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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 322

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 171/17, Urteil v. 07.02.2018, HRRS 2018 Nr. 322


BGH 2 StR 171/17 - Urteil vom 7. Februar 2018 (LG Limburg)

Rücktritt vom Versuch (Abgrenzung von beendetem und unbeendetem Versuch; Rücktritt vom beendeten Versuch, wenn der Erfolg ohne Zutun des Täters ausbleibt: Voraussetzungen bei gefährdeten Menschenleben).

§ 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Bleibt der Erfolg ohne Zutun des Täters aus, kommt ein strafbefreiender Rücktritt bei einem beendeten Versuch nur in Betracht, wenn der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Danach ist für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch erforderlich, dass der Täter das Rettungsmittel einsetzt, das er selbst für am besten geeignet hält, um die Tatvollendung zu verhindern (vgl. BGH NStZ 2012, 28, 29). Er muss nach seiner Vorstellung eine neue Kausalkette in Gang setzen, die für die Nichtvollendung zumindest mitursächlich wird (vgl. BGHSt 33, 295, 301).

2. Der Täter muss alles, was in seiner Kraft steht und was nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist, unternehmen. Stehen Menschenleben auf dem Spiel, sind hohe Anforderungen zu stellen. In diesem Fall muss sich der Täter um die bestmögliche Maßnahme für die Erfolgsabwendung bemühen (vgl. BGHSt 33, 295, 301 f.).

Entscheidungstenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Limburg a.d. Lahn vom 27. Dezember 2016 wird verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat ihr die Fahrerlaubnis entzogen, ihren Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihr vor Ablauf von drei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

I.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wurde anlässlich von Erdarbeiten im Frühjahr 2015 bekannt, dass der tatsächliche Grenzverlauf zwischen dem Grundstück der Angeklagten und dem benachbarten Grundstück der Zeugin S. nicht den katasterrechtlichen Vorgaben entsprach. Die Pflasterung auf dem Grundstück der Angeklagten überschritt den katastermäßigen Grenzverlauf um etwa 30 cm in Richtung des Grundstücks von S. Nachdem das Amt für Bodenmanagement der zuständigen Gemeinde den Überbau bestätigt hatte, forderte S., die mit der Angeklagten seit mehreren Jahren in Streitigkeiten lebte, den Rückbau, setzte Fristen und kündigte an, den Überbau selbst zu beseitigen. Im Gegenzug verbat sich die Angeklagte ein Betreten ihres Grundstücks. Ende April 2016 beauftragte S. den Nebenkläger, den Rückbau vorzunehmen. Der Nebenkläger führte die Arbeiten am Tattag aus, wobei er teilweise mit einem Teil der Gummikette eines Minibaggers die Pflasterfläche des Grundstücks der Angeklagten befuhr. Als der Nebenkläger den Minibagger wieder auf den Anhänger seines Fahrzeugs verladen hatte, bog die Angeklagte, die zuvor von ihren beiden Söhnen telefonisch über die Rückbauarbeiten informiert worden war, mit ihrem Fahrzeug in die von ihr bewohnte Straße ein.

Der Nebenkläger bemerkte das Fahrzeug der Angeklagten und trat einen Schritt auf den gepflasterten Weg zur Haustür des von der Angeklagten bewohnten Hauses, um dieser die problemlose Durchfahrt auf der an dieser Stelle durch parkende Fahrzeuge verengten Straße zu ermöglichen. Die Angeklagte entschloss sich in diesem Moment aus Wut über den Rückbau, den Nebenkläger mit ihrem Fahrzeug anzufahren. Sie steuerte zielgerichtet mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h auf den Nebenkläger zu, wobei sie davon ausging, dass sie diesen erheblich verletzen werde. Gleichzeitig nahm sie billigend in Kauf, dass diese Verletzungen tödlich sein könnten. Sein Ableben war ihr gleichgültig. Ferner erkannte sie, dass der Nebenkläger davon ausging, dass sie mit ihrem Fahrzeug dem Straßenverlauf folgen werde und dieser nicht damit rechnete, dass sie ihn anfahren wolle. Diesen Umstand wollte sie ausnutzen.

Als die Angeklagte noch circa acht bis neun Meter vom Nebenkläger entfernt war, erkannte dieser, dass die Angeklagte das Fahrzeug auf ihn lenkte. Er wich einen Schritt nach rechts aus, so dass er von dem Fahrzeug allenfalls gestreift und aus dem Gleichgewicht gebracht wurde.

Die Angeklagte, die bei dem Fahrmanöver gegen einen an der Grundstücksgrenze stehenden Baum geprallt war, wollte ihr Ziel, den Nebenkläger anzufahren, wobei sie dessen tödliche Verletzungen jedenfalls in Kauf nahm, weiterverfolgen. Sie setzte ihr Fahrzeug bis auf die Straße zurück, legte den Vorwärtsgang ein und fuhr erneut zielgerichtet auf den Nebenkläger zu. Dieser versuchte nochmals auszuweichen. Die Angeklagte folgte der Ausweichbewegung und nahm den Nebenkläger auf der Motorhaube auf. Mit dem Nebenkläger auf der Motorhaube fuhr sie über die Pflasterfläche vor ihrem Haus und sodann einen hinter der Pflasterfläche liegenden Abhang hinunter. Am Fuße des Abhangs rutschte der Nebenkläger von der Motorhaube und gelangte unterhalb des Fahrzeugs vor den linken Radkasten. Das Fahrzeug schob den Nebenkläger vor sich her, wobei der Nebenkläger im linken Radkasten eingeklemmt wurde. Es entstand eine sechs Meter lange tiefe Schürfspur. Durch den in die Wiese eintretenden Körper des Nebenklägers wurde das mit einem Automatikgetriebe ausgestattete Fahrzeug der Angeklagten schließlich bis zum Stillstand abgebremst, ohne dass die Angeklagte die Bremse betätigt hatte. Die Angeklagte wusste nicht, ob der Nebenkläger verstorben oder gegebenenfalls tödlich verletzt war. Sie machte sich insoweit keine Vorstellungen.

Noch bevor sie aussteigen konnte, stand der ebenfalls an den Rückbauarbeiten beteiligte Zeuge M. neben ihrem Fahrzeug und beschimpfte sie als „Mörderin“. In diesem Moment kam der ältere Sohn der Angeklagten mit zwei Beilen in der Hand aus dem Haus und lief auf M. zu. Es kam zu einem Gerangel, in dessen Folge M. durch ein Beil am Hals verletzt wurde. Währenddessen war auch die Angeklagte ausgestiegen. Sie trat an ihren Sohn heran und bat ihn, die Beile loszulassen und ins Haus zu gehen. Inzwischen war auch der jüngere Sohn der Angeklagten aus dem Haus gekommen und hatte auf Aufforderung von M. das Fahrzeug zwei Meter nach hinten gefahren. M. erkannte die erheblichen Verletzungen des Nebenklägers, wählte den Notruf und meldete den Vorfall. Sodann wandte er sich wieder dem Nebenkläger zu.

Der Nebenkläger hatte einen siebenfachen Beckentrümmerbruch, eine Fraktur des oberen Schambeinastes, zahlreiche Prellungen, Hautrötungen, teilweise Hautablösungen sowie eine Verstauchung des Handgelenks erlitten. Durch einen glücklichen Zufall war es zu keiner Verletzung von inneren Blutgefäßen gekommen, so dass die Verletzungen nicht tödlich waren.

In diesem Moment näherte sich auch die Angeklagte dem Nebenkläger. M. verhinderte die Annäherung, weil er befürchtete, die Angeklagte könne dem Nebenkläger weiter schaden. Er schrie die Angeklagte an, sie solle sich entfernen, und trat zwischen die Angeklagte und den Nebenkläger. Es kam zu einer körperlichen Berührung, möglicherweise einem Schubsen. Nunmehr kam der Zeuge B. hinzu. Aufgrund der Schreierei waren auch die beiden Söhne der Angeklagten wieder aus dem Haus gekommen. Der ältere Sohn trug eine Axt, der jüngere Sohn einen Baseballschläger. Auf Aufforderung der Angeklagten kehrten beide ins Haus zurück. B. bot derweil an, einen Krankenwagen zu rufen und erhielt von M. die Antwort, ein Krankenwagen sei bereits unterwegs.

Der Angeklagten wurde nunmehr bewusst, welche Konsequenzen ihr Handeln haben könne. Sie erklärte, sie habe den Nebenkläger aus Versehen angefahren. Sie entschloss sich schließlich, ins Haus zu gehen. M. versorgte den Nebenkläger mit einer Decke, rief erneut bei der Notrufzentrale an und wiederholte seine Bitte um Übersendung eines Rettungswagens bzw. Notarztes. Im Haus tätigte die Angeklagte von ihrem Festnetz drei Anrufe, wobei die Reihenfolge nicht festgestellt werden konnte. Sie rief die Erzieherin ihres jüngsten Sohnes, ihren Rechtsanwalt sowie die Notrufzentrale an. Dieser teilte sie mit, es sei schon ein Notruf abgesetzt worden, sie wolle gleichwohl sichergehen und nochmals mitteilen, dass ein Mann angefahren worden sei und ein Rettungswagen und Notarzt erforderlich seien. Ihr war bekannt, dass M. bereits mit der Leitstelle gesprochen und ein Rettungswagen bzw. Notarzt angefordert waren. Während die Angeklagte im Haus war, trafen Rettungswagen und Notarzt ein.

II.

Die Revision der Angeklagten ist unbegründet.

1. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes aus Heimtücke und niedrigen Beweggründen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ist rechtsfehlerfrei. Der Erörterung bedarf allein die Frage eines strafbefreienden Rücktritts. Das Landgericht ist von einem beendeten Versuch ausgegangen und hat einen strafbefreienden Rücktritt der Angeklagten mangels ernsthaften Bemühens um die Erfolgsabwendung verneint. Dies hält rechtlicher Prüfung stand.

a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Tötungsversuch beendet war.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen des strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Macht der Täter sich nach der letzten Ausführungshandlung keine Vorstellung über die Folgen seines Tuns oder ist ihm der Erfolg gleichgültig, ist ein beendeter Versuch anzunehmen (st. Rspr.; Senat, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306; BGH, Urteil vom 16. April 2015 - 3 StR 645/14, NStZ 2015, 509 mwN).

bb) Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht zutreffend einen beendeten Versuch angenommen. Denn nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen wusste die Angeklagte, nachdem ihr Fahrzeug zum Stillstand gekommen war, nicht, ob der unter das Fahrzeug geratene Nebenkläger verstorben oder gegebenenfalls tödlich verletzt war. Sie hatte bemerkt, dass der Nebenkläger von der Motorhaube gerutscht und über eine Strecke von mehreren Metern unter ihr rund 1600 Kilogramm schweres Fahrzeug geraten war. Ob der Nebenkläger verstorben oder jedenfalls tödlich verletzt war, war ihr in diesem Moment gleichgültig.

cc) Entgegen der Ansicht der Revision war die Strafkammer auch nicht gehalten, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Angeklagte möglicherweise nach dem Verlassen des Fahrzeugs von ihrem Tötungsvorsatz Abstand genommen hat. Denn eine in engen Grenzen mögliche Korrektur ihres Rücktrittshorizontes (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226) scheitert bereits daran, dass der Angeklagten zu diesem Zeitpunkt auch nach ihrer Vorstellung die weitere Tatvollendung (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 - 1 StR 254/04, NStZ 2005, 151) nicht mehr möglich war. Der Nebenkläger war nämlich durch M. hinreichend geschützt. Für die Angeklagte war damit die maßgebliche Zeitspanne, ob aus ihrer Sicht ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorlag, abgelaufen (vgl. Senat, Urteil vom 3. Dezember 1982 - 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 176; Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, aaO).

b) Die weitere Annahme des Landgerichts, ein strafbefreiender Rücktritt der Angeklagten scheitere an ihrem fehlenden ernsthaften Bemühen, den Erfolgseintritt zu verhindern, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

aa) Bleibt - wie hier - der Erfolg ohne Zutun des Täters aus, kommt ein strafbefreiender Rücktritt nur in Betracht, wenn der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Danach ist für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch erforderlich, dass der Täter das Rettungsmittel einsetzt, das er selbst für am besten geeignet hält, um die Tatvollendung zu verhindern (Senat, Beschluss vom 4. August 2011 - 2 StR 219/11, NStZ 2012, 28, 29; BGH, Urteil vom 20. Mai 2010 - 3 StR 78/10, NStZ-RR 2010, 276, 277). Er muss nach seiner Vorstellung eine neue Kausalkette in Gang setzen, die für die Nichtvollendung zumindest mitursächlich wird (BGH, Urteil vom 20. Mai 2010 - 3 StR 78/10, NStZ-RR 2010, 276, 277; Urteil vom 13. März 2008 - 4 StR 610/07, NStZ 2008, 508, 509; Urteil vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 301). Der Täter muss alles, was in seiner Kraft steht und was nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist, unternehmen. Stehen Menschenleben auf dem Spiel, sind hohe Anforderungen zu stellen. In diesem Fall muss sich der Täter um die bestmögliche Maßnahme für die Erfolgsabwendung bemühen (Senat, Beschluss vom 4. August 2011 - 2 StR 219/11, aaO; BGH, Urteil vom 20. Mai 2010 - 3 StR 78/10, aaO; Urteil vom 13. März 2008 - 4 StR 610/07, aaO; Beschluss vom 3. Februar 1999 - 5 StR 645/98, NStZ-RR 2000, 41, 42; Beschluss vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 301 f.).

bb) Nach diesen Maßstäben scheitert ein strafbefreiender Rücktritt der Angeklagten unter mehreren Gesichtspunkten.

(1) Obwohl nach der Vorstellung der Angeklagten ein Menschenleben auf dem Spiel stand, hat sie nicht die bestmögliche Rettungsmöglichkeit ergriffen. Denn dies wäre jedenfalls ein ihr möglicher zeitnaher Notruf gewesen, wie ihn der Zeuge M. getätigt und der Zeuge B. angeboten hat. Dies gilt umso mehr, als der Nebenkläger offensichtlich schwer verletzt worden war. Die Angeklagte hat ihre Bemühungen jedoch auf einen nachträglichen und nochmaligen Anruf bei der Notrufzentrale beschränkt, ohne ihrerseits nach dem Nebenkläger zu sehen oder sich zu vergewissern, dass dem Nebenkläger die notwendigen Sofortmaßnahmen durch den Zeugen M. zu Teil wurden. Stattdessen ist sie bis zum Eintreffen des Notarztes im Haus verblieben.

(2) Der Notruf der Angeklagten setzte nach ihrem Vorstellungsbild auch keine neue Kausalkette zur Rettung des Nebenklägers in Gang. Denn sie wusste, dass der Zeuge M. bereits die Notrufzentrale verständigt hatte. Sie wollte lediglich sichergehen, dass ärztliche Hilfe unterwegs ist. Die Urteilsfeststellungen bieten demgegenüber keinen Ansatz für die Annahme, dass die Angeklagte die Vorstellung gehabt haben könnte, die Rettungschancen des Nebenklägers durch ihren Anruf zu steigern.

2. Der Strafausspruch sowie die angeordnete Maßregel weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aus.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 322

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 137

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede