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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 531

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 204/22, Beschluss v. 08.02.2023, HRRS 2023 Nr. 531


BGH 2 StR 204/22 - Beschluss vom 8. Februar 2023 (LG Frankfurt am Main)

Beweiswürdigung (Urkundenbeweis: keine förmliche Verlesung, kein Selbstleseverfahren, Vorhalt an einen Zeugen, längere und komplexe Urkunden); Insiderhandel (Feststellungen, aufgrund welcher Insiderinformationen die Angeklagten welche Derivate erwarben notwendig; strafschärfende Berücksichtigung: reines Gewinnstreben, gutes Einkommen, Fehlen eines Strafmilderungsgrundes); Einziehung von Taterträgen (durch die verbotenen Insidergeschäfte erworbene Derivate: Veräußerung, Wert, Kosten und Gebühren, Steuer, abzuziehende Aufwendungen des Täters, Aufwendungen für den Erwerb der durch den verbotenen Insiderhandel angeschafften Derivate, Abzugsverbot, Markmanipulation, Rückausnahme, kein individualschützender Charakter, wiederholte Reinvestition, Gesamtbetrachtung, analoge Anwendung des § 73a Abs. 2 StGB).

§ 261 StPO; § 249 StPO; § 119 Abs. 3 Nr. 1 WpHG; Art. 14 lit. a) MAR; § 46 StGB; § 73 StGB; § 73d StGB; § 73a StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Inaugenscheinnahme eines Schriftstücks ist nicht geeignet, dessen Inhalt zu beweisen, da dieser auf das äußere Erscheinungsbild der Urkunde und nicht auf dessen Inhalt abzielt.

2. Zwar kann der Inhalt einer Urkunde auch durch ihren Vorhalt an einen Zeugen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden; dies unterliegt indes Grenzen bei längeren und komplexen Urkunden.

3. Wird die Einziehung von durch den verbotenen Insiderhandel angeschafften Derivate durch die Veräußerung der Derivate unmöglich, ist deren Wert maßgeblich. Die bis zum Eintritt der Unmöglichkeit eingetretenen Wertsteigerungen werden berücksichtigt. Kosten und Gebühren für die nachträgliche Verwertung der Derivate unterfallen nicht der Regelung des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB, da sie keine Aufwendung für das Erlangen der Taterträge darstellen. Selbiges gilt für die aufgrund der Veräußerung anfallenden Steuern, da diese nicht für das Erlangen der Derivate als Tatertrag aufgewendet werden.

4. Aufwendungen für den Erwerb der durch einen verbotenen Insiderhandel angeschafften Derivate sind nicht zu berücksichtigen. Diese unterfallen dem Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz. Ein Täter des verbotenen Insidergeschäfts hat wie bei der verbotenen Marktmanipulation angesichts des ihm nach § 119 Abs. 3 Nr. 1 WpHG i.V.m. Art. 14 lit. a) MAR treffenden Handlungs- und Geschäftsverbotes bewusst in den ihm verbotenen Erwerb der Derivate investiert; insofern unterscheidet sich der Fall grundlegend von den Fällen der informations- oder handelsgestützten Marktmanipulation. Dabei greift das Abzugsverbot bereits dann, wenn die zur unmittelbaren Vermögensmehrung führende Handlung verboten war, selbst wenn dies nicht die zivilrechtliche Unwirksamkeit des bewirkten Rechtsgeschäfts nach sich zieht.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten und der Einziehungsbeteiligten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30. September 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen vorsätzlichen Insiderhandels gemäß § 119 Abs. 3 Nr. 1 WpHG in Verbindung mit Artikel 14 lit. a) der VO (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (MAR) in 55 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten B. wegen desselben Vergehens in 19 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Es hat ferner gegen den Angeklagten H. die „Einziehung eines Geldbetrages“ in Höhe von 45.311.418,52 Euro, gegen den Angeklagten B. in Höhe von 160.000 Euro als Gesamtschuldner mit der Einziehungsbeteiligten sowie gegen diese in Höhe von 3.339.699,13 Euro, davon in Höhe von 160.000 Euro als Gesamtschuldner mit dem Angeklagten B. angeordnet. Die auf die Rügen formellen und materiellen Rechts gestützten Rechtsmittel haben mit der übereinstimmend erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des § 261 StPO Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts kommt es danach nicht mehr an.

I.

1. Der Angeklagte H. war als Abteilungsleiter einer Investmentgesellschaft in F. für eine Vielzahl von Mitarbeitern und das Management mehrerer Fonds verantwortlich. Diese bewegten täglich ein Handelsvolumen von mehr als 500 Mio. Euro. Er wusste, dass die für die von ihm gemanagten Fonds ausgelösten Orders Marktrelevanz besaßen und dass sich bei einem Kauf bzw. Verkauf einer Aktie diese im Wert um durchschnittlich 0,6 bis 0,8 % veränderte. Diesen Effekt wollte er für sich persönlich durch den Erwerb privater „Call“ bzw. „Bull“-Derivate im Wege des sogenannten „Front-Runnings“ zunutze machen.

a) Am 17. Juni 2020 erstellte er zwischen 9.12 Uhr und 10.02 Uhr insgesamt 38 Privatorders zum Erwerb börsengelisteter Wertpapiere, deren Wert von der Entwicklung der Aktie der D. AG abhingen. Er investierte 913.750 Euro in das Hebelprodukt. Unmittelbar im Anschluss an die Ausführung seiner letzten Privatorder übersandte er der Handelsabteilung seines Investmenthauses 15 Orders zum Erwerb von knapp 1,75 Mio. Aktien der D. AG für vier von ihm gemanagte Fonds. Die Orders wurden zwischen 10.06 Uhr und 11.24 Uhr an mehreren Handelsplätzen ausgeführt; während der Ausführung erhöhte sich der Wert der D. AG Aktie um 2,73 %, wobei keine anderen Ursachen für die positive Kursentwicklung erkennbar waren. Dies führte zu einem Wertzuwachs der Derivate des Angeklagten in Höhe von 227.326,73 Euro.

Er veräußerte die Derivate zwischen 11.09 Uhr und 11.35 Uhr am gleichen Tag mit dem vorbeschriebenen Gewinn (Tat I.1 der Urteilsgründe).

b) Der Angeklagte H. erwarb, wie vom Landgericht tabellarisch dargestellt, vor dem Erwerb der vorgenannten Derivate zwischen dem 6. April 2020 und dem 17. Juni 2020 in 31 Fällen und nach deren Handel zwischen dem 17. Juni 2020 und dem 1. September 2021 in weiteren 23 Fällen in der zuvor dargestellten Art und Weise weitere Derivate, die sich auf unterschiedliche Aktien, die er für die von ihm gemanagten Fonds kaufen bzw. verkaufen wollte, bezogen. Im Zuge dieses privaten Handels kaufte er mehr als 50 Mio. Wertpapiere unterschiedlicher Gattungen, die er allesamt jeweils zeitnah wiederverkaufte und hierdurch insgesamt 45.311.418,52 Euro erlöste. Der Gesamtgewinn des Angeklagten belief sich auf 8.114.072,35 Euro (Tat I.2 bis I.55 der Urteilsgründe).

c) Das Landgericht hat seine Überzeugung von den Taten des Angeklagten H. zunächst auf dessen geständige Einlassung gestützt, wobei der Angeklagte zu den einzelnen Trades und Orders keine genauen Angaben mehr machen konnte. Die Marktbeeinflussung der institutionellen Orders hat ein Sachverständiger dargestellt. Die Feststellung zu den privaten Transaktionen des Angeklagten und den einzelnen institutionellen Orders des Investmenthauses hat die Strafkammer auf einen Zeugen der BaFin sowie die „Inaugenscheinnahme der Tabellen in den Sonderbänden 3.2 und 3.2.1, in denen im Einzelnen nach Datum und Uhrzeit die privaten Transaktionen, die institutionellen Transaktionen und die durch den Angeklagten H. erzielten Gewinne aufgeführt sind,“ gestützt.

d) Der Einziehungsentscheidung gegen den Angeklagten H. hat sie die Verkaufserlöse der Derivate (nach Abzug von Gebühren, Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag) in Höhe von 45.311.418,52 Euro zugrunde gelegt. Die Aufwendungen für den Erwerb der Derivate hat sie gemäß § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB nicht abgezogen, da diese für die Begehung der Taten aufgewendet worden seien.

