HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 89
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 311/21, Beschluss v. 26.10.2021, HRRS 2022 Nr. 89
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 16. Februar 2021 mit den Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über
a) die Einzelstrafen in den Fällen II.9, II.20, II.22 und II.23 der Urteilsgründe,
b) die Gesamtfreiheitsstrafe sowie
c) die Einziehungsentscheidung.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Computerbetruges in 19 Fällen und versuchten Computerbetruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, einen Anrechnungsmaßstab für die in Belgien erlittene Untersuchungshaft festgesetzt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 26.450 € angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Verfahrensrüge versagt aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargestellten Gründen.
2. Die Überprüfung des Schuldspruchs sowie der Zumessung der Einzelstrafen in den Fällen II.1 bis II.8 und II.10 bis II.16 sowie II.21 der Urteilsgründe, hat, ebenso wie diejenige der Anrechnungsentscheidung, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3. Dagegen haben die Einzelstrafen in den Fällen II.9, II.20, II.22 und II.23 der Urteilsgründe, die Gesamtfreiheitsstrafe und die Einziehungsentscheidung keinen Bestand.
a) Die Festsetzung der Einzelstrafen in den Fällen II.9, II.20, II.22 und II.23 begegnet durchgreifenden Bedenken.
aa) Das Landgericht hat seiner Strafzumessung Fallgruppen zugrunde gelegt, die es an Schadenshöhen angelehnt hat. Es hat die Tat II.9 der Urteilsgründe mit einem Schaden von 800 € sowohl der Fallgruppe „unter 500 €“ mit dem Zusatz „weil nur eine Verwertungstat“, wie auch der Fallgruppe für Schäden „ab 500 € bis unter 1.000 €“ zugeordnet und für diese Tat einerseits eine Einzelstrafe von einem Jahr und andererseits eine solche von einem Jahr und drei Monaten zugemessen. Damit bleibt aber offen, welche Einzelstrafe das Landgericht für diese Tat verhängen wollte.
bb) Es hat für den Fall II.20 der Urteilsgründe bei einem Schaden von 990 € eine Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ausgesprochen und ist damit von seinem zuvor dargestellten Schema, wonach es für Schäden „ab 500 € bis unter 1.000 €“ eine Einzelstrafe von einem Jahr und drei Monaten für angemessen gehalten hat, abgewichen. Eine Erklärung für die höhere Freiheitsstrafe enthalten die Urteilsgründe nicht. Zwar erscheint es denkbar, dass das Landgericht, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift hinweist, die Einzelstrafen in diesem Fall, wie auch für die Fälle II.17 und II.19 der Urteilsgründe „versehentlich“ nach der Tatbezifferung der Anklageschrift ausgewiesen hat. Bei dieser Lesart der Urteilsgründe hätte das Landgericht im Fall II.20 der Urteilsgründe (entspricht Fall 23 der Anklageschrift) eine - seinem zuvor dargestellten Schema entsprechende ? Einzelstrafe von einem Jahr und drei Monaten, für die Fälle II.17 und II.19 der Urteilsgründe (entspricht den Fällen 20 und 22 der Anklage) eine Einzelstrafe von jeweils einem Jahr und sechs Monaten und im Fall II.18 der Urteilsgründe überhaupt keine Einzelstrafe ausgewiesen.
Einer vom Generalbundesanwalt angeregten klarstellenden Berichtigung durch den Senat steht die fehlende Offensichtlichkeit des „Versehens“ entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2001 - 1 StR 173/01, juris Rn. 2; vgl. auch KK-StPO/Gericke, § 354 Rn. 10a; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 354 Rn. 48; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1583; vgl. auch Senat, Urteil vom 14. Januar 2015 - 2 StR 290/14, NStZ-RR 2015, 119, 120). Das Landgericht hat im Fall II.20 der Urteilsgründe explizite Feststellungen getroffen und eine Einzelstrafe ausgewiesen. Zwar orientiert sich diese, wie ausgeführt, nicht an dem vom Landgericht vorgegebenen Strafraster. Andererseits hat es, wie die (doppelte) Strafzumessung im Fall II.9 der Urteilsgründe aufzeigt, das Raster nicht in allen Einzelfällen widerspruchsfrei angewendet. Die mögliche Verwechslung drängt sich daher nicht derart auf, dass die Gefahr einer unzulässigen nachträglichen Änderung der Urteilsurkunde im Falle der Berichtigung auszuschließen wäre.
cc) Die Einzelstrafen in den Fällen II.22 und II.23 der Urteilsgründe haben keinen Bestand, da das Landgericht zu diesen Fällen keine Feststellungen getroffen hat und aus den vorstehenden Erwägungen keine zweifelsfreie Zuordnung der Einzelstrafen über die Tatbezifferung der Anklage möglich ist.
dd) Der Wegfall von vier Einzelstrafen entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.
b) Die Einziehungsentscheidung hat insgesamt keinen Bestand.
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts sprach der Angeklagte gemeinsam mit dem gesondert Verfolgten K. in verschiedenen Bankfilialen ältere Menschen an und drängte diesen bei der Bedienung der dort befindlichen Geldautomaten seine Hilfe auf. Er behauptete, der Automat sei defekt, man müsse die Abbruchtaste drücken und die PIN eingeben. Auf diese Weise gelang es ihm, die PIN in Erfahrung zu bringen. Gleichzeitig entnahm er unbeobachtet die EC-Karte dem Ausgabeschlitz des Geldautomaten und gab diese an K. weiter, der mit Hilfe der ausgespähten PIN unberechtigt möglichst hohe Geldbeträge von den Konten der Geschädigten abhob. Anschließend schob der Angeklagte die Karte zurück in den Ausgabeschlitz des Geldautomaten, so dass die Geschädigten die zwischenzeitliche Fremdnutzung nicht bemerkten.
Der Angeklagte und K. erbeuteten bei 19 erfolgreichen Taten insgesamt 26.450 €, wobei die Einzelbeträge stets hälftig geteilt wurden. Der K. überlassene Anteil diente zum Ausgleich einer Schuld des Angeklagten in Höhe von 30.000 €, die dieser bei der Familie des K. hatte und die durch die verfahrensgegenständlichen sowie weitere Taten vollständig beglichen wurde. In zwei der Fälle behielt der Angeklagte ausnahmsweise die EC-Karte, womit er selbst 1.000 € (Fall II.8 der Urteilsgründe) bzw. 800 € (Fall II.9 der Urteilsgründe) vom Konto des Geschädigten abhob.
bb) Diese Feststellungen sind - ohne weitere Begründung - nicht geeignet, die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe aus den Taten „einen Betrag von 26.450 € erlangt“ zu tragen.
(1) Der Angeklagte hat zunächst 1.800 € (Barabhebungen in den Fällen II.8 und II.9 der Urteilsgründe) sowie den hälftigen Anteil der verbleibenden Beute (12.325 €), mithin insgesamt 14.325 € (zunächst) selbst erhalten.
(2) Eine Mitverfügungsgewalt an dem weiteren Anteil des K. in Höhe von 12.325 € hat das Landgericht bisher nicht festgestellt. Zwar kann eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand bei mehreren Beteiligten, jedenfalls bei dem vor Ort anwesenden, die Beute oder Teile davon in den Händen haltenden Mittäter auch dann vorliegen, wenn sich dies in einer Abrede über die Beuteteilung widerspiegelt. Denn damit „verfügt“ der Mittäter zu seinen oder der anderen Beteiligten Gunsten über die Beute, indem er in einer Absprache mit diesen Teile des gemeinsamen Erlangten sich selbst oder den anderen zuordnet (vgl. Senat, Urteil vom 20. November 2019 - 2 StR 54/19, NStZ-RR 2020, 76; BGH, Urteile vom 5. Juni 2019 - 5 StR 670/18, juris Rn. 7; vom 18. Juli 2018 - 5 StR 645/17, NStZ-RR 2018, 278, 279; vom 7. Juni 2018 - 4 StR 63/18, BGHR StGB § 73c Abs. 1 Erlangtes 1; Beschlüsse vom 10. August 2021 - 1 StR 399/20, juris Rn. 39; vom 27. April 2010 - 3 StR 112/10, NStZ 2010, 568). Ob das Landgericht, was möglich ist, eine derartige Absprache darin gesehen hat, dass zwischen dem Angeklagten und K. die Abrede bestand, diesem einen hälftigen Anteil für die Tilgung der Schulden des Angeklagten gegenüber der Familie K. zukommen zu lassen, bleibt nach den Urteilsgründen offen. Sollte das Landgericht hingegen, worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist, davon ausgegangen sein, der weitergehende Schuldenerlass sei für eine Beteiligung des Angeklagten an der Straftat gewährt worden, wäre eine Einziehung des Wertes von Taterträgen in dieser Höhe nicht möglich, da ein Schuldenerlass für die Beteiligung an einer Straftat nichtig ist (§ 134 BGB), so dass der Angeklagte tatsächlich keinen Vorteil erlangt hätte (vgl. Senat, Beschluss vom 14. März 2007 - 2 StR 54/07, juris Rn. 7; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 25. Mai 2018 - 2 Ss 51/18 (65/18), juris Rn. 5).
cc) Der Senat hebt, in Anlehnung an den weitgehenden Aufhebungsantrag des Generalbundesanwalts, die Einziehungsentscheidung insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht umfassende Feststellungen zur Zuordnung der Tatbeute zu ermöglichen.
c) Nach alledem muss das nunmehr mit der Sache befasste Tatgericht die in den Fällen II.17 bis II.19 der Urteilsgründe (entspricht den Fällen 20 bis 22 der Anklage) unterbliebenen Strafaussprüche nachholen. Ferner bedürfen die Aussprüche zu den Einzelstrafen II.9 und II.20 der Urteilsgründe, der Gesamtfreiheitsstrafe sowie der Einziehungsentscheidung neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 89
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß