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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1374

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, AK 75/24, Beschluss v. 02.10.2024, HRRS 2024 Nr. 1374


BGH AK 75/24 - Beschluss vom 2. Oktober 2024

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (dringender Tatverdacht; Fluchtgefahr; Haftgrund der Schwerkriminalität; besonderer Umfang der Ermittlungen); Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

§ 112 StPO; § 121 StPO; § 129a StGB; § 129b StGB

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Thüringer Oberlandesgericht übertragen.

Gründe

I.

Der am 31. Dezember 2000 geborene Angeschuldigte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 6. März 2024 (2 BGs 167/24) seit dem 19. März 2024 in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe in der Zeit vom 17. Juni 2023 bis zum 9. September 2023 durch zwei selbständige Handlungen eine Vereinigung im Ausland unterstützt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 VStGB) zu begehen, und dabei in einem Fall (Fall 1) durch dieselbe Handlung dem Bereitstellungsverbot eines im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsakts der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union zuwidergehandelt, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme gedient habe, sowie in einem weiteren Fall (Fall 2) durch dieselbe Handlung mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen, nämlich einen Mord, zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, § 30 Abs. 2 Variante 3 i.V.m. § 211 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013, §§ 52, 53 StGB.

Unter dem 6. August 2024 hat der Generalbundesanwalt wegen der genannten Tatvorwürfe - unter abweichender Würdigung in konkurrenzrechtlicher Hinsicht - Anklage bei dem Thüringer Oberlandesgericht erhoben. Der Vorsitzende des Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts hat mit Verfügung vom 12. August 2024 die Übersetzung der Anklageschrift in die Sprache Dari sowie die Zustellung an den Angeschuldigten und seinen Verteidiger verfügt. Über die mit der Anklageerhebung beantragte Neufassung des Haftbefehls gegen den Angeschuldigten hat das Oberlandesgericht noch nicht entschieden.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl angelasteten Taten dringend verdächtig.

a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

aa) Die Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak sowie das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am 29. Juni 2014 von „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ (IS) umbenannte - wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm -, hatte seit 2010 bis zu seiner Tötung im Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Seitdem ernannte die Vereinigung mehrere neue Anführer, die ebenfalls getötet wurden.

Dem Anführer des IS unterstanden ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura-Räte“. Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Die Vereinigung setzte ihre Ziele durch offenen militärischen Bodenkampf im Irak und in Syrien sowie durch Sprengstoff- und Selbstmordanschläge, aber auch durch Entführungen, Erschießungen und spektakulär inszenierte, grausame Hinrichtungen durch. Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und errichtete einen Geheimdienstapparat; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch in Gegnerschaft zum IS stehender Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus beging der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er auch für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel, Nizza und Berlin, die Verantwortung.

Im Irak gelang es dem IS im Jahr 2014, etwa ein Drittel des Staatsterritoriums zu besetzen. Am 10. Juni 2014 erlangte er die Kontrolle über die Millionenstadt Mossul, die bis zu der Offensive der von den USA unterstützten irakischen Armee Ende 2016 der zentrale Ort seiner Herrschaft im Irak war. In den Jahren 2013 und 2014 gelang es dem IS zudem, weite Teile im Norden und Osten Syriens unter seine Gewalt zu bringen.

Seit Januar 2015 wurde die Vereinigung schrittweise erfolgreich zurückgeschlagen. So begann am 16. Oktober 2016 die Rückeroberung von Mossul, die Anfang Juni 2017 abgeschlossen war. Am 27. August 2017 wurde der IS aus seiner letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Die irakischen Sicherheitskräfte erklärten im Dezember 2017 den Krieg gegen den IS für beendet, nachdem sie in einem letzten Schritt die Kontrolle von Gebieten an der syrisch-irakischen Grenze vollständig zurückerlangt hatten.

Auch in Syrien büßte der IS im Laufe des Jahres 2018 große Gebiete ein. Ende 2018 verblieb dem IS nur noch ein kleines Territorium im Raum Baghouz in der Provinz Deir Ezzor, in das sich die IS-Kämpfer zurückziehen konnten. Am 9. Februar 2019 begann die finale Offensive der Syrian Democratic Forces (SDF) um den Ort Baghouz, wobei sie Luftunterstützung durch die Anti-IS-Koalition erhielten. Am 23. März 2019 kapitulierten dort die letzten IS-Kämpfer; Tausende von ihnen sowie Zehntausende Frauen und Kinder wurden in Gefängnissen und Lagern - etwa in Al-Hol oder Roj im Nordosten Syriens - interniert. Damit brach das territoriale Kalifat des IS mit quasi staatlichen Strukturen zusammen. Weitere Rückschläge erlitt die Vereinigung durch die Tötung ihres Anführers Abu Bakr al-Baghdadi und ihres offiziellen Sprechers in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 2019 im Rahmen einer US-amerikanischen Militäraktion in der syrischen Provinz Idlib.

Trotz des Zusammenbruchs des Kalifats war der IS als militant-dschihadistische und international agierende Organisation nicht vollständig zerstört. Vielmehr verblieb die Vereinigung unter Aufrechterhaltung ihrer ideologischen Ausrichtung in der Folgezeit in ihrem Kerngebiet Syrien/Irak, insbesondere in der syrisch-irakischen Grenzregion sowie der syrischen Wüste. Auch passte sich der IS an die veränderten Rahmenbedingungen an: So benannte er kurz nach der Tötung der beiden Führungspersonen einen neuen Sprecher und einen neuen Emir, setzte seine Propagandatätigkeiten fort und operierte zunehmend aus dem Untergrund heraus. Schätzungen zufolge verfügt er im Kerngebiet weiterhin über 4.000 bis 6.000 aktive Kämpfer. In den Jahren 2019 bis 2021 verübte er mehrere Tausend terroristische Anschläge in Syrien und im Irak in Form von Sturm- und Raketenangriffen sowie Selbstmord- und Sprengstoffanschlägen. Derartige militärische Operationen führte er auch in Somalia, Ägypten/Sinai, Jemen, Nigeria, Tschad und Burkina Faso aus. Daneben nahm er gezielt Tötungen und Hinrichtungen von Einzelpersonen wie beispielsweise sunnitischen Stammesältesten, Kämpfern des SDF und solchen des syrischen Regimes vor.

Der IS ist auch weiterhin in der Provinz Idlib aktiv. So gelang es der Vereinigung Ende Dezember 2017 nach tagelangen Kämpfen mit der Hai´At Tahrir Al-Sham (HTS), die in dieser Provinz militärisch, wirtschaftlich und politisch stark vertreten war, dort mehrere Dörfer einzunehmen. In den Jahren 2018 bis 2021 folgten zahlreiche Kämpfe zwischen beiden Gruppierungen, ohne dass der IS aus der von der HTS kontrollierten Region vollständig verdrängt werden konnte.

Mit der Ausrufung weltweiter Provinzen außerhalb seines ursprünglichen Kerngebiets und fortwährender terroristischer Aktivitäten in zahlreichen Staaten in Afrika und Asien, vor allem in Ägypten/Sinai, West- und Zentralafrika sowie in der Provinz Khorasan bestehend aus den Ländern Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan - dort agierend unter der Bezeichnung „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) - unterstreicht der IS seinen Anspruch, ein global agierender Akteur zu sein.

bb) Der aus Afghanistan stammende und im Jahr 2016 in das Bundesgebiet eingereiste Angeschuldigte radikalisierte sich in Deutschland - unter dem Einfluss des Mitangeschuldigten - in seinem muslimischen Glauben und entwickelte ein extremistisch-islamistisches Weltbild. Jedenfalls seit dem Jahr 2023 identifiziert er sich mit der Ideologie sowie den Zwecken und Tätigkeiten des IS.

(1) Der Mitangeschuldigte stand spätestens seit dem 22. Mai 2023 über den Messenger-Dienst Telegram in regelmäßigem Kontakt mit einem noch nicht näher identifizierten, wahrscheinlich im Iran aufhältigen IS-Mitglied, dessen Telegram-Account mit der ID er in seinem Mobiltelefon unter der Bezeichnung „A.“ (deutsch: ) abgelegt hatte. Er erklärte sich auf einen Vorschlag von „A.“ am 17. Juni 2023 bereit, Spendengelder zu sammeln, die im Flüchtlingslager Al-Hol in Nordsyrien internierten weiblichen Mitgliedern bzw. Anhängerinnen des IS zu Gute kommen sollten, um diese in ihren Betätigungen für den IS zu fördern. Zu diesem Zweck vereinnahmte der Mitangeschuldigte in der Folge einen Betrag in Höhe von etwa 2.070 € und leitete ihn an eine noch unbekannte Kontaktperson in Deutschland weiter, die das Geld am 8. August 2023 auf das von „A.“ angegebene Bankkonto transferierte. Einen Teilbetrag des überwiesenen Geldes in Höhe von 200 € hatte der Angeschuldigte dem Mitangeschuldigten übergeben. Dabei wusste und wollte er, dass das Geld der Unterstützung dem IS zugehöriger oder ihm nahestehender Frauen im Lager Al-Hol dienen sollte, um sie in ihren Betätigungen für den IS zu fördern. Die Möglichkeit, dass das Geld zu diesem Zweck zunächst an ein mit entsprechenden Aufgaben befasstes IS-Mitglied überwiesen werden würde, nahm er zumindest billigend in Kauf.

(2) Jedenfalls ab Mitte 2023 beabsichtigten der Angeschuldigte und der Mitangeschuldigte darüber hinaus, in ein Operationsgebiet des IS auszureisen und sich dort am gewaltsamen Dschihad zu beteiligen. Ursprüngliche Überlegungen, sich zu den Einheiten des IS in Nigeria zu begeben, scheiterten, weil es ihnen nicht gelang, eine Verbindung zu dortigen Verantwortlichen der Vereinigung herzustellen.

Der gemeinsame Ausreisewunsch des Angeschuldigten und des Mitangeschuldigten bestand in der Folgezeit gleichwohl fort, wobei namentlich der Mitangeschuldigte das Ziel des Anschlusses an den IS mit Nachdruck weiterverfolgte. So legte er am 3. August 2023 gegenüber dem IS-Mitglied „A.“ einen Treueeid auf den neuen Anführer der Organisation Abu Hafs Al-Hashimi Al-Qurashi ab und knüpfte ab Mitte August 2023 unter Vermittlung von „A.“ sowie weiteren Personen Kontakte zu Funktionsträgern des ISPK. Nachdem das ISPK-Mitglied“ R.“ den Mitangeschuldigten einer Befragung zur Überprüfung seiner Zuverlässigkeit unterzogen und sich der von diesem als Referenzperson benannte „A.“ für ihn verbürgt hatte, bestand seitens der Verantwortlichen des ISPK die Bereitschaft, den Mitangeschuldigten in die Vereinigung aufzunehmen und mit der Durchführung eines Anschlagsvorhabens in Europa zu betrauen.

Zu diesem Zweck wies“ R.“ den Mitangeschuldigten am 15. August 2023 auf die in Schweden und anderen skandinavischen Ländern seit Sommer 2023 stattfindenden Koranverbrennungen hin und betonte die Notwendigkeit, diesen Vorfällen durch die Tötung eines der „Niederträchtigen“ zu begegnen. Der Mitangeschuldigte verstand diese Äußerungen zutreffend als an ihn gerichtetes Ansinnen zur Begehung eines Anschlags als Reaktion auf die Koranverbrennungen in Schweden und erklärte sich zur Durchführung einer solchen Tat bereit. Mit dieser Zusage gliederte er sich in die Organisationsstrukturen des ISPK ein und unterwarf sich der Befehlsgewalt ihm übergeordneter Mitglieder der Vereinigung, deren Anweisungen er bei der anschließenden Planung und Vorbereitung der Tat Folge leistete.

Noch am Abend des 15. August 2023 weihte der Mitangeschuldigte den Angeschuldigten in das Anschlagsvorhaben ein, der einwilligte, daran mitzuwirken. Auf der Grundlage dieser Vereinbarung fassten beide den festen Entschluss, gemeinsam unter Verwendung von zumindest zwei Schusswaffen im Bereich des schwedischen Parlaments das Feuer auf Polizisten, Beschäftigte des Parlaments und sonstige Personen zu eröffnen, wobei sie annahmen, hierdurch zumindest zehn Menschen töten zu können, und mit der Möglichkeit rechneten, selbst als „Märtyrer“ zu sterben.

Während der anschließenden Vorbereitung der Tat stand der Mitangeschuldigte anfangs weiterhin im engen Austausch mit“ R. “, der ihn in seinem Tatentschluss bestärkte, sich über den Stand der Planungen unterrichten ließ, den Mitangeschuldigten in der Nutzung eines Programms zur Verschlüsselung der Kommunikation unterwies und sonstige Hinweise gab. Nachdem der Mitangeschuldigte am Abend des 17. August 2023 versichert hatte, dass sowohl der Angeschuldigte als auch er selbst eine „feste Absicht“ gefasst hätten und bereit seien, sich „aufzuopfern“, wobei man sich an die Vorgaben der Organisation halten und zunächst ausrüsten werde, wurde die weitere Anleitung des Mitangeschuldigten von dem ISPK-Mitglied „T.“ übernommen, mit dem sich der Mitangeschuldigte ab dem 19. August 2023 umfangreich über den geplanten Anschlag austauschte.

Der Angeschuldigte beteiligte sich an der Planung und Vorbereitung des Anschlags durch folgende Handlungen:

(a) Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt nach dem 15. August 2023 führte der Angeschuldigte Internetrecherchen durch, indem er in Absprache mit dem Mitangeschuldigten Bilder mit Innenaufnahmen des Stockholmer Reichstags aufrief, beim Online-Kartendienst Google Maps die Suchbegriffe „Reichstag“, „Riksgatan“, „Stockholm“ sowie „Schweden“ eingab und Informationen zu unterschiedlichen Handfeuerwaffen einholte.

(b) Im Hinblick auf den Erwerb der für die Tat benötigten Waffen trat der Angeschuldigte in Absprache mit dem Mitangeschuldigten am 15. oder 16. August 2023 mit einem noch nicht identifizierten Albaner in Verbindung, der den Verkauf einer Pistole zum Preis von 500 € anbot. Das Geschäft kam jedoch - wahrscheinlich aufgrund von Zweifeln an der Funktionstüchtigkeit der Waffe - nicht zustande.

(c) Am 28. August 2023 übermittelte der Angeschuldigte eine den Märtyrertod verherrlichende Audiodatei mit dem Titel „Ich gehöre nicht zur Truppe der Feiglinge“ an den Mitangeschuldigten, der hierdurch in dem gemeinsam gefassten Entschluss zur Ausführung des Anschlags bestärkt wurde.

(d) Da die Bemühungen des Angeschuldigten sowie des Mitangeschuldigten um einen Waffenlieferanten in Deutschland nicht erfolgreich verliefen, beschlossen sie nach Rücksprache des Mitangeschuldigten mit „T. “, Waffen nebst Munition in Tschechien zu beschaffen. Zu diesem Zweck zog der Mitangeschuldigte am 27. August 2023 Erkundigungen zum Waffenkauf und der diesbezüglichen Rechtslage in Tschechien ein, recherchierte am 1. September 2023 zu Möglichkeiten, auf einem „Schwarzmarkt“ im tschechischen K. illegale Waffen zu erwerben, und suchte am 2. September 2023 nach Hotelzimmern in K. Der Angeschuldigte führte ebenfalls Internetrecherchen zur Vorbereitung der geplanten Reise nach Tschechien durch. Am frühen Nachmittag des 9. September 2023 begaben sich der Angeschuldigte und der Mitangeschuldigte, der in einer um 13:49 Uhr versandten Chatnachricht auch „T.“ über den Antritt der Fahrt informiert hatte, im Pkw des Mitangeschuldigten von G. nach Tschechien. Sie führten Gepäck für einen mehrtägigen Aufenthalt sowie Bargeld in Höhe von insgesamt 1.720 € mit sich, das sie für den Erwerb von Schusswaffen nebst Munition einsetzen wollten. Nachdem ihnen der Ankauf von Schusswaffen entgegen ihrer Erwartung nicht gelungen war, kehrten sie nach Deutschland zurück, wo sie im Bereich der Ortschaft Sc. gegen 19 Uhr durch Beamte der Bundespolizei kontrolliert wurden.

(3) Zur Begehung des beabsichtigten Anschlags kam es nicht, weil der Angeschuldigte und der Mitangeschuldigte hierzu bislang keine Möglichkeit sahen. Der Kauf geeigneter Waffen gelang ihnen nicht. Zudem wurden ihre Mobiltelefone am 9. September 2023 von der Polizei beschlagnahmt, weshalb sie befürchteten, dass ihr Vorhaben entdeckt worden sei und sie daher unter polizeilicher Kontrolle stünden. Ihr Vorhaben gaben sie gleichwohl nicht endgültig auf.

b) Der Angeschuldigte hat sich zu den Tatvorwürfen bislang nicht eingelassen. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:

aa) Hinsichtlich der außereuropäischen Vereinigung IS - einschließlich des ISPK - beruht er auf islamwissenschaftlichen Gutachten sowie auf verschiedenen polizeilichen Auswerteberichten.

bb) Der dringende Tatverdacht betreffend die Unterstützungshandlungen des Angeschuldigten ergibt sich aus den Feststellungen anlässlich der Kontrolle am 9. September 2023 sowie der Auswertung beschlagnahmter Mobiltelefone, insbesondere der umfangreichen Chatkommunikation des Mitangeschuldigten über dessen Telegram-Account. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 6. März 2024 sowie die Anklageschrift des Generalbundesanwalts (S. 22 bis 67) und die dort jeweils angeführten Nachweise aus der Sachakte Bezug genommen.

c) In rechtlicher Hinsicht ist der unter II. 1. a) geschilderte Sachverhalt dahin zu würdigen, dass der Angeschuldigte der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit Zuwiderhandlung gegen das Bereitstellungsverbot eines unmittelbar geltenden Rechtsakts der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union sowie - zumindest in einem weiteren Fall - der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit Verabredung zum Mord dringend verdächtig ist (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, § 30 Abs. 2 Variante 3 i.V.m. § 211 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AWG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 vom 28. Juni 2013, §§ 52, 53 StGB).

Keiner abschließenden Entscheidung bedarf an dieser Stelle das Konkurrenzverhältnis der Unterstützungshandlungen und ob - wovon die Anklageschrift ausgeht - insgesamt fünf Unterstützungshandlungen gegeben sind. Denn die mögliche Straferwartung richtet sich nach dem Unrechtsund Schuldgehalt (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2024 - AK 56/24, juris Rn. 30), der hier unabhängig davon gleichbleibt, ob von zwei oder fünf Unterstützungshandlungen ausgegangen wird.

Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt vor. Deutsches Strafrecht ist nach § 3 Abs. 1 und § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB anwendbar.

2. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität.

a) Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem sich daraus ergebenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Der Angeschuldigte ist afghanischer Staatsangehöriger und kam 2016 nach Deutschland. Er ist ledig und kinderlos und hat bereits Ausreisebemühungen entfaltet; familiäre Kontakte in Deutschland bestehen lediglich zu seinem in G. lebenden Bruder. Vor diesem Hintergrund sind die bestehenden familiären und beruflichen Bindungen des Angeschuldigten nicht geeignet, die Fluchtgefahr auszuräumen. Nach Würdigung aller Umstände ist es deshalb wahrscheinlicher, dass er sich, auf freien Fuß gesetzt, dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

b) Die zu würdigenden Umstände begründen die Gefahr, dass die Ahndung der Taten ohne die weitere Inhaftierung des Angeschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) - mit Blick auf den Tatvorwurf der Verabredung zum Mord - ebenso auf den dort geregelten Haftgrund gestützt werden kann.

3. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist nicht erfolgversprechend. Angesichts der Einbindung des Angeschuldigten in ein weitreichendes konspiratives Netzwerk einer terroristischen Vereinigung, die ihm ein Untertauchen wesentlich erleichtern könnte, kann der Zweck der Untersuchungshaft hier nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO).

4. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen mit 27 Stehordnern Verfahrensakte mit der Auswertung verschiedener Telekommunikationsgeräte und einer Vielzahl von Chat-, Audio-, Video- und Bilddateien sowie zahlreicher verdeckter Ermittlungsmaßnahmen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Ermittlungsverfahren ist mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Die Anklage ist am 12. August 2024 erhoben, dem Angeschuldigten und seinem Verteidiger mit Verfügung vom selben Tag zugestellt und übersetzt worden. Für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens ist in Aussicht genommen, am 15. November 2024 mit der Hauptverhandlung zu beginnen.

5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1374

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede