HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 934
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 103/22, Beschluss v. 07.06.2023, HRRS 2023 Nr. 934
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 26. Oktober 2021
a) aufgehoben
aa) im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen,
bb) soweit festgestellt ist, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Nebenkläger künftig entstehende immaterielle Schäden aus der Tat vom 23. Mai 2021 zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger und sonstige Dritte übergehen,
b) im Adhäsionsausspruch dahingehend ergänzt, dass an den Nebenkläger Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. Oktober 2021 zu zahlen sind und der Anspruch auf Zahlung des Schmerzensgelds nebst Rechtshängigkeitszinsen aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung herrührt.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, versuchter Nötigung und gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit tätlicher Beleidigung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und Adhäsionsentscheidungen getroffen. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg, ohne dass es auf die Verfahrensrüge, die lediglich den Strafausspruch betrifft, noch ankäme. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Dies gilt auch hinsichtlich der gefährlichen Körperverletzung im Fall 3 der Urteilsgründe, jedenfalls in der Variante nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB.
2. Keinen Bestand hat hingegen der gesamte Strafausspruch.
Das Landgericht hat zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er im Tatzeitpunkt (23. April 2021) unter zweifacher Bewährung und Führungsaufsicht stand. Den Urteilsgründen lässt sich aber neben der bestehenden Führungsaufsicht nur entnehmen, dass die Freiheitsstrafe von sieben Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Erfurt vom 25. November 2019 zur Bewährung ausgesetzt war. Die Strafreste aus der vorangegangenen Entscheidung des Amtsgerichts Erfurt vom 11. Januar 2016 waren hingegen lediglich bis zum „04.09.2018“ zur Bewährung ausgesetzt; ob es sich bei dieser Datumsangabe zur Strafrestaussetzung, die sich an eine Zurückstellung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe ebenfalls bis zum 4. September 2018 angeschlossen hat, womöglich nur um ein Schreibversehen gehandelt hat, vermag der Senat anhand der Urteilsgründe nicht nachzuvollziehen.
Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Einzelstrafaussprüche wie auch des Gesamtstrafenausspruchs. Der Senat vermag insbesondere mit Blick auf die im oberen Bereich liegenden Einzelfreiheitsstrafen zu Fall 1 und 3 und die Gesamtstrafe nicht auszuschließen, dass die Strafen bei zutreffender Berücksichtigung der Sachlage geringer ausgefallen wären.
3. Der Adhäsionsausspruch hält nur teilweise rechtlicher Nachprüfung stand.
Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts war die Zinsentscheidung des Landgerichts zu korrigieren und die Urteilsformel hinsichtlich der Feststellung dahingehend zu ergänzen, dass die Ansprüche des Nebenklägers aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung herrühren.
Schließlich war der Ausspruch über die Feststellung, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Nebenkläger künftig entstehende immaterielle Schäden aus der Tat vom 23. April 2021 zu ersetzen, aufzuheben. Anders als für den Bereich der materiellen Schäden - der Nebenkläger nimmt an Gesprächen einer Beratungsstelle teil -, fehlt es hierfür an dem erforderlichen Feststellungsinteresse. Nicht absehbare Spätfolgen, die trotz des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Schmerzensgelds, das alle Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden können, ein Feststellungsinteresse begründen können (vgl. dazu etwa Senat, NStZ-RR 2020, 53), sind weder geltend gemacht noch lassen sich Hinweise hierauf den Urteilsgründen entnehmen.
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Schläge oder Tritte gegen den Kopf und den Oberkörper eine das Leben gefährdende Behandlung (nur) darstellen können, wenn sie nach Art der Ausführung der Verletzungshandlung im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (st. Rspr.; vgl. Senat, NStZ-RR 2013, 342; zuletzt: Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2022 - 2 StR 267/22), eingehender als bisher geschehen mit der Frage auseinanderzusetzen hat, worin nach den getroffenen Feststellungen eine lebensgefährdende Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gesehen werden könnte. Des Weiteren wird die Strafkammer im Hinblick auf die im Revisionsverfahren eingetretene rechts staatswidrige Verfahrensverzögerung eine Kompensationsentscheidung zu treffen haben (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 7. Dezember 2022 - 2 StR 437/20).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 934
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede