HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 158
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 206/23, Beschluss v. 26.09.2023, HRRS 2024 Nr. 158
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 31. Januar 2023 aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen versuchter räuberischer Erpressung verurteilt worden ist, mit den zugehörigen Feststellungen; jedoch werden die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten;
b) im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition, mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition, mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und mit Sachbeschädigung sowie versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt und eine isolierte Fahrerlaubnissperre verhängt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
1. Die Verurteilung wegen versuchter räuberischer Erpressung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen verlangte der Angeklagte am späten Abend des 2. August 2022 von der Ehefrau des Nebenklägers die Zahlung von 35.000 Euro, obwohl er, wie ihm bewusst war, keinen Anspruch in dieser Höhe gegen den Nebenkläger hatte. Sollte bis Mitternacht keine Zahlung erfolgen, würde er 100.000 Euro verlangen und seine Freunde vorbeischicken. Er fügte sinngemäß hinzu, dass die Familie dann auch nicht beleidigt sein dürfe, wenn es dazu kommen müsse. Hierbei machte sich der Angeklagte bewusst zunutze, dass die Familie des Nebenklägers von den Geschehnissen des Vortags eingeschüchtert war, als der Angeklagte den Nebenkläger mehrfach angeschossen und schwer verletzt hatte. Die Ehefrau des Nebenklägers fühlte sich - wie vom Angeklagten beabsichtigt - auch bedroht, sie zahlte indes nicht. Nachdem sie am Folgetag bei der Polizei Anzeige erstattet hatte, wurde der Angeklagte einen Tag später vorläufig festgenommen. Das Landgericht hat ohne nähere Begründung angenommen, der Angeklagte sei von der Tat „nicht zurückgetreten“.
b) Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
War der Versuch der räuberischen Erpressung unbeendet, konnte der Angeklagte durch bloßes Aufgeben seines Plans, von der Familie des Nebenklägers die Herausgabe von Geld zu erzwingen, Strafbefreiung erreichen (§ 24 Abs. 1 Satz 1, 1. Var. StGB). Ausgeschlossen wäre die Anwendung des § 24 StGB nur, wenn der Versuch zweifelsfrei fehlgeschlagen wäre, weil in einem solchen Fall ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein ausgeschlossen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 ? 4 StR 587/19, NStZ-RR 2020, 102 mwN). Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst festgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. September 2015 ? 4 StR 359/15 mwN). Maßgeblich dafür ist ? wie für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch ? das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont). Der Rücktrittshorizont kann auch noch nachträglich korrigiert werden. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung zwar zunächst den Eintritt des angestrebten Erfolgs für möglich gehalten hat, unmittelbar darauf aber zum Ergebnis kommt, dass er noch nicht alles Erforderliche getan hat (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 ? 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; LK-StGB/Murmann, 13. Aufl., § 24 Rn. 176 ff. mwN). Ein Fehlschlag liegt nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen. Hält er die Vollendung der Tat in unmittelbarem Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2021 ? 4 StR 345/21).
Zu der Frage, welche Vorstellung der Angeklagte nach der zuletzt ausgesprochenen Drohung bzw. nach Ablauf des kurz gesetzten Ultimatums hatte, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Der Umstand, dass die Familie des Nebenklägers dem Zahlungsverlangen nicht entsprochen hat, begründet für sich betrachtet noch keinen Fehlschlag des Erpressungsversuchs (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. April 2022 ? 6 StR 99/22; vom 3. Mai 2023 ? 6 StR 161/23). Angesichts der Ankündigung des Angeklagten, bei Nichtzahlung eines Betrags von 35.000 Euro bis Mitternacht die Forderung zu erhöhen und zu deren Durchsetzung seine Freunde vorbeizuschicken, versteht sich auch nicht von selbst, dass der Tatplan aufgrund der erstatteten Anzeige gescheitert war, weil jedenfalls offenblieb, ob der Angeklagte Kenntnis von ihr erlangte.
2. Die danach erforderliche Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchter räuberischer Erpressung zieht den Wegfall der für diese Tat festgesetzten Einzelstrafe und die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Da der Rechtsfehler die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen nicht im Sinne des § 353 Abs. 2 StPO betrifft, können diese aufrechterhalten werden. Ergänzende Feststellungen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen, bleiben möglich.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 158
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede