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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 314

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, AK 2/24, Beschluss v. 06.02.2024, HRRS 2024 Nr. 314


BGH AK 2/24 - Beschluss vom 6. Februar 2024

Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate (Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens).

§ 112 StPO; § 121 StPO

Entscheidungstenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

Der Beschuldigte wurde am 9. März 2023 festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Mannheim vom 8. März 2023 (42 Gs 499/23). Gegenstand dieses Haftbefehls war der Vorwurf, der Beschuldigte habe - jeweils gewerbsmäßig und gemeinsam mit anderen handelnd - zum einen über sein Unternehmen I. (I.) zwischen Januar 2020 und Oktober 2021 in 14 Fällen Gegenstände im Gesamtwert von 161.954,49 € ohne Genehmigung nach Russland ausgeführt, obwohl diese, wie er gewusst habe, Anhang I der Dual-Use-Verordnung unterfielen, strafbar gemäß § 18 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, Abs. 7 Nr. 2 AWG aF und nF in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 beziehungsweise Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 2021/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2021, § 25 Abs. 2, § 53 StGB. Zum anderen habe er Ende Februar 2023 Elektronikbauteile im Wert von 133.861,66 €, die in Anhang VII der Russland-Embargo-Verordnung gelistet gewesen seien, an einen russischen Abnehmer verkauft und am 1. März 2023 einem litauischen Kurier zum Transport übergeben, strafbar gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 5, Abs. 7 Nr. 2 AWG, Art. 2a Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014.

Im Folgenden haben sich Hinweise auf zusätzliche Embargoverstöße ergeben. Auf Antrag des Generalbundesanwalts, der das zuvor von der Staatsanwaltschaft Mannheim geführte Ermittlungsverfahren übernommen hatte, hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl des Amtsgerichts am 28. August 2023 aufgehoben und durch einen neuen Haftbefehl ersetzt (1 BGs 1134/23). Der dem Beschuldigten am selben Tag verkündete neue Haftbefehl wirft ihm neben den präzisierten bereits zuvor bekannten Taten vor, in 13 weiteren Fällen zwischen August 2022 und Februar 2023 im Gesamtwert von 482.087,27 € gewerbsmäßig Elektronikbauteile mit potentieller militärischer Verwendung nach Russland verkauft und ausgeführt zu haben, die von Anhang VII B der Russland-Embargo-Verordnung erfasst seien, strafbar gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 7 Nr. 2 AWG in Verbindung mit Art. 2a Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 in der zu den Tatzeiten jeweils gültigen Fassung.

Der Generalbundesanwalt hat mit Blick auf den neuen Haftbefehl am 30. August 2023 beantragt festzustellen, dass eine Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO durch den Senat zum damaligen Zeitpunkt nicht veranlasst gewesen ist. Diesem Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 20. September 2023 (AK 54/23, NStZ-RR 2023, 349) entsprochen und den Ablauf der durch den neuen Haftbefehl in Gang gesetzten Sechsmonatsfrist auf den 20. Januar 2024 datiert. Rechtlich hat er das dem Beschuldigten im Sinne eines dringenden Tatverdachts zusätzlich angelastete Verhalten wie im Haftbefehl gewertet und offen gelassen, ob es zugleich die Voraussetzungen einer Bandentat nach § 18 Abs. 7 Nr. 2, Abs. 8 AWG erfüllt.

II.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und deren Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens ist der nach § 122 Abs. 1 StPO vorgelegte vollzogene Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. August 2023. Soweit der Generalbundesanwalt ausweislich seiner Zuschrift vom 15. Januar 2024 inzwischen von insgesamt 54 Embargoverstößen ausgeht, weil wiederum zusätzliche deliktische Ausfuhren ermittelt worden seien, finden diese keine Berücksichtigung. Gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 StPO ist dem Senat eine Erweiterung des Haftbefehls um neue prozessuale Taten verwehrt (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 18. November 2021 - AK 47/21, juris Rn. 8 mwN).

2. In Bezug auf die im Haftbefehl erhobenen Tatvorwürfe, die den dringenden Tatverdacht belegenden Umstände, die rechtliche Bewertung und die Haftgründe wird auf die fortgeltenden Ausführungen im Beschluss des Senats vom 20. September 2023 verwiesen. Die weiteren Ermittlungen des Zollkriminalamts haben die bisherigen Tatvorwürfe erhärtet und zum Teil präzisiert. Insoweit wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts und die darin in Bezug genommenen zollpolizeilichen Vermerke verwiesen, insbesondere den Schlussvermerk vom 20. Dezember 2023 (SA Bd. 5, Bl. 75 ff.).

3. Die Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil noch nicht zugelassen.

Der Beschuldigte veranlasste hochwahrscheinlich über ein internationales Firmennetzwerk die im Haftbefehl genannten 26 Verkäufe, Ausfuhren und Lieferungen mit zum Teil mehreren unterschiedlichen inkriminierten Einzelpositionen. Somit ist für eine Vielzahl von Gütern eine fachtechnische Stellungnahme des BAFA einzuholen gewesen. Die Auslandsbezüge der Taten haben zeitaufwendige Rechtshilfeersuchen erforderlich gemacht, unter anderem an die USA und die Ukraine. Zahlreiche Schriftstücke sowie elektronische Speichermedien im Umfang von 1,19 Terrabyte sind auszuwerten und in weiten Teilen zu übersetzen gewesen. Hinzu kommen aufwendige Finanzermittlungen, die eine sechsstellige hochwahrscheinlich durch die Taten erlangte Summe aufgedeckt haben. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vermerk des Zollkriminalamts vom 3. Januar 2024 Bezug genommen (SA Bd. 5, Bl. 257 ff.), soweit er die Ermittlungen zu den im Haftbefehl aufgeführten Taten betrifft.

Die Ermittlungen sind durchweg mit hohem Personalaufwand beschleunigt geführt worden und mittlerweile abgeschlossen. Der Generalbundesanwalt hat mitgeteilt, dass derzeit die Anklageschrift gefertigt wird.

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach wie vor nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 314

Bearbeiter: Fabian Afshar