HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 906
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, AK 29/23, Beschluss v. 14.06.2023, HRRS 2023 Nr. 906
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Düsseldorf übertragen.
Der Angeschuldigte wurde am 18. November 2022 vorläufig festgenommen und befindet sich seit dem Folgetag ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Dortmund vom 19. November 2022 (711 Gs 236/22), sodann aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. Dezember 2022 (1 BGs 1051/22), aufrechterhalten durch Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 27. Januar 2023 (1 BGs 189/23) und neu gefasst durch Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. Mai 2023 (III-6 St 1/23). Gegenstand des danach gegenwärtig vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe am 17. November 2022 in B. versucht, eine Brandstiftung zu begehen, strafbar gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23 StGB.
Der Generalbundesanwalt hat unter dem 28. April 2023 wegen des dem aktuellen Haftbefehl zugrundeliegenden Tatvorwurfs und einer weiteren Anschuldigung, auf die allein sich der ursprüngliche Haftbefehl bezog, Anklage zum Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO).
1. Eine besondere Haftprüfung ist bereits veranlasst. Zwar ist der ursprüngliche Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund ausschließlich auf einen Vorwurf gestützt gewesen, der nicht mehr Gegenstand des nunmehr vollzogenen Haftbefehls ist. In Bezug auf den darin enthaltenen Vorwurf hat allerdings ebenfalls bereits im November 2022 eine dringende Verdachtslage bestanden (vgl. zu den rechtlichen Maßstäben näher BGH, Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, NStZ-RR 2021, 155 mwN).
2. Der Angeschuldigte ist der ihm im aktuellen Haftbefehl zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist in diesem Sinne von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Der Angeschuldigte erhielt am 17. November 2022 von einem Hintermann aus dem Iran den Auftrag, einen Brandanschlag auf eine Synagoge in B. zu verüben. Er entschloss sich am späten Abend desselben Tages, stattdessen einen leerstehenden, von einem Bauzaun umgebenen Gebäudeteil einer in Nähe der Synagoge gelegenen Schule anzugehen. Er warf einen Brandsatz, den er aus einer mit Benzin gefüllten Glasflasche gefertigt hatte, gegen die Fassade im Bereich zweier Fenster und nahm zumindest billigend in Kauf, das Gebäude in Brand zu setzen. Unmittelbar danach verließ er den Tatort, ohne sich weitere Gedanken über die Folgen seines Tuns zu machen. Es kam zu einem geringfügigen Brandschaden an einer offenen Styropordämmung und einer Verrußung im Fensterbereich.
b) Der dringende Tatverdacht beruht auf der Einlassung des Angeschuldigten und verschiedenen Beweismitteln. Der Angeschuldigte hat den äußeren Ablauf zum Geschehen an der Schule grundsätzlich eingeräumt. Im Übrigen wird der Hergang insbesondere durch die Aussage eines die Tat beobachtenden Zeugen, die Auslesung von Standortdaten des vom Angeschuldigten genutzten Fahrzeugs, einen in dem Wagen aufgefundenen Benzinkanister sowie den polizeilichen Brandbericht belegt. Die sich daraus ergebenden objektiven Umstände lassen Rückschlüsse auf die subjektive Seite abweichend von der Einlassung des Angeschuldigten zu, er habe lediglich einen Rußfleck verursachen wollen.
c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen versuchter Brandstiftung strafbar gemacht hat (§ 306 Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23 StGB). Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist kein strafbefreiender Rücktritt im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB anzunehmen, weil der Angeschuldigte sich nach der letzten Ausführungshandlung keine näheren Vorstellungen von den verursachten Folgen machte oder diese ihm gleichgültig waren und mithin ein beendeter Versuch vorlag (vgl. zur st. Rspr. etwa BGH, Urteil vom 7. Februar 2018 - 2 StR 171/17, NStZ-RR 2018, 137, 138 mwN).
3. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für den Erlass des modifizierten Haftbefehls ergibt sich aus § 125 Abs. 2 Satz 1, § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO, da es nach Erhebung der öffentlichen Klage mit der Sache befasst ist. Ob es in der Hauptsache tatsächlich zuständig ist, ist dafür nicht entscheidend (vgl. LR/Gärtner, StPO, 27. Aufl., § 125 Rn. 22, § 126 Rn. 25; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 126 Rn. 5; HK-StPO/Posthoff, 6. Aufl., § 126 Rn. 10; BeckOK-StPO/Krauß, 47. Ed., § 126 Rn. 5; KMR/Wankel, StPO, 57. EL, § 126 Rn. 8; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. März 1981 - 1 Ws 145/81, MDR 1981, 691). Der Gesetzeswortlaut stellt insofern allein auf die tatsächliche Befassung infolge der Anklageerhebung ab. Vor diesem Hintergrund sprechen Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und -klarheit sowie der Sachnähe und Beschleunigung dagegen, die Zuständigkeit abweichend vom Normtext von weiteren Kriterien abhängig zu machen. Einer näheren Prüfung, ob die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts gemäß § 120 GVG eröffnet ist, bedarf es für die hier zu treffende Entscheidung mithin nicht.
4. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 Buchst. b und c StPO.
a) Nach einer Gesamtwürdigung der Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich der Angeschuldigte dem Verfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung stellen wird.
Der Angeschuldigte hat enge Beziehungen in den Iran. Er hat die dortige Staatsangehörigkeit, entsprechende Sprachkenntnisse und hält sich regelmäßig dort auf. Die Hintergründe der Tat weisen ebenfalls einen Bezug zum Iran auf. Die drohende Strafe stellt einen deutlichen Fluchtanreiz unabhängig davon dar, dass wegen des bloßen Versuchs des Verbrechens sowie mit Blick auf Aufklärungsbemühungen des bislang unbestraften Angeschuldigten eine Milderung des Strafrahmens in Betracht kommt. Seine aus dem Homeoffice selbständig erbrachten Computer- sowie Büroarbeiten und familiäre Bindungen setzen die Fluchtgefahr unter anderem deshalb nicht entscheidend herab, weil die Berufstätigkeit nicht ortsgebunden und seine Ehefrau ebenfalls iranische Staatsangehörige ist.
b) Darüber hinaus sind nach derzeitigem Ermittlungsstand Verdunkelungshandlungen im Falle der Haftentlassung zu besorgen, namentlich ein Einwirken auf den Zeugen Be. Dieser hat ausgesagt, von einem Mann kontaktiert worden zu sein, der sich als früherer Mithäftling des Angeschuldigten bezeichnet und ihn in dessen Auftrag aufgefordert habe, nicht vor Gericht zu erscheinen. Eine derartige mögliche Einwirkung auf den Zeugen erscheint vor dem Hintergrund plausibel, dass bereits der Vater des Angeschuldigten die Wohnanschrift des Zeugen aufsuchte. Seine auf polizeiliche Ansprache abgegebene Erklärung, er habe die Adresse für den Anwalt des Sohnes besorgen sollen, erscheint angesichts der sich aus den Akten ergebenden Anschrift wenig überzeugend. Soweit die Verteidigerin die Vernehmung eines weiteren Zeugen angeregt hat, um die Angaben des Zeugen Be. zu widerlegen, ist eine solche im besonderen Haftprüfungsverfahren nicht zu veranlassen, zumal der Zeuge Be. erklärt hat, bei dem weiteren Zeugen handele es sich nicht um denjenigen, der ihn angesprochen habe.
c) Weniger einschneidende Maßnahmen gemäß § 116 Abs. 1 und 2 StPO als der Vollzug der Untersuchungshaft erscheinen nicht erfolgversprechend, um den Haftgründen wirksam zu begegnen.
5. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Zur Beurteilung der inneren Tatseite und für die rechtliche Einordnung der Tat hat es der Aufklärung des näheren Hintergrundes mitsamt dem in Rede stehenden Auslandsbezug bedurft. Hierzu sind etwa Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz erst im März 2023, in offener Form am 29. März 2023, eingegangen. Der Generalbundesanwalt hat ohne Verzögerungen im April 2023 die Anklage gefertigt, noch bevor die abschließenden Vermerke über die Auswertung der digitalen Asservate vorgelegen haben. Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Senats des Oberlandesgerichts hat am Tag der Anklageerhebung deren Übermittlung (§ 201 StPO) veranlasst sowie im Folgenden vorsorglich für den Fall der Eröffnung Hauptverhandlungstermine ab dem 18. Juli 2023 abgestimmt.
6. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 906
Bearbeiter: Fabian Afshar