2. Der Angeklagte B. war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Einziehungsbeteiligten. Ihn verband eine langjährige Freundschaft mit dem Angeklagten H. .

a) Nachdem der Angeklagte B. am 29. April 2020 um 13.47 Uhr von dem Angeklagten H. die Information erhalten hatte, dass die von ihm gemanagten Fonds gleich die I. -Aktie kaufen würden, erwarb er für die Einziehungsbeteiligte zwischen 14.02 Uhr und 14.31 Uhr für insgesamt 93.609,50 Euro 50.000 Derivate als Hebelprodukt, die die Wertveränderung der I. -Aktie abbildeten. Zwischenzeitlich hatte der Angeklagte H. für die Investmentgesellschaft die Order zum Erwerb der Aktien an die dortige Handelsabteilung gesandt. Um 15.15 Uhr übermittelte er eine weitere Kauforder an die dortige Handelsabteilung. In Umsetzung der Aufträge wurden zwischen 14.20 Uhr und 15.48 Uhr insgesamt mehr als 3,6 Mio. I. -Aktien im Wert von 62,3 Mio. Euro für die Fonds erworben. Dies entsprach 44,3 % der in diesem Zeitraum umgesetzten I. -Aktien. In der Folge stieg der Wert der Aktie um 3 %, was bei der Einziehungsbeteiligten unter Berücksichtigung von Gebühren einen Gewinn von 18.679,59 Euro bewirkte. Der Verkauf der Derivate erfolgte am gleichen Tag zwischen 15.05 Uhr und 15.33 Uhr (Fall II.1 der Urteilsgründe).

b) Nachdem der Angeklagte H. dem Angeklagten B. am 6. Mai 2020 um 9.11 Uhr mittels Chat dargestellt hatte, dass er heute wahrscheinlich „M. angreifen“ werde und er den Angeklagten B. noch zwei mal zum Kauf animiert hatte, erteilte Letzterer für die Einziehungsbeteiligte Aufträge zum Kauf von verschiedenen „Bullischen“-Derivaten auf die vorbeschriebene Aktie, die zwischen 9.50 Uhr und 9.55 Uhr über die Wertpapierbörse zum Preis von insgesamt 97.900,76 Euro ausgeführt wurden. Um 10.11 Uhr übermittelte der Angeklagte H. den Kaufauftrag betreffend M. -Aktien an die Trading-Abteilung der Investmentgesellschaft. Zwischen 10.15 Uhr und 14.07 Uhr wurden über die von dem Angeklagten H. verwalteten Fonds 329.552 M. -Aktien im Wert von mehr als 42 Mio. Euro erworben, was 39,7 % des EU-weit im gesamten Handelszeitraum umgesetzten Volumens in M. -Aktien entsprach. In der Folge stieg der Wert der M. -Aktie um 5,67 %. Der Angeklagte B. verkaufte zwischen 12.39 Uhr und 13.57 Uhr die an diesen Tag erworbenen Derivate der Einziehungsbeteiligten mit einem Gewinn von brutto 33.841,90 Euro (Tat II.2 der Urteilsgründe).

c) In der Folgezeit informierte der Angeklagte H. den Angeklagten B. in weiteren 17 Fällen davon, dass er namentlich genannte Aktien für die von ihm verwalteten Fonds kaufen bzw. verkaufen werde. Die ihm über einen weiteren Messenger-Dienst übermittelten Informationen nutzte der Angeklagte B. zum Kauf entsprechender Derivate für die Einziehungsbeteiligte, wobei er diese jeweils taggleich wieder veräußerte. Das Landgericht hat diese Fälle ebenfalls in einer Tabelle dargestellt, die die den Derivaten unterlegte Aktie, das Datum, die Uhrzeit von Orderbeginn und Orderende, die Anzahl sowie Typ der Derivate, die Kosten mit Gebühren, die Erlöse abzüglich Gebühren und Kapitalertragssteuer bzw. Solidaritätszuschlag sowie den Gewinn abzüglich Gebühren und Kapitalertragssteuer bzw. Solidaritätszuschlag ausweist. Die 17 Fälle führten unter Abzug von Gebühren, Kapitalertragssteuer bzw. Solidaritätszuschlag zu Erlösen in Höhe von 3.095.637,38 Euro und einem Gewinn abzüglich Gebühren und Kapitalertragssteuer bzw. Solidaritätszuschlag in Höhe von 333.732,33 Euro (Taten II.3 bis II.19 der Urteilsgründe).

d) Das Landgericht hat seine Feststellung zu den einzelnen Transaktionen des Angeklagten B. für die Einziehungsbeteiligte auf die „Inaugenscheinnahme der oben bereits erwähnten Tabelle im Sonderband 3.2.1 sowie die Tabelle Sonderband 3.1.1 der Akte B. (BaFin)“ gestützt, „in der die Insiderkäufe des Angeklagten B. für die Einziehungsbeteiligte nach Datum, Uhrzeit, Anzahl, Typ, Kosten, Erlösen und Gewinnen im Einzelnen aufgeführt und den im Einzelnen aufgeführten Investmentorders des Angeklagten H. - gegenübergestellt“ seien. Zudem beruhten die Feststellungen auf den übereinstimmenden Angaben der Angeklagten, zu den in der Anklageschrift aufgeführten Insidergeschäften.

e) Die Strafkammer hat gegen die Einziehungsbeteiligte gemäß § 73b Abs. 1 Nr. 1, § 73c Satz 1 StGB den Wert der Derivate - nach Abzug von Gebühren, Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag - zugrunde gelegt, da diese nur in dieser Höhe eine tatsächliche Kontogutschrift erlangt habe. Deren Aufwendungen seien auch hier nicht abzugsfähig, da diese für die Begehung der Tat erfolgt seien.

f) Die Strafkammer hat ferner gegen den Angeklagten B. die Einziehung von 160.000 Euro angeordnet, wobei der Angeklagte und die Einziehungsbeteiligte insoweit eine Gesamtschuld träfe. Dem liegen folgende Feststellungen zugrunde: Aus den Erlösen der Einziehungsbeteiligten leitete der Angeklagte B. am 6. Juli 2020 300.000 Euro auf ein weiteres Geschäftskonto der Einziehungsbeteiligten. Von dort transferierte er zwischen dem 6. Juli 2020 und dem 25. November 2020 80.000 Euro mit dem Betreff „Gesellschafterdarlehen“ auf sein Privatkonto bei einer anderen Bank. Am 7. Dezember 2020 überwies er weitere 80.000 Euro vom Konto der Einziehungsbeteiligten auf sein Privatkonto. Am 30. Dezember 2020 erfolgte mit Überweisungstext „Rückzahlung, Forderungen, gegen G.“ eine Rücküberweisung von 80.000 Euro von dem Privatkonto des Angeklagten B. auf das Konto der Einziehungsbeteiligten.

II.

1. Die Revisionen der beiden Angeklagten sowie der Einziehungsbeteiligten sind begründet. Die Strafkammer hat ihre Beweiswürdigung bei den drei Beschwerdeführern in allen Fällen auf Urkunden gestützt, ohne diese zum Inbegriff der Hauptverhandlung zu machen (§ 261 StPO).

a) Wie die Revision des Angeklagten H. zutreffend ausführt und durch den Inhalt der Protokollniederschrift bewiesen ist, sind die der Beweiswürdigung des angegriffenen Urteils zugrunde gelegten mehrseitigen Tabellen des Sonderbandes 3.2.1 sowie des Sonderbandes 3.2 in der Hauptverhandlung weder förmlich als Urkunden gemäß § 249 Abs. 1 StPO verlesen noch im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Die „Inaugenscheinnahme eines Schriftstücks ist nicht geeignet, dessen Inhalt zu beweisen, da dieser auf das äußere Erscheinungsbild der Urkunde und nicht auf dessen Inhalt abzielt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2016 - 1 StR 316/16, juris Rn. 5 mwN). Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts konnten die Tabellen hier auch nicht im Wege des Vorhalts eingeführt werden. Soweit im Protokoll von „Erörterung“ die Rede ist, kann dies die förmliche Verlesung nicht ersetzen. Zwar kann der Inhalt einer Urkunde auch durch ihren Vorhalt an einen Zeugen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden; dies unterliegt indes Grenzen bei längeren und komplexen Urkunden (vgl. Senat, Beschluss vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10, juris Rn. 7; BGH, Beschluss vom 29. Juni 2021 - 3 StR 156/21, juris Rn. 8; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 261 Rn. 199; LR-StPO/Mosbacher, 27. Aufl., § 249 Rn. 102).

So liegt der Fall hier: Angesichts des Umfangs der „60“ Fälle betreffenden mehrseitigen Tabelle des Sonderbandes 3.2.1 mit bis zu 30 Spalten pro Seite und einer Vielzahl von Einzeldaten zu den privaten Transaktionen des Angeklagten H. sowie den korrespondierenden institutionellen Transaktionen für das Investmenthaus und die Tabellen des Sonderbandes 3.2 ? hier handelt es sich um eine 20-seitige sowie um eine 27-seitige Tabelle, jeweils mit 13 Spalten zu den institutionellen Orders des Angeklagten H. für das Investmenthaus ? ist auszuschließen, dass der gehörte Sachverständige, der Mitarbeiter der BaFin oder ein vernommener Polizeibeamter das entsprechende Zahlenwerk aus eigener Erinnerung heraus im Einzelnen bestätigen konnten. Dies gilt umso mehr, als keiner der Zeugen das Zahlenwerk erstellt hat.

Im Übrigen weist die Revision des Angeklagten H. zutreffend darauf hin, dass sich die Feststellungen des Urteils nicht vollständig aus den Tabellen generieren lassen, da die im Urteil übernommene Tabelle der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, wie der von der Revision vorgelegte Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 2. Oktober 2020 offenbart, aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragen wurde.

b) Angesichts der unterbliebenen Einführung der Tabellen des Sonderbandes 3.2.1 führen auch die zulässig erhobenen Verfahrensrügen des Angeklagten B. sowie der Einziehungsbeteiligten zum Erfolg. Soweit die Strafkammer ihren Feststellungen bei diesen Beteiligten auf die Tabelle Bl. 117 des Sonderbandes „3.1.1 Handakte B. (BaFin)“ stützt, die richterlich in Augenschein genommen, mit den Angeklagten erörtert und allen Prozessbeteiligten zugänglich gemacht wurde, gelten die nämlichen Erwägungen. Insbesondere konnte die Tabelle, die 19 Einzelfälle mit 20 Spalten und einer Vielzahl von Einzelinformationen enthält, nicht durch Vorhalt eingeführt werden.

c) Der Verstoß gegen § 261 StPO zieht die Aufhebung des Urteils gegen alle Revisionsführer nach sich.

aa) Der Rechtsfehler entzieht in allen Fällen dem Schuldspruch bei beiden Angeklagten die Grundlage. Die Tabellen sind maßgebliche Grundlage für die Tatzeit und den Erwerb der Derivate als Tathandlung des Insidergeschäfts. Sie belegen die den Derivatgeschäften folgenden institutionellen Geschäfte des Angeklagten H. für die von ihm gemanagten Investmentfonds sowie die Kurserheblichkeit der Insiderinformationen. Dies gilt auch für den Fall I.1 der Urteilsgründe. Zwar hat der Sachverständige die dieser Tat zugrundeliegenden Transaktionen in der Hauptverhandlung dargestellt und bewertet. Die Strafkammer hat ihre Feststellungen indes auch in diesem Fall ausdrücklich auf die „Inaugenscheinnahme der Tabellen in den SB 3.2 und 3.2.1“ gestützt.

bb) Der Wegfall sämtlicher Schuldsprüche gegen den Angeklagten B. entzieht der Entscheidung zum Nachteil der Einziehungsbeteiligten die Grundlage.

III.

Die Sache bedarf daher umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung. Hierzu weist der Senat auf Folgendes hin:

1. a) Gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden.

b) Nach § 119 Abs. 3 Nr. 1 WpHG i.V.m. Artikel 14 lit. a) MAR ist es nicht gestattet, mit Finanzinstrumenten zu handeln (Erwerbs- und Veräußerungsgeschäfte) und hierbei Insiderinformationen zu nutzen, die sich auf diese Finanzinstrumente beziehen (vgl. Schwark/Zimmer/Kumpan/Schmidt, 5. Aufl., VO (EU) 596/2014 Art. 8 Rn. 35). Insoweit bedarf es - wie in den Fällen I.1 und II.1 sowie II.2 geschehen - im Einzelfall der Feststellung, aufgrund welcher Insiderinformationen die Angeklagten welche Derivate erwarben und warum diese Information jeweils Kursrelevanz besaß. Allein durch die Darstellung der jeweils divergierenden Einzelfälle wird der Senat in die Lage versetzt, auf die Sachrüge zu prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung § 119 Abs. 3 Satz 1 WpHG i.V.m. Art. 14 lit. a) MAR richtig angewendet worden ist (§ 337 StPO).

2. a) Im Falle eines neuerlichen Schuldspruchs begegnet es entgegen der Ansicht der Revision des Angeklagten H. keinen Bedenken, der Strafzumessung das Handelsvolumen der Derivatgeschäfte zugrunde zu legen, da dieses den Umfang des Tatunrechts beschreibt. Dabei bleibt es dem Tatgericht unbenommen, daneben die Höhe eines gegebenenfalls generierten Gewinns mit in den Blick zu nehmen.

b) Nicht frei von Bedenken erscheint indes die strafschärfende Berücksichtigung des „reinen Gewinnstrebens“ bei dem Angeklagten H., da der Erwägungsgrund 23 der MAR ein wesentliches Merkmal von Insidergeschäften in dem ungerechtfertigten Vorteil sieht, der mittels Insiderinformationen erzielt wird, wodurch die Integrität der Finanzmärkte und das Vertrauen der Investoren untergraben wird. Auch die strafschärfende Erwägung bei dem Angeklagten B., dieser habe „über gutes Einkommen verfügt und sei auf die Gewinne aus dem Insiderhandel nicht angewiesen“ gewesen, ist nicht frei von Bedenken. Hierdurch könnte ihm die Strafkammer in unzulässiger Weise das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes angelastet haben (vgl. zur Rechtsprechung BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345 Rn. 26; Urteil vom 11. August 1987 - 1 StR 578/85, NStZ 1987, 550; Senat, Beschluss vom 26. Oktober 1990 - 2 StR 390/90, juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 4. März 2020 - 5 StR 20/20, juris Rn. 3).

c) Ungeachtet der moderaten Einzel- und Gesamtfreiheitsstrafen wird das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht, sollte sich dieses wiederum von der Schuld der Angeklagten überzeugen, genauer als bisher zwischen den Zumessungserwägungen, die die Einzelstrafen betreffen und solchen, die die Gesamtstrafe prägen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 29. März 2018 - 4 StR 568/17, BGHSt 63, 114 Rn. 22 mwN) zu unterscheiden haben.

3. Hinsichtlich der Einziehungsentscheidung wird Folgendes zu erwägen sein:

a) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen dürfte die Einziehungsentscheidung des Landgerichts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten H. sowie der Einziehungsbeteiligten erkennen lassen.

aa) (1) Das Landgericht hat zutreffend gesehen, dass der Angeklagte H. sowie die Einziehungsbeteiligte in den abgeurteilten Fällen durch die verbotenen Insidergeschäfte die jeweils erworbenen Derivate tatsächlich erlangt haben (vgl. zur handelsgestützten Marktmanipulation Senat, Beschluss vom 4. November 2020 - 2 StR 32/20, juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 27. November 2013 - 3 StR 5/13, BGHSt 59, 80 Rn. 29; vgl. zum Erwerb durch ein verbotenes Geschäft BT-Drucks. 18/9525 S. 55). Der durch die Einzeltat erfolgte Vermögenszufluss begründet die jeweilige Einziehung des Tatertrages.

(2) Wird - wie hier - die Einziehung durch die Veräußerung der Derivate unmöglich, ist deren Wert maßgeblich. Die bis zum Eintritt der Unmöglichkeit eingetretenen Wertsteigerungen werden berücksichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2018 - 5 StR 229/18, juris Rn. 8). Kosten und Gebühren für die nachträgliche Verwertung der Derivate unterfallen - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nicht der Regelung des § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB, da sie keine Aufwendung für das Erlangen der Taterträge - hier der Derivate - darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2019 - 5 StR 486/19, juris Rn. 18). Selbiges gilt für die aufgrund der Veräußerung anfallenden Steuern (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2019 - 5 StR 486/19 aaO mwN; vgl. auch BT-Drucks. 18/11640 S. 78 f.), da diese nicht für das Erlangen der Derivate als Tatertrag aufgewendet wurden (vgl. BT-Drucks. 18/11640 S. 78).

(3) Das Landgericht hat auch zutreffend gesehen, dass die Aufwendungen für den Erwerb der durch den verbotenen Insiderhandel angeschafften Derivate nicht zu berücksichtigen sind. Diese unterfallen dem Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 68; Böse/Jansen in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechtskommentar, 5. Aufl., § 119 WpHG Rn. 70; Spoerr in Assmann/Schneider/Mülbert, WpHR, 7. Aufl., § 119 WpHG Rn. 194 f.; MK-StGB/Pananis, 3. Aufl., WpHG, § 119 Rn. 273; Korte, wistra 2018, 1, 3; Köhler, NStZ 2017, 497, 507; kritisch Rönnau/Wegner in Meyer/Veil/Rönnau, Handbuch zum Marktmissbrauchsrecht, § 28 Rn. 157). Ein Täter des verbotenen Insidergeschäfts hat wie bei der verbotenen Marktmanipulation (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 4. November 2020 - 2 StR 32/20, juris Rn. 10 mit zustimmender Anm. Trüg, NStZ 2021, 750 ff.; BGH, Urteil vom 27. November 2013 - 3 StR 5/13, BGHSt 59, 80, 92 Rn. 28) angesichts des ihm nach § 119 Abs. 3 Nr. 1 WpHG i.V.m. Art. 14 lit. a) MAR treffenden Handlungs- und Geschäftsverbotes bewusst in den ihm verbotenen Erwerb der Derivate investiert (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 55 f.; Böse/Jansen in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechtskommentar, 5. Aufl., § 119 WpHG Rn. 70; Köhler in Momsen/Grützner, WirtschaftsStrafR-Hdb., 2. Aufl., § 5 Rn. 47 ff.); insofern unterscheidet sich der Fall - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt hat - grundlegend von den Fällen der informations- oder handelsgestützten Marktmanipulation (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020 - 5 StR 229/19, NStZ 2021, 355, 356). Dabei greift das Abzugsverbot bereits dann, wenn - wie hier nach Art. 14 lit. a) MAR - die zur unmittelbaren Vermögensmehrung führende Handlung verboten war (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 55 und S. 68), selbst wenn dies nicht die zivilrechtliche Unwirksamkeit des bewirkten Rechtsgeschäfts nach sich zieht.

(4) Die Rückausnahme des § 73d Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz greift bereits deshalb nicht, weil die verletzte Norm (§ 119 Abs. 3 Nr. 1 WpHG) keinen individualschützenden Charakter hat; diese schützt ausschließlich das überindividuelle Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des organisierten Kapitalmarkts (vgl. BT-Drucks. 18/11640 S. 80 f.; Böse/Jansen in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechtskommentar, 5. Aufl., § 119 WpHG Rn. 2; Hilgendorf/Kusche in Park, Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 119 Rn. 1; MK-StGB/Pananis, 3. Aufl., § 119 WpHG Rn. 7; Spoerr in Assmann/Schneider/Mülbert, WpHR, 7. Aufl., § 119, WpHG Rn. 4).

(5) Der vollständigen Einziehung des Wertes der Taterträge dürfte auch nicht entgegenstehen, dass diese durch den Angeklagten H. bzw. den Angeklagten B. für die Einziehungsbeteiligte wiederholt reinvestiert wurden.

(a) Die Einziehung erfolgt tatbezogen. Insofern wird für jede einzelne Erwerbstat das eingezogen, was dem Täter bzw. Dritten aufgrund des verbotenen und strafbewehrten Verhaltens zugeflossen ist. Dies entspricht hier dem Wert der Derivate im Erwerbszeitpunkt bzw. deren höherem Wert im Zeitpunkt ihrer Veräußerung, denn dieser Wert ist dem Angeklagten H. bzw. Einziehungsbeteiligten durch die Straftat zu Gute gekommen. Insofern unterscheidet sich der Fall von der Entscheidung des 1. Strafsenats vom 5. September 2019 (1 StR 99/19, NJW 2022, 3798 f.) für das Zusammentreffen von Geldzuflüssen aus Bestechlichkeiten und den ersparten Aufwendungen für die hierauf anfallende Einkommenssteuer bei der mitausgeurteilten Steuerverkürzung, zumal letztere im Falle des strafrechtlichen Einzugs als Tatertrag steuerrechtlich ohnehin durch die Steuerverwaltung zugunsten des Täters auszugleichen gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2019 - 1 StR 99/19, aaO S. 3799).

(b) Die von den Revisionen angestellte Gesamtbetrachtung einer Tatserie ist dem - auf die jeweilige Erwerbstat bezogenen - Einziehungsrecht fremd. Entgegen der Ansicht der Revisionenen liegt auch keine mehrfache Einziehung desselben Gegenstandes vor (vgl. zum Rechtsgedanken § 73a Abs. 2 StGB). Bei den börsengehandelten Derivaten bzw. deren Wert als schuldrechtlicher Anspruch des Staates handelt es sich jeweils um eigenständige Einziehungsgegenstände. Ein mehrfacher Zugriff auf den denselben Gegenstand, wie ihn § 73a Abs. 2 StGB für das hier ohnehin nicht betroffene Verhältnis der primären Einziehung nach § 73 Abs. 1, Abs. 3 StGB zu der erweiterten Einziehung nach § 73a Abs. 1 StGB regelt, liegt damit entgegen der Ansicht der Revisionen nicht vor. Angesichts der materiellrechtlichen Tatmehrheit im Sinne des § 53 StGB wird die vorherige Einziehungsentscheidung von den weiteren Einziehungsentscheidungen für die späteren Taten nicht mitumfasst.

(c) Für eine analoge Anwendung des § 73a Abs. 2 StGB aufgrund des Wegfalls der Bereicherung dürfte ? entgegen der Ansicht der Revisionen ? mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum sein. Der Gesetzgeber hat bewusst und verfassungskonform die Prüfung, ob eine - wegen Unverhältnismäßigkeit - durch das Abzugsverbot eingetretene Härte vorliegt, nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO in das Vollstreckungsverfahren verlagert (vgl. BGH, Urteile vom 8. Mai 2019 - 5 StR 95/19, juris Rn. 6; vom 27. September 2018 - 4 StR 78/18, juris Rn. 11; vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17, NStZ-RR 2018, 241, 242 f.; Beschlüsse vom 22. April 2020 - 1 StR 261/19, juris Rn. 3; vom 22. März 2018 - 3 StR 577/17, BGHR StGB § 73 Abs. 1 nF Verhältnismäßigkeit 1; vgl. auch BT-Drucks. 19/27654 S. 111 f.; BeckOK StPO/Coen, 45. Ed., § 459g Rn. 20; Köhler, NStZ 2018, 731, 732; vgl. auch BT-Drucks. 18/11640 S. 78 zur Berücksichtigung einer ausländischen Einziehungsentscheidung für denselben Gegenstand).

(d) Da aus jeder Tat nur der illegale Zufluss abgeschöpft wird, ist angesichts der in § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO normierten Verhältnismäßigkeitsprüfung auch kein Verstoß gegen das Übermaßverbot nach Art. 49 Abs. 3 Satz 1 GrCh zu erkennen. Zudem hat das Landgericht die Einziehungsentscheidung gegen den Angeklagten H. sowie gegen die Einziehungsbeteiligte, die mittelbar den Angeklagten B. betrifft, bei beiden Angeklagten ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt.

bb) Demgegenüber begegnet die Einziehungsentscheidung zum Nachteil des Angeklagten B. rechtlichen Bedenken. Die bisherigen Feststellungen tragen nicht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 160.000 Euro gegen diesen persönlich. Zwar hat das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend allein auf die Beträge abgestellt, die dem Angeklagten B. aus dem Vermögen der Einziehungsbeteiligten zugeflossen sind. Es hat indes übersehen, dass für die Frage, ob und in welchem Umfang Taterträge einer juristischen Person an den Täter weitergeleitet wurden, bedeutsam ist, inwiefern hierfür ein Rechtsgrund bestand. Lag dem Vermögenstransfer ein nicht bemakelter Vertrag zugrunde, der mit der Straftat in keinem Zusammenhang stand, so ist die Einziehung regelmäßig ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2019 - 3 StR 294/19, BGHSt 64, 234 Rn. 38). Als solcher kommt hier ein Gesellschafterdarlehen durch die solvente Gesellschaft in Betracht.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 531

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede