die Zeugin und deren Mutter hätten im Foyer des Gerichtssaals darum gebeten, dass die Zeugin nicht in Anwesenheit des Angeklagten aussagen müsse. Nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten beschloss die Strafkammer sodann, dass der Angeklagte für die Dauer der Vernehmung der Zeugin gemäß § 247 Satz 1 und 2 StPO aus dem Sitzungssaal entfernt werde. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Zeugin habe auf dem Gerichtsflur weinend darum gebeten, dem Angeklagten nicht gegenübertreten zu müssen, da sie dann nicht reden könne. Ihre Mutter habe dringend darum gebeten, ihr Kind nicht in Anwesenheit des Angeklagten zu befragen. Mit Blick auf die Wichtigkeit des persönlichen Eindrucks von der Zeugin und die Aufklärungspflicht sei wie geschehen zu entscheiden.
Diese knappe, im Wesentlichen nur die unsubstantiierten Angaben der Zeugin und ihrer Mutter referierende Begründung genügt den Anforderungen des § 247 Satz 1 StPO hier nicht. Der zeitweise Ausschluss des Angeklagten ist durch einen Gerichtsbeschluss anzuordnen, dessen Begründung zweifelsfrei ergeben muss, dass das Gericht von zulässigen Erwägungen ausgegangen ist.
Der bloße Wunsch eines Zeugen, in Abwesenheit des Angeklagten aussagen zu dürfen, rechtfertigt für sich eine Anordnung nach § 247 Satz 1 StPO noch nicht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. Dezember 1967 - 2 StR 616/67, BGHSt 22, 18, 21; Beschluss vom 15. August 2001 - 3 StR 225/01, BGHR StPO § 247 Satz 1 Begründungserfordernis 5). Die Befürchtung des Gerichts, dass die Anwesenheit des Angeklagten den Zeugen von einer wahren und vollständigen Aussage abhalten werde, muss sich auf konkrete, im Einzelfall begründete Tatsachen stützen und nicht etwa nur auf allgemeine Erwägungen (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 247 Rn. 15 mwN; KK/Diemer, 7. Aufl., § 247 Rn. 5). Die Norm erfordert deshalb mit Blick auf die Schwere des Eingriffs in die Rechte des Angeklagten grundsätzlich eine substantiierte Begründung dessen zeitweisen Ausschlusses von der Hauptverhandlung. Eine solche kann in Fällen der vorliegenden Art allenfalls dann als entbehrlich angesehen werden, wenn sich unmittelbar aus dem Anklagegegenstand sowie aus der Person von Zeugen und Angeklagtem und ihrer Beziehung zueinander ohne Weiteres eine massive Furcht des Zeugen vor dem auszuschließenden Angeklagten aufdrängt, die geeignet erscheint, den Zeugen von wahren, insbesondere vollständigen Angaben in Gegenwart des Angeklagten abzuhalten, wie es beispielsweise bei psychisch schwer geschädigten Opfern von Sexualverbrechen auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 21. April 1999 - 5 StR 715/98, BGHR StPO § 247 Satz 1 Begründungserfordernis 3).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Zeugin beschränkte sich im Wesentlichen auf die Anbahnung und Durchführung der von beiden gewünschten sexuellen Handlungen. Irgendwelche durch den Kontakt mit dem Angeklagten hervorgerufenen psychischen Beeinträchtigungen der Zeugin hat das Landgericht nicht feststellen können. Ein objektiver Anlass für eine begründete Furcht der Zeugin vor einer Aussage in Gegenwart des Angeklagten lag deshalb nicht nahe. Bei dieser Sachlage war eine sorgfältige Begründung der Anordnung unerlässlich, in der das gewichtige Interesse des Angeklagten, während der Vernehmung der wichtigsten Belastungszeugin an der Hauptverhandlung teilzunehmen, mit berechtigten Interessen der Zeugin abzuwägen gewesen wäre. In die Bewertung wäre gegebenenfalls auch einzustellen gewesen, ob den Interessen der Zeugin etwa mit Anordnungen zum Verhalten des Angeklagten während ihrer Vernehmung oder zur Sitzordnung in ausreichender Weise hätte Rechnung getragen werden können (BGH, Beschluss vom 21. April 1999, aaO).
Ausreichende Anhaltspunkte, welche die Voraussetzungen des § 247 Satz 2 StPO belegen könnten, sind weder in der Beschlussbegründung dargelegt noch sonst ersichtlich.
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 771
Externe Fundstellen: NStZ 2015, 103; StV 2014, 716
Bearbeiter: Christian Becker