hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 723

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 68/12, Beschluss v. 10.05.2012, HRRS 2012 Nr. 723


BGH 3 StR 68/12 - Beschluss vom 10. Mai 2012 (LG Hannover)

Beteiligung an einer gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung durch nicht am Tatort anwesenden Beschuldigten; Verknüpfung von qualifizierter Nötigung und Wegnahmeabsicht beim Raub.

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB; § 249 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 30. September 2011, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Raub und mit gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensbeanstandungen kommt es daher nicht an.

Der Schuldspruch ist rechtsfehlerhaft, soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten und Adhäsionsklägers G. sowie wegen Raubes von Sachen des Geschädigten V. verurteilt worden ist. Dies hat die Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen zur Folge (§ 353 StPO).

1. Hinsichtlich der Verurteilung wegen - tateinheitlich begangener - gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zum Nachteil des Geschädigten G. hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte mit dem Geschädigten V. dessen Zimmer verließ, um Bewohner des Wohnheimes zu befragen, ob sie diesem Geschädigten V. Geld leihen würden. Der Geschädigte G. blieb mit den Mitangeklagten S., D. und F. im Zimmer zurück. Diese wollten verhindern, dass G. flüchtete und die Polizei benachrichtigte, gegebenenfalls mit Gewalt und körperlichen Angriffen gegen G. . Der Angeklagte war damit einverstanden. Nachdem der Angeklagte und V. das Zimmer verlassen hatten, versuchte G. aus diesem zu fliehen, woraufhin ihn die drei verbliebenen Mitangeklagten zurückhielten und ihm Schläge versetzten.

Daran anschließend verletzte der Mitangeklagte S. den Geschädigten mit einem vorgefundenen Messer. Das Landgericht begründet den Schuldspruch gegen den Angeklagten insoweit damit, dass diesem - mit Ausnahme des Messereinsatzes durch S. - die Körperverletzungshandlungen der Tatgenossen zuzurechnen seien, weil er "das Tun der Übrigen geduldet, gebilligt und so an den Körperverletzungen als Mittäter teilgenommen" habe. Diese Annahme hat das Landgericht nicht belegt.

Der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB macht sich schuldig, wer die Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Danach haben zwar die Mitangeklagten S., D. und F. eine gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB begangen, indem jeder von ihnen dem Geschädigten G. Schläge versetzte, als dieser versuchte, aus dem Zimmer zu fliehen. Hingegen hatte der Angeklagte dieses Zimmer schon zuvor mit dem Geschädigten V. verlassen, um diesen bei dem Versuch zu bewachen, bei anderen Bewohnern des Hauses Geld zu erlangen.

Er war somit zum Zeitpunkt der Gewaltanwendungen nicht am Tatort anwesend und kehrte erst nach deren Abschluss wieder dahin zurück. Ob ein Abwesender Tatbeteiligter der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung anderer ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln der Mittäterschaft der Anstiftung oder Beihilfe (vgl. MünchKommStGB/Hardtung, 1. Aufl., § 224 Rn. 27 mwN; SK-StGB/Horn/Wolters, 57. Lfg., § 224 Rn. 27). Seine Mittäterschaft setzt somit zumindest voraus, dass er und seine Tatgenossen die Tat als gemeinschaftliche wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1999 - 4 StR 312/99, NStZ 2000, 194, 195). Schon dies hat die Strafkammer für den Angeklagten hinsichtlich der Körperverletzungen zum Nachteil des Geschädigten G. nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Soweit sie annimmt, der Angeklagte sei damit einverstanden gewesen, dass seine Tatgenossen eine Flucht dieses Geschädigten "gegebenenfalls mit Gewalt und körperlichen Angriffen" verhindern, fehlt es an einer diese Feststellung belegenden Beweiswürdigung. Solches versteht sich unter den gegebenen Umständen auch nicht von selbst.

2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen - tateinheitlich begangenen - Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 52 Abs. 1 StGB zum Nachteil des Geschädigten V. ist ebenfalls nicht rechtfehlerfrei. Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte - während der Geschädigte V. von den Tatgenossen weiter geschlagen wurde - einen (kleinen handlichen) DVD - Player und einen DVBT - Receiver an sich nahm und in einen mitgeführten Rucksack steckte, um diese Geräte für sich zu behalten. Das Landgericht geht davon aus, der Angeklagte habe dadurch, dass er "auf der Grundlage und in Ausnutzung der gegen V. angewendeten Gewalt die Gegenstände in seinen Rucksack gesteckt hat, tateinheitlich einen Raub" begangen.

Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, dass der Angeklagte oder die Mitangeklagten gegen den Geschädigten Gewalt oder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für dessen Leib oder Leben als Mittel eingesetzt haben, um die Wegnahme der Geräte zu ermöglichen. Die Gewaltanwendung der Tatgenossen erfolgte nach den Feststellungen, um von dem Geschädigten Geld oder illegale Drogen zu erpressen, nicht jedoch zum Zwecke der Wegnahme der beiden Gegenstände. Vielmehr fasste der Angeklagte den - dem ursprünglichen gemeinsamen Plan aller Täter nicht entsprechenden - Entschluss hierzu bei Gelegenheit der zur Erpressung des Geschädigten V. von den anderen Tätern eingesetzten Gewalt. Danach fehlt es an der erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen einer Nötigungshandlung und der Wegnahme. Allein der Umstand, dass die Wirkungen der ohne Wegnahmeabsicht ausgeübten Gewalt andauern und der Täter dies zur Wegnahme ausnutzt, genügt für die Annahme eines Raubes aber nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 1997 - 4 StR 105/97, NStZ-RR 1997, 298; vom 29. April 1999 - 4 StR 44/99, NStZ 1999, 510). Eine Handlung des Angeklagten vor oder bei der Wegnahme, die eine - eventuell auch konkludente - Drohung mit weiterer Gewaltanwendung beinhaltet hätte, ist nicht festgestellt.

3. Da der Angeklagte wegen mehrerer tateinheitlicher Delikte (§ 52 Abs. 1 StGB) verurteilt worden ist, führen die aufgezeigten Rechtsfehler zur Aufhebung des gesamten den Angeklagten betreffenden Urteils, auch soweit der Schuldspruch keinen Rechtsfehler erkennen lässt (vgl. KK-Kuckein, 6. Aufl., § 353 Rn. 12). Dies hat auch die Aufhebung des zu Gunsten des Geschädigten und Adhäsionsklägers G. ergangenen Entschädigungsausspruches gegen den Angeklagten zur Folge (§ 406a Abs. 3 Satz 1 StPO; vgl. KK-Engelhardt, 6. Aufl., § 406a Rn. 3).

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 723

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2012, 270; StV 2013, 438

Bearbeiter: Christian Becker