HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 326
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, StB 77/23, Beschluss v. 06.02.2024, HRRS 2024 Nr. 326
Die Beschwerden des Beschuldigten gegen drei Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. November 2023 werden verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (Hizb Allah) nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB.
Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschlüssen vom 9. November 2023 die Durchsuchung - der Person des Beschuldigten und seiner Wohnräume (5 BGs 274/23), - von diesem unterhaltener Lagerräume (5 BGs 271/23), - eines Firmengebäudes einschließlich Nebenräumen (5 BGs 272/23) - sowie eines unmittelbar angrenzenden Bäckereiverkaufsraums nebst Betriebsfahrzeugen (5 BGs 273/23) zum Zweck der Sicherstellung näher beschriebener Beweismittel angeordnet. Alle Durchsuchungen sind am 16. November 2023 vollzogen worden. Im Tresor und im Gebetsraum des Firmengebäudes sowie in einem Bäckereifahrzeug haben Einsatzkräfte einen Laptop sowie Briefe und Unterlagen aufgefunden. Die Gegenstände sind gemäß § 110 Abs. 1 StPO vorläufig sichergestellt worden zur Durchsicht, die andauert.
Mit Schriftsätzen vom 12. Dezember 2023 hat der Beschuldigte Beschwerden gegen die drei letztgenannten Durchsuchungsbeschlüsse eingelegt und erklärt, er „widerspreche (…) der jetzigen Verwertung der beschlagnahmten Gegenstände“. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat den Beschwerden nicht abgeholfen. In einer anschließenden Stellungnahme hat der Beschuldigte Einwände gegen den Tatverdacht erhoben.
1. Die drei Beschwerden sind gemäß § 304 Abs. 5 StPO zulässig. Das gegen die Durchsuchung der Lagerräume gerichtete Rechtsmittel (hiesiges Aktenzeichen: StB 76/23) ist prozessual überholt, weil die Maßnahme ergebnislos abgeschlossen worden ist. Diese Beschwerde ist in einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Durchsuchung umzudeuten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 1997 - 2 BvR 817/90 u.a., BVerfGE 96, 27, 38 ff.; BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 2014 - StB 10/14, juris Rn. 3 mwN; vom 9. Februar 2021 - StB 9/20 u.a., juris Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 66. Aufl., § 105 Rn. 15).
Soweit der Beschuldigte mit seinen Beschwerden die Durchsuchungen des Firmengebäudes (hiesiges Aktenzeichen: StB 77/23) sowie der angrenzenden Bäckerei nebst Betriebsfahrzeugen (hiesiges Aktenzeichen: StB 78/23) angreift, ist ihr Ziel jeweils noch erreichbar. Angesichts der nicht abgeschlossenen Durchsicht der dort jeweils vorläufig sichergestellten Gegenstände dauern die Maßnahmen weiterhin an (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. November 2021 - StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 5 mwN; vom 13. Juni 2023 - StB 29/23, juris Rn. 4).
2. Alle drei Beschwerden sind jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für die Durchsuchungsanordnungen (§§ 102, 105 StPO) haben bei ihrem Erlass vorgelegen und sind weiterhin gegeben.
a) Es bestand und besteht ein auf konkreten Tatsachen beruhender Verdacht einer Straftat.
Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen durchzuführenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, BVerfGK 9, 149, 153; BGH, Beschlüsse vom 6. September 2023 - StB 40/23, juris Rn. 11; vom 20. April 2023 - StB 5/23, juris Rn. 9; vom 20. Juli 2022 - StB 29/22, NStZ 2022, 692 Rn. 6).
Nach diesen Maßstäben lagen und liegen zureichende Gründe für den Verdacht vor, dass sich der Beschuldigte seit dem 30. August 2002 in H. als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung Hizb Allah beteiligte, indem er für sie und in ihrem Auftrag leitende Funktionen in den maßgeblich von ihr gelenkten Vereinen“ S. e.V.“ und „B. e.V.“ ausübte.
aa) Die Organisation Hizb Allah geht zurück auf einen Zusammenschluss schiitischer Islamisten mit iranischer Unterstützung nach der israelischen Invasion in den Libanon im Jahr 1982. Die Bezeichnung Hizb Allah wurde erst in den folgenden Jahren genutzt, in denen sich auch ihre Strukturen verfestigten. Höchstes Entscheidungsgremium ist ein aus sieben bis acht Mitgliedern bestehender Schura-Rat. Dessen Vorsitz nimmt der Generalsekretär wahr, bei dem es sich seit 1992 um Hassan Nasrallah handelt. Dieser führt zentral mit seinem Stellvertreter und dem Vorsitzenden des Exekutivrates die Organisation strikt autoritär. Neben dem Exekutivrat sind dem Schura-Rat noch ein Justiz-, ein Parlaments-, ein Politik- und ein Militärrat untergeordnet. Dem Militärrat unterstehen über Kriegswaffen verfügende militärische Einheiten. Die Zahl der ihnen zugehörigen Kämpfer wuchs im Lauf der Jahre bis zu einer Größenordnung von etwa 20.000 bis 25.000 und einer ähnlichen Anzahl von Reservisten an.
Die Organisation orientiert sich ideologisch an dem iranischen Revolutionsführer Ruhollah Khomeini und dessen Nachfolger; sie ist wie diese von einem Widerstandsgedanken insbesondere gegen die Vereinigten Staaten von Amerika und Israel geprägt. Das grün gehaltene Logo der Vereinigung zeigt auf gelbem Hintergrund eine stilisierte Abbildung ihres Namens mit einem erhobenen Arm, der ein Sturmgewehr greift, sowie begleitenden Text. Zu ihren maßgeblichen Zielen zählt die Zerstörung Israels. Für Angriffe nutzt sie unter anderem Raketen, verfügt aber auch etwa über Panzer und Drohnen. Daneben ist sie in weiteren Konflikten im Nahen Osten involviert, so in Syrien, im Irak und im Jemen. Zur Durchsetzung ihrer Interessen verübte sie eine Vielzahl von Anschlägen mit zahlreichen - vor allem auch zivilen - Todesopfern sowohl im Libanon als auch in Israel und weltweit, beispielsweise bereits in den 1980er Jahren auf die Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Beirut oder auf die israelische Botschaft in Buenos Aires (Argentinien) im März 1992. In den Folgejahren kam es regelmäßig zu weiteren Gewaltakten. Noch im Oktober 2023 bekannte sich die Organisation zu Angriffen aus dem Libanon auf israelische Stellungen und Siedlungen.
Seit den 1990er Jahren weitete die Hizb Allah ihren Einfluss auf den libanesischen Staat aus und war schließlich an verschiedenen Regierungen beteiligt. Zudem bietet sie vornehmlich in schiitischen Gebieten sozialkaritative Leistungen an. Die politischen und sozialen Aktivitäten unterstehen ebenso wie die militärischen der Gesamtführung der einheitlichen Organisation.
Die Hizb Allah ist bereits seit den 1980er Jahren in Deutschland präsent und verfügt hier über rund 1.000 Anhänger.
bb) Der Beschuldigte ist verdächtig, im Auftrag der Hizb Allah den der S. in H. zugehörigen Verein angeführt und unter anderem als von der Vereinigung eingesetzter Leiter eines „Sanierungskomitees“ die Renovierung der Moschee beaufsichtigt zu haben. In dieser Funktion soll er in vielfältigem Kontakt zu einem Außenbeauftragten der Hizb Allah gestanden haben, der als „Reisescheich“ und Prediger seit 2016 in Norddeutschland die libanesischen Anhänger der Organisation betreute und dem Beschuldigten eine Dankesurkunde überreichte. Außerdem leitete der Beschuldigte als zweiter Vorsitzender seit 1999 die beim Amtsgericht Hannover registrierte B. e.V. In dieser Rolle organsierte er wahrscheinlich Veranstaltungen, auf denen religiöse Gelehrte auftraten, die der Hizb Allah nahestanden, etwa Trauerzeremonien für verstorbene Milizionäre der Vereinigung, und wirkte auf diese Weise mutmaßlich im Einvernehmen mit ihr von innen heraus für sie.
cc) Der Anfangsverdacht hinsichtlich der Hizb Allah stützt sich auf ein Sachverständigengutachten und Vermerke des Bundeskriminalamts.
Im Übrigen folgt der Tatverdacht vornehmlich aus Erkenntnissen aus einem ebenfalls vom Generalbundesanwalt geführten Ermittlungsverfahren gegen den oben genannten mutmaßlichen Außenbeauftragen der Vereinigung (2 BJs 63/23-3; s. SA Grundsatz Bd. I, Bl. 16 ff.). Auf dessen Laptop und einem USB-Stick sind Dokumente gesichert worden, die nicht nur seine eigene Zugehörigkeit zu der Vereinigung nahelegen, sondern auch die des Beschuldigten. Augenscheinlich an den Generalsekretär der Hizb Allah gerichtete Schreiben haben unter anderem zum Inhalt, der Beschuldigte sei in seiner Funktion als Leiter des oben genannten Sanierungskomitees für die Organisation tätig gewesen. In weiteren Texten aus dem Jahr 2016, von denen einer das Symbol der Hizb Allah trägt, bezeichnete der mutmaßliche Außenbeauftragte den Beschuldigten als „Direktor des Vereins in H. “. Er erläuterte, dass dieser Verein, mit dem das S. e.V. gemeint ist, gerade um ein „Exekutivkomitee“ unter Leitung der Hizb Allah erweitert werde. Der Beschuldigte sei ein Vereinigungsmitglied, mit dem er, der Außenbeauftragte, vielfältig in Kontakt stehe. In diesem Zusammenhang führt das Schreiben aus, dass viele der „Brüder“ bereits vor ihrer Ausreise nach Deutschland Teil der Hizb Allah gewesen seien und über Organisationserfahrung und Loyalität verfügten. Das deckt sich mit den Angaben des Beschuldigten bei Stellung seines Asylantrags, er habe bis 1991 zunächst für die AMAL-Bewegung und danach als Mitglied der Gruppe „Gläubiger Widerstand“ vom Südlibanon aus militärische Angriffe gegen Israel geplant und durchgeführt, wofür er alimentiert worden sei (SA Beschuldigter Bd. I, Bl. 125 ff.).
Die Erkenntnisse über die von dem mutmaßlichen Außenbeauftragten an den Beschuldigten überreichte Dankesurkunde ergeben sich ebenfalls aus Sicherstellungen. Dass sich der Beschuldigte wahrscheinlich auch in seiner Funktion als zweiter Vorsitzender der B. e.V. für die Hizb Allah engagierte, lässt sich Internetseiten entnehmen, deren Betreiber der Vereinigung nahestehen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die angefochtenen Durchsuchungsbeschlüsse verwiesen.
Vor diesem Hintergrund entkräftet die Argumentation der Beschwerdebegründung, solange das S. e.V. nicht verboten sei, begründe eine Betätigung für dieses keine Strafbarkeit, den Tatverdacht nicht. Gleiches gilt für den im Verteidigerschriftsatz vom 5. Februar 2024 erhobenen Einwand, Verbindungen des Vereins zum - unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehenden und mutmaßlich vom Iran gesteuerten - I. (I.) seien nicht bewiesen. Denn zum einen geht aus dem insoweit in Bezug genommenen Aktenvermerk (SA Ermittlungskomplexe Bl. 12 ff.) lediglich hervor, dass der Vereinsvorsitzende in einem Gespräch mit der Polizei im Juni 2023 behauptet hat, die Nähe zum I. gehe über die Miteigentümerschaft am Moscheegebäude nicht hinaus. Zum anderen erfordert eine Durchsuchungsanordnung keinen Beweis einer kriminellen Handlung, sondern nur einen entsprechenden Anfangsverdacht.
Soweit der Beschuldigte die Annahme eines Tatverdachts schließlich unter Hinweis auf einen Prüfvorgang der Generalstaatsanwaltschaft Celle (45 AR 31/21) angreift, der keine belastenden Erkenntnisse gegen ihn zutage gefördert habe, ist festzustellen, dass in Niedersachsen - wenn auch mit geringer Intensität - bis in das Jahr 2020 gegen libanesisch-stämmige männliche Personen aus dem Umfeld der S. ermittelt worden ist, auch gegen den Beschuldigten. Unter verschiedenen Aktenzeichen angelegte Vorgänge gehen auf anonyme Hinweise zurück, die seit 2010 regelmäßig bei der Polizei und Zeitungsredaktionen eingingen und ihn neben anderen einer Verbindung mit der Hizb Allah, der Geldwäsche sowie des Geldtransfers in den Libanon bezichtigten. Überprüfungen des LKA Hannover haben dies bis zum Mai 2020 nicht bestätigen können (s. SA op Maßnahmen TKÜ Bd. I, Bl. 37 ff.; SA Beschuldigter Bd. I, Bl. 4 ff.). Die den Tatverdacht nunmehr begründenden Erkenntnisse sind zeitlich danach anlässlich einer in Br. vollzogenen Durchsuchung angefallen.
dd) Rechtlich ist die Tat, derer der Beschuldigte verdächtig ist, als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB zu beurteilen.
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern der Hizb Allah lag und liegt vor.
Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit diejenige des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist gemäß § 142a Abs. 1 Satz 1, § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG gegeben.
b) Es haben auch hinreichende Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass in den drei Durchsuchungsobjekten Beweismittel im Sinne des § 102 StPO aufgefunden werden. Die Liegenschaft in U. (5 BGs 271/23) steht im Eigentum des Beschuldigten; ihr Nutzungszweck und der Umstand, dass die dortigen Lagerräume leer stehen, war vor der Durchsuchung nicht bekannt. Bei den beiden anderen Objekten handelt es sich um den Firmensitz und die Produktionsstätte der unter anderem vom Beschuldigten betriebenen Personengesellschaft (5 BGs 272/23) sowie den angrenzenden, zugehörigen Bäckereiverkaufsraum (5 BGs 273/23) und zugleich um seine tägliche Arbeitsstätte. Die für diese Räumlichkeiten bestehende Auffindevermutung hat sich nach den bisherigen Erkenntnissen vorbehaltlich der weiteren Durchsicht der einstweilen sichergestellten Gegenstände bestätigt.
c) Die Anordnungen der Durchsuchungen haben zum Zeitpunkt ihres Erlasses unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange des Beschuldigten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen und tun dies noch immer.
aa) Sie sind zur Ermittlung der Tat geeignet und erforderlich, da unter den gegebenen Umständen zu erwarten (gewesen) ist, dass sie zum Auffinden von Unterlagen und Datenträgern führen, mit deren Hilfe eine Strafbarkeit des Beschuldigten nachgewiesen werden kann.
bb) Die angeordneten Durchsuchungen stehen zudem in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der aufzuklärenden Straftat und der Stärke des aufgezeigten Tatverdachts. Das Gewicht des mutmaßlich vom Beschuldigten begangenen Delikts ist erheblich. Die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 129a Abs. 1 StGB stellt ein Verbrechen dar und eröffnet einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 326
Bearbeiter: Fabian Afshar