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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1329

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 78/24, Beschluss v. 17.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1329


BGH 2 ARs 78/24 (2 AR 47/24) - Beschluss vom 17. Juli 2024

Aufhebung des Abgabebeschlusses.

§ 42 JGG; § 108 JGG

Entscheidungstenor

1. Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts ? Jugendrichter ? Eschwege vom 8. November 2023 wird aufgehoben.

2. Dieses Gericht ist für die Untersuchung und Entscheidung der Sache weiter zuständig.

Gründe

Die Jugendrichter der Amtsgerichte Eschwege und Erfurt streiten um die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung in einer Jugendstrafsache.

I.

Die Staatsanwaltschaft Kassel hat am 8. Dezember 2022 beim Amtsgericht Eschwege - Jugendrichter - Anklage gegen den damals in Weißenborn (Hessen) wohnhaften Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis erhoben. Mit Beschluss vom 17. Januar 2023 hat das Amtsgericht die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

Da der Angeklagte nicht mehr in Weißenborn, sondern in Erfurt gemeldet war, gab das Amtsgericht das Verfahren mit Beschluss vom 24. März 2023 an das Amtsgericht Erfurt ab, weil der Angeklagte seinen Wohnsitz nunmehr im dortigen Bezirk habe. Das Amtsgericht Erfurt lehnte die Übernahme am 2. Mai 2023 mit Verweis darauf ab, dass der Angeklagte bereits Heranwachsender und laut Anklage Zeugen zu laden seien, die ihren Wohnsitz nicht im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Erfurt hätten. Zudem seien das Amtsgericht Erfurt und die örtliche Jugendgerichtshilfe nicht mit dem Angeklagten vertraut. Das Amtsgericht Eschwege stellte sodann das Verfahren wegen unbekannten Aufenthalts des Angeklagten vorläufig ein. Nach Wiederaufnahme hat es das Verfahren erneut mit Beschluss vom 8. November 2023, in der Begründung ergänzt durch Verfügung vom 21. Dezember 2023, an das Amtsgericht Erfurt abgegeben und im Wesentlichen auf den Wohnsitz des Angeklagten und darauf verwiesen, dass die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit der Jugendgerichte auch für Heranwachsende gelten würden, beim Amtsgericht Erfurt weitere Verfahren anhängig seien und es sich lediglich um eine Zeugin handele, die aus dem Bezirk des Amtsgerichts Eschwege zu laden sei.

Nachdem das Amtsgericht Erfurt die Übernahme des Verfahrens abgelehnt hat, hat das Amtsgericht Eschwege die Sache mit Beschluss vom 1. Februar 2024 gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2, § 108 Abs. 1 JGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberes Gericht des Amtsgerichts Eschwege (Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main) und des Amtsgerichts Erfurt (Bezirk des Oberlandesgerichts Jena) für die Entscheidung gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2, § 108 Abs. 1 JGG zuständig.

2. Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Eschwege vom 8. November 2023 ist aufzuheben. Für die Verhandlung und Entscheidung ist weiterhin der Jugendrichter des Amtsgerichts Eschwege zuständig.

a) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 20. März 2024 zutreffend ausgeführt, dass die förmlichen Voraussetzungen einer Abgabe nach § 42 Abs. 3 Satz 1, § 108 Abs. 1 JGG vorliegen.

b) Der Senat teilt jedoch auch die Auffassung des Generalbundesanwalts, dass die Abgabe der Sache an das Amtsgericht Erfurt nicht zweckmäßig ist. Der Grundsatz, dass sich Jugendliche beziehungsweise Heranwachsende vor dem für ihren Aufenthaltsort zuständigen Gericht verantworten sollen, das regelmäßig über die größte Sachnähe verfügt, kann zur Vermeidung erheblicher Verfahrenserschwernisse durchbrochen werden (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2023 - 2 ARs 460/23, Rn. 6 mwN).

Das Amtsgericht Eschwege hat bereits über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und ist damit in die Sache eingearbeitet, während sich das Amtsgericht Erfurt zunächst noch einarbeiten müsste, was zu einer weiteren, nicht hinnehmbaren Verzögerung des Verfahrens führen würde. Eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Eschwege hätte nur für den volljährigen Angeklagten selbst einen erhöhten Reiseaufwand zur Folge, der ihm ohne Weiteres zugemutet werden kann, zumal auch seine Mutter weiterhin im Bezirk des Amtsgerichts Eschwege wohnhaft ist. Bei dieser Sachlage tritt der erzieherisch relevante Gesichtspunkt der Entscheidungsnähe des für den Wohnsitz zuständigen Gerichts zurück (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. April 2020 - 2 ARs 58/20, Rn. 3, und vom 23. August 2023 - 2 ARs 268/23, Rn. 7, jeweils mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1329

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede