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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 207

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 441/24, Beschluss v. 04.11.2024, HRRS 2025 Nr. 207


BGH 2 StR 441/24 - Beschluss vom 4. November 2024 (LG Aachen)

Anrechnungsentscheidung (Gesamtstrafenfestsetzung; Festlegung des Anrechnungsmaßstabs); Handeltreiben mit Cannabis (Cannabis: Vermehrungsmaterial, Stecklinge).

§ 51 StGB; § 54 StGB; § 55 StGB; § 1 KCanG; § 34 KCanG

Leitsatz des Bearbeiters

Die Festsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe nach § 54 Abs. 1 StGB und die Festlegung des Anrechnungsmaßstabs nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB sind voneinander unabhängige Entscheidungen, so dass die Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus der Vorverurteilung die Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab unberührt lässt. Es handelt sich auch nicht um eine Nebenstrafe, Nebenfolge oder Maßnahme im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB, auf die in der früheren Entscheidung rechtskräftig erkannt wurde und über deren Aufrechterhaltung nach § 55 Abs. 2 StGB zu entscheiden gewesen wäre.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 3. Mai 2024 wird

a) das Verfahren hinsichtlich Fall II. 2. f) der Urteilsgründe (Fall 6 der Anklage) eingestellt; im Umfang der Einstellung trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen;

b) das vorgenannte Urteil

aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie des Handeltreibens mit Cannabis in neun Fällen schuldig ist,

bb) aufgehoben, soweit angeordnet ist, die in den Niederlanden vom 14. Juli 2021 bis zum 4. Oktober 2021 vollzogene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die Strafe anzurechnen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis in zehn Fällen“ unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung und unter Auflösung der dortigen Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt, seine in der Vorverurteilung angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten, festgelegt, dass in den Niederlanden in dem der Vorverurteilung zugrunde liegenden Verfahren erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die Strafe anzurechnen ist, und weiterhin angeordnet, dass 276.200 € als Wertersatz von Taterträgen einzuziehen sind. Das auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

1. Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte im Fall II. 2. f) der Urteilsgründe, den das Landgericht als Handeltreiben mit Cannabis abgeurteilt hat, am 12. September 2020 200 Cannabisstecklinge, die er anschließend gewinnbringend weiterveräußerte. Stecklinge unterfallen aber, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hinweist, anders als eingepflanzte Setzlinge (vgl. Patzak in Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., KCanG, § 1 Rn. 8) als Vermehrungsmaterial nach § 1 Nr. 8 Buchst. c) KCanG i.V.m. § 1 Nr. 6 und 7 KCanG nicht dem Cannabisbegriff des § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG (vgl. Patzak in Patzak/Fabricius, aaO, § 34 Rn. 22). Dass es sich bei den Tatobjekten bereits um eingepflanzte Jungpflanzen handelte, lässt sich weder den Feststellungen noch den übrigen Urteilsgründen entnehmen. Da ergänzende Feststellungen insoweit nicht ausgeschlossen erscheinen, stellt der Senat auf Antrag des Generalbundesanwalts das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen hinsichtlich dieser Tat nach § 154 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 StPO mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO ein.

2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, so dass die vorgenommene Teileinstellung, die aus der Beschlussformel ersichtliche Schuldspruchänderung nach sich zieht. Der Wegfall der Einzelstrafe im Fall II. 2. f) der Urteilsgründe lässt den Gesamtstrafenausspruch unberührt. Der Senat kann in Anbetracht der Anzahl der Einzelstrafen (zehn verbleibende aus dem vorliegenden Verfahren und neun einbezogene aus der Vorverurteilung) und einer Einsatzstrafe von drei Jahren und sechs Monaten ausschließen, dass die Strafkammer ohne die (gemeinsam mit der für die Tat im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe verhängten mildeste) Einzelstrafe von zehn Monaten Freiheitsstrafe auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe als sechs Jahre und neun Monate erkannt hätte.

3. Die von der Strafkammer im angefochtenen Urteil neuerlich vorgenommene Anrechnungsentscheidung hat keinen Bestand.

Die Festsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe nach § 54 Abs. 1 StGB und die Festlegung des Anrechnungsmaßstabs nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB sind voneinander unabhängige Entscheidungen, so dass die Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus der Vorverurteilung die Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab unberührt lässt. Es handelt sich auch nicht um eine Nebenstrafe, Nebenfolge oder Maßnahme im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB, auf die in der früheren Entscheidung rechtskräftig erkannt wurde und über deren Aufrechterhaltung nach § 55 Abs. 2 StGB zu entscheiden gewesen wäre (vgl. zur fehlerhaften Aufrechterhaltung einer früheren Adhäsions- und Entschädigungsentscheidung (StrEG) BGH, Beschluss vom 15. November 2022 - 6 StR 388/22).

4. Demgegenüber haben die Aufrechterhaltung der Maßregel, die zum Zeitpunkt der neuerlichen Verurteilung noch nicht erledigt war (vgl. zum Maßstab BGH, Urteil vom 22. August 2024 - 3 StR 121/24, Rn. 15), sowie die Einziehungsentscheidung, die keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lässt, Bestand.

5. Wegen des nur geringfügigen Teilerfolgs des Rechtsmittels besteht hinsichtlich der verbleibenden Kosten kein Anlass für eine Entscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 207

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede