HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 1036
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, StB 38/09, Beschluss v. 22.09.2009, HRRS 2010 Nr. 1036
Auf die sofortige Beschwerde des Drittbetroffenen wird der Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 2009 - 2 BGs 138/09 - aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zurückverwiesen.
Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten T. und andere Personen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigungen Al Qaeda, Al Qaeda im Zweistromland und Ansar al Islam sowie weiterer Straftaten. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, in der Zeit vom 25. November 2007 bis zum 5. Januar 2008 in fünf Fällen auf den Internetseiten der "Globalen Islamischen Medienfront" (GIMF) Propagandamaterial der Al Qaeda, das auf die Werbung neuer Mitglieder und Unterstützer abgezielt haben soll (§ 129a Abs. 1 und Abs. 5 Satz 2, § 129b Abs. 1 StGB), weiterverbreitet zu haben. Außerdem soll er die ausländischen terroristischen Vereinigungen Al Qaeda im Zweistromland sowie Ansar al Islam dadurch unterstützt haben, dass er deren auf Einschüchterung und Demoralisierung ihrer Gegner ausgerichtetes Propagandamaterial (Enthauptungsszenen) in das Forum der Globalen Islamischen Medienfront einstellte.
Im Verlauf des Ermittlungsverfahrens hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichthofs durch mehrere Beschlüsse die Überwachung und Aufzeichnung der vom Beschuldigten T. über einen von ihm genutzten Telefonanschluss geführten Telekommunikation angeordnet. Die Maßnahme ist vom Bundeskriminalamt vollzogen worden. Mit Schreiben vom 29. Januar 2009 hat der Generalbundesanwalt den Beschwerdeführer davon unterrichtet, dass er zweimal an der Telekommunikation des im Zeitraum vom 6. Dezember 2007 bis zum 14. August 2008 überwachten Telefonanschlusses beteiligt war.
Die Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers hat mit Schriftsatz vom 17. Februar 2009 die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Telekommunikations-überwachungsmaßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs beantragt. Gleichzeitig hat sie den Antrag gestellt, ihr Akteneinsicht zu gewähren. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat daraufhin der Verfahrensbevollmächtigten die Beschlüsse des Ermittlungsrichters, mit denen die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation angeordnet worden war, in abgekürzter Form - ohne Teil II. der Begründung -, Vermerke über den Beginn und die Beendigung der Überwachungsmaßnahme sowie eine Ereignisliste (Teilauswahl) zum Zweck der Einsichtnahme übersandt.
Mit Beschluss vom 19. Juni 2009 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Antrag des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen. Hiergegen richtet sich dessen sofortige Beschwerde.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichthofs hat über den Antrag des Beschwerdeführers entschieden, die Rechtmäßigkeit der Anordnung und des Vollzugs der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme zu überprüfen, ohne dass diesem zuvor von dem zur Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch berufenen Generalbundesanwalt (§ 478 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG) Akteneinsicht im erforderlichen Umfang gewährt worden war. Damit hat er den Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an den Ermittlungsrichter. Im Einzelnen:
1. Die an einer überwachten Telekommunikation beteiligten Personen können auch nach Beendigung der Maßnahme bis zu zwei Wochen nach der Benachrichtigung die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs beantragen (§ 101 Abs. 7 Satz 2 StPO). Da ihnen das Gesetz in diesem Verfahren die Stellung eines Verfahrensbeteiligten einräumt, haben sie einen Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieser Anspruch, der in einem funktionalen Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes steht und grundsätzlich unabdingbar ist, sichert jedem Verfahrensbeteiligtem das Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung seines Vorbringens bei einer gerichtlichen Entscheidung. Zum rechtlichen Gehör vor Gericht gehört insbesondere die Möglichkeit, sich auf Antrag über alle entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweismittel durch Einsicht in die Akten zu informieren (vgl. BVerfG NStZ 2007, 274; BVerfG NStZ-RR 2008, 16, 17; BGH, Beschl. vom 22. September 2009 - StB 28/09).
Im Rechtsbehelfsverfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO richtet sich der Umfang des Akteneinsichtsrechts einer Person, die nicht am Ermittlungs- bzw. Strafverfahren im engeren Sinn beteiligt, sondern zufällig als Gesprächspartner von der heimlichen Überwachung der Telekommunikation betroffen ist, im Grundsatz nach §§ 475 ff. StPO mit der Einschränkung, dass bei Anwendung dieser Vorschriften in geeigneter Weise dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Rechnung zu tragen ist. Deshalb hat sie das Recht, bevor eine Entscheidung in diesem Verfahren ergeht, Auskunft aus den Ermittlungsakten zu erhalten bzw. diese einzusehen, soweit dies für die konkrete Rechtsverfolgung unerlässlich ist. Ihrem Rechtsanwalt sind deshalb auf Antrag neben den vollständigen, ungekürzten Anordnungsbeschlüssen des Richters diejenigen Aktenteile und Beweismittel zur Verfügung zu stellen, auf die sich die zu überprüfende Entscheidung stützt und die die Anordnungsvoraussetzungen belegen, insbesondere den Anfangsverdacht einer Straftat aus dem Katalog des § 100a StPO begründen. Des Weiteren müssen ihr, soweit sich der Antrag auch gegen die Rechtmäßigkeit des Vollzugs der Maßnahmen richtet, die Aktenbestandteile zur Verfügung gestellt werden, aus denen sich Art und Weise ihrer Durchführung ersehen lassen. Außerdem müssen ihr die sie betreffenden Erkenntnisse aus der heimlichen Ermittlungsmaßnahme und etwaige Verschriftungen von Tonaufnahmen oder Zusammenfassungen dieser Erkenntnisse zugänglich gemacht werden (vgl. BGH, Beschl. vom 22. September 2009 - StB 28/09).
Ein Anspruch des Drittbetroffenen auf weitergehende Einsicht in die Verfahrensakten besteht schon deshalb nicht, weil insoweit das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschuldigten und der von der Akteneinsicht betroffenen anderen Personen Vorrang hat (vgl. BGH, Beschl. vom 22. September 2009 - StB 28/09; Singelnstein NStZ 2009, 481, 486).
Soweit im Einzelfall das öffentliche Interesse, die bisherigen Ermittlungsergebnisse ganz oder zum Teil geheim zu halten, um die Aufklärung von Straftaten nicht zu gefährden, einer Akteneinsicht im dargestellten Umfang entgegensteht, ist die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der heimlichen Ermittlungsmaßnahme solange zurückzustellen, bis das Geheimhaltungsinteresse entfallen ist und deshalb Akteneinsicht gewährt werden kann (BGH, Beschl. vom 22. September 2009 - StB 28/09; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 101 Rdn. 25 a). Ein "in camera"-Verfahren, in dem das zur Entscheidung berufene Gericht von entscheidungserheblichen Tatsachen oder Beweismitteln Kenntnis erlangen würde, zu denen sich der Antragsteller nicht äußern konnte, ist im Strafprozess mit Art. 103 Abs. 1 GG unvereinbar (vgl. BVerfGE 109, 279, 371; BVerfG NStZ-RR 2008, 16, 17).
2. Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss das grundrechtsgleiche Recht des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Generalbundesanwalt hat dem Beschwerdeführer auf seinen Antrag hin nicht im erforderlichen Umfang Akteneinsicht gewährt. Ihm wurden vor der angefochtenen Entscheidung weder die vollständigen Beschlüsse des Ermittlungsrichters, durch die die Überwachung der Telekommunikation angeordnet worden sind, zugänglich gemacht noch konnte er anhand der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen überprüfen, ob die Voraussetzungen des § 100a StPO vorlagen, insbesondere die Beweismittel den Verdacht einer Anlasstat gemäß §§ 129a, 129b StGB begründeten. Daher war der Beschwerdeführer nicht in der Lage, sich zur Rechtmäßigkeit der angeordneten Überwachung der Telekommunikation substantiiert zu äußern. Hinzu kommt, dass der Ermittlungsrichter in der angefochtenen Entscheidung unter II. 2. b) Aktenteile verwertet hat, die dem Beschwerdeführer zuvor nicht zugänglich gemacht worden waren. Soweit er ausführt, die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers und dieser selbst hätten sich auf die Antragstellung beschränkt und - wider den Zweck des nachträglichen rechtlichen Gehörs - jegliche Ausführungen zu dessen Begründung vermissen lassen, ist dies widersprüchlich, weil wegen der unvollständig gewährten Akteneinsicht eine weitergehende Begründung überhaupt nicht möglich war.
Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Ermittlungsrichter führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an den Ermittlungsrichter zur erneuten Entscheidung. Diese darf jedoch zurückgestellt werden, bis dem Antragsteller ohne Gefährdung der weiteren Ermittlungen Einsicht in die für sein Rechtsschutzbegehren relevanten Aktenteile gewährt werden konnte (vgl. BGH, Beschl. vom 22. September 2009 - StB 28/09).
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 1036
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2010, 281; StV 2010, 169
Bearbeiter: Ulf Buermeyer