HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 520
Bearbeiter: Goya Tyszkiewicz
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 17/12, Beschluss v. 28.02.2012, HRRS 2012 Nr. 520
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 23. September 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Ihre dagegen gerichtete Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachbeschwerde Erfolg; auf die Verfahrensbeanstandung kommt es nicht an.
1. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, denn das Urteil entbehrt einer die Annahme von Tötungsvorsatz tragenden lückenlosen Beweiswürdigung.
a) Nach den Feststellungen fügte die Angeklagte ihrem Ehemann, der mit einem Blutgerinnungshemmer medikamentiert wurde, mit direktem Tötungsvorsatz um die Mittagszeit des 14. März 2010 unter Zuhilfenahme eines halbscharfen Gegenstands, möglicherweise einer Schere, vier Rissverletzungen am Kopf zu, die zu einem starken Blutverlust, dadurch verursacht einem Kreislaufzusammenbruch und binnen einer halben Stunde zu seinem Tod führten.
Eine Blutuntersuchung der alkoholabhängigen und unter einer komplexen Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und zwanghaften Anteilen leidenden Angeklagten ergab am gleichen Tag um 21.38 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 2,3 ‰.
Auf den direkten Tötungsvorsatz der die Tat bestreitenden und wegen ihrer Alkoholisierung in Kombination mit ihrer Persönlichkeitsstörung nicht ausschließbar in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich verminderten Angeklagten hat das Landgericht aufgrund der Gefährlichkeit der Tatausführung, der Kenntnis der Angeklagten von der Medikamentierung des Opfers und des Unterlassens von Rettungsbemühungen nach der Tat geschlossen. Im Übrigen hat es ausgeführt, es hätten sich "keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass bei der Angeklagten in der unmittelbaren Tatsituation irgendwelche Umstände vorgelegen hätten, die ihre Fähigkeit, die Lebensgefährlichkeit ihres Handelns zu erkennen oder einen Tötungsvorsatz willentlich zu bilden, eingeschränkt hätten".
b) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Der Schluss von der Gefährlichkeit der Tatausführung auf den Tötungsvorsatz ist nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden subjektiven und objektiven Umstände in seine Erwägungen einbezieht, die dieses Ergebnis in Frage stellen können; dies gilt insbesondere bei der Annahme von direktem Tötungsvorsatz (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 225/11, juris Rn. 5; Beschluss vom 27. Oktober 2011 - 3 StR 351/11, juris Rn. 5). Es versteht sich nicht von selbst, dass ein Täter, der - wenn auch lediglich nicht ausschließbar - aufgrund einer Persönlichkeitsstörung und Alkoholintoxikation in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert ist, noch erkennt, dass seine Gewalthandlung zum Tod des Opfers führen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2011, aaO). Im Übrigen kann insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das selbständig neben dem Wissenselement stehende voluntative Vorsatzelement gegeben ist (BGH, Urteil vom 25. November 2011 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338, 339).
Danach hätte sich das Landgericht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes auch damit auseinandersetzen müssen, ob die Umstände, die es zur Annahme einer nicht ausschließbar verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten veranlassten, das kognitive Vorsatzelement tangierten. Zu dieser Prüfung hätte es umso mehr Anlass gehabt, als die dem Opfer beigebrachten Risswunden auch mit Rücksicht auf seine Medikamentierung keine Verletzungen darstellten, deren Lebensbedrohlichkeit ohne weiteres erkennbar gewesen wäre. Da das Landgericht bei der Angeklagten im Tatzeitpunkt einen "affektiven Ausnahmezustand" festgestellt sowie dargelegt hat, der Tatablauf deute "auf eine abrupte Entladung einer schweren Anspannung in Form eines plötzlichen, explosionsartigen Aggressionsdurchbruchs", hätte es sich außerdem unter diesem Gesichtspunkt näher mit dem voluntativen Vorsatzelement befassen müssen.
c) Die Aufhebung des Schuldspruchs führt auch zur Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Wegen der nach Sachlage erforderlichen Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände gibt der Senat dem neuen Tatrichter Gelegenheit, nicht nur zur inneren Tatseite, sondern insgesamt neue Feststellungen zu treffen.
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Der neue Tatrichter wird bei der neuerlichen Prüfung der Schuldfähigkeit der Angeklagten bei Tatbegehung in Rechnung zu stellen haben, dass ihr Verhalten mehrere Stunden nach der Tat nur begrenzt Rückschlüsse auf ihre Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt zulässt. Sollte der neue Tatrichter eine Schuldunfähigkeit ausschließen, sich aber nicht von (wenigstens bedingtem) Tötungsvorsatz im Zeitpunkt der Verletzungshandlung überzeugen, wird er Anlass haben, das Tatgeschehen unter dem Aspekt einer Körperverletzung mit Todesfolge und eines Totschlags durch Unterlassen zu würdigen.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 520
Externe Fundstellen: StV 2012, 663
Bearbeiter: Goya Tyszkiewicz