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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1137

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 124/25, Beschluss v. 30.06.2025, HRRS 2025 Nr. 1137


BGH 2 StR 124/25 - Beschluss vom 30. Juni 2025 (LG Stralsund)

Beweiswürdigung (fehlende Wertung einer Zeugenaussage); Konkurrenzen (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und Besitz von Betäubungsmitteln: Eigenkonsummenge und Verkaufsmenge, Tateinheit bei Besitz von nicht geringer Menge).

§ 52 StGB; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Dabei hat das Tatgericht den gesamten beigebrachten Verfahrensstoff erschöpfend zu würdigen. Dies muss es in den schriftlichen Urteilsgründen erkennen lassen. Umstände, die geeignet sind, die gerichtliche Entscheidung wesentlich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen werden.

2. Grundsätzlich liegt Tateinheit zwischen Besitz von und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln vor, wenn eine Teilmenge zum Eigenverbrauch und eine andere zum Verkauf vorgesehen ist. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Besitz der Gesamtmenge den Verbrechenstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verwirklicht, die zum Weiterverkauf vorgesehene Menge die Grenze zur nicht geringen Menge aber nicht überschreitet. In diesen Fällen verdrängt die Tatvariante des Handeltreibens diejenige des ‒ wegen des Verbrechenscharakters das schwerere Unrecht verwirklichenden ‒ Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 4. November 2024

a) im Schuldspruch in Fall II.6 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln schuldig ist,

b) mit den Feststellungen aufgehoben

aa) im Fall II.3 der Urteilsgründe und

bb) im Gesamtstrafenausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Stralsund ‒ Schöffengericht ‒ zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Bedrohung, Sachbeschädigung, versuchter gefährlicher Körperverletzung, Nötigung sowie Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung näher bezeichneter Betäubungsmittel angeordnet. Die hiergegen gerichtete und auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

1. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Schuldspruchs führt zu dessen Aufhebung im Fall II.3 der Urteilsgründe und zu seiner Änderung im Fall II.6 der Urteilsgründe.

a) Das Landgericht hat in den Fällen II.3 und II.6 der Urteilsgründe folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

aa) Nach den Feststellungen im Fall II.3 der Urteilsgründe, in dem das Landgericht den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat, begaben sich C., T., S. und H., vier Bekannte des Angeklagten, am 16. März 2024 zu einem vom Angeklagten genutzten Hallenkomplex in S., um dort ein Fahrzeug, das H. gehörte, abzuholen. Nachdem der Angeklagte zunächst den Zutritt verweigert hatte, ließ er jedenfalls H. widerwillig und unter Beschimpfungen in den Hallenkomplex. Als H. das Fahrzeug bereits aus der Lagerhalle geschoben hatte und während sich C. und T. weiter vor der Halle aufhielten, erschien der Angeklagte und forderte alle lautstark auf, sich zu entfernen. Er warf eine Eisenstange mit Verletzungsvorsatz aus einer Entfernung von circa fünf Metern in Richtung des Kopfes von C., den er knapp verfehlte.

bb) Im Fall II.6 der Urteilsgründe verfügte der Angeklagte am 7. Mai 2024 in dem von ihm genutzten Hallenkomplex über insgesamt 725,07 Gramm Amphetamin (Wirkstoffgehalt 11,9 Gramm Amphetaminbase) sowie 1,596 Gramm Ecstasy. Die Drogen waren sowohl zum gewinnbringenden Weiterverkauf als auch für den Eigenkonsum bestimmt. Die Strafkammer ist davon ausgegangen, für die Bestimmung des Schuldumfangs komme es auf die jeweils den Tatbeständen zugeordneten Teilmengen und die darin enthaltenen Wirkstoffanteile an; sie hat den Angeklagten daher in diesem Fall wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln verurteilt.

b) In beiden Fällen hat der Schuldspruch keinen Bestand.

aa) Die Feststellungen im Fall II.3 der Urteilsgründe entbehren einer tragfähigen Beweisgrundlage und tragen den Schuldspruch nicht.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12. September 2023 ‒ 2 StR 87/23, Rn. 6 mwN). Dabei hat das Tatgericht den gesamten beigebrachten Verfahrensstoff erschöpfend zu würdigen. Dies muss es in den schriftlichen Urteilsgründen erkennen lassen. Umstände, die geeignet sind, die gerichtliche Entscheidung wesentlich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Oktober 2024 ‒ 4 StR 173/24, NStZ-RR 2025, 23, 24 Rn. 15 mwN).

Hieran gemessen erweist sich die Beweiswürdigung im Fall II.3 der Urteilsgründe als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Zwar hat die Strafkammer im Ausgangspunkt zutreffend ihre Überzeugung mit den übereinstimmenden Aussagen von H. und C. begründet. Die Urteilsgründe erörtern indes nicht, warum die Darstellung des am Tattag ebenfalls anwesenden P., der eine eigene Intervention anstelle der des Angeklagten geschildert und den Wurf einer Eisenstange durch den Angeklagten nicht bemerkt hat, keinen Einfluss auf das Beweisergebnis hatte. Dessen Aussage wird von der Strafkammer im Fall II.3 der Urteilsgründe zwar dargestellt, aber nicht gewertet. Es erschließt sich auch nicht aus der Gesamtheit der Urteilsgründe, warum die Strafkammer den Ausführungen des P. in diesem Fall keinen Glauben geschenkt hat. Denn sie hat dessen Darstellung zu den Fällen II.1 und II.4 der Urteilsgründe jeweils differenziert gewürdigt und seine Aussage im Fall II.4 der Urteilsgründe teilweise zur Grundlage ihrer Feststellungen gemacht.

Das Urteil beruht auf dem Erörterungsmangel (§ 337 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei umfassender Beweiswürdigung zu einem für den Angeklagten günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Der Senat hebt mit dem Schuldspruch im Fall II.3 der Urteilsgründe auch die diesen Fall betreffenden Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO).

bb) Im Fall II.6 der Urteilsgründe bedarf der Schuldspruch der Änderung.

Die Strafkammer hat nicht bedacht, dass der Angeklagte insgesamt eine nicht geringe Menge Betäubungsmittel (vgl. zum Grenzwert von Amphetamin BGH, Urteil vom 11. April 1985 ‒ 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169 ff.) in Besitz hatte (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Dass auf der Grundlage des Zweifelssatzes weder die zum Verkauf noch die zum Eigenkonsum vorgesehene Menge für sich genommen den Grenzwert zu einer nicht geringen Menge von 10 Gramm Amphetaminbase überschritten war, steht dem nicht entgegen. Zwar hat die Strafkammer im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass grundsätzlich Tateinheit zwischen Besitz von und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln vorliegt, wenn eine Teilmenge zum Eigenverbrauch und eine andere zum Verkauf vorgesehen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 1988 ‒ 1 StR 466/88, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3 Konkurrenzen 3). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Besitz der Gesamtmenge den Verbrechenstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verwirklicht, die zum Weiterverkauf vorgesehene Menge die Grenze zur nicht geringen Menge aber nicht überschreitet. In diesen Fällen verdrängt die Tatvariante des Handeltreibens diejenige des ‒ wegen des Verbrechenscharakters das schwerere Unrecht verwirklichenden ‒ Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 2018 ‒ 5 StR 68/18, NStZ 2019, 95 f.; Beschlüsse vom 17. Mai 1996 ‒ 3 StR 631/95, BGHSt 42, 162, 165 f.; vom 24. September 2019 - 4 StR 368/19, und vom 3. Mai 2022 ‒ 3 StR 95/22, NStZ 2023, 507 Rn. 7, jeweils mwN; Patzak in Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29a Rn. 152; Maier in: Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn. 210).

Soweit die Strafkammer ihre gegenteilige Wertung maßgeblich auf eine Entscheidung des 4. Strafsenats vom 25. August 2020 (4 StR 185/20, NStZ-RR 2020, 374) und des 6. Strafsenats vom 24. Januar 2023 (6 StR 500/22, StV 2023, 467, 468 f. Rn. 9 ff.) gestützt hat, übersieht sie, dass diese Erkenntnisse das Zusammentreffen einer geringen Eigenkonsummenge mit einer nicht geringen Handelsmenge zum Gegenstand hatten.

Der Senat ändert den Schuldspruch im Fall II.6 der Urteilsgründe in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ab. Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO steht der Schuldspruchänderung auf die Revision des Angeklagten nicht entgegen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2024 ‒ 2 StR 361/24, Rn. 27 mwN). Gleiches gilt für die Regelung des § 265 Abs. 1 StPO, da sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

2. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.3 der Urteilsgründe lässt die zugemessene Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten entfallen. Dies entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage. Die den Gesamtstrafenausspruch betreffenden Feststellungen hebt der Senat mit auf, um dem neuen Tatgericht insoweit widerspruchsfreie eigene Feststellungen zu ermöglichen. Im Übrigen hat die Überprüfung des Strafausspruchs sowie der Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 3 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das zuständige Amtsgericht Stralsund ‒ Schöffengericht ‒ zurück (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2025 ‒ 2 StR 171/25, Rn. 8). Dieser wird im Fall II.3 der Urteilsgründe neben der Möglichkeit eines Rücktritts vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Mai 2017 ‒ 4 StR 84/17, Rn. 4) auch in den Blick zu nehmen haben, ob eine Gesamtstrafenlage zwischen der Verurteilung vom 30. Oktober 2023 und derjenigen im Fall II.1 der Urteilsgründe (Tatzeit Ende 2023/Anfang 2024) nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung besteht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2023 - 4 StR 65/23, Rn. 5, und vom 27. September 2023 - 4 StR 330/23, StV 2025, 7 f. Rn. 6 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1137

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede