HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1276
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 145/22, Urteil v. 28.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1276
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2021 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision, die auf den Strafausspruch beschränkt ist. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision hat Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Am 15. März 2021 gegen 19.30 Uhr begab sich der leicht angetrunkene Angeklagte in Begleitung seiner Lebensgefährtin zu dem Lidl- Supermarkt in S. Dabei führte er angeleint den 55 kg schweren Rüden „Damon“, einen Hund der Rasse „Presa Canario“ mit sich, dessen Verhalten dann auffällig wird und ein fehlgeleitetes Beutefangverhalten aufweist, wenn von seiner Umgebung Hektik und Dynamik ausgehen. Auch seine Lebensgefährtin führte einen Hund mit.
Beide hielten sich auf dem Lidl- Parkplatz links neben dem Pkw der Nebenklägerin auf. Beim Einsteigen in ihren Pkw nahm die 70 Jahre alte und 1,54 m große Nebenklägerin wahr, dass sich die beiden angeleinten Hunde hinter ihrem vorwärts eingeparkten Pkw befanden, so dass es ihr nicht möglich war, rückwärts auszuparken und den Parkplatz zu verlassen. Aus diesem Grunde bat sie den Angeklagten durch die geöffnete Fahrertür, die Hunde beiseite zu nehmen, damit sie ausparken könne.
Der Angeklagte ging in diesem Moment irrig davon aus, dass die Nebenklägerin seine Lebensgefährtin angefahren habe, die jedoch deshalb auf dem Boden des Parkplatzes saß, weil sie sich in der Leine eines der Hunde verfangen hatte und gestürzt war. Völlig unvermittelt geriet er in Rage, trat an die geöffnete Fahrertür heran, schlug der Nebenklägerin mehrfach mit der Faust in das Gesicht sowie in den Brustbereich und versetzte ihr einen Kopfstoß. Auch der vom Angeklagten mitgeführte Hund „Damon“ attackierte die Nebenklägerin und biss ihr in die linke Hand, was der Angeklagte nicht bemerkte und womit er nicht gerechnet hatte. Er zog den Hund zurück, so dass dieser von der Nebenklägerin abließ.
Dieser gelang es sodann, die Fahrertür zu schließen und ihr Fahrzeug in Gang zu setzen.
Nachdem sie ausgeparkt hatte und bereits mehrere Meter in Richtung der Ausfahrt gefahren war, näherte sich der Angeklagte erneut dem Fahrzeug, schlug und trat auf den Pkw ein, riss die Fahrertür auf, zerrte die Nebenklägerin aus dem Auto und warf sie zu Boden. Sodann schlug er mit den Fäusten auf die am Boden liegende Frau ein und trat mehrfach mit dem beschuhten Fuß wuchtig gegen ihren Kopf und Oberkörper. Einem Passanten, der der Nebenklägerin verbal beistehen wollte, rief er zu „Verpiss dich, sonst komme ich zu dir.“ Währenddessen konnte sich die Nebenklägerin aufrappeln, in ihr Fahrzeug flüchten und losfahren. Verkehrsbedingt musste sie allerdings an der Ausfahrt des Parkplatzes anhalten. Der Angeklagte, der sie mit seinem Hund verfolgt hatte, riss die Fahrertür auf, der Hund „Damon“ ging auf die im Pkw sitzende Nebenklägerin los und verbiss sich in ihren linken Arm. Nachdem der Angeklagte den Hund zurückgezogen hatte, gelang es dieser, die Fahrertür zu schließen und zu flüchten.
Die Nebenklägerin musste stationär operativ behandelt werden. Neben vielen weiteren Verletzungen hat sie durch den Hundebiss eine dauerhafte Funktionsbeeinträchtigung an der linken Hand sowie Restbeschwerden im linken Unterarm und Ellenbogenbereich davongetragen. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und bekommt Panikattacken, wenn sie großen Hunden begegnet.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB verurteilt, weil dieser die Nebenklägerin absichtlich und mehrfach mit dem beschuhten Fuß gegen den Kopf getreten habe. Zu Gunsten des Angeklagten geht die Strafkammer davon aus, dieser habe - entsprechend seiner Einlassung - den ersten nur leichten Biss des Hundes in den Arm der Nebenklägerin nicht bemerkt und sei nur von einem aggressiven Bellen ausgegangen. Was die zweite Attacke des Hundes anbelangt, habe der Angeklagte den Hund nicht dazu aufgefordert, die Nebenklägerin zu beißen. Zudem habe er den Hund alsbald zurückgezogen. Vor diesem Hintergrund sei zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass er zu keinem Zeitpunkt gebilligt habe, dass der Hund die Nebenklägerin beißen könnte.
Strafmildernd hat das Landgericht dem Angeklagten zugute gehalten, dass er - entsprechend seiner Einlassung - davon ausgegangen sei, dass die Nebenklägerin seine Lebensgefährtin angefahren habe und er nur deshalb in Rage geraten sei. Ebenfalls strafmildernd seien die mit einer Erkrankung seiner Mutter einhergehenden Belastungen des Angeklagten zu berücksichtigen.
