HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 99
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, StB 28/09, Beschluss v. 22.09.2009, HRRS 2010 Nr. 99
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Versagung weiterer Akteneinsicht durch den Generalbundesanwalt wird als derzeit unbegründet zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Antragsteller begehrt als sog. Drittbetroffener im Rahmen eines von ihm betriebenen Verfahrens auf nachträglichen Rechtsschutz nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO Einsicht in Ermittlungsakten des Generalbundesanwalts. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
Der Generalbundesanwalt führt wegen Brandanschlägen vom 22./ 23. September 2004 auf das Bezirksamt Reinickendorf und das Sozialamt Tempelhof-Schöneberg in Berlin ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Beschuldigte u. a. wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung - der „militante(n) gruppe (mg)“ -, die sich zu den Taten bekannt hatte. Mit Beschluss vom 24. November 2005 ordnete der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die Überwachung der Telekommunikation eines mutmaßlichen Nachrichtenmittlers der Mitglieder der „militanten gruppe“ gemäß § 100a Satz 2 StPO aF für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis 6. Januar 2006 an. Diese Maßnahme wurde vollzogen. Von ihr war u. a. der Antragsteller betroffen, der am 1. Dezember 2005 über eine Dauer von einer Minute und 16 Sekunden ein Gespräch mit dem Inhaber des überwachten Telefonanschlusses führte. Nachdem der Antragsteller am 4. Februar 2009 vom Generalbundesanwalt gemäß § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2, Abs. 5 StPO über die Abhörmaßnahme benachrichtigt worden war, beantragte er gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO fristgerecht beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die Rechtswidrigkeit der Anordnung vom 24. November 2005 und der Art und Weise ihres Vollzugs festzustellen. Gleichzeitig stellte er den Antrag, Einsicht in die Ermittlungsakten zu gewähren, soweit dies zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme erforderlich ist. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers erhielt daraufhin vom Generalbundesanwalt Ablichtungen des angefochtenen Beschlusses sowie einer Stellungnahme des Generalbundesanwalts vom 3. Februar 2009 zu einem Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO des von der Anordnung unmittelbar betroffenen Anschlussinhabers zur Kenntnisnahme übersandt. Ferner wurde dem Antragsteller die Möglichkeit eröffnet, beim Bundeskriminalamt in Meckenheim die ihn betreffende Aufzeichnung aus der Telekommunikationsüberwachung anzuhören. Eine darüber hinausgehende Einsicht in die Ermittlungsakten lehnte der Generalbundesanwalt gemäß § 475 Abs. 1 Satz 2, § 477 Abs. 2 Satz 1 StPO unter Hinweis auf schutzwürdige Interessen anderer Betroffener und auf entgegenstehende Zwecke des noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahrens ab. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er Akteneinsicht begehrt, soweit dies zur Prüfung der im Wege des nachträglichen Rechtsschutzes nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO angefochtenen Maßnahme erforderlich ist. Im Hinblick auf diesen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die Entscheidung über den Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO zurückgestellt.
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die auf § 475 Abs. 1 Satz 2 und § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO gestützte Versagung der Akteneinsicht durch den Generalbundesanwalt ist gemäß § 478 Abs. 3 Satz 1, § 475 StPO zulässig. Über diesen Antrag hat nach der derzeit noch geltenden Gesetzeslage gemäß § 478 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 161a Abs. 3 Satz 2 StPO, § 135 Abs. 2, § 139 Abs. 2 GVG der Senat zu entscheiden (zur Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ab 1. Oktober 2009 vgl. § 478 Abs. 3 Satz 1, § 162, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO in der Fassung des 2. Opferrechtsreformgesetzes vom 29. Juli 2009, BGBl I 2280, 2284).
2. Dem Antrag bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Erfolg versagt. Der Generalbundesanwalt hat mit Blick auf den derzeitigen Stand des Ermittlungsverfahrens zu Recht die Einsichtnahme in die Ermittlungsakten verweigert. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Die Frage, ob und in welchem Umfang einem von einer heimlichen Ermittlungsmaßnahme im Sinne des § 101 Abs. 3 Satz 1 StPO Betroffenen Akteneinsicht zur Vorbereitung und Begründung seines Antrags auf nachträglichen Rechtsschutz nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO zu gewähren ist, richtet sich, sofern der Betroffene nicht zugleich eine Stellung als Verfahrensbeteiligter im Ermittlungs- bzw. Strafverfahren hat und sich aufgrund dieser Funktion auf ein spezielles Akteneinsichtsrecht berufen kann, nach den Grundsätzen der §§ 475 ff. StPO.
Zwar hat der Gesetzgeber - Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts folgend (BVerfGE 100, 313 ff.; 109, 279 ff.; 113, 348 ff.) - mit § 101 StPO zusammenfassende allgemeine Verfahrensvorschriften für die in § 101 Abs. 1 StPO bezeichneten heimlichen Ermittlungsmaßnahmen geschaffen (BRDrucks. 275/07 S. 129). Er hat es jedoch unterlassen, das Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht für Beteiligte im Verfahren auf nachträglichen Rechtsschutz nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO spezifisch zu regeln. Insbesondere fehlen Bestimmungen dazu, in wie weit zum einen den in weitem Umfang rechtsmittelbefugten sog. Drittbetroffenen, gegen die sich weder das Ermittlungsverfahren noch die Anordnung der heimlichen Ermittlungsmaßnahme richtete, zur effektiven Wahrnehmung ihrer Rechtsschutzmöglichkeit Einblick in die Ermittlungsakten zu gewähren ist, ohne zum anderen die schutzwürdigen Belange sonstiger von dem Ermittlungsverfahren betroffener Personen, aber auch dessen Zweck, die gegebenenfalls noch mögliche Tataufklärung, in unvertretbarer Weise zu beeinträchtigen. Zur Ausgestaltung des Akteneinsichtsrechts im Verfahren auf nachträglichen Rechtsschutz nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO ist daher auf das bestehende Regelungsgefüge der Strafprozessordnung zurückzugreifen. Soweit dieses den Interessen der Rechtsschutz Suchenden nicht in ausreichendem Maße gerecht wird, sind diese Vorschriften mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG verfassungskonform anzupassen. Danach gilt:
Unproblematisch sind nur diejenigen Fälle, in denen eine von einer heimlichen Ermittlungsmaßnahme betroffene Person zugleich am Ermittlungs- bzw. Strafverfahren, in dem die angefochtene Maßnahme angeordnet wurde, beteiligt und aufgrund dieser Verfahrensstellung zur umfassenden Akteneinsicht berechtigt ist (§ 147, § 385 Abs. 3, § 397 Abs. 1 Satz 2, § 434 Abs. 1 Satz 2, § 442 Abs. 1, § 444 Abs. 2 Satz 2 StPO). Auf diese Vorschriften können sich Verfahrensbeteiligte auch dann berufen, wenn sie die Akten (nur) zur Vorbereitung und Durchführung eines Verfahrens nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO einsehen möchten. An ihrer Stellung im Ermittlungs- bzw. Strafverfahren ändert sich durch die Inanspruchnahme der Rechtsschutzmöglichkeit nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO nichts. Dies gilt insbesondere für den Beschuldigten, der in dem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren von heimlichen Ermittlungsmaßnahmen als Zielperson aber auch als Dritter betroffen sein kann, wenn sich die Maßnahme etwa gegen einen Nachrichtenmittler oder einen Mitbeschuldigten richtete. Macht der Beschuldigte als (Dritt-)Betroffener Akteneinsicht im nachträglichen Rechtsschutzverfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO geltend, so sind ihm daher die Akten nach Maßgabe des § 147 StPO zur Verfügung zu stellen. Auch anderen Verfahrensbeteiligten - etwa Privatklägern, Nebenklägern, Einziehungsund Verfallsbeteiligten, aber auch Verletzten - steht, wenngleich dies eher selten vorkommen wird, im Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO das ihnen von Gesetzes wegen speziell eingeräumte Akteneinsichtsrecht zu.
Schwierigkeiten bereiten indes die zahlreichen Fälle, in denen - wie hier - der Antragsteller nicht mit spezifisch geregeltem Akteneinsichtsrecht am Ermittlungs- bzw. Strafverfahren im engeren Sinne beteiligt ist. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass sich Art und Umfang der Akteneinsicht und Auskunftserteilung in derartigen Fällen nach §§ 475 ff. StPO beurteilen (Bär in KMR § 101 Rdn. 37; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 475 Rdn. 1). Nach einer anderen Meinung ist ein Rückgriff auf diese Vorschriften unzulässig, da der Antragsteller nicht Privatperson im Sinne des § 475 StPO sei, sondern hinsichtlich seines Antrags nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO Verfahrensbeteiligter. Sein Recht auf Einsicht in die für das Antragsverfahren gesondert anzulegende Akte folge vielmehr direkt aus Art. 103 Abs. 1 GG (Singelnstein NStZ 2009, 481, 485 f.). Der Senat hält die erstgenannte Auffassung im Grundsatz für zutreffend, jedoch mit der Einschränkung, dass bei Anwendung des § 475 StPO in geeigneter Weise dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) des im Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO auf Rechtsschutz Nachsuchenden Rechnung zu tragen ist.
a) Das Gesetz stellt mit § 475 StPO eine abschließende Regelung zur Erteilung von Auskünften und Akteneinsicht an (Privat-)Personen zur Verfügung, die weder als Beschuldigte noch in anderer Weise, namentlich als Nebenkläger, Privatkläger, Einziehungs- oder Verfallsbeteiligte mit eigenen Verfahrens- und Akteneinsichtsrechten am Ermittlungs- bzw. Strafverfahren beteiligt sind (Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 475 Rdn. 1 und 3; Gieg in KK 6. Aufl. § 475 Rdn. 1 m. w. N.; Meyer-Goßner aaO). Die Vorschrift ist daher im Grundsatz auch auf Akteneinsichtsgesuche im Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO anzuwenden, wenn die Antragsteller darüber hinausgehende Verfahrensrechte nicht innehaben. Sie gilt mithin insbesondere für die große Anzahl der Personen, die lediglich Drittbetroffene, etwa Gesprächspartner, einer gegen eine andere Person gerichteten heimlichen Ermittlungsmaßnahme sind.
b) Werden diese Personen gemäß § 101 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO von der Durchführung einer heimlichen Ermittlungsmaßnahme benachrichtigt und über ihre Rechtsschutzmöglichkeit nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO belehrt, so sind sie im Sinne des § 475 Abs. 1 Satz 1 StPO berechtigt, auf einen entsprechenden Antrag Auskunft zu erhalten oder Einsicht in die Ermittlungsakten zu nehmen, soweit sie von der Rechtsschutzmöglichkeit Gebrauch machen und die Aktenkenntnis für eine effektive Durchführung des Verfahrens erforderlich ist. Eine dauerhafte gänzliche oder teilweise Versagung der Einsicht in die insoweit relevanten Aktenteile kommt nicht in Betracht, da dies den Antragsteller im Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzten würde. Deshalb sind die Versagungsgründe der § 475 Abs. 1 Satz 2, § 477 Abs. 2 Satz 1 StPO, die nicht auf das hier in Rede stehende Akteneinsichtsrecht zur Durchsetzung prozessualer Rechte in einem Rechtsbehelfsverfahren zugeschnitten sind, sondern datenschutzrechtlichen Vorgaben Rechnung tragen (BVerfGE 65, 1; Gemählich in KMR vor § 474 Rdn. 1 und 4), im Lichte des Art. 103 Abs. 1 GG verfassungskonform auszulegen.
Nach der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG hat der Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, sich vor dem Erlass einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu dem Sachverhalt zu äußern, welcher der Entscheidung zugrunde gelegt wird. Das rechtliche Gehör ist für ein rechtsstaatliches Verfahren konstitutiv und grundsätzlich unabdingbar. Es sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Rechtsschutzbegehren selbstbestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Dies setzt nicht nur voraus, dass sie von dem Verfahren - hier der Maßnahme - und dem zu Grunde liegenden Sachverhalt benachrichtigt werden (BVerfGE 81, 123, 126; BVerfG NStZ 2007, 274). Zum Anspruch auf rechtliches Gehör gehört vielmehr auch die gegebenenfalls im Wege der Auskunft oder der Akteneinsicht zu vermittelnde Information über die entscheidungserheblichen Beweismittel (BVerfG NStZ-RR 2008, 16, 17; NJW 2006, 1048 f.).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör steht auch dem Antragsteller im Rechtsbehelfsverfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO uneingeschränkt zu. Nach den vorgenannten Grundsätzen hat er daher das Recht, bevor eine Entscheidung in diesem Verfahren ergeht, Auskunft aus den Ermittlungsakten zu erhalten bzw. diese einzusehen, soweit dies für die konkrete Rechtsverfolgung unerlässlich ist. Seinem Rechtsanwalt sind deshalb nicht nur die angefochtene Entscheidung, sondern auch die Aktenteile und Beweismittel zur Verfügung zu stellen, auf die sich die angefochtene Entscheidung stützt, namentlich also diejenigen, aus denen die Anordnungsvoraussetzungen - insbesondere der erforderliche Verdacht, dass jemand eine bestimmte Straftat begangen hat - hergeleitet worden sind. Wird die Art und Weise der Durchführung der Maßnahme beanstandet, so ist Einsicht in die Unterlagen zu gewähren, aus denen sich die Ausgestaltung der Durchführung der heimlichen Ermittlungsmaßnahme ergibt. Des Weiteren müssen dem Antragsteller die ihn betreffenden Erkenntnisse aus der heimlichen Ermittlungsmaßnahme - erforderlichenfalls nach Maßgabe des § 478 Abs. 3 Satz 1 StPO - sowie etwaige Verschriftungen von Ton- oder Bildaufnahmen oder Zusammenfassungen dieser Erkenntnisse (BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09, Rdn. 20 ff.) zugänglich gemacht werden. Ein Anspruch auf umfassende Einsicht in die Verfahrensakten steht dem Drittbetroffenen mit Blick auf die insoweit stets vorrangigen Interessen der von der Akteneinsicht betroffenen Personen hingegen nicht zu (vgl. Singelnstein aaO).
Der Senat verkennt nicht, dass angesichts der Streubreite mancher heimlichen Ermittlungsmaßnahmen ein derart ausgestaltetes Akteneinsichtsrecht für Drittbetroffene die Interessen der von der Akteneinsicht betroffenen sonstigen Personen - mit Blick auf die Unschuldsvermutung insbesondere die Belange des Beschuldigten - unter Umständen nicht unerheblich berührt. In besonderer Weise augenfällig wird dies, wenn, was der vorliegende Fall zeigt, zudem die Grundrechtsbeeinträchtigung des Drittbetroffenen vergleichsweise gering ist. Diese fraglos unbefriedigende Rechtslage ist jedoch der gesetzlichen Regelung des § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO geschuldet. Die Belange anderer Personen sind zwar gemäß § 101 Abs. 4 Satz 3 StPO zwingend bei der Entscheidung zu berücksichtigen, ob überhaupt eine Benachrichtigung eines Betroffenen von der Durchführung der heimlichen Ermittlungsmaßnahme vorzunehmen ist. Liegen die Voraussetzungen dieser Ausnahmeregelung aber nicht vor, weil die rein formalen Informationen über Zeitraum und Umfang der Maßnahme und zum Verfahren, in dem sie erhoben wurden (BVerfG NJW 2007, 2753, 2757; Bär aaO Rdn. 22), die Belange anderer Personen nicht beeinträchtigen, und ist auch sonst kein Grund für das Absehen (§ 101 Abs. 4 Satz 4 StPO) oder die Zurückstellung der Kenntnisgabe - etwa wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks (§ 101 Abs. 5 Satz 1 StPO) - gegeben, so wird mit der dann zwingenden Benachrichtigung des Betroffenen (BVerfGE 113, 349, 384, 390) ohne jede weitere Einschränkung die Rechtsschutzmöglichkeit nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO eröffnet. Diesem Rechtsbehelf würde jede Bedeutung genommen, wenn den Betroffenen wegen entgegenstehender Interessen Anderer das zur Durchsetzung ihres Rechtsschutzes unerlässliche Akteinsichtsrecht nicht zur Verfügung stünde. Eine andere Handhabung des Akteneinsichtsrechts liefe zudem auf ein der Strafprozessordnung fremdes „in camera“-Verfahren hinaus, in dem das zuständige Gericht von entscheidungserheblichen Tatsachen Kenntnis erhielte, zu denen der Antragsteller sich nicht äußern könnte (BVerfGE 109, 279, 371; BVerfG NStZ-RR 2008, 16, 17).
Deshalb kann auch das Interesse der Strafverfolgungsbehörden an einer effektiven Führung des Ermittlungsverfahrens aus den vorgenannten Gründen nicht dazu führen, einem Antragsteller vor der im Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO zu treffenden Entscheidung die Einsichtnahme in die für ihn wesentlichen Aktenteile zu verweigern. Jedoch ist insoweit in der Rechtsprechung anerkannt, dass das öffentliche Interesse, weiter effektiv und gegebenenfalls im Verborgenen zu ermitteln, mit dem Rechtsschutzinteresse des Betroffenen dadurch zum Ausgleich gebracht werden kann, dass Akteneinsicht zunächst versagt und die Entscheidung in dem Rechtsbehelfsverfahren zurückgestellt wird, bis die zunächst verwehrte Akteneinsicht ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks gewährt werden und der Antragsteller sich umfassend äußern konnte. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) wird dadurch nicht verletzt. Zwar hat auch der Antragsteller im Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO Anspruch auf eine angemessen zügige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des beendeten Grundrechtseingriffs. Diesem Feststellungsinteresse muss aber nicht mit gleicher Eilbedürftigkeit nachgekommen werden wie einem Anfechtungsbegehren, das sich gegen einen fortdauernden Eingriff richtet. Das Geheimhaltungsinteresse der Strafverfolgungsbehörden kann deshalb ein sachgerechter Verzögerungsgrund sein, der zwar keine gänzliche Verweigerung, aber eine Zurückstellung des Akteneinsichtsgesuchs rechtfertigen kann (vgl. BVerfG NStZ-RR 2008, 16, 17).
c) Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:
aa) Für die Bescheidung des Akteneinsichtsgesuchs war der Generalbundesanwalt zuständig und nicht der zur Entscheidung im Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO berufene Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs. Gemäß § 478 Abs. 1 Satz 1 StPO entscheidet während des Ermittlungsverfahrens allein die Staatsanwaltschaft über Anträge auf Akteneinsicht. Dass im Verlauf dieses Verfahrens durch einen Antrag auf Gewährung nachträglichen Rechtsschutzes gemäß § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO der Ermittlungsrichter für die Entscheidung über diesen gesonderten Rechtsbehelf zuständig wird, ändert hieran nichts, stellt diesen insbesondere nicht dem Vorsitzenden des mit der Sache befassten Gerichts im Sinne des § 478 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. StPO gleich; denn hiermit ist nach dem Regelungszusammenhang des § 478 StPO ausschließlich die Zuständigkeit des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts gemeint (vgl. Gieg aaO § 478 Rdn. 2; für das Akteneinsichtsrecht nach § 147 StPO: Lüderssen/Jahn in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 147 Rdn. 148). Ein Zuständigkeitswechsel tritt erst nach Anklageerhebung ein. So wie der Vorsitzende des erkennenden Gerichts nach diesem Zeitpunkt über die Gewährung der Akteneinsicht an den Verteidiger zu entscheiden hat, ist er aufgrund der nach § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO durch die Anklageerhebung begründeten Zuständigkeit des erkennenden Gerichts für den nachträglichen Rechtsschutz auch dazu berufen, gemäß § 478 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. StPO über Akteneinsichtsgesuche Drittbetroffener im Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO zu befinden.
bb) Dem Antragsteller steht für das von ihm betriebene Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO grundsätzlich ein Recht auf Auskunft bzw. auf Einsicht in die Ermittlungsakten des Generalbundesanwalts in dem oben beschriebenen Umfang zu. Er hat deshalb einen Anspruch darauf, über die bisher ausgehändigten Unterlagen hinaus vor allem in diejenigen Aktenteile und Beweismittel Einblick zu nehmen, auf die sich im angefochten Beschluss die Annahme des für die Telekommunikationsüberwachung vorausgesetzten Verdachts der Straftat nach § 129 StGB sowie die Annahme gründete, derjenige, gegen den sich die Anordnung der Maßnahme richtete, sei Nachrichtenmittler für Mitglieder der kriminellen Vereinigung. Die ihn betreffenden Erkenntnisse aus der Ermittlungsmaßnahme sind dem Antragsteller nicht nur in der Form des § 475 Abs. 3 Satz 1 StPO zur Kenntnis zu bringen, sondern ihm sind ebenso hiervon gefertigte (zusammenfassende) Verschriftungen zur Einsicht zu überlassen. Solche brauchen jedoch nicht eigens zur Vereinfachung der Information des Antragstellers erstellt zu werden.
cc) Die Einsicht in diese Aktenteile durfte dem Antragsteller, entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts, zwar nicht unter Hinweis auf entgegenstehende Belange des Beschuldigten, des (vermeintlichen) Nachrichtenmittlers sowie anderer Betroffenen versagt werden, da diese Interessen, wie dargelegt, hinter dem Recht des Antragstellers auf rechtliches Gehör zurückzutreten haben.
Die weitere Akteneinsicht wurde aber derzeit gleichwohl zu Recht gemäß § 477 Abs. 2 Satz 1 StPO mit Blick auf das öffentliche Interesse an einer effektiven Tataufklärung verweigert. Die Ermittlungen im vorliegenden Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Der Generalbundesanwalt führt überdies weitere Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der „militanten gruppe“, die ebenfalls noch offen sind. Die Einsichtnahme des Antragstellers in die Akten würde deshalb zur Offenlegung maßgeblicher Erkenntnisse führen, die die weiteren Ermittlungen zu den den Verfahren zu Grunde liegenden Sachverhalten zumindest wesentlich erschweren, wenn nicht unmöglich machen würde. In Anbetracht dieser Umstände ist die Versagung der Akteneinsicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu beanstanden. Dem Begehren des Antragstellers auf (weitere) Akteneinsicht wird jedoch spätestens mit Abschluss der Ermittlungen oder mit Einstellung der Verfahren nachzukommen sein. Dies hat zur Folge, dass über den Antrag im Verfahren nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO wegen des bisher nicht hinreichend gewährten rechtlichen Gehörs derzeit nicht entschieden werden kann. Das Verfahren wird vielmehr bis zur Gewährung der Akteneinsicht auszusetzen sein.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161a Abs. 3 Satz 3, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 99
Bearbeiter: Ulf Buermeyer