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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 952

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 98/24, Beschluss v. 07.05.2024, HRRS 2024 Nr. 952


BGH 2 StR 98/24 - Beschluss vom 7. Mai 2024 (LG Hanau)

Verwerfung der Revision als unbegründet.

§ 349 Abs. 2 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 20. Oktober 2023, soweit es ihn betrifft,

a) im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Cannabis schuldig ist,

b) im gesamten Strafausspruch und im Ausspruch darüber, die im Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 2021 angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aufrechtzuerhalten, aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten F. wird das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Hanau, soweit es ihn betrifft,

a) im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte des Besitzes von Cannabis in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis schuldig ist,

b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten D. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 2021 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und vier Monaten verurteilt und die in jenem Urteil angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten. Den Angeklagten F. hat es wegen „Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben jeweils in nicht geringer Menge“ unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hanau vom 22. September 2022 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Hanau vom 28. August 2023 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung hat es jeweils ausgesprochen, dass drei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen als vollstreckt gelten.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel haben jeweils in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts lagerte der nichtrevidierende Mitangeklagte I. im Keller seiner Wohnung für den Angeklagten D. mindestens 1.493,68 Gramm Marihuana mit einem THC-Anteil von 279,90 Gramm, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war. Im Auftrag des Angeklagten D. holte der Angeklagte F. am Nachmittag des 16. Juni 2020 das Marihuana bei dem Nichtrevidenten ab, lagerte es zunächst in seiner Wohnung und übergab es kurze Zeit später einer gesondert verfolgten Kurierfahrerin. Sie geriet am selben Tag in eine polizeiliche Kontrolle, in der das Marihuana aufgefunden und sichergestellt wurde.

II.

1. Die Verfahrensrügen sind jeweils nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

2. Die auf die jeweilige Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils führt zu der durch das Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes vom 27. März 2024 (BGBl. I, Nr. 109) erforderlich gewordenen Neufassung der Schuldsprüche.

a) Die Schuldsprüche halten der rechtlichen Nachprüfung am Maßstab des am 1. April 2024 in Kraft getretenen Cannabisgesetzes nicht stand. Die nachträgliche Gesetzesänderung ist gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO bei der revisionsrechtlichen Kontrolle auch dann zu berücksichtigen, wenn - wie hier - der Tatbestand der angewendeten Vorschrift nicht verändert, sondern nur die Strafdrohung gemildert worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 1964 - 3 StR 35/64, BGHSt 20, 116, 117 ff.; Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, BeckRS 2024, 9736, Rn. 4 mwN).

b) Der Senat hat den Wortlaut der Schuldsprüche entsprechend geändert. Soweit es den Angeklagten D. betrifft, ist das vom Landgericht festgestellte Tatgeschehen nunmehr als Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) anzusehen; soweit es den Angeklagten F. betrifft, stellt sich das festgestellte Tatgeschehen nunmehr als - nicht zum Eigenkonsum erlaubter - Besitz von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB) dar. Die Regelung des § 265 StPO steht den Änderungen der Schuldsprüche nicht entgegen, weil sich die geständigen Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

c) Der Zusatz „unerlaubter“ oder „verbotener“ Tatbegehung ist im Urteilstenor entbehrlich. Dass die Straftatbestände des KCanG den verbotenen Umgang mit Cannabis betreffen, versteht sich von selbst (vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, BeckRS 2024, 9736 Rn. 6). Soweit angesichts der Wirkstoffmengen jeweils die Voraussetzungen des Regelbeispiels gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG erfüllt sind (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24, juris Rn. 6 ff., und vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, BeckRS 2024, 9736 Rn. 10 ff.), gehört diese Strafzumessungsregel nicht zur rechtlichen Bezeichnung der Tat im Schuldspruch (§ 260 Abs. 4 StPO; vgl. auch Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 30. Aufl., Rn. 49 mwN).

3. Die gesetzliche Neuregelung zwingt zur Aufhebung der Strafaussprüche. Die vom Landgericht der Strafzumessung zugrunde gelegten Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes wurden für Marihuana durch jene des Konsumcannabisgesetzes ersetzt, die für alle hier in Betracht kommenden Tatbestände jeweils mildere Strafrahmen vorsehen.

a) Der Senat kann trotz des - angesichts der großen Cannabismenge - beachtlichen Schuldumfangs und der im Verhältnis dazu vergleichsweise milden Strafen, bei deren Zumessung das Landgericht jeweils die herabgesetzte Gefährlichkeit von Marihuana ausdrücklich in den Blick genommen hat („weiche Droge“), nicht ausschließen, dass es bei Anwendung der Strafrahmen des Konsumcannabisgesetzes jeweils eine niedrigere Einzelstrafe gegen die Angeklagten verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO).

b) Die Aufhebung der Einzelstrafen entzieht jeweils auch der nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.

4. Soweit es den Angeklagten D. betrifft, ist dementsprechend auch der Ausspruch darüber, die im Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 2021 angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aufrechtzuerhalten, aufzuheben. Sollte sich die im früheren Urteil angeordnete Maßnahme - aus welchen Gründen auch immer - erledigt haben, fehlte es an der Notwendigkeit, über ihre Aufrechterhaltung zu befinden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2023 - 3 StR 68/23, BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhaltung 13 mwN). Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird deshalb erneut zu prüfen haben, ob es der Aufrechterhaltung der Maßregel aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 2021 gemäß § 55 Abs. 2 StGB weiterhin bedarf.

5. Die zugehörigen Feststellungen werden von den aufgrund der Gesetzesänderung notwendigen Aufhebungen nicht berührt und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.

6. Soweit das Landgericht jeweils eine Kompensation wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung gewährt hat, lässt dies für sich genommen Rechtsfehler zu Lasten der Angeklagten nicht erkennen. Die Kompensationsentscheidungen werden von den Teilaufhebungen nicht berührt; sie haben Bestand (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2020 - 2 StR 112/20, juris Rn. 10 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 952

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede