HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 441
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 496/12, Beschluss v. 21.02.2013, HRRS 2013 Nr. 441
Auf die Revisionen der Angeklagten J. und A. wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 21. Juni 2012 mit den jeweiligen Feststellungen aufgehoben in den Fällen
II. 3.;
II. 4., soweit der Angeklagte A. verurteilt worden ist;
II. 5., soweit der Angeklagte J. verurteilt worden ist; d) II. 6., insofern auch, soweit der Angeklagte O. verurteilt worden ist; sowie in den gesamten Rechtsfolgenaussprüchen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten J. sowie die Revision des Nebenklägers F. werden verworfen.
Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die den Angeklagten O. und A. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten J. und A. sowie den Mitangeklagten O. - jeweils unter Freispruch im Übrigen - wie folgt verurteilt:
- den Angeklagten J. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Diebstahl, wegen gefährlicher Körperverletzung in drei weiteren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Diebstahl und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit besonders schwerem Raub, wegen vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Diebstahls unter Einbeziehung eines anderen Urteils zu einer Jugendstrafe von acht Jahren,
- den Angeklagten A. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Brandstiftung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren,
- den Angeklagten O. wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Diebstahls sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren.
Es hat neben den verhängten Strafen gegen alle drei Angeklagten die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und - jeweils mit unterschiedlicher Dauer - den Vorwegvollzug der Strafen bestimmt.
Die Angeklagten J. und A. wenden sich mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen, gegen ihre Verurteilungen. Der Angeklagte O. hat kein Rechtsmittel eingelegt.
Die Revisionen der Angeklagten J. und A. haben mit der Sachrüge Erfolg, soweit sie im Fall II. 6. ihre Verurteilung wegen versuchten Mordes beanstanden.
Darüber hinaus ist das Rechtsmittel des Angeklagten J. auch insoweit begründet, als er sich gegen seine Verurteilung wegen besonders schweren Raubes im Fall II. 3. und wegen gefährlicher Körperverletzung im Fall II. 5. wendet. Der Angeklagte A. beanstandet zu Recht auch seine Verurteilung wegen Brandstiftung im Fall II. 4., so dass sich seine Revision als insgesamt begründet erweist.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der weitergehenden Revision des Angeklagten J. hat keinen Rechtsfehler zu seinen Ungunsten ergeben. Das Rechtsmittel war daher insoweit gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
I. Die Verurteilung der Angeklagten J. und A. im Fall II. 6. der Urteilsgründe ist auf die Sachrüge aufzuheben; auf die insoweit erhobenen Verfahrensbeanstandungen kommt es daher nicht an.
1. Das Landgericht hat zum Fall II. 6. im Wesentlichen festgestellt, dass die alkoholisierten Angeklagten in der Verdener Innenstadt auf den dort schlafenden T. trafen. Sie schlugen und traten in einer vom Landgericht nachvollziehbar als "Gewaltorgie" bezeichneten Aktion immer wieder wuchtig auf ihn ein, auch gegen seinen Kopf. Dadurch verursachten sie massive Verletzungen, die ohne eine umgehende, nur durch das zufällige Auffinden des bewusstlosen Opfers ermöglichte medizinische Versorgung binnen kurzer Zeit zum Tode geführt hätten.
2. Das Landgericht hat auf der Grundlage seiner - auch zur subjektiven Seite - rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zutreffend angenommen, dass sich die Angeklagten des versuchten Totschlags schuldig gemacht haben. Die Bewertung, dass sie dabei aus niedrigen Beweggründen handelten, hält der revisionsrechtlichen Prüfung indes nicht stand. Das Landgericht hat bei der Annahme niedriger Beweggründe nämlich allein auf das objektiv äußerst brutale Tatgeschehen abgestellt, ohne die für die einzelnen Angeklagten maßgeblichen subjektiven Beweggründe zu erörtern. Die Beurteilung, ob ein Beweggrund "niedrig" ist, setzt aber regelmäßig zunächst die Feststellung der Tatmotive voraus. Daran fehlt es hier.
Zwar geht die Strafkammer im Ansatz zutreffend davon aus, dass die Beurteilung niedriger Beweggründe einer Gesamtwürdigung bedarf, die alle äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren einschließt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 2. Dezember 1987 - 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 127; vom 1. März 2012 - 3 StR 425/11, NStZ 2012, 691, 692). Jedoch teilt das Urteil die tatsächlichen Beweggründe der Angeklagten nicht mit. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe und der Feststellung, den Angeklagten sei zu Beginn des Geschehens unausgesprochen klar gewesen, dass man dem Geschädigten "nunmehr bei dieser Gelegenheit eine Abreibung verpassen wollte", ergibt sich nicht, welche Motive für die Täter maßgeblich waren. Es bleibt insbesondere offen, ob und gegebenenfalls für welchen der Täter handlungsleitend war, dass der Geschädigte mehrere Jahre vor der Tat die Mutter des Angeklagten A. über einen längeren Zeitraum körperlich misshandelt hatte. Wäre dies für die Tatmotivation maßgeblich gewesen, hätte es jedenfalls in die erforderliche Gesamtwürdigung einbezogen werden müssen, wenngleich je nach den weiteren Umständen auch Gefühlsregungen wie Wut, Ärger, Hass und Rache als niedrige Beweggründe in Betracht kommen können (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 4 StR 180/10, NStZ 2011, 35 mwN).
3. Der Senat kann letztlich nicht sicher ausschließen, dass die Strafkammer bei Vornahme der erforderlichen Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der subjektiven Faktoren keine niedrigen Beweggründe angenommen hätte.
Die danach erforderliche Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Mordes ist auf den Mitangeklagten O. zu erstrecken (§ 357 StPO). Dies entzieht der gegen ihn verhängten Jugendstrafe und dem Maßregelausspruch die Grundlage.
II. Auf die Revision des Angeklagten J. ist im Übrigen seine Verurteilung in den Fällen II. 3. und II. 5. aufzuheben.
1. Im Fall II. 3. schlug der Angeklagte J. nach den Urteilsfeststellungen dem zufällig auf einer Straße angetroffenen M. zunächst kräftig mit der Faust ins Gesicht. Daraufhin trat der Begleiter des Angeklagten H. auf den inzwischen auf dem Boden liegenden Geschädigten ein; der Angeklagte J. schlug weiter zu. Während der Übergriffe nahm H. dem Opfer das Portemonnaie ab und gab es noch am Tatort dem Angeklagten J. .
Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch (auch) wegen besonders schweren Raubes (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 und 3a StGB) nicht, da sich ihnen eine finale Verknüpfung zwischen dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme nicht entnehmen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - 3 StR 68/12, NStZ-RR 2012, 270 mwN). Die Feststellungen verhalten sich nicht zur subjektiven Tatseite. Auch die (die Wegnahme betreffenden) Erwägungen in der Beweiswürdigung, es habe sich ein gemeinschaftlicher Vorsatz entwickelt, der sukzessive in der Übergabe des Portemonnaies gegipfelt habe, lassen offen, ob der Gewalteinsatz erfolgte, um die Wegnahme zu ermöglichen. Allein der Umstand, dass die Wirkungen einer ohne Wegnahmeabsicht ausgeübten Gewalt andauern und der Täter dies zur Wegnahme ausnutzt, genügt indes für die Annahme eines Raubes nicht (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - 3 StR 68/12 aaO).
2. Die Feststellungen zu Fall II. 5. tragen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB) nicht, da aus diesen nicht zu ersehen ist, dass der Angeklagte J. die Qualifikationsmerkmale verwirklicht hat. Danach schlug der Angeklagte dem Nebenkläger F. einmal wuchtig mit der Faust ins Gesicht, so dass dieser zu Boden ging. Daraufhin bildete sich eine Menschentraube um den Geschädigten, aus der heraus er geschlagen und getreten wurde, während der Angeklagte J. drohend in der Menschenansammlung stehen blieb.
Dies allein genügt nicht, um ihm die Handlungen der weiteren, erst nach seiner Tathandlung zusammengekommenen Personen mittäterschaftlich zuzurechnen. Mittäterschaft setzt nämlich voraus, dass jeder Beteiligte im Sinne eines zumindest konkludent gefassten gemeinschaftlichen Willensentschlusses seine eigene Tätigkeit durch die Handlung des anderen ergänzen und auch diese sich zurechnen lassen will, dass somit alle im bewussten und gewollten Zusammenwirken handeln (BGH, Beschluss vom 19. Februar 1997 - 3 StR 21/97, NStZ 1997, 336). Ein solches - möglicherweise auch unausgesprochenes - gegenseitiges Einverständnis ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die subjektive Tatseite wird insoweit nicht erörtert. Aus der Feststellung, die Gruppe habe den Angeklagten als stadtbekannten Verdener gegenüber dem auswärtigen Studenten F. unterstützen wollen, ergibt sich nicht, dass im Gegenzug die Handlungen aus der Gruppe mit dem Einverständnis des Angeklagten geschahen.
3. Die danach erforderliche Aufhebung der Schuldsprüche im Fall II. 3. wegen besonders schweren Raubes und im Fall II. 5. wegen gefährlicher Körperverletzung erstreckt sich auch auf die jeweils dazu in Tateinheit stehenden Delikte (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 3 StR 231/11, NJW 2012, 325, 328 mwN).
Mit der Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II. 3., II. 5. und II. 6. ist die Grundlage für die Einheitsjugendstrafe und die Unterbringungsanordnung entfallen, so dass die gesamte Rechtsfolgenentscheidung keinen Bestand haben kann.
III. Auf die Revision des Angeklagten A. ist auch die Verurteilung im Fall II. 4. wegen Brandstiftung in Tateinheit mit Diebstahl (§ 242 Abs. 1, § 306 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StGB) aufzuheben, weil ein zumindest bedingter Brandstiftungsvorsatz nicht belegt ist.
Nach den Urteilsfeststellungen wollte der Angeklagte A. mit einem Feuerzeug Brandzeichen an die Wand eines "Hähnchenwagens" schreiben und sich so dort "verewigen". Bei der Aktion geriet der Wagen in Brand und brannte aus. Dass der Angeklagte A. diesen Verlauf für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, folgt daraus nicht ohne Weiteres. Die Strafkammer hat nicht dargelegt, woraus sie auf den von ihr (im Rahmen der rechtlichen Würdigung) angenommenen Eventualvorsatz geschlossen hat. Entsprechende Ausführungen waren hier nach den Gesamtumständen nicht entbehrlich, zumal die Ursachen für die schnelle Brandentwicklung ungeklärt geblieben sind.
Die Aufhebung der Verurteilung wegen Brandstiftung erstreckt sich auch auf den tateinheitlichen Diebstahl.
IV. Die Revision des Nebenklägers F. ist insgesamt zulässig, aber (soweit sie zu Lasten der Angeklagten eingelegt ist) unbegründet.
1. Das Rechtsmittel des Nebenklägers ist auch hinsichtlich des Angeklagten A. zulässig; denn aus der Revisionsbegründung ergibt sich, dass sich die Revision gegen dessen Freispruch wendet und eine Verurteilung (zumindest) wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung erstrebt. Der Senat kann über die Revision insoweit ebenfalls durch Beschluss entscheiden, da die vorrangig auf eine Verwerfung nach § 349 Abs. 1 StPO gerichtete Antragsschrift des Generalbundesanwalts für den Fall der Zulässigkeit eine Verwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO begehrt.
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der - Fall II. 5. betreffenden - Revisionsbegründung des Nebenklägers hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten J., A. und O. erbracht. Die entsprechend §§ 301, 401 Abs. 3 Satz 1 StPO gebotene Nachprüfung auch zugunsten der Rechtsmittelgegner (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1986 - 3 StR 377/86, NStE Nr. 22 22 23 24 25 zu § 46 StGB; Beschluss vom 12. Januar 2010 - 4 StR 589/09, NStZ 2010, 512 f.) hat allein den bereits (oben unter II. 2.) aufgezeigten Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten J. ergeben.
V. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Revision des Nebenklägers beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 3 StPO. Der Nebenkläger hat lediglich die durch seine Revision entstandenen Auslagen der Angeklagten O. und A. zu tragen, die hinsichtlich der ihn betreffenden Tat kein Rechtsmittel eingelegt haben. Demgegenüber hat er die Auslagen des Angeklagten J. nicht zu erstatten, da dieser bezüglich der den Nebenkläger betreffenden Tat selbst Revision eingelegt hat und somit kein alleiniges Rechtsmittel des Nebenklägers im Sinne des § 473 Abs. 1 Satz 3 StPO gegeben ist (vgl. LöweRosenberg/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 93).
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 441
Externe Fundstellen: NStZ 2013, 470
Bearbeiter: Christian Becker