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft beantragt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen insgesamt aufzuheben. Ausweislich ihrer Revisionsbegründung wendet sie sich aber ausschließlich gegen den Strafausspruch. Sie greift nicht den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung, sondern lediglich den der Strafzumessung zugrunde gelegten Schuldumfang an. Widersprechen sich - wie hier - Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründungsschrift, ist das Angriffsziel nach ständiger Rechtsprechung durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2022 - 5 StR 313/21, NStZ-RR 2022, 201 mwN; vgl. auch Nr. 156 RiStBV). Danach ist allein der Strafausspruch angefochten, während der Schuld- und Adhäsionsausspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen sind.
2. Im Umfang der Urteilsanfechtung hat die Revision mit der Sachrüge Erfolg. Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts sind in mehrerlei Hinsicht durchgreifend rechtsfehlerhaft.
a) Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Beweiswürdigung dazu, ob der Angeklagte im Zuge seines dritten Angriffs auf die Nebenklägerin den Hund „Damon“ vorsätzlich als gefährliches Werkzeug eingesetzt hat, lücken- und damit rechtsfehlerhaft ist. Das Landgericht ist unkritisch der Einlassung des Angeklagten gefolgt, ihm sei „nicht bewusst gewesen […], dass der Hund aufgrund der von ihm geschaffenen Situation die Nebenklägerin beißen würde“, ohne in Erwägung zu ziehen, dass es sich dabei um eine bloße Schutzbehauptung handeln könnte. Dazu bestand jedoch Anlass, nachdem der Hund - ohne ein entsprechendes Kommando - bereits im Rahmen des ersten Angriffs die im Fahrzeug sitzende Nebenklägerin attackiert hatte. Dass der Angeklagte, der dem ausgesprochen gefährlichen und aggressiven Hund durch Gewährung entsprechender Leinenlänge im Zuge des dritten Angriffs das Eindringen in das von ihm geöffnete Fahrzeug ermöglicht hatte, es nicht für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben könnte, dass der Hund die Nebenklägerin beißen würde, ist nicht nachvollziehbar.
b) Auch soweit die Strafkammer festgestellt und strafmildernd gewertet hat, der Angeklagte sei bei Tatbegehung irrtümlich davon ausgegangen, die Nebenklägerin habe seine Lebensgefährtin - die sich tatsächlich in einer Hundeleine verfangen und deshalb gestürzt war - angefahren, weshalb er unvermittelt in Rage geraten sei, ist dies nicht nachvollziehbar.
Das Landgericht stützt sich insoweit allein auf die Einlassung des Angeklagten und verkennt dabei, dass die Nebenklägerin ihr Fahrzeug erst nach dem ersten Angriff in Gang gesetzt hat. Zuvor standen er und seine Lebensgefährtin links neben dem Pkw, so dass es ihm nicht entgangen sein kann, dass sich seine Lebensgefährtin in einer Hundeleine verfangen hatte und zwar zu einem Zeitpunkt, als das Fahrzeug der Nebenklägerin noch überhaupt nicht bewegt worden war. Wie der Angeklagte den irrigen Eindruck gewonnnen haben will, seine Lebensgefährtin sei von dem parkenden Pkw der Nebenklägerin erfasst worden, wird nicht aufgelöst.
c) Schließlich hat das Landgericht dem Angeklagten strafmildernd zugute gehalten, er sei durch die Erkrankung seiner Mutter belastet gewesen. Dabei ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, an welcher Erkrankung seine Mutter leidet und inwiefern diese Erkrankung seine Tat in einem milderen Licht erscheinen lassen soll.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern zugunsten des Angeklagten beruht.
4. Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten (§ 301 StPO) hat die Überprüfung des Urteils im angefochtenen Umfang nicht ergeben. Soweit die Strafkammer nachteilig in die Strafzumessung „die objektive Nichtigkeit des Anlasses der Tat“ eingestellt hat, hat sie dem Angeklagten damit nicht das Fehlen verständlicher Motive zur Last gelegt, sondern ersichtlich auf das auffällige Missverhältnis zwischen Anlass und Tat abgestellt. Der Tatrichter hat damit die Tatmotivation und damit zugleich die aus der Tat sprechende Gesinnung im Sinne des § 46 Abs. 2 StGB als besonders verwerflich charakterisiert und strafschärfend berücksichtigt (vgl. Senat, Urteil vom 12. August 2020 - 2 StR 574/19 Rn. 25 mwN). Ein solch eklatantes Missverhältnis zwischen Anlass und Tat bestünde auch dann, wenn der Angeklagte - irrig - davon ausgegangen sein sollte, die Nebenklägerin habe seine Lebensgefährtin beim Ausparken versehentlich touchiert und zu Fall gebracht.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1276
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede