HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 556
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 409/23, Beschluss v. 20.02.2024, HRRS 2024 Nr. 556
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 30. Juni 2023, soweit er verurteilt wurde, mit den Feststellungen aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Diebstahl, Beleidigung und Sachbeschädigung, räuberischen Diebstahls in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, Diebstahls in vierzehn Fällen, versuchten Diebstahls, Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung mit einem Verbrechen und Sachbeschädigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt, dass die Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte seit seinem achtzehnten Lebensjahr an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidet. Neunundzwanzig frühere Strafverfahren wegen rechtswidriger Taten des Angeklagten, wobei es sich überwiegend um Diebstähle und Beleidigungen handelte, wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Im Jahr 2021 wurde ein Sicherungsverfahren gegen den Angeklagten eingeleitet, das nicht zur Anordnung einer Maßregel führte, weil eine für den Angeklagten günstige Prognose angestellt wurde, dass er infolge seiner Krankheit künftig keine erheblichen rechtswidrigen Taten begehen werde.
Dem einbezogenen Verfahren liegen überwiegend versuchte oder vollendete Ladendiebstähle des obdachlosen Angeklagten, zum Teil auch solche mit Gewaltanwendung oder Bedrohungen und Beleidigungen, ferner Sachbeschädigungen zu Grunde.
Zur Frage der Schuldfähigkeit ist das Landgericht dem Gutachten des von ihm vernommenen psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, wonach die Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis bei der Begehung der Taten keine Auswirkungen auf die Fähigkeit des Angeklagten zur Unrechtseinsicht gehabt habe. Seine Steuerungsfähigkeit sei nicht aufgehoben gewesen; deren erhebliche Verminderung könne aber bei den abgeurteilten Diebstählen nicht ausgeschlossen und bei den Taten, bei denen es zu Gewaltausbrüchen gekommen sei, sicher angenommen werden.
Die Revision ist begründet, weil die Beweiswürdigung zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten rechtsfehlerhaft ist.
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht unter anderem dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung nur in einer Weise dargestellt ist, die dem Revisionsgericht nicht die Nachprüfung ermöglicht, ob sich der Tatrichter eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 30. Dezember 2014 - 2 StR 403/14, NStZ 2015, 299, 300, und vom 24. Februar 2021 ? 1 StR 489/20, juris Rn. 10 mwN).
2. Die knappen Ausführungen der Strafkammer lassen eine solche Überprüfung nicht zu.
a) Das Landgericht hat nur stichwortartig angemerkt, dass neunundzwanzig frühere Verfahren wegen Schuldunfähigkeit des Angeklagten eingestellt wurden. Mit der Tatsache, dass bisher in einer Vielzahl von Verfahren völlige Schuldunfähigkeit angenommen wurde, und erst recht mit den Gründen dafür setzt sich das Landgericht bei seiner Entscheidung, dass die hier abgeurteilten Taten dem Grunde nach im Zustand der Schuldfähigkeit begangen wurden, nicht auseinander. Auch den Hinweis darauf, dass die Staatsanwaltschaft im Jahre 2021 ein Sicherungsverfahren einleitete, das nur wegen einer für den Angeklagten günstigen Gefahrenprognose nicht zu einer Unterbringungsanordnung führte, hat das Landgericht nicht zum Anlass genommen, bei seiner Entscheidung, § 20 StGB nicht anzuwenden, auf die dortige Prämisse der Schuldunfähigkeit des Angeklagten näher einzugehen.
b) Die Wiedergabe der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen im angefochtenen Urteil beschränkt sich im Wesentlichen auf die Mitteilung seines Gutachtenergebnisses. Das reicht nicht aus, um den Gutachteninhalt für das Revisionsgericht nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Wenn sich der Tatrichter, wie hier, im Wesentlichen darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 15. Januar 2003 - 5 StR 223/02, NStZ 2003, 307, 308; Beschluss vom 11. April 2023 - 4 StR 80/23, juris Rn. 11). Daran fehlt es im angefochtenen Urteil.
c) Die knapp angedeutete Würdigung der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen durch die Strafkammer ist im Übrigen nicht nachzuvollziehen. Ihr pauschaler Hinweis auf den persönlichen Eindruck der Richter von dem Angeklagten in der Hauptverhandlung ist ohne Aussagekraft, da der Angeklagte in der Untersuchungshaft medikamentös behandelt wird, was zur Tatzeit nicht der Fall war. Nicht nachvollziehbar ist die pauschale Bewertung, die Taten ließen „in Verbindung mit besagter fachpsychiatrisch gestellter Diagnose für die Kammer keinen anderen Schluss zu, als dass die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war“. Der ergänzende Hinweis, dass bezüglich der Diebstahlsdelikte auch die Obdach- und Mittellosigkeit des Angeklagten eine Rolle gespielt habe, ist für die Annahme einer krankheitsbedingt erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit ohne Aussagekraft.
3. Die genannten Rechtsfehler zwingen zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen, da sowohl die Verurteilung wegen schuldhaft begangener rechtswidriger Taten, als auch die Annahme der Maßregelvoraussetzung einer sicher erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten davon berührt sind. Lediglich die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf der rechtswidrigen Taten sind rechtsfehlerfrei getroffen und können aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Der neue Tatrichter wird dann, wenn er erneut zur Verurteilung gelangen und dafür unter anderem Einzelgeldstrafen verhängen sollte, auch die Tagessatzhöhe zu bestimmen haben. Das ist auch erforderlich, wenn Geldstrafen in eine Gesamtfreiheitsstrafe einfließen; denn für den Fall der Auflösung der Gesamtstrafe muss jede Einzelstrafe für sich vollstreckbar sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 1981 - 4 StR 599/80, BGHSt 30, 93, 96, und vom 10. Juni 1986 - 1 StR 445/85, BGHSt 34, 90, 92).
2. Sollten erneut Diebstähle des Angeklagten als schuldhaft begangene Taten abgeurteilt werden, ist zu berücksichtigen, dass die indizielle Wirkung des Regelbeispiels für das Vorliegen eines besonders schweren Falles nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB durch andere Strafzumessungsfaktoren, die die Regelwirkung entkräften, dergestalt kompensiert werden, dass auf den normalen Strafrahmen für Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1 StGB zurückzugreifen ist. Insbesondere kann das Vorliegen des Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB zumindest im Zusammenwirken mit den allgemeinen Strafmilderungsgründen Anlass geben, trotz Vorliegens des Regelbeispiels einen besonders schweren Fall zu verneinen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2003 - 4 StR 94/03, wistra 2003, 297).
3. Dem Angeklagten kann, wenn seine Schuldfähigkeit zur Tatzeit erheblich vermindert war, nicht ohne weiteres eine „rechtsfeindliche Gesinnung“ zur Last gelegt werden, wie es das Landgericht im Zusammenhang mit der Prüfung des § 47 StGB angenommen hat.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 556
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede