HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 675
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 232/21, Urteil v. 20.12.2022, HRRS 2023 Nr. 675
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 18. November 2020 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.3, II.4, II.6 bis II.8, II.10 bis II.15, II.18 bis II.20, II.22, II.23, II.25, II.26, II.31a, II.31b, II.32, II.33a, II.33b der Urteilsgründe verurteilt ist,
b) im Gesamtstrafenausspruch und
c) in der Einziehungsentscheidung.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in 14 Fällen, Einschleusens von Ausländern in drei Fällen, Ausbeutung der Arbeitskraft in zwei Fällen sowie wegen Betrugs in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen - nämlich soweit der Angeklagte im Fall II.29 der Urteilsgründe verurteilt ist - ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen (zum Teil gewerbsmäßigen) Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 lit. b), Abs. 2 Nr. 1, § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in den Fällen II.3, II.4, II.6 bis II.8, II.10 bis II.15, II.18 bis II.20, II.22, II.23 der Urteilsgründe hält sachrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Nach den hierzu vom Landgericht getroffenen Feststellungen warb die gesondert Verfolgte B. in der Zeit zwischen April 2018 und Juli 2019 in insgesamt 16 Fällen (Fälle II.3, II.4, II.6 bis II.8, II.10 bis II.15, II.18 bis II.20, II.22 und II.23 der Urteilsgründe) ukrainische Frauen an, damit diese sich in den von ihr betriebenen, nicht behördlich gemeldeten Bordellen prostituierten. Mit den Frauen war vereinbart, dass diese die Hälfte ihrer Einnahmen während des in Deutschland auf wenige Wochen beschränkten Aufenthalts an die gesondert Verfolgte abzugeben hatten. Im Gegenzug übernahm diese für die Frauen - neben den Kosten für den Bordellbetrieb - die Planung der Einreise und die hierbei entstehenden Kosten sowie die Werbung für deren Person und Tätigkeit im Internet. In Kenntnis dieser Planungen buchte der Angeklagte auf Geheiß der gesondert Verfolgten die jeweils erforderlichen Flüge, legte in einer Vielzahl von Fällen entsprechende Profile der Frauen auf einem einschlägigen Internetportal an und veranlasste deren Bewerbung. Darüber hinaus brachte er im Einzelfall auch Handtücher und Sanitärartikel in das Bordell, erledigte Botendienste und holte vereinzelt Frauen vom Flughafen ab. Soweit die gesondert Verfolgte nicht sämtliche Frauen in dem von ihr betriebenen Bordellbetrieb unterbringen konnte, stellte der Angeklagte zudem eine von ihm gemietete Bordellwohnung in D. für 50 € pro Tag bereit, um sich eine fortdauernde Einnahmequelle zu verschaffen (Fälle II.4, II.8 und II.10 der Urteilsgründe).
Am Verdienst der Frauen wurde der Angeklagte nicht beteiligt. Soweit ihm allerdings im Zuge der von ihm entfalteten Tätigkeiten Auslagen entstanden waren, wurden ihm diese von der gesondert Verfolgten erstattet. In den Fällen, in denen der Angeklagte die Kosten für die Flugtickets vorgestreckt hatte (Fälle II.3, II.4, II.6, II.7, II.11, II.12, II.18, II.19, II.20, II.22, II.23), schlug er durchschnittlich 50 € als „Unkostenaufwand“ auf, die diese ihm in Unkenntnis des tatsächlichen Ticketpreises auch bezahlte.
2. Diese Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen (gewerbsmäßigen) Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 lit. b), Abs. 2 Nr. 1, § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.
a) Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG macht sich strafbar, wer einem anderen Hilfe dazu leistet, unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen, sofern eines der Schleusermerkmale des § 96 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) oder b) AufenthG erfüllt ist. Die Strafvorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfasst mithin eine zur Täterschaft verselbständigte Beihilfehandlung (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2021 - 3 StR 238/22, juris Rn. 9 mwN). Erforderlich ist daher zunächst das Vorliegen einer Haupttat der unerlaubten Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG oder der Einreise entgegen einem bestehenden Einreiseverbot nach § 95 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG.
b) Auf Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen haben sich die Frauen, die nach Deutschland einreisten, um für die gesondert Verfolgte der Prostitution nachzugehen, weder nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG noch nach § 95 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG strafbar gemacht, denn sie sind nicht gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG unerlaubt eingereist. Bei diesen Frauen handelte es sich ausnahmslos um ukrainische Staatsangehörige, die als sog. Positivstaaterinnen, die nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.d.F. vom 12. Mai 2017, § 15 AufenthV i.d.F. vom 1. Januar 2005 i.V.m. Artikel 1 Abs. 2 i.V.m. Anhang II VO (EG) Nr. 539/2001 vom 15. März 2001 (EUVisumVO 2001) bei den hier erfolgten Kurzaufenthalten von bis zu drei Monaten und dem Vorliegen eines biometrischen Reisepasses von dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit waren. Ihre bereits bei der Einreise bestehende Absicht, in Deutschland der Prostitution nachzugehen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Strafbarkeit einer Ausländerin bemisst sich bei der Einreise und ihrem Aufenthalt bis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausschließlich nach objektiven Kriterien (vgl. Senat, Urteil vom 27. April 2005 - 2 StR 457/04, BGHSt 50, 105, 119 f.; BGH, Urteil vom 26. Juni 2021 - 1 StR 289/20, BGHSt 65, 257, 271 ff.; BGH, Beschluss vom 24. März 2021 - 3 StR 22/21; ebenso BeckOK AuslR/Hohoff, 36. Ed., AufenthG, § 95 Rn. 16a; a.A. MüKo-StGB/Gericke, 4. Aufl., AufenthG, § 95 Rn. 40; Bitzigeio, Kriminalistik 2019, 305, 306). Zwar entfiel nach § 17 Abs. 1 AufenthV i.d.F. vom 1. August 2017 i.V.m. Art. 4 Abs. 3 der EUVisumVO 2001 mit der Aufnahme der Erwerbstätigkeit, regelmäßig am Tag nach der Einreise, die Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2017 - 5 StR 333/16, juris Rn. 9; Beschluss vom 24. März 2021 - 3 StR 22/21), so dass die ukrainischen Frauen ab diesem Moment vollziehbar ausreisepflichtig waren, ihr Aufenthalt mithin illegal wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2012 - 4 StR 142/12, NStZ 2013, 481; MüKo-StGB/Gericke, aaO, § 95 Rn. 41 mwN). Indes hat dies keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit ihrer Einreise, so dass es für die vom Landgericht angenommene Strafbarkeit des Angeklagten nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) AufenthG, indem dieser wiederholt oder zugunsten von mehreren Ausländern handelte, wegen Fehlens einer Haupttat der unerlaubten Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG oder der Einreise entgegen einem bestehenden Einreiseverbot nach § 95 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG kein Raum ist.
c) Soweit nach Maßgabe der Urteilsgründe in den Fällen, in denen der Angeklagte Einnahmen erzielte, indem er seine Wohnung als Bordellwohnung zur Verfügung stellte (Fälle II.4, II.8 und II.10) - neben der in allen Fällen gegebenen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt - eine Strafbarkeit nach § 96 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in Betracht kommt (vgl. auch Senat, Urteil vom 1. August 2022 - 2 StR 231/21), ist der Senat an einer Änderung des Schuldspruchs gehindert, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte sich nach der Erteilung des hier insoweit gemäß § 265 Abs. 1 StPO erforderlichen Hinweises anders verteidigt hätte.
Auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich wegen Ausbeutung der Arbeitskraft gemäß § 233 StGB strafbar gemacht (Fälle II.25 und II.26 der Urteilsgründe), wird von den Urteilsgründen nicht getragen.
1. Nach den vom Landgericht hierzu getroffenen Feststellungen waren auf Veranlassung des Angeklagten im September 2017 neun Akrobaten und Tänzer sowie im November 2017 fünf Musiker aus Simbabwe nach Deutschland eingereist. Diese nahmen in der Folgezeit - vermittelt durch den Angeklagten - zeitlich begrenzte Engagements bei verschiedenen Zirkus-Veranstaltern wahr und traten nebenbei als Künstler auf „Straßenshows“ in verschiedenen deutschen Städten auf.
Nachdem Anfang des Jahres 2018 weitere Engagements ausblieben und die Künstler daher nicht über regelmäßige Einnahmen verfügten, schlug der Angeklagte diesen erneut vor, auf öffentlichen Plätzen aufzutreten, um Geld zu verdienen, womit sie einverstanden waren. Im Folgenden kam es „auf Geheiß“ des Angeklagten in der Zeit vom 29. Januar bis zum 6. Mai 2018 (Fall II.25 der Urteilsgründe) und im Zeitraum vom 11. Juni bis zum 1. Juli 2018 (Fall II.26 der Urteilsgründe) an 29 Tagen zu öffentlichen Darbietungen. Soweit es die Witterungsverhältnisse zuließen, brachen die Künstler, die von dem Angeklagten zunächst in dessen Wohnung und in der Folge an anderen Orten in D. „katastrophal“ untergebracht worden waren, morgens spätestens gegen 11:00 Uhr auf und kehrten nach fünf bis sechs Stunden gegen 18:00 Uhr zurück. Von den erzielten Einnahmen in Höhe von durchschnittlich 500 € vereinnahmte der Angeklagte nach Abzug der entstandenen Kosten für die - zumeist mit dem Zug erfolgte - Anreise zu den jeweiligen Auftrittsorten sowie für Miete und Essen den Großteil des Restbetrages. In der Zeit vom 6. Mai 2018 und dem 11. Juni 2018, in der ebenfalls durch den Angeklagten veranlasste Straßenveranstaltungen stattfanden, waren die Künstler in einem Veranstaltungslokal in D. untergebracht, wo „hinreichend Platz und sanitäre Einrichtungen vorhanden“ waren.
2. Die Urteilsgründe lassen bereits nicht erkennen, ob die Strafkammer von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Hierzu gilt Folgendes:
Nach § 233 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich unter anderem strafbar, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder eine andere Person unter 21 Jahren, durch eine Beschäftigung nach § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB ausbeutet.
a) Nach der Legaldefinition des § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB liegt eine Ausbeutung durch eine Beschäftigung vor, wenn die Beschäftigung aus rücksichtslosem Gewinnstreben zu Arbeitsbedingungen erfolgt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen solcher Arbeitnehmer stehen, welche der gleichen oder einer vergleichbaren Beschäftigung nachgehen (ausbeuterische Beschäftigung).
aa) Der Begriff der Beschäftigung ist nach dem Willen des Gesetzgebers i.S.v. § 7 SGB IV zu verstehen (vgl. BT-Drucks. 18/9095 S. 27). Danach handelt es sich bei einer Beschäftigung um „nichtselbstständige Arbeit“. Dagegen werden selbstständige Betätigungen nicht erfasst (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 232 Rn. 36; MüKo-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 232 Rn. 64). Da auch Fälle der Scheinselbstständigkeit erfasst werden sollen (vgl. BT-Drucks. 18/9095 S. 27), muss im Einzelfall genau ermittelt werden, ob die Selbstständigkeit nicht nur vorgetäuscht wird. Maßgebliche Kriterien für eine unselbstständige Beschäftigung sind die Weisungsgebundenheit der Tätigkeit und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV; dazu BSG, NJOZ 2014, 352 Rn. 16).
bb) Für die Bestimmung des auffälligen Missverhältnisses der Arbeitsbedingungen des Opfers im Verhältnis zu denjenigen solcher Arbeitnehmer, die einer vergleichbaren Tätigkeit nachgehen, kommt es zunächst auf die tatsächliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses des Opfers an (vgl. Schönke/Schröder/ Eisele, aaO, § 232 Rn. 37). Neben dem gezahlten Entgelt wird das Arbeitsverhältnis darüber hinaus maßgebend durch die Arbeitszeit einschließlich gewährtem Urlaub und durch sonstige, insbesondere auch den Arbeitsschutz betreffende Arbeitsbedingungen sowie durch den Sozialversicherungsstatus bestimmt (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 232 Rn. 37; Eydner, „Der neue § 233 StGB - Ansätze zum Verständnis der ‚Ausbeutung der Arbeitskraft‘, NStZ 2006, 10 (13)). Zu betrachten sind auch die Vorteile, die der Täter aus der Beschäftigung erhalten soll, und seine Gegenleistung; auf die Vorteile, die sich das Opfer erhofft, kommt es nicht an (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 232 Rn. 39; BT-Drucks. 18/9095 S. 27). Für die vergleichende Betrachtung können Eingruppierungen, Regelungen in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen usw. von Bedeutung sein. Bestehen keine anderen vergleichbaren Kriterien, soll der gesetzliche Mindestlohn Bezugspunkt sein (vgl. BT-Drucks. 18/9095 S. 28). Zu beachten ist, dass der Lohn lediglich ein - wenn auch gewichtiger - Gesichtspunkt ist, so dass es auch hier einer Gesamtbetrachtung aller Aspekte des Arbeitsverhältnisses bedarf (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 232 Rn. 39; BT-Drucks. 18/9095 S. 28). Schließlich ist ein Vergleich mit den Arbeitnehmern der Vergleichsgruppe vorzunehmen. Dabei ist dann von einem auffälligen Missverhältnis auszugehen, wenn dies einem Kundigen bei Kenntnis der maßgebenden Faktoren ohne weiteres ersichtlich ist, d.h. wenn es ins Auge springt, dass die Arbeitsbedingungen gegenüber anderen Arbeitnehmern völlig unangemessen sind (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1997 - 1 StR 701/96, BGHSt 43, 53, 60, zu § 302a Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F.; Schönke/Schröder/Eisele, aaO, § 232 Rn. 40; Hilgendorf/Kudlich/Valerius/Renzikowski, Handbuch des Strafrechts (Band 4), 1. Aufl., b) Beschäftigung zu ungünstigen Arbeitsbedingungen; BT-Drucks. 18/9095 S. 28).
cc) Zudem muss die Ausbeutung von dem Beweggrund der Rücksichtslosigkeit getragen sein. Darunter ist ein übersteigertes Gewinnstreben zu verstehen, das keine Rücksicht auf die persönlichen oder wirtschaftlichen Belange bzw. auf die für das Opfer sich ergebenden Folgen nimmt, der Täter mithin eine Zwangslage der Beschäftigten ausnutzt, um das Entgelt oder die Arbeitsbedingungen in das von § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB vorausgesetzte Missverhältnis zu bringen (vgl. BT-Drucks. 18/9095 S. 28; Schönke/Schröder/Eisele, StGB § 232 Rn. 42).
b) § 233 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfordert darüber hinaus, dass die Ausbeutung unter Ausnutzung einer Zwangslage erfolgt, d.h. der Täter muss die schlechte Situation des Opfers, mit der eine wesentliche Einschränkung der Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten verbunden ist, kennen und ausnutzen (BT-Drucks. 18/9095, S. 39).
aa) Der Begriff der „Ausnutzung einer Zwangslage“ setzt voraus, dass sich das Opfer in ernster wirtschaftlicher oder persönlicher Bedrängnis befindet, die seinen Entscheidungs- und Handlungsspielraum wesentlich einschränkt und somit seinen Widerstand gegen Angriffe auf seine persönliche Freiheit herabzusetzen droht (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., Rn. 14). Existenzbedrohend im Sinne einer Notlage muss die Situation nicht sein. Nicht ausreichend ist allerdings, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, die seine Ausbeutung lediglich allgemein erleichtert oder erst ermöglicht (vgl. BT- Drucks. 18/9095 S. 24). Ob der Täter selbst die Zwangslage des Opfers herbeiführt oder eine solche „lediglich“ vorfindet und ausnutzt, ist unerheblich (vgl. BeckOK StGB/Valerius, 56. Ed., § 232 Rn. 5 ff).
bb) Entsprechendes gilt für das Tatmittel der Ausnutzung der Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist (sog. ausländerspezifische Hilflosigkeit; vgl. Senat, Urteile vom 15. Juli 2005 - 2 StR 131/05, NStZ-RR 2007, 46; zu § 180b Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F.; vom 17. März 2004 - 2 StR 474/03, NStZ-RR 2004, 233; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 232 Rn. 7; BT-Drucks. 18/9095, 25).
3. Hiervon ausgehend tragen die Urteilsgründe nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen Ausbeutung der Arbeitskraft gemäß § 233 StGB in zwei Fällen.
a) Es ist bereits nicht belegt, dass die simbabwischen Künstler einer Beschäftigung im Sinne des § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB nachgingen. Zwar können nach dem insoweit maßgebenden Arbeitnehmerbegriff auch Künstler Arbeitnehmer sein, wenn sie im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet sind (vgl. BSG NJOZ, 2014, 352; BAG, NJOZ 2003, 1578; NJOZ 2007, 4407). Indes hat das Landgericht keine tragfähigen Feststellungen zur Eingliederung der Künstler in eine fremde Arbeitsorganisation oder zu deren Weisungsgebundenheit getroffen.
Allein die dargestellte Wohnsituation der simbabwischen Künstler sowie der Umstand, dass die Zeugen auf öffentlichen Plätzen „auf Geheiß“ des Angeklagten Veranstaltungen abhielten, liefert hier keinen hinreichenden Beleg für eine Beschäftigung im Sinne des § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB. Zu näherer Erörterung bestand schon mit Blick auf den Umfang der „Arbeitsleistung“ (nur 17 Veranstaltungen im Zeitraum vom 29. Januar 2018 bis zum 6. Mai 2018) Anlass, aber auch deswegen, weil der Angeklagte den Urteilsgründen zufolge keine Vorgaben zur Ausgestaltung der von den Künstlern ausgeübten Tätigkeit (deren Ablauf im Einzelnen unerörtert bleibt) machte und diese offenbar aufgrund eigener Entscheidung auch von einer Arbeitsaufnahme absehen konnten. So wird bezogen auf den tatgegenständlichen Zeitraum mitgeteilt, dass die „weiblichen Tänzerinnen zeitweise Tätigkeiten als Kellnerinnen in Bars und/oder Cafés“ nachgingen und dass „die Zeugen“ in Zeiten, in denen sie nicht auftraten, die Wohnung lediglich zu Trainingszwecken verließen. Ausweislich der Urteilsgründe organisierte eine der Künstlerinnen selbstständig für sich und zwei weitere Künstlerinnen ein Engagement in W. In der Folge reisten die drei Personen nach Österreich und traten dort auf. Einzelne Künstler kehrten auch im Zeitraum zwischen Januar 2018 und Juli 2018 nach Simbabwe zurück. Eine der Künstlerinnen verließ die Gruppe im Mai 2018 und ließ sich in A. nieder, um sich dort eine Arbeitsstelle mit regelmäßigem Verdienst zu suchen.
b) Darüber hinaus belegen die Urteilsgründe nicht, dass die Arbeitsbedingungen der Künstler in einem auffälligen Missverhältnis zu denjenigen solcher Arbeitnehmer stehen, die einer vergleichbaren Tätigkeit nachgehen.
aa) Ohne Feststellung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (siehe oben) konnte sich die Strafkammer insoweit auch nicht - wie geschehen - auf das Mindestlohngesetz stützen. Zwar kann in Fällen, in denen - wie hier wegen Fehlens einer Vergleichsgruppe - keine anderen vergleichbaren Kriterien vorhanden sind, der gesetzliche Mindestlohn als Bezugspunkt für die Bestimmung eines auffälligen Missverhältnisses herangezogen werden. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Mindestlohngesetzes (MiLoG) erstreckt sich aber dessen Anwendungsbereich nur auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In künstlerischen Berufen tätige Personen sind damit zwar nicht von vornherein vom Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes ausgenommen. Insbesondere werden diese nicht von den in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 - 4, sowie Abs. 2 bis 4 MiLoG geregelten Ausnahmetatbeständen erfasst. Für die Anwendbarkeit des Mindestlohngesetzes auf Künstler kommt es jedoch maßgebend auf deren Statusqualifikation als Arbeitnehmer an. Da das Mindestlohngesetz keine eigenständige Definition des Arbeitnehmerbegriffs enthält, ist dabei auf den allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff abzustellen (vgl. BAG, NZA 2022, 556; Erfk/Franzen, MiLoG, 22. Aufl., § 22 Rn. 1). Danach werden Tätigkeiten von Künstlern nur erfasst, wenn diese nach den Kriterien der Weisungsbindung und der Fremdbestimmung als unselbständige Tätigkeit anzusehen sind (vgl. BAG, NJOZ 2003, 1578; NZA 2021, 552).
bb) Zudem ist die von der Strafkammer zugrunde gelegte Schätzung, wonach bei den Straßenveranstaltungen Einnahmen in Höhe von durchschnittlich 500 € erzielt worden seien, nicht nachvollziehbar. Die zugrundeliegende Beweiswürdigung erweist sich - auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsumfangs (vgl. Senat, Urteil vom 16. Februar 2022 - 2 StR 399/21, NStZ-RR 2022, 146, 147 mwN) - als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
(1) Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat, Beschluss vom 8. November 1996 - 2 StR 534/96 BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 26; BGH, Urteil vom 27. April 2017 - 4 StR 434/16).
(2) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Weder ist die von der Strafkammer angenommene Anzahl der Straßenauftritte nachgewiesen noch sind die von der Strafkammer zugrunde gelegten Einnahmen der Gruppe und deren notwendige Ausgaben hinreichend belegt.
(a) Die Strafkammer hat ihre Überzeugung auf die „geständige Einlassung des Angeklagten“ gestützt, die sie aufgrund der weiteren erhobenen Beweise „weitgehend“ bestätigt gefunden hat. Die Einlassung des Angeklagten ist aufgrund ihres fragmentarischen Charakters jedoch nicht geeignet, sämtliche tatbestandsrelevanten Tatsachen beweisrechtlich zu unterfüttern.
So hat der Angeklagte zur Anzahl der durchgeführten Straßenveranstaltungen - vor der Verständigung nach § 257c StPO - lediglich angegeben, in der Zeit vom 30. Januar 2018 bis April 2018 habe keine einzige Show stattgefunden. Nach erfolgter Verständigung hat der Angeklagte erklärt, die „Anklage werde - soweit sie noch Gegenstand der Hauptverhandlung sei - weitgehend“ eingeräumt. Nähere Angaben dazu, wie häufig die Künstler (jeweils) aufgetreten sind, hat er weder bezogen auf Fall II.25 noch auf Fall II.26 der Urteilsgründe gemacht. Zudem erschließt sich auch nicht, ob die den Anklagevorwurf bestätigende Einlassung des Angeklagten auf dessen eigener Wahrnehmung beruht. Dass der Angeklagte die Künstler begleitete oder in irgendeiner Weise kontrollierte, ist nicht festgestellt. Damit bleibt offen, auf welcher Grundlage er in der Lage war, zu diesen für die Tatbestandsverwirklichung maßgeblichen Umständen Angaben zu machen. Vor diesem Hintergrund fehlt der von der Strafkammer vorgenommenen Wertung, die Einlassung des Angeklagten zu der Anzahl der Straßenshows werde durch die Angaben der zeugenschaftlich vernommenen Künstler belegt, eine tragfähige Grundlage.
Hinzu kommt, dass die sich in Teilen widersprechenden und vor allem äußerst vagen Angaben der von der Strafkammer vernommenen Zeugen nicht geeignet sind, die defizitären Angaben des Angeklagten zu kompensieren. Denn danach hat der Zeuge P. angegeben, zum Ende der Winterzeit seien ein bis zwei Shows aufgeführt worden. Die Zeuginnen Z. und R. haben wiederum bekundet, im Winter hätten keine Straßenveranstaltungen stattgefunden. Die Zeugin M. habe sich - so das Landgericht - an vier Straßenshows pro Woche in der Sommerzeit erinnern können. Insgesamt ist nicht ersichtlich, auf welche Weise sich das Landgericht von der Glaubhaftigkeit des Geständnisses überzeugt hat. Ein einfach gelagerter Fall, bei dem möglicherweise nähere Darlegungen entbehrlich sein könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 1995 - 4 StR 698/95, StV 1996, 214, 215), liegt angesichts der aufgezeigten Umstände nicht vor.
(b) Auch die Annahme der Strafkammer, es seien bei jeder Straßenshow durchschnittlich 500 € am Tag verdient worden, erweist sich als spekulativ. Denn dieser Wert wird auf Angaben - nicht näher benannter - Zeugen gestützt, die sich auf grobe Schätzungen beschränken. Danach beliefen sich die Gesamteinnahmen „an schlechten Tagen auf 200 bis 300 €“, wohingegen sie „an guten Tagen bis zu 800 oder 1000 €“ verdient hätten, wobei die Einnahmen am Wochenende höher gewesen seien als unter der Woche. Die Urteilsgründe lassen überdies offen, wie viele „gute“ oder „schlechte“ Tage es gab, wie oft Aufführungen an einem Wochenende stattfanden und wie die Angabe „bis zu 800 oder 1000 €“ zu verstehen ist.
(c) Gleiches gilt für die von der Strafkammer auf der Ausgabenseite vorgenommene Schätzung „der Mietanteile in Höhe von 5 € pro Person“ und der Fahrtkosten, die mit 50 € in Ansatz gebracht werden. Insoweit ist weder ersichtlich, auf welcher Basis und für welchen Zeitraum Mietanteile in Ansatz gebracht werden, noch werden die Auftrittsorte mitgeteilt, zu denen die Künstler „vornehmlich“ mit dem Zug reisten. Darüber hinaus sind die Ausführungen zu den von den Künstlern im Einzelnen vereinnahmten Beträgen unzureichend. Ohne näheren Bezug zu Personen, zu konkreten Auftritten oder zur Häufigkeit der jeweils zur Auszahlung gelangten Beträge, beschränken sich die Urteilsgründe auf die Feststellung, die Anteile der Künstler hätten in Abhängigkeit von den jeweiligen Gesamteinnahmen geschwankt und seien pro Person mit 5 €, 10 €, 15 €, 20 € oder auch 30 € sowie vereinzelt mit bis zu 50 € angegeben worden.
c) Auch die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe rücksichtslos gehandelt, ist nicht belegt. Dies folgt zum einen daraus, dass ohne tragfähige Feststellungen zu einem auffälligen Missverhältnis im Sinne des § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB der Bezugspunkt für die Wertung fehlt, der Angeklagte habe aus einem übersteigerten Gewinnstreben heraus gehandelt. Darüber hinaus ist ohne näherere Erörterung ein tatbestandsrelevantes Gewinnstreben des Angeklagten nicht ohne Weiteres ersichtlich, wenn es diesem - wie die Urteilsgründe ausführen - vordringlich darum ging, sein „empfundenes Minusgeschäft durch die erheblichen Kosten aus Unterkunft und Logis der Künstler in den übrigen Zeiträumen auszugleichen“ und die Künstler eigenständig entschieden, nicht nach Simbabwe zurückzukehren.
d) Schließlich ist eine nach § 233 Abs. 1 Satz 1 StGB vorausgesetzte Zwangslage bzw. eine sog. ausländerspezifische Hilflosigkeit nicht belegt. Soweit die Strafkammer darauf abstellt, „den Zeugen“ sei es aufgrund der Sprachbarriere, ihrer Mittellosigkeit und ihrer Unkenntnis über die Gegebenheiten in Deutschland nicht möglich gewesen, sich von dem Angeklagten zu lösen, steht dies ohne nähere Erörterung nicht im Einklang mit den getroffenen Feststellungen, wonach die Künstler sich bereits einige Monate in Deutschland aufhielten, in dieser Zeit - ohne der Kontrolle des Angeklagten zu unterliegen - einer Beschäftigung als Künstler nachgingen, frei über die Gestaltung ihres Aufenthalts bestimmten und hierzu offenbar auch in der Lage waren. So gingen sie - wie bereits ausgeführt - zeitweise anderen Tätigkeiten als Kellnerinnen in Bars und/oder Cafés nach, organisierten selbstständig Engagements im Ausland oder kehrten ganz oder vorübergehend nach Simbabwe zurück; zwei der Künstlerinnen zogen im Tatzeitraum nach A. .
Infolge der aufgezeigten Rechtsfehler - oben I. und II. - kann auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges in fünf Fällen (Fälle II.31a, II.31b, II.32, II.33a, II.33b) keinen Bestand haben.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erzielte der Angeklagte seit Anfang 2017 aus dem Betrieb einer Künstleragentur, den Flugbuchungen für die gesondert Verfolgte B., der Vermietung der Räumlichkeiten als Bordellwohnung sowie den Einnahmen aus den Straßenshows Einkünfte in Höhe von 1.400 € bis 2.000 € monatlich, die er bei Anträgen auf Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II nicht angab bzw. verschwieg. Da ihm, wie ihm bekannt war, unter Berücksichtigung der erzielten Einnahmen kein Anspruch auf die beantragten Sozialleistungen zustand, kam es in im Einzelnen benannten Zeiträumen zu irrtumsbedingten Überzahlungen.
2. Der Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe „den jeweiligen Sachbearbeiter“ über seine Hilfsbedürftigkeit getäuscht, indem er Einnahmen „aus dem Gewerbebetrieb“, den Straßenveranstaltungen, den Flugbuchungen sowie aus der Vermietung in Höhe von mindestens 1.400 bis 2.000 € nicht offengelegt habe, wird durch den Wegfall der Schuldsprüche wegen (gewerbsmäßigen) Einschleusens von Ausländern und wegen Ausbeutung der Arbeitskraft die Grundlage entzogen. Soweit das Landgericht darüber hinaus Einnahmen im Zusammenhang mit der von dem Angeklagten betriebenen Künstleragentur in Höhe von 9.650 € berücksichtigt hat, liefern diese auch nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe keine ausreichende Grundlage, um die fehlende Hilfsbedüftigkeit des Angeklagten zu belegen. Denn es bleibt bereits die Zuordnung der Einnahmen auf eine der fünf Betrugstaten unklar; das Landgericht hat sämtliche Einnahmen auf den gesamten Zeitraum von Februar 2017 bis Juli 2019 verteilt.
Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II.3, II.4, II.6 bis II.8, II.10 bis II.15, II.18 bis II.20, II.22, II.23, II.25, II.26, II.31a, II.31b, II.32, II.33a, II.33b der Urteilsgründe entzieht den dazu gehörigen Einzelstrafaussprüchen, der Gesamtstrafe sowie der Einziehungsanordnung die Grundlage. In diesem Umfang bedarf die Sache daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 675
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede