HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 258
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 323/23, Beschluss v. 21.11.2023, HRRS 2024 Nr. 258
1. Auf die Revisionen der Angeklagten M. und H. wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 30. März 2023, soweit es diese beiden Angeklagten betrifft, mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Fall II.2 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
c) soweit der Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel angeordnet worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Marburg zurückverwiesen.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten M. in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass vor der Unterbringung drei Jahre der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe zu vollziehen sind. Den Angeklagten H. hat das Landgericht wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Dauer des Vorwegvollzuges der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung hat es auf zwei Jahre und drei Monate bestimmt. Außerdem hat die Strafkammer gegen beide Angeklagte eine Einziehungsentscheidung getroffen.
Der Angeklagte M. hat das Urteil mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts angegriffen. Der Angeklagte H. hat die allgemeine Sachrüge erhoben. Die Rechtsmittel beider Angeklagter erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Das Landgericht hat zur Tat II.2 der Urteilsgründe - soweit hier von Bedeutung - die folgenden Feststellungen getroffen:
Die Angeklagten M. und H. schlossen sich im Jahr 2018 mit dem bereits rechtskräftig abgeurteilten Ma. zusammen, um gemeinsam arbeitsteilig und wiederkehrend in Mar. und Umgebung dauerhaft mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel zu treiben. Die Angeklagten beschafften die Betäubungsmittel. Ma. übernahm auf Geheiß der Angeklagten die Organisation und Abwicklung des Straßenverkaufs in Mar. Hierfür baute er eine mehrköpfige Struktur aus Bunkerhaltern und „Läufern“ auf, welche die von den Angeklagten M. und H. gelieferten Betäubungsmitteln an die Abnehmer verkauften. Die von den „Läufern“ durch den Betäubungsmittelverkauf generierten Gelder lieferte Ma. sodann bei den in Vorleistung getretenen Angeklagten M. und H. ab. Am 30. Mai 2019 verbrachte Ma. eine Sporttasche mit zum gewinnbringenden Verkauf bestimmten und im Einzelnen bezeichneten Betäubungsmitteln, die zuvor von den Angeklagten M. und H. in einem einheitlichen Vorgang erworben worden waren, in eine von ihm unterhaltene Bunkerwohnung, wo sie am 31. Mai 2019 von der Kriminalpolizei sichergestellt wurde.
2. Die Strafkammer stützt sich in ihrer Beweiswürdigung unter anderem auf die Feststellungen des rechtskräftigen Urteils gegen Ma. In diesem Urteil hatte eine andere Strafkammer des Landgerichts festgestellt, dass Ma. Kopf einer Bande war, die sich zum gewinnbringenden Verkauf von Betäubungsmitteln zusammengeschlossen hatte und deren Tätigkeitsfeld darin bestand, dass verschiedene „Läufer“ Betäubungsmittel in Mar. veräußerten. Sämtliche Betäubungsmittel hatte Ma. ausweislich der Feststellungen jenes Urteils von seinen Lieferanten „auf Kommission“ erworben, um sie im Nachhinein mit den Verkaufserlösen zu bezahlen. Die Angeklagten M. und H. werden namentlich in dem Urteil gegen Ma. nicht erwähnt.
Von der Richtigkeit dieser Feststellungen einschließlich des Verkaufs der Betäubungsmittel an Ma. „auf Kommission“ hat sich die Strafkammer „nach eigener Beweiswürdigung“ überzeugt. Die Bandenabrede zwischen den Angeklagten M. und H. begründet sie in ihrer rechtlichen Würdigung damit, dass die Angeklagten M. und H. durch ihre Vorleistung das finanzielle Risiko getragen und außerdem Ma. gezielt für den Straßenverkauf aufgebaut hätten.
1. Die vom Angeklagten M. erhobenen Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.
2. Die Überprüfung aufgrund der Sachrügen führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.2 der Urteilsgründe wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Die rechtliche Würdigung der Strafkammer, dass die Angeklagten in diesem Fall als Mitglied einer Bande handelten, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Die bandenmäßige Begehung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 1 BtMG setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Betäubungsmitteldelikte zu begehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2022 - 2 StR 12/22, juris Rn. 20). Ob ein am Betäubungsmittelhandel Beteiligter Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich allein nach der deliktischen Vereinbarung in Form einer Bandenabrede (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2019 - 2 StR 212/18, juris Rn. 21). Kein Bandenhandel liegt vor, wenn sich die Beteiligten eines Betäubungsmittelgeschäftes auf der Verkäufer- und der Erwerberseite als selbstständige Geschäftspartner gegenüberstehen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2007 - 2 StR 436/07, NStZ-RR 2008, 55 mwN). Das gilt auch dann, wenn es sich um eine andauernde Geschäftsbeziehung und ein eingespieltes Bezugs- und Absatzsystem handelt (BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 2007 - 4 StR 612/06, BGHR BtMG § 30a Bande 11).
Die vorstehenden Maßstäbe sollen grundsätzlich auch bei Geschäften „auf Kommission“ Anwendung finden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 - 3 StR 129/11, juris Rn. 8 mwN). Kauft ein am Betäubungsmittelhandel Beteiligter allerdings Betäubungsmittel „auf Kommission“, bedarf die Annahme einer mit diesem getroffenen Bandenabrede insoweit regelmäßig näherer Feststellungen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2019 - 2 StR 212/18, juris Rn. 21). Dass Betäubungsmittel „auf Kommission“ bezogen werden, wird nämlich isoliert betrachtet häufig auf die Stellung eines selbstständigen, eigene Interessen verfolgenden Geschäftspartners hindeuten. Darin kann aber auch lediglich die verdeckende Umschreibung dafür zu sehen sein, dass der „auf Kommission“ erwerbende Beteiligte in unselbstständiger Weise als verlängerter Arm seines Lieferanten anzusehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 1996 - 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255, 260; MüKo-StGB/Oğlakcıoğlu, BtMG, 4. Aufl., § 30 Rn. 51). Ob eine Person, die regelmäßig von einem bestimmten Verkäufer Betäubungsmittel „auf Kommission“ zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs bezieht, in die Absatzorganisation des Verkäufers eingebunden ist oder ob sie diesem stattdessen als selbstständiger Geschäftspartner gegenüber steht, beurteilt sich wesentlich nach der getroffenen Risikoverteilung. Von einer Einbindung in die Absatzorganisation als verlängerter Arm des Verkäufers ist in der Regel auszugehen, wenn die Verkäuferseite dem Abnehmer die Höhe des Verkaufspreises vorgibt, Zeitpunkt und Umfang der Lieferungen der Betäubungsmittel bestimmt sowie am Gewinn und Risiko des Weiterverkaufs beteiligt ist. Der Abnehmer in einem eingespielten Bezugs- und Absatzsystem, der die Betäubungsmittel zum vereinbarten Preis erwirbt und diese anschließend ausschließlich auf eigenes Risiko verkauft, ist demgegenüber regelmäßig als selbstständiger Käufer anzusehen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn er die Verkaufspreise selbst festsetzt und über die erzielten Gewinne allein disponieren kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Juli 2011 - 3 StR 129/11, juris Rn. 8 mwN; vom 31. Juli 2012 - 5 StR 315/12, NStZ 2013, 49). Für ein selbstständiges Agieren spricht auch, wenn der Abnehmer für ausbleibende Zahlungen haftbar gemacht wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 1996 - 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255, 260).
b) Ausgehend davon hat das Landgericht eine Bandenabrede zwischen den Angeklagten M. und H. sowie dem gesondert Verfolgten Ma. nicht tragfähig begründet. Insbesondere fehlt es an einer eingehenden Auseinandersetzung mit der zwischen Ma. und den Angeklagten M. und H. getroffenen Risikoverteilung.
aa) Die Strafkammer legt ihrer rechtlichen Würdigung zwar im Ausgangspunkt die für Kommissionsgeschäfte geltenden Maßstäbe zutreffend zugrunde. Die Erwägungen, mit denen sie eine Bandenabrede annimmt, stützen das Vorliegen einer Bandentat nach diesen Maßgaben indes nicht. Die Annahme, dass die Angeklagten das „Risiko des Weiterverkaufs“ getragen hätten, weil sie mit der Übergabe der Betäubungsmittel an Ma. in Vorleistung gegangen seien, verfängt nicht. Denn dass Lieferanten in Vorleistung treten, weil sie ihrem Abnehmer die Betäubungsmittel zunächst ohne Gegenleistung überlassen, ist dem Kommissionsgeschäft immanent und besagt noch nichts über die maßgebliche Risikoverteilung im Sinne der Haftung für ausbleibende Zahlungen oder das Scheitern von Verkäufen. Auch der Umstand, dass Ma. von den Angeklagten M. und H. „gezielt für den Straßenverkauf aufgebaut“ wurde, belegt für sich genommen noch nicht, dass er Teil einer Bande bestehend aus ihm und den Angeklagten M. und H. war. Eine solche gezielte „Platzierung“ ist auch bei Verkäufern möglich, die dem Lieferanten fortan als selbstständiger Geschäftspartner in einem auf Dauer angelegten Bezugs- und Absatzsystem gegenüberstehen sollen.
bb) Den Ausführungen in der Beweiswürdigung vermag der Senat keine weitergehenden Erkenntnisse zu entnehmen, die die rechtliche Würdigung der Strafkammer bezogen auf eine Bandenabrede mit den Angeklagten stützen könnten. Insbesondere fehlen Erkenntnisse zu möglichen Vorgaben der Angeklagten für den Verkauf des Rauschgifts durch Ma., bezogen etwa auf den Zeitpunkt oder den Umfang, sowie zu einer denkbaren Gewinnbeteiligung an der „Weiterveräußerung“ durch diesen. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Ma. trotz seiner festgestellten Beteiligung an einer Bande mit den Straßenverkäufern zugleich in eine mit den Angeklagten M. und H. bestehende Bandenstruktur eingebunden war. Ohne nähere Feststellungen zu dem Verhältnis der beiden Gruppierungen zueinander und zu den insoweit bestehenden Absprachen bezogen auf Gewinnverteilung, Haftung und Befugnisse im Rahmen des Weiterverkaufs der Betäubungsmittel lässt sich die Frage der Eingliederung des Ma. in die Absatzstrukturen der Angeklagten aber nicht beurteilen. Dafür, dass Ma. an anderen Teilakten des Handeltreibens beteiligt war und sich somit aus anderen Gründen als dem Straßenverkauf eine Eingliederung in die Bande der Angeklagten ergibt, bieten die Urteilsgründe keine Anhaltspunkte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 3. September 2014 - 1 StR 145/14, NStZ 2015, 227).
c) Der Fall II.2 der Urteilsgründe bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.
3. Der Wegfall der die Angeklagten M. und H. betreffenden Schuldsprüche im Fall II.2 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der jeweiligen Einzelstrafen und der Gesamtstrafenaussprüche nach sich.
4. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält bezogen auf die Angeklagten M. und H. auch unter Berücksichtigung der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Neufassung des § 64 StGB rechtlicher Nachprüfung stand (§ 2 Abs. 6 StGB). Allerdings entzieht der Wegfall der Gesamtstrafen den Anordnungen des Vorwegvollzuges die Grundlage. Insoweit wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer die geänderte Fassung des § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB zu beachten haben. Das Verbot der Schlechterstellung steht der Berechnung des Vorwegvollzugs nach der Neufassung nicht entgegen, § 358 Abs. 2 Satz 3 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Januar 2008 - 5 StR 624/07, juris Rn. 2 mwN; vom 14. November 2023 - 1 StR 354/23, juris).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 258
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede