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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 970

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, StB 17/25, Beschluss v. 15.05.2025, HRRS 2025 Nr. 970


BGH StB 17/25 - Beschluss vom 15. Mai 2025

Besetzungseinwand; Spezialzuständigkeit in Staatsschutzsachen; gesetzlicher Richter.

§ 222b StPO; § 210 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 74a GVG; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG

Leitsätze des Bearbeiters

Der Grundsatz des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt - anders als etwa bei den Strafkammern nach § 74a GVG - nicht, dass für Staatsschutzsachen ein Spezialspruchkörper vorgesehen ist. Auch ist es nicht erforderlich, dass eine Staatsschutzsache, wird sie vom Rechtsmittelgericht an einen Spruchkörper zugewiesen, an einen Spruchkörper gelangt, der explizit für Staatsschutzsachen zuständig ist.

Entscheidungstenor

Der von dem Angeklagten erhobene Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung des erkennenden Gerichts wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

I.

Der Angeklagte beanstandet die Gerichtsbesetzung in der gegen ihn anberaumten Hauptverhandlung. Dem liegt Folgendes zugrunde:

1. Der Generalbundesanwalt erhob unter dem 4. September 2024 Anklage gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in sieben Fällen und gegen zwei Mitangeklagte zum Thüringer Oberlandesgericht. Nachdem dessen 3. Strafsenat die Anklage unter Maßgaben vor dem Landgericht Gera eröffnet hatte, hob der Senat auf die sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts die Entscheidung auf, ließ die Anklage - in Bezug auf einen Mitangeklagten mit einer Änderung - zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren vor einem anderen Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2025 - StB 75-77/24, juris). Der sodann mit der Sache befasste 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts beschloss am 1. April 2025, dass er in der Hauptverhandlung mit fünf Richtern besetzt sei. Der Vorsitzende ordnete zugleich die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters an. Die Besetzungsmitteilung wurde den Verteidigern des Angeklagten am 2. April 2025 mit der Ladung zu der am 28. April 2025 beginnenden Hauptverhandlung zugestellt, dem Angeklagten selbst am Folgetag.

Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Thüringer Oberlandesgerichts für das Jahr 2025 (Stand zum 1. April 2025) ist der „1. Strafsenat (zugleich 1. Senat für Bußgeldsachen sowie 1. Kartellsenat)“ zuständig für erstinstanzliche Strafsachen, wenn unter anderem „gemäß § 210 Abs. 3 Satz 2 StPO nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Hauptverhandlung vor einem anderen Strafsenat dieses Gerichts stattzufinden hat, soweit die angefochtenen Entscheidungen vom 3. Strafsenat getroffen wurden“. Der 1. Strafsenat ist danach mit den fünf Richtern besetzt, die in der Besetzungsmitteilung benannt sind. Als Ergänzungsrichter sieht der Geschäftsverteilungsplan die in der Mitteilung aufgeführte Richterin am Oberlandesgericht vor.

2. Am 9. April 2025 hat der Angeklagte durch Schriftsatz eines Verteidigers eingewandt, die Besetzung des 1. Strafsenats des Thüringer Oberlandesgerichts sei vorschriftswidrig; denn bei diesem Senat handele es sich „nicht um einen Staatsschutzsenat, sondern um einen allgemeinen Strafsenat, obwohl eine Staatsschutzsache zur Verhandlung ansteht“. Mithin seien die Senatsmitglieder nicht die gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Verteidigung des Mitangeklagten W. hat die Auffassung vertreten, der Einwand sei begründet und von Amts wegen auch beim Mitangeklagten zu berücksichtigen.

Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 11. April 2025 die vom Angeklagten erhobene Beanstandung als unbegründet angesehen und das Verfahren dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Der Besetzungseinwand ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Einwand ist form- und fristgerecht im Sinne des § 222b Abs. 1 StPO erhoben worden. Seiner Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass lediglich der Inhalt des jüngsten Geschäftsverteilungsplans des Oberlandesgerichts mitgeteilt wird, nicht aber die zuvor geltenden Mitwirkungsgrundsätze. Unabhängig davon, inwieweit eine Vorlage grundsätzlich erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 - 3 StR 490/15, StV 2016, 623 Rn. 11 f.; Urteil vom 30. Juli 1988 - 5 StR 574/97, BGHSt 44, 161, 163), sind die früheren Regelungen für den vom Angeklagten geltend gemachten Grund seines Einwandes unerheblich. Daher ist ein Vortrag dazu entbehrlich (vgl. zum rügebezogenen Vortragserfordernis etwa BGH, Beschluss vom 25. Juli 2023 - StB 42/23, NStZ-RR 2023, 327 f.; Urteil vom 7. September 2016 - 1 StR 422/15, BGHR StPO § 222b Abs. 1 Satz 2 Präklusion 4 Rn. 29).

2. Der Besetzungseinwand greift in der Sache, wie bereits im Vorlagebeschluss zutreffend ausgeführt, nicht durch. Die geltend gemachten Bedenken an der vorschriftsmäßigen Besetzung des 1. Strafsenats bestehen nicht. Aus den vom Oberlandesgericht getroffenen Regelungen zur richterlichen Geschäftsverteilung ergibt sich ohne Weiteres, dass dessen 1. Strafsenat als erstinstanzlicher Strafsenat zur Entscheidung berufen ist, wenn der Bundesgerichtshof - wie hier - nach vorangegangener Entscheidung des 3. Strafsenats gemäß § 210 Abs. 3 Satz 2 StPO die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat bestimmt hat. Für diese Zuständigkeit und die Mitwirkung der im Einzelnen benannten Richter kommt es auf eine Bezeichnung des in Rede stehenden Strafsenats als „Staatsschutzsenat“ nicht an. Gesetzlich ist weder der Terminologie nach noch in der Sache - anders als etwa bei den Strafkammern nach § 74a GVG (vgl. BT-Drucks. 8/976 S. 20) - ein Spezialspruchkörper vorgesehen (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 11. Aufl., § 116 Rn. 1, § 120 Rn. 24; LR/Gittermann, StPO, 27. Aufl., § 120 GVG Rn. 5 ff.; SK-StPO/Frister, 6. Aufl., § 120 GVG Rn. 7). Vor diesem Hintergrund ist nicht entscheidend, dass es im Übrigen selbst bei Spezialspruchkörpern der Bestimmung weiterer Spruchkörper bedarf, die für die gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fälle (vgl. § 210 Abs. 3 Satz 2, § 354 Abs. 2 StPO) zuständig sind (s. BGH, Urteile vom 14. Januar 1975 - 1 StR 601/74, NJW 1975, 743; vom 9. Februar 1978 - 4 StR 636/77, BGHSt 27, 349, 352; Kissel/Mayer, GVG, 11. Aufl., § 74 Rn. 15 f.).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO. Die Prüfung, ob tatsächlich Kosten entstanden oder Auslagen angefallen sind, bleibt dem Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten (BGH, Beschluss vom 20. April 2021 - StB 13-15/21, juris Rn. 27 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 970

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede