HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1107
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 26/20, Beschluss v. 03.09.2020, HRRS 2020 Nr. 1107
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 9. Juli 2020 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
1. Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer am 20. August 2018 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland unter Einbeziehung von Vorstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt; das Urteil ist seit dem 4. Mai 2019 rechtskräftig. Nach den Feststellungen beteiligte sich der Verurteilte vom 18. März bis zum 24. September 2014 an der ausländischen terroristischen Organisation „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ bzw. „Islamischer Staat“ (fortan: IS), indem er sich für sie als Kämpfer zur Verfügung hielt. Er gehörte einer tschetschenisch geprägten Kampfeinheit an, die in Nordsyrien agierte.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht es abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrests nach - am 25. Juli 2020 erreichter - Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung auszusetzen. Der hiergegen gerichteten zulässigen sofortigen Beschwerde bleibt in der Sache der Erfolg versagt.
2. Der Auffassung des Oberlandesgerichts, dass die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht zu verantworten ist (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StGB), weil dem Verurteilten keine günstige Legalprognose gestellt werden kann (zu den rechtlichen Maßstäben s. BGH, Beschlüsse vom 10. April 2014 - StB 4/14, juris Rn. 3; vom 19. April 2018 - StB 3/18, NStZ-RR 2018, 228, jeweils mwN), ist beizutreten. Der Senat nimmt auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug, die auch nach Würdigung des Beschwerdevorbringens fortgelten. Mit Blick hierauf besteht Anlass zu dem folgenden - die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft ergänzenden - Bemerken:
a) Bereits die Persönlichkeit des Verurteilten sowie seine deliktsrelevante Geisteshaltung stehen einer günstigen Legalprognose entgegen.
Zu Recht hat das Oberlandesgericht darauf abgestellt, dass dem Verurteilten eine „ernsthafte und kritische Auseinandersetzung mit dem sog. IS und der Tat ... bisher nicht gelungen“ ist. Bei seiner persönlichen Anhörung zur Reststrafaussetzung hat er die Tat bestritten. Er hat erklärt, nie Mitglied des IS gewesen zu sein und diesem nunmehr „neutral“ gegenüberzustehen. Zwar setzt die bedingte Haftentlassung nicht notwendig voraus, dass der Strafgefangene sein strafbares Verhalten vollumfänglich einräumt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. April 2014 - StB 4/14, juris Rn. 3). Als negativer prognoserelevanter Faktor kommt das Leugnen einer Tat aber durchaus abhängig von sonstigen Umständen in Betracht (s. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018 - StB 33/17, NStZ-RR 2018, 126, 127). Hier spricht das Bestreiten der Mitgliedschaft im IS dafür, dass der Verurteilte zu einer kritischen Reflexion seines strafbaren Verhaltens bislang nicht imstande war. Dies wird dadurch bestätigt, dass er die besonders gefährliche und grausam vorgehende terroristische Vereinigung nicht etwa ablehnt, sondern sich im Verhältnis zu ihr indifferent gibt. Dem persönlichen Eindruck, den das Erstgericht bei der Anhörung von dem Strafgefangenen gewonnen hat, kommt regelmäßig eine hohe Bedeutung zu (s. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2018 - StB 50/18, Rn. 6 [unveröffentlicht]; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 454 Rn. 38).
Die Erwägungen des Oberlandesgerichts lassen sich ohne Weiteres mit den im Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 27. April 2020 mitgeteilten Befunden in Einklang bringen, die sich auf die Persönlichkeit und die Geisteshaltung des Verurteilten beziehen. In Explorationsgesprächen ordnete er beispielsweise seinen tatbedingten Aufenthalt in Syrien („Syrienreise“) als persönliches Erfolgserlebnis ein; „er berichtet(e) stolz, nun habe er genug Geschichten, 'die er seinen Enkeln erzählen könne'". Auch erklärte er, den „Deutschen“ mangele es an Religiosität, was zu „Erscheinungen“ führe, die „durch eine geistliche Autorität verboten gehör(t)en“. Ferner stritt er den fortbestehenden Kontakt zu tschetschenischen Jihadisten nicht ab und verdeutlichte die unter Menschen tschetschenischer Herkunft herrschende Loyalität. Er gab an, er verehre Kämpfer und Selbstmordattentäter der tschetschenischen Seite als „Freiheitskämpfer“ und „Märtyrer“, wohingegen für ihn „Vertreter“ des russischen Staates „legitime Opfer von Gewalt“ seien. Nach den Urteilsfeststellungen hatte sich der Verurteilte „nicht zuletzt aus nationaler Verbundenheit mit seinem Heimatland Tschetschenien und militärischer Bewunderung für den tschetschenischen Jihadisten C. dessen im Wesentlichen aus tschetschenischen Kämpfern bestehender Einheit angeschlossen“ (UA S. 75). Die Ausführungen des Berichts der Justizvollzugsanstalt zum „religiösen Hintergrund“ schließen nachvollziehbar mit der wertenden Feststellung, der Verurteilte sei weiterhin in „seiner Weltanschauung gefestigt“ und aktuell sei „keine Veränderungsbereitschaft“ erkennbar.
b) Hinzu kommt, dass die berufliche Perspektive des Verurteilten trotz des anlässlich der persönlichen Anhörung übergebenen, nicht adressierten und zwei Tage zuvor datierenden Schreibens des I. unklar ist. Dieses Schreiben ist pauschal gehalten und enthält nach verständiger Würdigung keine verbindliche Zusage für einen in den Grundzügen bestimmten Arbeitsvertrag. Die Ernstlichkeit der Mitteilung lässt sich nicht beurteilen, geschweige denn die voraussichtliche Dauer einer etwaigen Beschäftigung als „Facharbeiter für die Be- und Entladung von Containern“. Zweifel am Vorliegen von zugunsten des Inhaftierten wirkenden Tatsachen gehen indes zu seinen Lasten (s. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2018 - StB 50/18, Rn. 8 [unveröffentlicht]; MüKoStGB/Groß, 3. Aufl., § 57 Rn. 55).
c) Das Oberlandesgericht hat vor seiner Entscheidung von der Hinzuziehung eines Sachverständigen gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO absehen dürfen. Nicht jede Prüfung, ob der Rest einer Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, löst die Pflicht zur Begutachtung des Verurteilten aus. Vielmehr muss das Gericht ein Gutachten - unter den sonstigen in der Vorschrift genannten Voraussetzungen - nur dann einholen, „wenn es erwägt“, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen. Das Sachverständigengutachten soll es dem Gericht ermöglichen, die von dem Verurteilten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit im Fall einer erwogenen Strafaussetzung zur Bewährung zuverlässiger einschätzen zu können. Kann im Einzelfall - wie beim Beschwerdeführer - wegen besonderer Umstände eine Reststrafaussetzung offensichtlich nicht verantwortet werden und zieht sie das Gericht deshalb nicht in Betracht, ist eine Beurteilung der von dem Verurteilten ausgehenden Gefahr mittels einer Sachverständigenbegutachtung nicht erforderlich (s. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2000 - StB 1/00, BGHR StPO § 454 Gutachten 3; ferner BVerfG, Beschluss vom 3. Februar 2003 - 2 BvR 1512/02, NStZ-RR 2003, 251, 252; LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 454 Rn. 53 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1107
Bearbeiter: Christian Becker